HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 448
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 626/07, Urteil v. 05.03.2008, HRRS 2008 Nr. 448
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 29. Juni 2007, soweit es die beiden Angeklagten H. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten W. H. wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten und die Angeklagte M. H. wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen den Mitangeklagten E. hat es wegen Beihilfe zum versuchten Mord eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen die Verurteilung der Angeklagten W. und M. H. wendet sich die Revision der Nebenklägerin mit der Sachrüge. Sie erstrebt bei beiden Angeklagten eine Verurteilung wegen vollendeten Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der am 8. Juli 1973 geborene, geistig leicht behinderte F. lebte seit Ende 2002 bei den Angeklagten, die seine Sozialleistungen vereinnahmten. Er wurde vor allem vom Angeklagten W. H., aber auch von der Angeklagten M. H., deren Kindern und Bekannten der Familie angeschrien, gedemütigt und geschlagen. Spätestens Anfang Juli 2003 verschlechterte sich sein körperlicher Zustand, er magerte zusehends ab und hatte zahlreiche offene Wunden an Armen und Beinen sowie am rechten Ohr, außerdem eine äußerlich dunkel gefärbte, ballonartig nach vorn gewölbte Beule von der Stirn bis zur Mitte des Hauptes. Am Abend des 6. Juli 2003 kam es zu einem Streit zwischen dem Angeklagten W. H. und der Angeklagten M. H. und deren Kindern. Der Angeklagte fragte F., der sich wie meist im Hausflur aufhielt, "warum er so blöd glotze", riss ihn von dem Holzschemel, auf dem er saß und stieß ihn vier bis fünf Mal mit voller Wucht gegen die Wand. Als sich F. wieder auf den Schemel setzte, trat der Angeklagte so heftig gegen den Schemel, dass F. zu Boden fiel. Nun trat und schlug der Angeklagte zunächst mit Fäusten und später sechs oder sieben Mal mit dem Schemel auf den Oberkörper, die Gliedmaßen und den Kopf des Geschädigten F. ein, um diesen zu verletzen, bis ein Bein des Schemels abbrach. F. erlitt zahlreiche Hämatome am Oberkörper, eine ovale Impressionsfraktur im Bereich des linken Oberkiefers mit Bruchausläufer zum Boden der linken Augenhöhle und eine Fraktur am Boden der rechten Augenhöhle. Außerdem platzte die Beule an der Stirn, und Blut und Eiter liefen heraus. Die beiden Angeklagten und der anwesende B. brachten F., der sich vor Schmerzen krümmte, stöhnte und nicht mehr selbständig aufstehen konnte, ins Obergeschoss auf eine Schlafcouch. Obwohl F. in der Folgezeit zu schwach war, um aufzustehen und kaum reden konnte und die beiden Angeklagten dies erkannten, ließen sie ihn dort liegen, ohne einen Arzt zu verständigen (UA S. 27/28).
Am Abend des 7. Juli 2003 wies F. am gesamten Oberkörper in mehreren Farben schillernde Hämatome auf. Aus der Beule an der Stirn trat eine gelbliche, übelriechende Flüssigkeit aus. Das rechte Ohr war fast vollständig vom Kopf abgetrennt. Er konnte nicht schlucken und kaum artikulieren. Gegen 22.00 Uhr beschlossen die Angeklagten, die zwischenzeitlich erkannt hatten, dass F. ohne ärztliche Hilfe innerhalb der nächsten Stunden versterben würde, dass dieser aus dem Haus müsse, damit sie wegen der sichtbaren und offensichtlich auf Schlägen beruhenden Verletzungen keine Schwierigkeiten bekämen. Mit Hilfe des Mitangeklagten E. und der gesondert Verfolgten K. brachten die beiden Angeklagten F. in ihren VW-Bus, um ihn irgendwo in Thüringen abzusetzen. Alle vier fuhren zusammen mit F. bis in den Bereich von Eisenach. Am 8. Juli 2003 gegen 0.45 Uhr stellte K. fest, dass F. verstorben war. Die Angeklagten legten seine Leiche in einem Waldstück etwa 20 Meter von der Bundesstraße B 7 entfernt in einem Gebüsch ab, wo sie am 18. Juli 2003 in stark verwestem und teilskelettiertem Zustand aufgefunden wurde.
Das Landgericht hat die Schläge des Angeklagten W. H. am 6. Juli 2003 als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewürdigt; an einer Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts oder wegen Körperverletzung mit Todesfolge hat es sich aus tatsächlichen Gründen gehindert gesehen. Für einen Tötungsvorsatz des Angeklagten W. H. hätten sich keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben. Angesichts der fortgeschrittenen Verwesung habe eine Todesursache pathologisch-anatomisch nicht mehr festgestellt werden können. Als wahrscheinliche Todesursachen kämen nach den Ausführungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. M. in Betracht eine Hirnblutung mit progredienter Eintrübung, eine Darmverletzung mit nachfolgender Entzündung oder innere Verletzungen der Bauchorgane mit entweder verzögertem Verbluten oder zweizeitiger Blutung, die durch die Schläge des Angeklagten am 7. Juli 2003 verursacht worden wären, aber auch eine allgemeine Infektion im Sinne einer Sepsis angesichts der flukturierenden Beule und der blutig-eitrigen Verletzung am Ohr sowie weiterer offener Wunden, die auf frühere, nicht angeklagte Verletzungshandlungen zurückzuführen seien.
Die Vorgänge vom 7. Juli 2003 hat das Landgericht hinsichtlich beider Angeklagter als versuchten Verdeckungsmord durch Unterlassen gewürdigt, weil F. am Abend des 7. Juli 2003 auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe nicht mehr hätte gerettet werden können.
Die Verurteilung des Angeklagten W. H. lässt mehrere Rechtsfehler zu seinem Vorteil erkennen.
1. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht die Ursächlichkeit der Schläge vom 6. Juli 2003 für den Tod des F. und einen Tötungsvorsatz verneint hat, enthält Lücken und ist deshalb rechtsfehlerhaft.
a) Soweit das Landgericht gemeint hat, nicht ausschließen zu können, dass früher zugefügte Verletzungen und der zunehmend schlechte Allgemeinzustand aufgrund mangelnder Ernährung und einer Sepsis letztendlich todesursächlich waren (UA S. 46), ist diese Beweiswürdigung schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Annahme einer Sepsis als Todesursache sich als bloße fern liegende hypothetische Möglichkeit darstellt, für die nach den Feststellungen und dem mitgeteilten Inhalt der rechtsmedizinischen Gutachten nichts spricht (vgl. BGHR StGB vor § 1/Kausalität Beweiswürdigung 3). Es hätte im Urteil zumindest näherer Feststellungen dazu bedurft, ob es Anzeichen für eine Sepsis gab oder geben musste. Als der Mitangeklagte E. am Nachmittag des 5. oder 6. Juli 2003 mit F. sprach, klagte dieser zwar über seine Schwäche (UA S. 26/27), wies aber offenbar keine äußeren Anzeichen einer Infektion wie beispielsweise hohes Fieber auf. Das Landgericht hätte sich deshalb dazu äußern müssen, ob eine Sepsis zu dem Zeitpunkt ohne äußere Anzeichen hätte vorhanden sein können oder nach dem Gespräch mit E. hätte eintreten und binnen zwei Tagen zum Tode führen können und mit welcher Wahrscheinlichkeit ein solcher Krankheitsverlauf eintritt. Darüber hinaus hat das Landgericht nicht geprüft, ob die Schläge und Tritte vom 6. Juli 2003 nicht möglicherweise zum Tod des Tatopfers beigetragen haben. Es hätte aufklären müssen, ob nicht die Schläge vom 6. Juli 2007, die zum fast vollständigen Abreißen des Ohres und zum Platzen der Beule sowie zur weiteren Schwächung des Tatopfers geführt hatten, gegebenenfalls den Ausbruch einer Infektion mitverursacht haben. Es lag hier nach den festgestellten äußeren Umständen nahe, dass die F. am 6. Juli 2003 zugefügten Verletzungen auch zu dem keine zwei Tage später eingetretenen Tod beigetragen und den Todeseintritt zumindest durch weitere Schwächung des Körpers und fehlende Flüssigkeitsaufnahme begünstigt, möglicherweise sogar beschleunigt (vgl. BGH NStZ 2001, 29, 30 f; StV 1986, 200) haben können. Eine Mitursächlichkeit in diesem Sinne genügt für die haftungsbegründende Kausalität des Täterhandelns (vgl. BGHSt 39, 195, 197 f; BGH NStZ 2001, 29, 30).
b) Auch die Begründung, mit welcher der Tötungsvorsatz im angefochtenen Urteil verneint worden ist, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat einen Tötungsvorsatz trotz der Massivität und Vielzahl der Schläge und Tritte allein aufgrund des Umstands verneint, dass es bereits früher zu massiven körperlichen Übergriffen gekommen sei (UA S. 44 f.). Es hat dabei ersichtlich nicht bedacht, dass F. zum Tatzeitpunkt gerade aufgrund der früheren körperlichen Übergriffe und unzureichender Nahrungsaufnahme bereits körperlich geschwächt war (UA S. 26/27), er mithin erneute Verletzungen nicht so ohne weiteres verkraften würde wie bei früheren Gelegenheiten. Angesichts der "nicht unerhebliche Gewalteinwirkung" (UA S. 43) erfordernden Schläge mit dem Schemel in das Gesicht des Geschädigten, die zu einer Impressionsfraktur mit Eindringen eines Knochenstücks in die Kieferhöhle und der Faustschläge, die zu Frakturen beider Augenböden geführt haben, hätte das Landgericht näher darlegen müssen, weshalb der Angeklagte hierbei den Tod des F. nicht zumindest billigend in Kauf genommen hat. Dass diese schweren Verletzungen, die dazu führten, dass F. sich nicht mehr selbständig bewegen und nicht einmal Flüssigkeit schlucken konnte, lebensgefährdend waren, versteht sich entgegen der Ansicht des Landgerichts (UA S. 45) von selbst.
c) Sollte das neue Tatgericht zur Annahme eines Tötungsvorsatzes gelangen, so wird es Gelegenheit haben, das Vorliegen von Mordmerkmalen, namentlich niedriger Beweggründe (vgl. hierzu BGHSt 47, 128, 130 f.; BGH NStZ-RR 2004, 332), zu prüfen. Abhängig von den neuen Feststellungen zum Tötungsvorsatz und zur Kausalität wird es auch die Konkurrenzen neu zu beurteilen haben. Je nach Fallgestaltung könnte etwa ein einheitlicher Mord, ein Totschlag in Tateinheit mit versuchtem Mord oder eine Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Mord und Aussetzung mit Todesfolge (siehe dazu unten) vorliegen.
2. Das Landgericht hätte angesichts der Verneinung einer vorsätzlichen Tötung zudem die Tatbestände der §§ 221 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB prüfen müssen. Dieser Rechtsfehler führt hier auch auf die Revision der Nebenklägerin zur Aufhebung, weil die Verwirklichung der Qualifikationstatbestände des § 221 Abs. 3 StGB bzw. des § 227 StGB, der die Körperverletzungstatbestände der §§ 223 bis 226 StGB und damit auch die hier in Betracht kommende Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 StGB) in Bezug nimmt, im Raum steht. Für die Nebenklagebefugnis eines nahen Angehörigen - hier der Mutter des Tatopfers - aus § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO und damit die Rechtsmittelbefugnis gemäß § 395 Abs. 4 Satz 2, § 401 Abs. 1 Satz 1 StPO genügt auch ein durch den Todeserfolg qualifiziertes Delikt (vgl. BGH NStZ 1998, 476; BGH Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07; Hilger in LR StPO 25. Aufl. § 395 Rdn. 6).
a) Nach den bisherigen Feststellungen könnte sich der Angeklagte der Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB) schuldig gemacht haben. F. gehörte dem Hausstand des Angeklagten an und war durch Nahrungsmangel und vorangegangene Verletzungen so geschwächt, dass er selbst am 5. oder 6. Juli 2003 glaubte, seinen Geburtstag am 8. Juli 2003 nicht mehr zu erleben. Es liegt nahe, dass er aufgrund dieses Zustands wehrlos war, so dass insoweit die Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt wären. Die Tätlichkeiten des Angeklagten am Abend des 6. Juli 2003 stellten eine rohe Misshandlung dar; in der sich anschließenden Untätigkeit des Angeklagten könnten ein Quälen durch Unterlassen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 197; NStZ 1991, 234; Urteil vom 1. April 1969 - 1 StR 561/68; Fischer StGB 55. Aufl. § 225 Rdn. 8a am Ende) und eine böswillige Vernachlässigung der Fürsorgepflicht liegen.
b) Es kommt aber auch eine Strafbarkeit wegen Aussetzung gemäß § 221 StGB in Betracht. In der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes kann das Versetzen in eine hilflose Lage (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB) auch in anderer Form geschehen als durch eine Ortsveränderung des Opfers (Jähnke in LK StGB 11. Aufl. § 221 Rdn. 12 f.; Fischer a.a.O. § 221 Rdn. 6; Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 221 Rdn. 3; Hardtung in MüKo StGB § 221 Rdn. 11; Küper ZStW 111 [1999] 30, 41 ff.). Der Angeklagte hat nach den Feststellungen F. durch die Stöße, Tritte, Faustschläge und Schläge mit dem Holzschemel am 6. Juli 2003 sowie die anschließende Verbringung in das Obergeschoss, wo er sich selbst überlassen blieb, in eine hilflose Lage versetzt; F. konnte danach nicht mehr selbständig aufstehen, keine Flüssigkeit zu sich nehmen und kaum reden, war mithin nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen oder selbst ärztliche Hilfe zu rufen. Da ihm weder zur Rettung geeignete Hilfsmittel noch hilfsfähige und -willige Personen zur Verfügung standen, befand er sich in einer hilflosen Lage (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07). Hierdurch kann er nahe liegend in Todesgefahr oder in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung versetzt worden sein, weil er selbst keine Schritte zur Behandlung der ihm am 6. Juli 2003 zugefügten schweren Verletzungen mehr unternehmen konnte. Zwar sollen nach einer Ansicht in der Literatur die Fälle vom Tatbestand nicht erfasst werden, in denen der Täter allein durch eine gefahrerzeugende Einwirkung auf Leib oder Leben des Opfers dessen Hilfsbedürftigkeit steigert oder dessen Hilfsmöglichkeiten reduziert, etwa durch heftiges Einschlagen auf das Opfer die Gefahr eines Verblutens herbeiführt (Hardtung a.a.O. Rdn. 12 m. w. N.). Dem würde der Senat nicht folgen wollen. Dem Wortlaut der geltenden Gesetzesfassung lässt sich eine solche Einschränkung nicht entnehmen, auch die Gesetzesmaterialien (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 34 f.) sind zu dieser Frage unergiebig. Darauf kommt es hier letztlich aber nicht an, da die Hilflosigkeit des Tatopfers dadurch noch gesteigert wurde, dass es im Obergeschoss des Hauses sich selbst überlassen blieb, während bei seinem gewöhnlichen Aufenthalt im Flur des Erdgeschosses immerhin die Möglichkeit bestanden hätte, dass sich [ein] Besucher der Familie des Angeklagten seiner erbarmt und für Hilfe gesorgt hätten.
Die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 24. Oktober 1995 - 1 StR 465/95 (NStZ-RR 1996, 131 = JR 1999, 294 mit Anm. Stein) steht der Auslegung des Senats nicht entgegen, denn in jenem Fall war ein Tötungsvorsatz gerade nicht zweifelsfrei ausgeschlossen worden, im Übrigen ist diese Entscheidung zu § 221 Abs. 1 StGB in der alten Gesetzesfassung ergangen.
Durch das Versetzen in diese hilflose Lage kann sich im vorliegenden Fall aber auch eine bereits zuvor gegebene Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung verstärkt haben, indem F. außer Standes gesetzt wurde, der Gefährdung durch die schon vor dem 6. Juli 2003 bestehende Schwächung und den infizierten Verletzungen wirksam zu begegnen, etwa durch Aufsuchen eines Arztes oder des Sozialamts.
c) Zu prüfen gewesen wäre aber auch die Tatmodalität des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. F. war nach den Feststellungen aufgrund der Misshandlungen vom 6. Juli 2007 hilflos. Eine Obhutspflicht ihm gegenüber ergab sich für den Angeklagten bereits daraus, dass er den geistig leicht behinderten Mann in seinen Hausstand aufgenommen hatte. Als Tatbestandshandlung reicht es aus, dass der Angeklagte nicht für die notwendige Hilfeleistung sorgte. Auch § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes setzt keine Ortsveränderung - hier des Täters - mehr voraus (Jähnke aaO Rdn. 23; Fischer a.a.O. Rdn. 8; Hardtung a.a.O. Rdn. 17).
d) Sowohl nach § 221 Abs. 1 StGB als auch nach § 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB hätte es dem Angeklagten mithin oblegen, sofort einen Arzt zu rufen. Hätte F. bei sofortiger ärztlicher Hilfe am 6. Juli 2003 noch gerettet werden können, wozu das Urteil keine Feststellungen enthält, käme es für die Erfüllung der Qualifikationstatbestände der §§ 221 Abs. 3, 227 StGB nicht darauf an, ob er an den Folgen der Schläge vom 6. Juli 2003 oder aufgrund einer allgemeinen Sepsis als Folge früherer Misshandlungen verstorben ist.
Auch die Verurteilung der Angeklagten M. H. allein wegen versuchten Mordes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, das Verhalten auch dieser Angeklagten unmittelbar nach den Schlägen am 6. Juli 2003 bis zum Abend des 7. Juli 2003, welches die Tatbestände des § 221 Abs. 1 Nr. 2 und des § 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen könnte, in seine Betrachtung einzubeziehen. Zur Nebenklagebefugnis hinsichtlich dieser Tatbestände gelten die Ausführungen oben unter II. 2.
a) Die Angeklagte könnte sich dadurch, dass sie F. gemeinsam mit dem Angeklagten W. H. auf die Schlafcouch im Obergeschoss brachte und dort ohne ärztliche Versorgung liegen ließ, ebenfalls der Aussetzung gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht haben (siehe dazu oben unter II. 2. c und unten unter b).
b) Es liegt nach dem festgestellten Sachverhalt außerdem nahe, dass die Angeklagte M. H. den Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt hat. Sie war ebenso wie der Angeklagte W. H. Haushaltsvorstand (Hirsch in LK StGB, 11. Aufl. § 225 Rdn. 8). Bei einem Ehepaar obliegt beiden Ehegatten gemeinsam die Verantwortung für den Hausstand, die Haushaltsführung haben sie einvernehmlich zu regeln (§ 1356 Abs. 1 Satz 1 BGB). Da F. in den Hausstand beider Angeklagter aufgenommen worden war, hätte der Angeklagten M. H. bereits unmittelbar nach den Schlägen vom 6. Juli 2003 eine Hilfeleistung oblegen. Dass die Angeklagte keinen Arzt herbeirief, hätte deshalb unter den rechtlichen Gesichtspunkten des Quälens durch Unterlassen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 197; NStZ 1991, 234; Urteil vom 1. April 1969 - 1 StR 561/68; Fischer a.a.O. § 225 Rdn. 8a am Ende) und der böswilligen Vernachlässigung geprüft werden müssen.
c) Auch hinsichtlich der Angeklagten M. H. erweist sich das Urteil somit als lückenhaft. Hätte F. bei sofortiger ärztlicher Hilfe am 6. Juli 2003 noch hätte gerettet werden können, wären die Qualifikationstatbestände der §§ 221 Abs. 3, 227 StGB erfüllt, ohne dass es auf eine Ursächlichkeit der Schläge vom 6. Juli 2003 für den Todeseintritt ankäme.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 448
Externe Fundstellen: BGHSt 52, 153; NJW 2008, 2199
Bearbeiter: Ulf Buermeyer