Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2008
9. Jahrgang
PDF-Download
1. Stellt das Tatgericht eine Blutalkoholkonzentration von 1,9 Promille fest und legen die Urteilsgründe keine weiteren tragfähiger Anhaltspunkte dar, ist eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht belegt.
2. Auch von nicht rechtskräftigen Verurteilungen kann eine Warnfunktion ausgehen, so dass diese bei der Strafzumessung gegebenenfalls strafschärfend berücksichtigt werden können (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 2; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 149/94). Dies gilt insbesondere für die Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung.
1. Das Tatgericht ist gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO aus sachlich-rechtlichen Gründen verpflichtet, all das festzustellen und darzulegen, was für die Beurteilung des Tatvorwurfs relevant und zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler notwendig ist (vgl. BGH NJW 2008, 2792, 2793 m.w.N., zur Aufnahme in BGHSt bestimmt). Bei einer in Frage stehenden Prüfung einer Rechtfertigung durch Notwehr ist es geboten, Art und Umfang der vom Angegriffenen ausgeführten Verteidigungshandlungen festzustellen und darzulegen. Nur so kann bewertet werden, ob noch eine erforderliche Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB gegeben oder diese bereits überschritten ist (vgl. BGHSt 42, 97, 100).
2. Die Anwendung des § 33 StGB setzt voraus, dass während der Vornahme aller Verteidigungshandlungen, die unter § 33 StGB fallen sollen, eine Notwehrlage, mithin ein gegenwärtiger Angriff vorliegt (vgl. BGH NStZ 1987, 20; 2002, 141, 142). Solches wird auch angenommen, wenn bei den das erforderliche Maß überschreitenden Notwehrhandlungen die Intensität des Angriffs bereits nachgelassen hat oder die unmittelbare Wiederholung des Angriffs zu befürchten ist (BGH NStZ 1987, 20).
Im Fall der Diagnose einer krankhaften seelischen Störung und eines von Größenideen geprägten, sich hinsichtlich der Demütigungen steigernden, teils außergewöhnlichen, von Sadismus geprägten Tatbildes bedarf es einer eingehenden Prüfung und Erörterung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB. So wären zunächst Darlegungen dazu erforderlich gewesen, auf Grund welcher Kriterien eine Beeinträchtigung des Angeklagten bei den Taten durch die krankhafte seelische Störung anzunehmen oder zu verneinen ist. Die Darstellung der Stellungnahme des Sachverständigen ist nachvollziehbar zu gestalten.
1. Der objektive Tatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist grundsätzlich erfüllt, wenn das von der verbotenen Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSBD/PdA) als Symbol benutzte stilisierte Keltenkreuz oder diesem zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen (§ 86a Abs. 2 Satz 2 StGB) öffentlich verwendet werden. Eines zusätzlichen Hinweises auf die Organisation bedarf es nicht. Ein tatbestandliches Handeln scheidet aber dann aus, wenn sich aus den Gesamtumständen der Verwendung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuwider läuft. (BGHSt)
2. Kennzeichen, wie sie beispielhaft in § 86a Abs. 2 StGB aufgezählt sind, sind sicht- oder hörbare Symbole, deren sich die in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB aufgeführten Organisationen bedienen oder bedient haben, um propagandistisch auf ihre politischen Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhängerschaft hinzuweisen. Zur Begründung der Kennzeicheneigenschaft ist deshalb nur erforderlich, dass sich die Vereinigung ein bestimmtes Symbol durch einen Autorisierungsakt - sei es durch formale Widmung, sei es durch schlichte Übung - zu eigen gemacht hat, so dass dieses Symbol zumindest auch als Zeichen der verbotenen Organisation erscheint. (Bearbeiter)
3. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn sich die verbotene Vereinigung ein rein staatliches Hoheitssymbol oder ein Symbol einer Weltreligion in unveränderter Form als Kennzeichen zu Eigen macht, braucht der Senat nicht zu entscheiden. (Bearbeiter)
4. Für die Beantwortung der Frage, ob die konkrete Kennzeichenverwendung dem Schutzzweck des § 86a StGB erkennbar nicht zuwiderläuft, sind die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen sind (vgl. BGHSt 25, 30, 34: „Hitler-Gruß“ als Kritik an Schlagstockeinsatz durch Polizeibeamte). Den Anforderungen, die die Grundrechte der Meinungs- und Bekenntnisfreiheit, aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, ist dadurch Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens. (Bearbeiter)
5. Sind die äußeren Umstände der Verwendung eines Kennzeichens im Sinne des § 86a StGB dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt. Es bedarf dann aber besonders sorgfältiger Prüfung, ob sich der Täter bewusst war, das Kennzeichen einer verbotenen Organisation zu verwenden, und daher auch die subjektive Tatseite gegeben ist. (Bearbeiter)
6. Eine Divergenzvorlage gemäß § 121 Abs. 2 GVG hat auch dann zu erfolgen, wenn ein Oberlandesgericht von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung eines aufgelösten, gleich geordneten Gerichts abweichen will. Der der Norm zugrunde liegende Gedanke, voneinander abweichende höchstrichterliche Rechtsprechung zu vermeiden, um die Rechtsanwendung voraussehbar zu machen und damit Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit zu gewährleisten, gilt in diesen Fällen gleichermaßen. Denn durch die Auflösung eines Oberlandesgerichts verlieren dessen Entscheidungen weder ihre Geltung noch ihre Bedeutung für die Rechtsanwendung, so dass sich ohne Divergenzvorlage möglicherweise einander widersprechende höchstrichterliche Entscheidungen gegenüberstünden. (Bearbeiter)
1. Auch nach Aufhebung des § 217 StGB aF durch das 6. StrRG wird in den Fällen der Kindstötung die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Anders verhält es sich jedoch, wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht geprägt ist.
2. Einzelfall einer unbeanstandeten Annahme niedriger Beweggründe bei einer Kindstötung durch die Mutter, die begangen wurde, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen und noch etwas erleben zu können.
3. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als ein Totschlag - verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Le-
bensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Bei den insoweit zutreffenden Wertungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; Senatsurteil vom 19. Juni 2008 - 4 StR 105/08).
1. Allein die Beschädigung eines Kraftfahrzeuges durch einschlagenden Projektile rechtfertigt nicht die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB, wenn dieser Sachschaden – wie in der Regel der Fall – in keinem relevanten Zusammenhang mit der Eigendynamik der Fahrzeuge zum Tatzeitpunkt steht, sondern ausschließlich auf die durch die Pistolenschüsse freigesetzte Dynamik der auftreffenden Projektile zurückzuführen ist.
2. Der Tatbestand des § 315b StGB ist dreistufig aufgebaut: Durch eine der in Abs. 1 bezeichneten Tathandlungen muss die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt und hierdurch eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter begründet worden sein. Erforderlich ist danach, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt, die sich zu einer konkreten Gefahr für eines der genannten Schutzobjekte verdichtet (BGHSt 48, 119, 122; BGH NStZ 2007, 34, 35).
3. Regelmäßig werden hierbei der Eingriff und die Begründung der abstrakten Gefahr zeitlich dem Eintritt der konkreten Gefahr vorausgehen, etwa, wenn der Eingriff zu einer kritischen Verkehrssituation führt, durch die sodann eines der Schutzgüter konkret gefährdet wird (sog. „Beinahe-Unfall“). Nach der Senatsrechtsprechung ist dies jedoch nicht zwingend (grundlegend BGHSt 48, 119, 122 ff.). Danach kann der Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB in sämtlichen Handlungsalternativen auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung (Abgabe des Schusses) unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung (Beschädigung des Kraftfahrzeugs) führt.
4. Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. Nicht jede Sachbeschädigung (oder auch Körperverletzung) im Straßenverkehr ist tatbestandsmäßig im Sinne des § 315b StGB. Vielmehr gebietet der Schutzzweck des § 315b StGB insoweit eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen (BGHSt 48, 119, 124). Dies ist der Fall, wenn die konkrete Gefahr - jedenfalls auch - auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist.
1. Für eine strafbare Absatzhilfe i.S.d. § 259 Abs. 1 StGB genügt zur Vollendung der Hehlerei grundsätzlich jede vom Absatzwillen getragene vorbereitende, ausführende oder helfende Tätigkeit, die geeignet ist, den Vortäter bei seinem Bemühen um die wirtschaftliche Verwertung der bemakelten Sache zu unterstützen (BGH NStZ 2008, 152). Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob es zum Absatz des Hehlgutes gekommen ist (BGHSt 26, 358; NJW 1990, 2897 f; NStZ 1994, 395 f.). Strafgrund der Hehlerei ist es aber, ein Weiterschieben der durch die Vortat erlangten Sache zu verhindern (BGHSt 26, 358, 360, 363). Deshalb muss die Tätigkeit des Helfers im konkreten Fall geeignet sein, die rechtswidrige Vermögenssituation aufrechtzuerhalten oder zu vertiefen (BGHSt 43, 110, 111; NStZ-RR 2000, 266).
2. Nach der Rechtsprechung des BGH ist nicht jede dem Vortäter geleistete Unterstützung im Vorfeld von Absatzbemühungen strafbar. Im Einzelfall kann es sich um straflose Hilfe bei der Vorbereitung künftigen Absatzes handeln. Für die Abgrenzung kommt es darauf an, ob die Hilfeleistung im Vorfeld eines im Einzelnen noch nicht absehbaren und auch noch nicht konkret geplanten Absatzes erfolgt oder ob sie sich in einen bereits festgelegten Absatzplan fördernd einfügt und aus der Sicht des Vortäters den Beginn des Absatzvorganges darstellt (BGH NStZ 2008, 152, 153).
Unabhängig davon, ob ein erklärtes Einverständnis mit der Verwertung von Angaben des Angeklagten sowie von Erkenntnissen aus Krankenakten vor oder während der Erstattung eines Sachverständigengutachtens überhaupt noch wirksam widerrufen werden kann, wird jedenfalls für das im Auftrag eines Gerichts oder der Ermittlungsbehörden erstattete Gutachten die sonst erforderliche Zustimmung zur Preisgabe von Geheimnissen durch die damit einhergehende gesetzliche Duldungspflicht ersetzt, weil hier das staatliche Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts vorgeht (BGH NStZ 2002, 214, 215).
1. Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Glied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlustes entsprechen (BGHSt 51, 252, 257 m.w.N.).
2. Dass Daumen und Zeigefinger des Opfers „wie eingeschlafen“ gefühlt werden und es diese Finger nur noch eingeschränkt benutzen kann, belegt nicht deren weitgehende Unbrauchbarkeit (vgl. zur „Taubheit zweier Finger“ auch BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 167/08).
„Bei sich führen“ kann der Täter als Werkzeug oder Mittel im Sinne des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB wie beim Tatbestandsmerkmal „mit sich führen“ in § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nur bewegliche Tatmittel (vgl. BGHSt 52, 89). Um einen solchen – ergreifbaren – Gegenstand handelt es sich beim verschlossenen oder zugedrückten Deckel einer (Ganzkörper-)Sonnenbank jedoch nicht.