HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2008
9. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1100. BGH 2 StR 587/07 - Urteil vom 29. August 2008 (LG Darmstadt)

BGHSt; Fall Siemens; Untreue (endgültiger Vermögensnachteil: Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit des Vermögensinhabers, schwarze Kasse, verdeckte Kasse, Schattenkasse, Schadenswiedergutmachung; schadensgleiche Vermögensgefährdung: subjektiver Tatbestand, Billigung des endgültigen Vermögensverlusts); Bestechung im geschäftlichen Verkehr; Amtsträger eines ausländischen Staates; Verfall (Handeln für einen anderen); Vermögensbetreuungspflicht (Offenbarung unbekannter Vermögenswerte des Treugebers; Buchführungspflichten; Compliance-Vorschriften); Abgrenzung von Tun und Unterlassen bei der Untreue; besonders schwerer Fall der Untreue (Herbeiführung eines Vermögensverlusts großen Ausmaßes durch Fortführung einer schwarzen Kasse).

§ 266 StGB; § 299 a.F. StGB; Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG; § 73 StGB; § 73a StGB; § 13 StGB

1. Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kas-

sen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB; auf die Absicht, das Geld im wirtschaftlichen Interesse des Treugebers zu verwenden, kommt es nicht an (Weiterführung von BGHSt 51, 100). (BGHSt)

2. § 299 Abs. 2 StGB in der bis zum 29. August 2002 geltenden Fassung erfasste nur solche Handlungen im ausländischen Wettbewerb, die sich auch gegen deutsche Mitbewerber richteten. (BGHSt)

3. Der Amtsträgerbegriff nach Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG ist nicht im Sinne der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, sondern autonom auf der Grundlage des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17. Dezember 1997 auszulegen. (BGHSt)

4. Soweit der Senat im Urteil vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 499/06 – (BGHSt 51, 100, 113 f.) das „bloße“ Führen einer verdeckten Kasse nur als schadensgleiche Vermögensgefährdung angesehen hat, hält er hieran nicht fest. (Bearbeiter)

5. Bereits die dauerhafte Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit des Treugebers über Vermögensteile mittels Verbergens durch den Treunehmer kann als Nachteil im Sinne des Untreuetatbestands angesehen werden, denn die Möglichkeit zur Disposition über das eigene Vermögen gehört zum Kern der von § 266 StGB geschützten Rechtsposition. (Bearbeiter)

6. Bei der Schadensfeststellung sind auch normative Erwägungen zu berücksichtigen. Bei pflichtwidriger Wegnahme, Entziehung, Vorenthaltung oder Verheimlichung von Vermögensteilen durch einen Arbeitnehmer kann der Eintritt eines Vermögensschadens nicht dadurch ausgeschlossen sein, dass der Täter beabsichtigt (oder dies behauptet), die Mittel gegen die ausdrückliche Weisung des Treugebers so zu verwenden, dass diesem hierdurch „letztlich“ ein Vermögensvorteil entstehen könnte. Das gilt namentlich dann, wenn dieser Vorteil nur durch einen seinerseits gesetz- oder sittenwidrigen und ggf. strafbaren Einsatz der Mittel erzielt werden könnte. (Bearbeiter)

7. Die Verwendung von dem Treugeber entzogenen und auf verdeckten Konten geführten Geldmittel nach Gutdünken des Treunehmers stellt lediglich eine Schadensvertiefung dar; das Erlangen von Vermögensvorteilen durch spätere Geschäfte und eine etwaige Rückführung der entzogenen Mittel sind allenfalls als Schadenswiedergutmachung anzusehen. (Bearbeiter)

8. Eine dem Treugeber zugute kommende Gegenleistung oder ein durch die pflichtwidrige Handlung anderweitig unmittelbar herbeigeführter ausgleichender Vermögensvorteil liegt im Fall des verdeckten Führens einer Schmiergeldkasse nicht vor. Weder die vage Chance, auf Grund des Mitteleinsatzes zu Bestechungszwecken später einmal einen möglicherweise im Ergebnis wirtschaftlich vorteilhaften Vertrag abzuschließen, noch gar die bloße Absicht des Täters, die entzogenen Mittel für solche Zwecke zu verwenden, stellen einen zur Kompensation geeigneten gegenwärtigen Vermögensvorteil dar. (Bearbeiter)

9. Der Senat lässt dahin stehen, ob und in welchem Umfang etwa eine auf § 76 Abs. 1 AktG gestützte Befugnis des Zentralvorstands der Siemens AG zu einer Einwilligung in die Führung verdeckter Kassen durch § 93 AktG auf Grund normativer Bindungen ausgeschlossen gewesen wäre (vgl. auch BGHSt 34, 379, 384 f.; 35, 333, 337; 49, 147, 158). (Bearbeiter)


Entscheidung

1119. BGH 5 StR 166/08 – Beschluss vom 28. Oktober 2008 (LG Görlitz)

BGHSt; Insolvenzverschleppung (kein Entfallen der Insolvenzantragspflicht des Schuldners bei Insolvenzantrag eines Gläubigers; Strafbarkeit des Liquidators nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse; Zahlungsunfähigkeit: Beleg durch wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen); Betrug (konkludente Täuschung; Vermögensschaden: Unterscheidung der Zusage der Begleichung von Geldforderungen und der Zusage zur vertragsgerechten Verwendung von im Voraus gezahltem Werklohn); Vorenthaltung von Arbeitsentgelt (Berechnungsdarstellung hinsichtlich der Höhe der nicht abgeführten Arbeitnehmeranteile); Schuldprinzip und ne bis in idem; Beendigung beim Bankrott.

Art. 103 Abs. 2, Abs. 3 GG; § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG; § 64 Abs. 1 GmbHG; § 263 StGB; § 266a Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 StGB; § 17 Abs. 2 InsO; § 283 StGB

Die Insolvenzantragspflicht des Schuldners entfällt nicht schon, wenn ein Gläubiger Insolvenzantrag gestellt hat, sondern erst mit der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ein Liquidator ist nicht nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG strafbar, wenn er nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse die Stellung eines Insolvenzantrags unterlässt, obwohl der in Liquidation befindlichen Gesellschaft mittlerweile neue Vermögenswerte zugefallen sind, die allerdings nicht ausreichen, die Insolvenzlage zu beseitigen. (BGHSt)


Entscheidung

1143. BFH VII B 92/08 – Beschluss vom 14. Juli 2008

Korruption und Steuerrecht (Weiterleitung von erlangten Erkenntnissen zu möglichen Korruptionsfällen durch die

Finanzbehörde an die Strafverfolgungsbehörde ohne eigene strafrechtliche Prüfung; rechtswidrige Zuwendung von Vorteilen; Tatverdacht i.S. des § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG; Betriebsprüfung); Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; nemo tenetur-Grundsatz (Selbstbelastungsfreiheit); Strafverfolgungsverjährung; Bestechung; Bestechung im geschäftlichen Verkehr (Angestelltenbestechung).

§ 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG; § 30 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 2 AO; § 299 Abs. 2 StGB; § 331 StGB; § 334 StGB; Art. 8 EMRK; Art. 6 EMRK; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 2 GG; § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB

1. Begründen Tatsachen den Verdacht einer Tat, die den Straftatbestand einer rechtswidrigen Zuwendung von Vorteilen i.S. des § 299 Abs. 2 StGB erfüllt, so ist die Finanzbehörde ohne eigene Prüfung, ob eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht kommt, verpflichtet, die erlangten Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. Das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten es nicht, dass das Finanzamt vor der Übermittlung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen prüft, ob hinsichtlich der festgestellten Zuwendungen Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist oder Verwertungsverbote bzw. Verwendungsverbote vorliegen.

2. Ein Verdacht i.S. des § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen.


Entscheidung

1121. BGH 5 StR 345/08 - Beschluss vom 30. Oktober 2008 (LG Hamburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Bewertung von Kuriertätigkeiten; Abgrenzung von Beihilfe und Täterschaft; Vereinbarkeit mit europäischem Recht; gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung); Anstiftung zur Beihilfe.

§ 29 BtMG; § 26 StGB; § 27 StGB; § 25 Abs. 2 StGB

1. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln muss für eine zutreffende Einordnung des Tatbeitrags eines Kuriers auf das Umsatzgeschäft insgesamt abgestellt werden. Maßgeblich ist für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe dabei, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (BGHSt 51, 219; BGH NJW 2008, 1460 jeweils m.w.N.).

2. Diese Rechtsprechung steht nicht im Widerspruch zum Rahmenbeschluss des Rats der Europäischen Union vom 25. Oktober 2004 (ABl. L 335/8 vom 11. November 2004). Die dort verlangte Strafbarkeit des Beförderns von Betäubungsmitteln wird bereits dadurch gewährleistet (vgl. auch BGHSt [GS] 50, 252, 256), dass die Beförderung regelmäßig mit dem Besitz an den Betäubungsmitteln verbunden ist und der Besitz von Betäubungsmitteln eine eigenständige Strafbarkeit auslöst (§ 29 Abs. 1 Nr. 3; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG).

3. Die von der Rechtsprechung vertretene weite Auslegung des Begriffs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln lässt sich nicht ohne weiteres auch auf die Anforderungen an eine Strafbarkeit wegen Beihilfe übertragen, weil diese an eigenständige Voraussetzungen anknüpft (BGH NJW 2008, 1460, 1462). Auch beim Handeltreiben ist nur eine vollendete Beihilfehandlung strafbar (BGH NJW 2008, 1460, 1462).

4. Die Anstiftung zur Beihilfe ist nur Beihilfe zur Haupttat.


Entscheidung

1114. BGH 4 StR 437/08 - Beschluss vom 21. Oktober 2008 (LG Arnsberg)

Minder schwerer Fall des bewaffneten und bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Erörterungsmangeln hinsichtlich möglicher Aufklärungshilfe); Verfall; Wertersatzverfall (Schätzung).

§ 31 BtMG; § 30a Abs. 3 BtMG; § 30a Abs. 1 BtMG; § 49 Abs. 2 StGB; § 73 StGB; § 73a StGB

1. Der Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erfordert, dass Bargeld, das der Täter für die Tat oder aus ihr erlangt hat, noch als solches bei dem Täter vorhanden ist (vgl. BGH NStZ 2003, 198, 199).

2. Zwar unterliegen Erlöse aus Betäubungsmittelgeschäften dem Verfall, weil sie der Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst und damit aus der Tat im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGHSt 50, 299, 309; BGHR StGB § 73 Erlangtes 4) erlangt hat. Für verfallen erklärt werden kann aber nur ein durch die Straftat tatsächlich erlangter Vermögenszuwachs (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 82). Dies setzt voraus, dass der Angeklagte selbst faktische Verfügungsgewalt an den jeweiligen Verkaufserlösen erlangt hat (vgl. dazu BGH NStZ-RR 2007, 121; BGH, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 5 StR 442/07).

3. Soweit andere Mitglieder einer Bande die Verfügungsgewalt über die Erlöse aus der Veräußerung des Marihuanas erlangt haben, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung des Angeklagten nur dann in Betracht, wenn er sich mit den anderen Bandenmitgliedern darüber einig gewesen wäre, dass er zumindest Mitverfügungsgewalt über die jeweiligen Erlöse erlangen sollte (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 121 m.N.).