Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2008
9. Jahrgang
PDF-Download
1. Zur Garantenstellung und Garantenpflicht des Mitarbeiters einer Kfz-Werkstatt in Bezug auf Gefahren, die aus technischen Mängeln eines seiner Kontrolle unterliegenden Fahrzeugs bei dessen Betrieb erwachsen [im Anschluss an BGHSt 47, 224]. (BGHSt)
2. Ein weisungsbefugter Mitarbeiter der Kfz-Werkstatt kann bezüglich der Fahrtüchtigkeit eines von ihm zu wartenden Fahrzeuges eine Garantenstellung haben, auch wenn für den jeweils aktuellen verkehrssicheren Zustand der Fahrzeuge kraft Gesetzes in erster Linie der Halter (§ 31 Abs. 2 StVZO) und der Fahrzeugführer (§ 23 Abs. 1 u. 2 StVO) zuständig sind. Die arbeitsvertragliche Übernahme der Wartungspflicht begründet zugleich auch eine Schutzfunktion gegenüber allen Verkehrsteilnehmern, die in den durch unzureichende Wartung begründeten Gefahrenbereich der seiner Aufsicht unterliegenden Fahrzeuge geraten würden (vgl. dazu auch Senatsurteil BGHSt 47, 224, 229). (Bearbeiter)
3. Sofern es nicht in der Macht des Mitarbeiters der KFZ-Werkstatt gestanden hätte, von sich aus das reparaturbedürftige Fahrzeug bis zur Durchführung der notwendigen Reparatur stillzulegen, genügt der Angeklagte seiner aus der Garantenstellung erwachsenden Pflicht grundsätzlich durch Unterrichtung der Firmenleitung. Unterrichtet er diese ungenügend, muss zum Beleg der (Quasi-)Kausalität beim Unterlassungsdelikt auch aufgewiesen werden, dass eine genügende Unterrichtung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Stilllegung des Fahrzeuges und damit zur Verhinderung des Erfolges geführt hätte. (Bearbeiter)
1. Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StGB setzt zwar nicht voraus, dass der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung die sicherste oder „optimale“ gewählt hat (vgl. BGHSt 48, 147). Erforderlich ist aber, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang setzt, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich wird (vgl. BGHSt 33, 295, 301; BGH NStZ 2006, 503).
2. Wird die Tat ohne Zutun des Täters nicht vollendet, kommt nur ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB in Frage. § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter alles tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten ausschöpft, wobei sich der Täter auch eines Dritten bedienen kann (vgl. BGHSt 33, 295, 301/302; BGH StV 1997, 518 jew. m.w.N.). Wenn ein Menschenleben auf dem Spiel steht, sind insoweit hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BGHSt 33, 295, 302). Dass ein Täter objektiv schon eher etwas und möglicherweise noch mehr hätte tun können, steht der Annahme eines Rücktritts nicht entgegen (vgl. BGH StV 1999, 211, 212; 1982, 467 m. w. N.). Maßgeblich ist vielmehr, dass der Täter, wenn er sich entschließt, die Vollendung der Tat zu verhindern, die aus seiner Sicht notwendigen Maßnahmen ergreift und sich um die bestmögliche Maßnahme bemüht (vgl. BGHSt 33, 295, 301/302; BGH StV 1999, 596).
3. Zwar ist es grundsätzlich zulässig, auch hinsichtlich der Rücktrittsvoraussetzungen auf den Zweifelssatz zurückzugreifen. Dies setzt aber voraus, dass bei einer Gesamtbeurteilung der Beweistatsachen eindeutige Feststellungen nicht möglich sind (vgl. BGH NStZ 1999, 300, 301), denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BGH NJW 2007, 92, 94; 2005, 1727; NStZ-RR 2005, 147, 148).
1. Die Nebenklagebefugnis gemäß § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO und damit auch die Rechtsmittelbefugnis eines nahen Angehörigen des Verletzten erfasst auch durch einen Todeserfolg qualifizierte Delikte. (BGHSt)
2. Die Tathandlungen des Versetzens in eine hilflose Lage und auch des im-Stich-Lassens in einer solchen Lage (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB i.d.F. durch das 6. StrRG) setzen für die Tatbestandserfüllung keine Ortsveränderung des Opfers oder des Täters voraus. (BGHSt)
3. Eine Mitursächlichkeit, die den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges begünstigt oder beschleunigt, genügt für die haftungsbegründende Kausalität des Täterhandelns (vgl. BGHSt 39, 195, 197 f; BGH NStZ 2001, 29, 30). (Bearbeiter)
1. Unter einem Teil der Bevölkerung im Sinne des Tatbestands der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB) ist eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppe von Personen zu verstehen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind.
2. Die Auslegung des Inhalts einer Schrift im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat sich an seinem objektiven Sinngehalt, Zweck und Erklärungswert zu orientieren, wie sie von einem verständigen, unvoreingenommenen Durchschnittsleser oder -hörer aufgefasst werden. Ob die Schrift die inhaltlichen Anforderungen des objektiven Tatbestands erfüllt, muss sich in erster Linie aus ihr selbst ergeben. Insbesondere subjektive Zielsetzungen, Motive, Absichten, Vorstellungen oder Neigungen des Täters müssen zumindest „zwischen den Zeilen“ erkennbar sein. Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten - insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar wären - mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können.
3. Zwar kann grundsätzlich auch eine politische Gruppierung taugliches Ziel eines Angriffs im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB sein. Bei nicht näher spezifizierten Sammelbegriffen wie „Rote“ oder „Linke“ ist der bezeichnete Personenkreis jedoch so groß und unüberschaubar und umfasst derart zahlreiche, sich teilweise deutlich unterscheidende politische Richtungen und Einstellungen, dass seine Abgrenzung auf Grund bestimmter Merkmale von der Gesamtbevölkerung nicht möglich ist; anders liegt dies bei der Gruppe der „Punks“.
4. Zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung oder eine im Gesetz näher bezeichnete Gruppe von Personen stachelt ein Verhalten auf, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil oder die betreffende Gruppe zu erzeugen oder zu verstärken.
5. Zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen fordert auf, wer auf andere Menschen in einer über das bloße Befürworten hinausgehenden, ausdrücklichen oder konkludenten Weise mit dem Ziel einwirkt, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen.
6. Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder durch Einholung verlässlichen Rechtsrats beseitigt hat. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Der Täter darf nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen.
7. Auch das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen; insbesondere scheiden eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten („Feigenblattfunktion“) als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus.
1. Bei mehrfachem unberechtigtem Einsatz einer fremden Karte an ein und demselben Geldautomaten innerhalb kürzester Zeit bei von vornherein auf die Erlangung einer möglichst großen Bargeldsumme gerichteten Vorsatz sind die einzelnen Zugriffsversuche nicht als selbständige Taten, sondern als Teile einer einheitlichen Tat nach § 263a StGB im materiellrechtlichen Sinne anzusehen.
2. Eine Auftrennung in mehrere Taten kommt in Betracht, wenn im äußeren Ablauf oder in der subjektiven Vorstellung des Täters mit Vollendung einer Abhebung eine Zäsur eingetreten ist.
Wird bei einer Erpressung durch mehrere Einzelakte, die auf die Willensentschließung des Opfers einwirken sollen, letztlich – sei es auch mit verschiedenen Angriffsmitteln – nur die ursprüngliche Drohung durchgehalten, liegt lediglich eine Tat im Rechtssinne vor. Die tatbestandliche Einheit der Erpressung endet erst dort, wo der Täter nach den Regelungen über den Rücktritt nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann, d.h. entweder bei der vollständigen Zielerreichung oder beim fehlgeschlagenen Versuch (vgl. BGHSt 41, 368, 369).
1. Heimtücke kann auch vorliegen, wenn die Arg- und Wehrlosigkeit schutzbereiter Dritter ausgenutzt wird. Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Besinnungslosen vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder es deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (BGHSt 8, 216, 219; BGH NStZ 2006, 338, 339 f.). Voraussetzung ist jedoch, dass die Person den Schutz wirksam erbringen kann, wofür eine gewisse räumliche Nähe und eine überschaubare Anzahl der ihrem Schutz anvertrauten Menschen erforderlich sind (BGH NStZ 2008, 93).
2. Eine die Heimtücke prägende Haltung kann dann entfallen, wenn der Täter aus Mitleid handelt, um einem Todkranken schwerstes Leid zu ersparen und damit nicht in feindlicher Willensrichtung handelt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 14; BGH NStZ 2008, 93). Dies ist aber nicht gegeben, wenn der Täter handelt, um seine Vorstellung über Würde und Wert des Lebens eines sterbenden Menschen durchsetzen.
3. Allein die Erwägung, sich anzumaßen, „Gott gleich über Leben und Tod“ entscheiden zu können, belegt kein Handeln aus niedrigen Beweggründen.
1. Die Beschaffung einer Zahlungskarte mit Garantiefunktion als Vorbereitungsakt bildet mit dem Gebrauch der Karte als Ausführungsakt eine einzige Tat, wenn der Täter die Karte in der Absicht erwirbt, sie alsbald einzusetzen.
2. Dies gilt auch dann, wenn der Täter sich in einem Vorbereitungsakt mehrere gefälschte Zahlungskarten verschafft hat.