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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2008
9. Jahrgang
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1. Aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens folgt die Befugnis, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen zu setzen. § 246 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. (BGHSt)
2. Wird nach der gesetzten Frist ein Beweisantrag gestellt, kann dies ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht darstellen, wenn der Antragsteller die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt. (BGHSt)
3. Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Die Verfahrensbeteiligten sind darauf hinzuweisen, dass eine Ablehnung der Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist. (BGHSt)
4. Wurde der Hinweispflicht entsprochen, können Hilfsbeweisanträge auch erst im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden. (BGHSt)
5. Wird geltend gemacht, dass das Tatgericht Hilfsbeweisanträge im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgewiesen habe, ohne zuvor darauf hingewiesen zu haben, dass Beweisanträge, die nach Ablauf einer gesetzten Frist gestellt werden, auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden können, so ist eine Verfahrensrüge nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig, wenn sie nicht mitteilt, dass die Bedeutung der Fristsetzung mit den Verfahrensbeteiligten erörtert wurde. Wird die Rüge von einem neuen Verteidiger ausgeführt, trifft diesen in solchen Fällen eine Erkundigungspflicht (vgl. BGH NStZ 2005, 283, 284). (Bearbeiter)
6. Die „verspätete Antragstellung als solche“ führt nach wie vor nicht zur Zurückweisung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppungsabsicht. (Bearbeiter)
7. Im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz sind, je länger ein Strafverfahren andauert, die Anforderungen an die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung zur Begründung der Verschleppungsabsicht geringer. In solchen Fällen kann auch eine relativ geringfügige zeitliche Verzögerung wesentlich sein. Ob an der bisherigen Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, wonach der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nur Anwendung finden kann, wenn die Erhebung des beantragten Beweises das Verfahren wesentlich verzögern würde, braucht daher vorliegend - wenngleich gute Gründe für die Aufgabe der diesbezüglichen Rechtsprechung sprechen (vgl.
BGHSt 51, 333, 342 Rdn. 32 ff., BGH StV 2008, 9, 10) - nicht entschieden zu werden. (Bearbeiter)
1. Zum Verfahren auf Gewährung von nachträglichem Rechtsschutz gemäß § 101 Abs. 7 StPO gegen die Anordnung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen und die Art und Weise ihres Vollzugs. (BGHSt)
2. § 101 Abs. 7 StPO beinhaltet eine spezielle Regelung für alle dort benannten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen, die die allgemeinen Rechtsbehelfe – namentlich die Beschwerde sowie den von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsschutz entsprechend § 98 Abs. 2 StPO – verdrängt. Auch das Verfahren zur Gewährung von nachträglichem Rechtsschutz gegen eine Postbeschlagnahme richtet sich daher allein nach § 101 Abs. 7 StPO. (Bearbeiter)
1. § 357 StPO findet im Zusammenhang mit der Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen nach dem sog. Vollstreckungsmodell keine Anwendung. (BGHR)
2. Die Grundlage der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ist ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK bzw. gegen das auch verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG), mithin die Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO. Die Verletzung solcher Normen ist aber keine Gesetzesverletzung im Sinne des § 357 StPO (vgl. Wohlers in SK-StPO § 357 Rdn. 22 m.N.). (Bearbeiter)
3. Erfolg die Aufhebung in solchen Fällen auf die Sachrüge, führt dies nicht zur (analogen) Anwendung der nach allgemeiner Meinung als Ausnahmevorschrift eng auszulegenden Vorschrift des § 357 StPO. (Bearbeiter)
4. Die Kompensation nach dem so genannten Vollstreckungsmodell dient allein der Wiedergutmachung des durch die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK entstandenen objektiven Verfahrensunrechts, auf die der Betroffene gemäß Art. 13 MRK Anspruch hat. Hiermit wird vielmehr eine Art Staatshaftungsanspruch erfüllt, wie er in gleicher Weise einer Partei eines Zivilprozesses oder einem an einem Verwaltungsrechtsstreit beteiligten Bürger erwachsen kann (vgl. BGHSt 52, 124, 137 f.). (Bearbeiter)
5. Eine analoge Anwendung des § 357 StPO kommt im Übrigen schon deshalb nicht in Betracht, weil die Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, nach den individuellen Umständen des Einzelfalles für jeden Angeklagten eigenständig zu beurteilen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08 Rdn. 14). (Bearbeiter)
Wegen § 120 Abs. 1 StPO wird bei jeder Entscheidung über die Haftverhältnisse und die Haftverschonungsauflagen inzident zugleich über den Bestand des Haftbefehls entschieden. Derartige Beschlüsse enthalten daher auch ohne ausdrücklichen Ausspruch die Entscheidung, dass die Voraussetzungen des Haftbefehls weiterhin vorliegen, und bewirken damit zugleich die Unterbrechung der Verjährung gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 5 StGB.
1. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichende Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274). Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m.w.N.).
2. Ein bloß unaufklärbares Motiv ist nicht gleichbedeutend mit einem tatsächlich fehlenden Tatmotiv, welches in der Tat ein nicht unerhebliches Entlastungsindiz ist.
1. Im Rahmen der Beweiswürdigung sind bloße Vermutungen des Tatrichters rechtsfehlerhaft, die spekulativen Charakter haben oder sich auf zumindest zweifelhafte oder unklare Erfahrungssätze stützen. In diesem Sinne sind etwa die Erwägungen rechtlich nicht tragfähig, die Alibi-Einlassung eines Unschuldigen werde stets alsbald nach Inhaftierung abgegeben oder im Falle von Kapitalverbrechen lüge nur derjenige, der als Täter oder Gehilfe entweder etwas zu verbergen oder als Unbeteiligter ein plausibles Motiv habe, den eigentlichen Täter zu decken.
2. Die bloße nachdrückliche Betonung der tatrichterlichen Überzeugung vermag eine hinreichende Tatsachengrundlage ebenso wenig zu ersetzen wie die – unzutreffende - Bezeichnung eines Schlusses als „zwingend“ oder „einzig denkbar“.
Geht es dem Angeklagten der Sache nach um die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens im Rahmen einer verfahrensbeendenden Absprache, weil der Richter bei den Gesprächen über die einvernehmliche Verfahrensbeendigung unzulässigen Druck ausgeübt habe, so kann er nach deutschem Strafprozessrecht entweder den Richter bereits in der Tatsacheninstanz wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 2 StPO) ablehnen und nach Zurückweisung des Ablehnungsantrags den absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO geltend machen oder gegebenenfalls die Unverwertbarkeit seines unter Druck zustande gekommenen Geständnisses rügen (§§ 136a, 337 StPO). Daneben kommt eine allgemein auf die Verletzung des fairen Verfahrens gestützte Rüge nicht in Betracht.
1. Wird das Geständnis eines Angeklagten durch die geständige Einlassung eines Mitangeklagten hinsichtlich eines Teils der verurteilten Taten bestätigt wurde, braucht sich das Tatgericht in der Regel auch nach den Maßstäben, die der Große Senat für Strafsachen (BGHSt 50, 40, 49) für die Prüfung eines auf Grund einer Urteilsabsprache abgelegten Geständnisses aufgestellt hat, nicht zu einer weiteren Sachaufklärung gedrängt sehen.
2. Zweifelt der Verteidiger das von ihm selbst in der Hauptverhandlung verlesene Geständnis eines Angeklagten dahingehend an, es sei zu Lasten des Angeklagten unzutreffend, befremdet dieses Rügeverhalten.
Entscheidend für das Maß der Kompensation für eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung ist nicht ausschließlich der Umfang einer eingetretenen Verfahrensverzögerung. Maßgeblich ist nämlich, wie sich die eingetretene Verzögerung konkret auf den jeweiligen Angeklagten ausgewirkt hat, wobei die Belastung durch ein schwebendes Verfahren auch abhängig ist sowohl von der persönlichen Situation eines Angeklagten als auch von der Höhe der zu erwartenden Strafe und deren mögliche Auswirkungen.