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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2008
9. Jahrgang
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Von RiAG Kai-Uwe Herbst und RiAG Georg Plüür, Berlin *
Die Vorschrift des § 406a Abs. 2 und 3 StPO regelt das Rechtsmittelverfahren gegen die streitige Adhäsionsentscheidung im Urteil.
1. Mit der Berufung kann der Angeklagte grundsätzlich das gesamte Urteil, also seinen strafrechtlichen Teil und die Adhäsionsentscheidung, überprüfen lassen. § 406a Abs. 2 StPO eröffnet ihm zusätzlich die Möglichkeit einer isolierten Anfechtung der Adhäsionsentscheidung. In diesem Fall kann über die Adhäsionsentscheidung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden, wenn nicht eine Anhörung auf Antrag des Angeklagten oder des Adhäsionsklägers stattzufinden hat.
2. Die Adhäsionsentscheidung ist auch dann von Amts wegen aufzuheben, wenn sie selbst durch ein Rechtsmittel zwar nicht angegriffen, die strafrechtliche Verurteilung aber in der Rechtsmittelinstanz keinen Bestand hat, weil der Angeklagte weder schuldig gesprochen noch gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt wird (§ 406a Abs. 3 StPO). Damit handelt es sich bei § 406a Abs. 3 StPO im Ergebnis um einen gesetzlich geregelten Fall der Durchbrechung der Rechtskraft. Es sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
a) Kann das Rechtsmittelgericht selbst auf das Rechtsmittel „durchentscheiden“ und gelangt es zum Freispruch bzw. verhängt es keine Maßnahme der Besserung und Sicherung, dann obliegt ihm zugleich die Aufhebungsentscheidung nach § 406a Abs. 3 StPO.
b) Wird hingegen - so hat der Bundesgerichtshof nunmehr ausdrücklich erneut festgestellt - auf die Revision der Staatsanwaltschaft ein Urteil im Schuld- und Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen zwar aufgehoben, die Sache aber zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, bleibt eine zugleich mit der Verurteilung erfolgte zusprechende Entscheidung über einen Adhäsionsantrag - wie etwa eine Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld an den Nebenkläger - hiervon zunächst unberührt; über ihre Aufhebung ist vom neuen Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Hauptverhandlung zu entscheiden.[1]
Im Einzelnen: Nach § 406a Abs. 3 Satz 1 StPO ist die einem Adhäsionsantrag stattgebende Entscheidung aufzuheben, wenn der Angeklagte unter Aufhebung der Verurteilung wegen der Straftat, auf welche die Entscheidung über den Antrag gestützt worden ist, weder schuldig gesprochen noch gegen ihn eine Maßregel der
Besserung und Sicherung angeordnet wird. Nach ihrem Wortlaut könnte diese Regelung auch eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung des Revisionsgerichts erfassen. Dass die Entscheidung über den Adhäsionsantrag von der Staatsanwaltschaft nicht angefochten werden kann, würde in diesem Fall nach dem Wortlaut des § 406a Abs. 3 Satz 2 StPO einer Aufhebung nicht entgegenstehen. Zu § 406a Abs. 3 StPO in der Fassung vor dem Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 hatte der Bundesgerichtshof aber bereits entschieden, dass die nicht angefochtene Entscheidung über den Adhäsionsantrag von der Aufhebung des Urteils im Übrigen unberührt bleibt, wenn die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird.[2] Hieran hat sich durch die Änderung des § 406a Abs. 3 StPO durch das Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 nichts geändert. Die Vorschrift hat die zuvor geltende Regelung inhaltlich übernommen und sie nur redaktionell an die Neufassung des § 406a Abs. 1 Satz 1 StPO angepasst.[3] Gegen eine Erstreckung der Aufhebung bei Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht spricht vor allem, dass in diesem Fall eine endgültige Sachentscheidung über die der Adhäsionsentscheidung zugrunde liegende Straftat nicht getroffen wird. Eine Durchbrechung der Rechtskraft jener Entscheidung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn ihr durch endgültigen Wegfall der strafrechtlichen Verurteilung die Grundlage entzogen wird. Eine Aufhebung der Adhäsionsentscheidung ist daher dem Tatrichter vorbehalten; im Revisionsverfahren kommt sie nur in Betracht, wenn das Revisionsgericht in der Sache selbst entscheidet.[4]
c) Gewährt der Adhäsionskläger nach endgültiger Aufhebung dem Angeklagten, der nach Rechtskraft der Adhäsionsentscheidung nicht mehr durch die zu seinen Gunsten getroffene Vollstreckbarkeitsentscheidung nach §§ 708 ff. ZPO geschützt wird, das Vollstreckte nicht freiwillig zurück, ist der Angeklagte gezwungen, das nach §§ 13 ff. ZPO zuständige Zivilgericht anzurufen und dort den Weg des § 717 Abs. 2 ZPO zu beschreiten. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung.[5] Tatbestandsvoraussetzungen sind nur Vollstreckung aus einem (vollstreckbaren) Urteil und dessen Aufhebung. Der Umfang des Anspruchs richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB; der frühere Zustand ist wieder herzustellen. Dabei dürfte es dem Adhäsionskläger verwehrt sein, sich in diesem neuen Zivilverfahren auf ein Mitverschulden des Angeklagten zu berufen. Dieser kann nämlich in der zugrundeliegenden Fallkonstellation keinen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 719, 707 ZPO stellen. In dem vom BGH entschiedenen Fall wurde nämlich gerade nicht - wie es hierfür Voraussetzung wäre - Revision gegen den zivilrechtlichen Teil bzw. den für (vorläufig) vollstreckbar erklärten adhäsionsrechtlichen Teil eingelegt, was tatsächlich auch gar nicht möglich gewesen wäre, da Staatsanwaltschaft, Privat- und Nebenkläger den bürgerlich-rechtlichen Teil des Urteils nicht anfechten können.[6] Das Revisionsgericht hätte daher gerade nicht auf Antrag anordnen können, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, denn die Adhäsionsentscheidung war in Rechtskraft erwachsen.
d) Für die Anwendung des § 406a Abs. 3 StPO kommen folgende Tenorierungen bzw. Ausführungen in den Gründen des Urteils in Betracht:
Im Fall des Freispruchs bzw. keines (erneuten) Schuldspruchs bzw. keiner (erneuten) Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung
„(...) Die Entscheidung zu 2. /der Urteilstenor zu 2. aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Februar 2007 - Az.: (...) - wird aufgehoben. Zugleich wird von der Entscheidung über den Adhäsionsantrag des Adhäsionsklägers Josef Schmitz,[Adresse, Wohnort] vom 15. Januar 2007 abgesehen. Der Adhäsionskläger Josef Schmitz trägt die durch seinen Adhäsionsantrag vom 15. Januar 2007 angefallenen gerichtlichen Auslagen sowie die insofern angefallenen notwendigen Auslagen des Freigesprochenen.
Gründe:
(...)
I.
Das Landgericht Berlin - Az.: (...) - hat den Freigesprochenen am 25. Februar 2007 der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und dem Adhäsionskläger Josef Schmitz auf seinen Antrag vom 15. Januar 2007 hin ein Schmerzensgeld von 10.000,00 € zugebilligt. Auf die alleine gegen seine strafrechtliche Verurteilung eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Februar 2007 einschließlich der Feststellungen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen. Das Landgericht Berlin hat den Freigesprochenen dann am 15. Dezember 2007 freigesprochen. Diese Entscheidung ist mittlerweile rechtskräftig.
II.
Nachdem der Freispruch vom 15. Dezember 2007 rechtskräftig geworden ist, hatte das Gericht von Amts wegen gemäß § 406a Abs. 3 StPO die Entschädigungsentscheidung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Februar 2007, die der Angeklagte mit seiner Revision nicht angegriffen hatte und die daher in Rechtskraft erwachsen ist, aufzuheben. Gestützt auf den Freispruch sieht das Gericht zugleich gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung über den – nach Aufhebung der zusprechenden Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 15. Januar 2007 noch unerledigten und damit rechtshängigen – Adhäsionsantrag des (...) vom (...) ab. Dieser ist unbegründet, weil der Freigesprochene wegen der angeklagten Straftat nicht schuldig gesprochen wurde und auch keine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wurden.
(...) Dem Adhäsionskläger sind in Übereinstimmung mit § 472a Abs. 2 StPO die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die notwendigen Auslagen des Ange-
klagten aufzuerlegen, weil er den Angeklagten zur Verteidigung gegen einen im Ergebnis unbegründeten Adhäsionsantrag veranlasst hat.“
Im Fall des (erneuten) Schuldspruchs bzw. der (erneuten) Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung halten wir aus deklaratorischen Gründen folgende an § 269 Abs. 3 ZPO angelehnte Tenorierung für zweckmäßig:
„(...) Es wird festgestellt, dass die Entscheidung zu 2. /der Urteilstenor zu 2. aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Februar 2007 - Az. (...) - sowie die im vorgenannten Urteil bezüglich des Adhäsionsantrages vom (...) ergangene Kosten- und Auslagenentscheidung weiterhin Bestand haben.
Gründe:
(...)
Da der Angeklagte wegen der angeklagten Tat erneut schuldig gesprochen wird (bzw. gegen ihn eine Sicherungsmaßregel angeordnet wird) war die Fortgeltung der bereits in Rechtskraft erwachsenen zusprechenden Entscheidung über den Adhäsionsantrag des Adhäsionsklägers (...) aus deklaratorischen Gründen ebenso festzustellen wie die der diesbezüglichen Kosten- und Auslagenentscheidung.“
Eine Gesamtdarstellung der Autoren zum Adhäsionsverfahren findet sich als umfangreiche Information sowohl für Geschädigte und Opfer von Straftaten als auch für die Rechtsanwender auf der Internetseite des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin.[7]
* Beide Autoren sind Richter am Amtsgericht Tiergarten in Berlin. Der Autor Plüür ist derzeit abgeordnet an die Senatsverwaltung für Justiz, Berlin.
[1] BGH 2 StR 477/07 - Urteil vom 28. November 2007 (LG Köln), HRRS 2008 Nr. 79.
[2] BGHSt 3, 210, 211; vgl. auch BGH, NJW 2006, 1890, 1891.
[3] Vgl. BT-Drs. 15/1976, S. 17.
[4] So auch Hilger in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl., § 406a StPO Rdn. 11.
[5] BGH NJW 1983, 232.
[6] Meyer-Goßner,50. Auflage § 406a StPO Rn. 7.
[7] http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/ag/tierg/service.html#strafrecht