HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 1094
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, StB 25/08, Beschluss v. 12.11.2008, HRRS 2008 Nr. 1094
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. Oktober 2008 - 6 BGs 156/2008 - wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. März 1999 (2 BGs 85/99) am 1. Oktober 2008 bei seiner Einreise aus Dänemark festgenommen und befindet sich seit dem Folgetag in Untersuchungshaft. Auf Antrag des Generalbundesanwaltes hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 21. Oktober 2008 den früheren Haftbefehl aufgehoben und diesen zugleich durch einen neuen Haftbefehl ersetzt.
Dieser ist auf den dringenden Verdacht gestützt, der Beschuldigte habe sich von November 1993 bis März 1994 in Deutschland als Mitglied an einer (inländischen) Vereinigung beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet war, gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c StGB zu begehen, die bestimmt waren, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern und eine Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat erheblich schädigen konnten. Der Beschuldigte sei in diesem Zeitraum Regionsverantwortlicher der PKK/ENRK für Deutschland/Süd (Eyalet Süd) und damit professioneller Kader dieser damals terroristischen Vereinigung gewesen und habe in dieser Funktion (durch dieselbe Handlung) jeweils am 4. November 1993 durch andere in zwei Fällen ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, in Brand gesetzt und dadurch in einem Fall wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht sowie in weiteren je zwei Fällen versucht, ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient bzw. eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen, in Brand zu setzen.
Der Beschuldigte sei danach der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Brandstiftung mit Todesfolge, schwerer und versuchter schwerer Brandstiftung gemäß § 129a Abs. 2 Nr. 2, § 306a Abs. 1 Nrn. 1, 3, §§ 306c, 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 1 2. Alt., § 52 StGB dringend verdächtig. Es bestünden die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 StPO) sowie der weitere nach § 112 Abs. 3 StPO.
Gegen diesen Haftbefehl wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben oder seinen Vollzug auszusetzen.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Beschuldigte ist der im angefochtenen Haftbefehl bezeichneten Straftaten dringend verdächtig.
a) Der dringende Tatverdacht ergibt sich im Wesentlichen aus den Aussagen der Zeugen S. und A. sowie aus den Feststellungen der im Haftbefehl näher bezeichneten Urteile des Bayerischen Obersten Landesgerichts, des Kammergerichts Berlin sowie der Oberlandesgerichte Celle, Düsseldorf, Frankfurt am Main und Stuttgart.
Die beiden Zeugen haben zu den organisatorischen und personellen Strukturen der Vereinigung sowie zu Planung und Durchführung der beiden Anschlagsserien am 23. Juni und 4. November 1993 umfangreiche Angaben gemacht. Der Zeuge A. war als Aktivist in Berlin (Eyalet Nord) in die Planung und Durchführung der beiden Anschlagsserien des Jahres 1993 eingebunden und an einem der am 4. November 1993 dort verübten Brandanschläge direkt beteiligt. Der Zeuge S. - damaliger Raumverantwortlicher der PKK für Darmstadt - hat zusätzlich bekundet, dass der Beschuldigte, den er zutreffend beschrieben und auf Lichtbildern erkannt hat, unter dem Decknamen "Se." als Verantwortlicher für die Region Süd (Frankfurt am Main einschließlich Dietzenbach, Wiesbaden, Mannheim und Freiburg) vor dem 24. Juni 1993 eine Versammlung zur Vorbereitung der damaligen Aktionen einberufen und geleitet hat. Aus einem überwachten Telefonat vom 17. Februar 1994 und anderen Erkenntnissen ergibt sich, dass "Se." auch zum Zeitpunkt der zweiten Anschlagsserie im November 1993 und zumindest noch bis Februar 1994 Verantwortlicher für die Region Süd war.
Die Organisationsstrukturen der Führung der PKK/ERNK in Europa und in Deutschland, die Zwecke und Tätigkeiten dieser Vereinigung sowie die Befehlskette von der Zentrale der ACM über die Regions- und Gebietsverantwortlichen bis zu den unmittelbaren Tätern der Anschläge wurden für beide Anschlagswellen des Jahres 1993 in Urteilen der vorbezeichneten Gerichte festgestellt. Die nach der Neufassung des § 129a Abs. 2 StGB durch das Gesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2836) zusätzlich erforderlichen Feststellungen zur terroristischen Zwecksetzung (Bestimmung und Schädigungseignung) der von der Vereinigung begangenen gemeingefährlichen Straftaten ergeben sich insbesondere aus dem Urteil des Kammergerichts Berlin vom 23. Januar 2008, das auf die Revision des Angeklagten durch den Senat unbeanstandet geblieben ist (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Vereinigung ist dem Senat zudem aus weiteren Verfahren bekannt. Im Übrigen sprechen auch die Tatumstände für eine zentrale Organisation auch der Anschlagsserie vom 4. November 1993 sowie für die Anordnung und Steuerung der an diesem Tag verübten einzelnen Anschläge über die Weisungs- und Befehlsstrukturen der Vereinigung in Deutschland.
Das Beschwerdevorbringen ist demgegenüber nicht geeignet, den bestehenden dringenden Tatverdacht zu entkräften. Es erschöpft sich im Wesentlichen darin, die vorliegenden Tatsachen und Beweismittel anders als der Haftbefehl zu würdigen.
b) Die Verfolgung der Straftaten, auf die der angefochtene Haftbefehl gestützt ist, ist bislang nicht verjährt.
Ausgehend von den Verjährungsfristen für die einzelnen Delikte (§ 78 Abs. 2 und 3 StGB) und dem jeweiligen Beginn der Verjährung (§ 78a StGB) käme solches allenfalls für das Verbrechen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 2 Nr. 2 StGB) in Betracht, für das gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB eine Frist von zehn Jahren gilt. Insofern wurde die Verjährung zunächst durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 5. April 1994 - 1 BGs 212/94 - unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Nr. 5 StGB). Eine weitere Unterbrechung mit der Folge des erneuten Beginns der Verjährung (§ 78c Abs. 3 Satz 1 StGB) ist durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 16. März 1999 - 2 BGs 85/99 - eingetreten, der den ersten Haftbefehl unmittelbar ersetzte und neben dem (weiterhin bestehenden) dringenden Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zusätzlich auf den dringenden Tatverdacht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschuldigten für sieben im Einzelnen konkretisierte Anschläge vom 4. November 1993 in der Region Süd gestützt war. Dieser Haftbefehl war eine richterliche Entscheidung, mit der der Haftbefehl aus dem Jahre 1994 im Sinne des § 78c Abs. 1 Nr. 5 StGB aufrechterhalten worden ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls in diesem Sinne kann etwa durch eine Entscheidung nach § 115 Abs. 4 StPO oder jede Haftprüfungs- und Haftbeschwerdeentscheidung erfolgen (vgl. Schmid in LK 12. Aufl. § 78 c Rdn. 29). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wird ein Haftbefehl auch dadurch aufrechterhalten, dass gemäß § 116 StPO (lediglich) ein Haftverschonungsbeschluss durch den Wegfall einer Meldeauflage geändert wurde. Wegen der Vorschrift des § 120 Abs. 1 StPO wird bei jeder Entscheidung über die Haftverhältnisse und auch die Haftverschonungsauflagen inzident zugleich über den Bestand des Haftbefehls entschieden. Derartige Beschlüsse enthalten daher auch ohne ausdrücklichen Ausspruch die Entscheidung, dass die Voraussetzungen des Haftbefehls weiterhin vorliegen (vgl. BGHSt 39, 233, 236; ebenso Fischer, StGB 55. Aufl. § 78c Rdn. 15; Schmid aaO; aA Mitsch in MünchKomm § 78c Rdn 12; Rudolphi/Wolter in SKStGB 40. Lfg. § 78c Rdn. 20). Erst Recht muss dies für einen haftrichterlichen Beschluss gelten, der die Aufrechterhaltung und Erweiterung eines bestehenden Haftbefehls zum Gegenstand hat. So war es hier: Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes hat durch seinen Haftbefehl vom 16. März 1999, der zum Zwecke der Anpassung des früheren Haftbefehls an den aktuellen Ermittlungsstand erging (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 114 Rdn. 18), nicht nur inzident, sondern in der Hauptsache über den dringenden Verdacht (auch) der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung entschieden und damit in seiner Wirkung den früheren Haftbefehl aufrechterhalten (vgl. Mitsch aaO § 78 c Rdn. 12 aE). Dass der Ermittlungsrichter dabei den Weg gewählt hat, den Haftbefehl vom 5. April 1994 (formell) aufzuheben und zugleich durch den neuen Haftbefehl zu ersetzen, ist allein eine Frage der Zweckmäßigkeit und hinsichtlich der materiellen Wirkung der Entscheidung ohne Belang (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 114 Rdn. 18; Mitsch aaO).
Danach wurde durch die Entscheidung vom 16. März 1999, die den ersten Haftbefehl im Hinblick auf die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung aufrechterhalten hat, die Verjährung insoweit (erneut) unterbrochen mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt die zehnjährige Verjährung neu zu laufen begonnen hat. Auch die Verfolgung dieses Delikts ist demnach - entgegen der Ansicht der Verteidigung - nicht verjährt.
2. Der Ermittlungsrichter hat zutreffend die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr sowie den besonderen Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO angenommen. Insoweit nimmt der Senat auf die Gründe des angefochtenen Haftbefehls Bezug.
3. Der Zweck der Untersuchungshaft kann angesichts der Schwere des Tatvorwurfs und der bestehenden Haftgründe nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als den Vollzug der Untersuchungshaft erreicht werden (§ 116 StPO). Das Beschwerdevorbringen, insbesondere auch zum Lebensweg des Beschuldigten von 1994 bis zu seiner Verhaftung sowie zu seinen derzeitigen persönlichen und familiären Verhältnissen, ist nicht geeignet, eine Vollzugsaussetzung zu rechtfertigen. Im Hinblick darauf, dass der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung zumindest eine Freiheitsstrafe von nicht unter zehn Jahren zu erwarten hat (§§ 306c, 52 Abs. 2 StGB), ist die Anordnung der Untersuchungshaft auch nicht unverhältnismäßig.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 1094
Bearbeiter: Ulf Buermeyer