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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2006
7. Jahrgang
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Katalin Ligeti: "Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union"; Duncker & Humblot, Strafrechtliche Abhandlungen N.F. 164, Berlin, 2005, 409 S., ISBN 3-428-11663-1.
Mit ihrer Hamburger Dissertation "Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union", die von Prof. Dr. Michael Köhler betreut wurde, hat sich Dr. Katalin Ligeti nicht weniger zur Aufgabe gemacht als die Aufarbeitung der strafpolitischen Entwicklung in der Europäischen Union. Unter europäischer Strafpolitik versteht sie dabei ein neues zwingendes Institutionensystem, das sich auf die Gesamtheit der Bemühungen erstreckt, eine Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte und die Schaffung eines supranationalen Strafrechts zu erreichen (S. 19 ff.). Durch Untersuchung und Bewertung der aktuellen Entwicklungslinien will die Autorin einen Beitrag zur Europäischen Integration leis-
ten, an deren Ende sie die Entstehung eines einheitlichen Strafrechtsraums sieht. Dass sie diesen Ausgang des Entwicklungsprozesses auch für wünschenswert hält, stellt sie in einem rechtspolitischen Bekenntnis der Untersuchung voran. Nicht zuletzt deshalb soll der Begriff des "Europäischen Strafrechts" als Rechtsbegriff mit klarem Inhalt etabliert werden, und nicht mehr als bloßes Etikett für die Gesamtheit der politischen und juristischen Aktivitäten auf diesem Gebiet dienen (S. 28).
Die aktuelle Entwicklung der Strafrechtspflege in der Europäischen Union sieht Ligeti insbesondere durch zwei miteinander verknüpfte Trends geprägt, namentlich Entwicklung und Erleichterung der Rechtshilfe sowie Harmonisierung und Vereinheitlichung von Strafnormen. Das Hauptaugenmerk europäischer Strafpolitik liege dabei auf den praktischen Bedürfnissen, die durch Internationalisierung der Kriminalität, Ineffektivität der traditionellen Rechtshilfe sowie neue supranationale Schutzinhalte hervorgerufen würden. Der Ablauf ihrer Untersuchung folgt konsequent sowohl diesen Entwicklungstrends als auch der Abstufung in Art. 29 ff. EUV. Anhand der Darstellung des institutionellen Rahmens, der horizontalen Kooperationsformen und -mechanismen zwischen den Mitgliedstaaten sowie der europäischen Strafermittlungseinrichtungen wird die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit erläutert, bevor in einem zweiten Schritt die Harmonisierung des materiellen Strafrechts aufgegriffen wird, um die Entstehung des materiellen Europäischen Strafrechts in concreto anschaulich zu machen. Die Arbeit schließt mit der Zusammenführung und Auswertung dieser drei Elemente europäischer Kriminalpolitik. Vorab geht Ligeti jedoch ganz grundsätzlich auf die Frage der Legitimität des Europäischen Strafrechts ein (S. 29 ff.).
Ligeti nimmt in dieser Hinsicht vor allem zwei Herausforderungen wahr. Dies sind die fehlende demokratische Legitimation europäischer Strafgesetzgebung und die Modernität des Europäischen Strafrechts. Sie gelangt zu dem Schluss, dass formal-demokratische Strukturen keine erhöhte soziale Legitimität zu erzeugen vermögen, sondern dies nur durch gesteigerte Transparenz und die Schaffung von Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Rechtsetzungsverfahren erreicht werden kann. Die Spannungen zwischen Europäischer Integration und nationaler Souveränität sollen durch gesteigerte Rechtsstaatlichkeit der Europäischen Strafpolitik abgebaut werden, um damit zugleich deren Akzeptanz zu erhöhen. Ligeti bemängelt vor allem das Fehlen einer unparteiischen, unabhängigen Gerichtsbarkeit, effektiver Rechtsmittel und rationaler Entscheidungskriterien. Einen entsprechenden Ausbau der Rechtsstaatlichkeit hält sie für unerlässlich. Auf die materielle Problematik einer europäischen Strafgesetzlichkeit (vgl. dazu nur die Arbeiten von Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit, 2003; ders., wistra 2006, 121, 122) geht sie indessen nicht ein. Eine Auseinandersetzung mit den materiellen Legitimationsvoraussetzungen europäischer Strafvorschriften bleibt aus. Allerdings sieht Ligeti im Hinblick auf das materielle Recht ohnehin kein spezifisch europarechtliches Problem durchscheinen, da sich in der gegenwärtigen Debatte lediglich Argumente wiederholten, die bereits zuvor in den Mitgliedsstaaten gegen Ausweitungs- und Funktionalisierungstendenzen vorgebracht worden seien. Eine Fundamentalkritik hält sie aus diesem Grund für voreilig. Genuin europäisch sei nur die Bedrohung der Rechtsklarheit durch die rechtstatsächliche Überflutung mit europäischen Vorgaben, die eine hohe Komplexität und Regelungsdichte zur Folge hätten (S. 44). Dieser Zustand sei im Hinblick auf das Gebot der Rechtsstaatlichkeit nicht hinnehmbar und führe im Zusammenspiel mit dem Mangel an Transparenz und Mitgestaltung dazu, dass die Legitimierung der europäischen Strafpolitik noch unvollkommen ist. Vor allem der Europäischen Verfassung misst Ligeti aber große identitäts- und legitimitätsstiftende Bedeutung zu (S. 36, 46 ff.), denn diese liefere die faktischen Voraussetzungen zur Überwindung der "Krise".
Vor diesem Hintergrund beginnt Ligeti dann mit der Umsetzung ihres eigenen Untersuchungsansatzes. Im ersten Teil (S. 49-226) widmet sie sich der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Zunächst wird der institutionelle Rahmen referiert. Dabei erfolgt eine theoretische Beschränkung auf den acquis communautaire des dritten Pfeilers (S. 49); allerdings nicht ohne auf die Vielzahl der Dokumente außerhalb des EU-Bereichs hinzuweisen, deren Fülle eine Berücksichtigung unmöglich machte. Sodann geht Ligeti Fragen der Strafgewalt nach; gegliedert nach jurisdiction to prescribe, jurisdiction to enforce und Strafgewaltkonflikten, auf deren Vermeidung die gegenwärtige Strafpolitik gerichtet sei. Die Aktualität ihrer Ausführungen zeigt sich an dieser Stelle schon daran, dass erst kürzlich ein derartiger Ansatz im Grünbuch zum Grundsatz "ne bis in idem" zur Diskussion gestellt wurde.
Im Anschluss wendet sich die Autorin den allgemeinen Voraussetzungen der strafrechtlichen Rechtshilfe zu (S. 92 ff.). Es schließen sich Erörterungen der wichtigsten Kooperationsformen an, wobei nach Auslieferung, sonstiger Rechtshilfe und Vollstreckungshilfe untergliedert wird. Interessant ist vor allem ihr Vorschlag zur Interpretation von Art. 54 SDÜ. Für die internationale Geltung des ne bis in idem-Grundsatzes soll es auf die betroffenen Rechtsgüter ankommen, die den Gegenstand der Verurteilung bildeten (S. 105 ff.). Allerdings scheint dieser Sichtweise vom EuGH in van Esbroeck jüngst eine Absage erteilt worden zu sein, denn auf rechtliche Qualifizierung und das geschützte rechtliche Interesse soll es nach dieser Entscheidung gerade nicht ankommen, sondern nur auf die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände (EuGH C-436/04 - Urteil der Zweiten Kammer vom 9. März 2006, van Esbroeck, HRRS 2006, 113).
Auf dem Gebiet des Auslieferungsrechts sieht Ligeti allgemein einen Trend, der auf eine stärkere gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidung und die Berücksichtigung der Individualinteressen des Verfolgten gerichtet ist (S. 124). Als vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung identifiziert Ligeti den Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl (S. 125 ff.).
Im Bereich der sonstigen Rechtshilfe wird die Nutzung moderner Technologien wegen ihrer Bedeutung für die Praxis der Strafverfolgung intensiv diskutiert, vor allem in Form der Überwachung von Bankgeschäften und Telekommunikation (S. 138 ff.). Innerhalb dieser Zusammenarbeit scheine sich das Gewicht in Richtung auf ein proactive policing zu verschieben. Insgesamt sei dieser Bereich durch 5 neue Tendenzen gekennzeichnet: Abbau der Hindernisse bei Kooperation und Koordination, Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens, Einsatz neuer Formen der Zusammenarbeit, Interaktion zwischen Rechtshilfe, polizeilicher und zollbehördlicher Zusammenarbeit sowie verstärkte Berücksichtigung von Betroffenenrechten (S. 171). Wegen der insofern fortschreitenden Verpolizeilichung der Rechtshilfe betont die Autorin aber dennoch die zusätzliche Notwendigkeit, als Gegengewicht einen europäischen ordre public als flexiblen, anpassungsfähigen Sicherungsmechanismus zu konkretisieren, (S. 144 f., 171) und daneben eine zügige Justizialisierung des Rechtshilferechts zu betreiben (S. 172).
Im Rahmen der Vollstreckungshilfe wird der Schwerpunkt erwartungsgemäß beim Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gesetzt (S. 174 ff.). Klar erkennt sie dabei, dass rechtsstaatliche Garantien gewährleistet sein müssen. Gerade in Bezug auf den fair trial-Grundsatz zeigt Ligeti potentielle Interessenkonflikte auf (S. 178).
Das Ende des 1. Teils bilden Ausführungen zu den Europäischen Strafermittlungseinrichtungen (S. 197 ff.). Auf dieser Grundlage können abschließend - befördert durch den klug gewählten Aufbau - in der Zusammenschau die allgemeinen Entwicklungstendenzen aufgezeigt werden. Die Autorin sieht einen einheitlichen europäischen Rechtsraum im Entstehen begriffen. Durch Rahmenbeschlüsse sollten einheitliche überschaubare Kriterien der Zusammenarbeit etabliert werden, um das derzeitige "Vertragschaos" zu beseitigen (S. 222). Entscheidende Bedeutung misst sie in diesem Prozess dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung als Ausdruck der Verrechtlichung und Entbürokratisierung der internationalen Zusammenarbeit zu (S. 220). Aufgrund der damit verbundenen Justizialisierung sieht Ligeti diesen Ansatz grundsätzlich positiv. Auch der derzeitigen Verpolizeilichung der Zusammenarbeit und damit verbundenen Umgehung der Rechtshilfe könne in Gestalt von supranationalen Justizorganen entgegengewirkt werden. Institutionell-organisatorisch fänden sich diese Ansätze in Gestalt der Europäischen Staatsanwaltschaft verwirklicht.
Im Mittelpunkt des 2. Teils steht die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte (S. 227-368). Ligeti referiert den Wandel der wissenschaftlichen und politischen Diskussion im Zuge des Maastricht-Vertrags und zeigt dabei die historischen und strafpolitischen Hintergründe dieser Entwicklung auf. Zwar findet mittlerweile eine Ausdehnung auf alle Bereiche schwerer Kriminalität statt, doch konzentriert sich Ligeti auf die Delikte gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft, namentlich Betrug, Korruption und Geldwäsche, als besonders typischer Anwendungsfelder der fortlaufenden europäischen Strafrechtsharmonisierung. Des kompromisshaften Charakters dieser Selbstbeschränkung ist sich die Autorin bewusst (S. 235). Dies gilt in gleichem Maß für die Ausblendung von Fragen der Unternehmensstrafbarkeit (S. 236). Gerade letzteres vermag zu überraschen, da der Anpassungsdruck auf das nationale Strafrecht bzw. das Beharrungsvermögen der Mitgliedsstaaten in diesem Bereich besonders scharf hervorzutreten scheinen. Zudem ist wegen des zunehmend multinationalen Charakters von Organisation und Tätigkeitsfeldern ein konzertiertes Vorgehen auf Unionsebene besonders angezeigt, so dass einige Sätze hierzu erfreulich gewesen wären.
Eine Enzyklopädie zum Europäischen Strafrecht durfte von der Autorin hingegen nicht erwartet werden; zumal sie ihr Ziel, die markanten Züge der Rechtsentwicklung zu veranschaulichen, gleichwohl erreicht. Bei diesem Unterfangen verfährt Ligeti im Wesentlichen nach demselben Muster. Zunächst werden der rechtspolitische Hintergrund und die Erscheinungsformen der Kriminalität geschildert, bevor Rechtsgrundlagen, deren Systematik und Regelungsinhalt des jeweiligen acquis ausgeführt werden. Ihr gelingt es dabei trotz der großen Stofffülle, prägnant die maßgeblichen historisch-politischen Abläufe und Hauptzüge der untersuchten Regelungsbereiche hervorzuheben. Gerade "Neueinsteigern" in diesem Rechtsgebiet sei der Abschnitt zur informativen Lektüre anempfohlen, um sich zügig und durchaus unterhaltsam einen Überblick zu verschaffen. Ligeti scheint ihr Ziel der Exemplifizierung der Entwicklungsstränge mithin vollends erreicht zu haben.
In der abschließenden Zusammenschau lässt die Autorin nochmals die Grundzüge einer Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union insgesamt sichtbar werden. Europarechtliche Vorgaben hätten danach großen Einfluss gewonnen, wobei die Möglichkeiten des EG-Rechts trotz ihrer weit reichenden sowohl strafrechtskonstituierenden als auch -begrenzenden Möglichkeiten von den Mitgliedstaaten grundsätzlich als problematisch angesehen würden, was zu einer Verlagerung in die dritte Säule geführt habe (S. 247 f.). Herausragende Relevanz komme als unionsrechtlichem Regelungsinstrument dabei dem Rahmenbeschluss zu. Den besonderen Reiz dieses Regelungstypus machten das Fehlen eines Erfordernisses zur Kommissions- und Parlamentsbeteiligung oder der Ratifikation aus (S. 265 f.). Inhaltlich erachtet Ligeti eine Harmonisierung auf diesem Weg zur Entstehung eines einheitlichen Rechtsraums für sehr wichtig. Zu den bisherigen Haupterrungenschaften dieser Entwicklung zählt die Angleichung der Strafniveaus in der Europäischen Union, die für Ligeti zum wichtigsten Merkmal europäischer Strafpolitik überhaupt geworden ist (S. 272).
Gekennzeichnet sei die europäische Strafpolitik aber vor allem durch seine rapide Entwicklung und enorme Bandbreite (S. 363), was vielfach zur Erweiterung des strafbaren Bereichs geführt hätte (S. 366). Zudem sei der gegenwärtige Prozess der Harmonisierung durch seine enorme Komplexität geprägt, was anhand der Tatbestände des Betrugs, der Korruption und der Geldwäsche auch exemplifiziert wurde. Ein integriertes Konzept der Straf-
rechtsharmonisierung fehle indessen, was den Integrationsprozess bisweilen fragmentarisch erscheinen lasse. Die notwendige Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen wie der OECD sowie politischer Einfluss, insbesondere der USA, erschwerten gleichfalls dessen konsequente Fortführung. Nach Meinung Ligetis können diese Schwächen nur durch Schöpfung eines einheitlichen europäischen Strafrechtsraums überwunden werden. Ein solcher erscheint ihr als geeignete Abhilfe gegen Komplexität, Unüberschaubarkeit, Lückenhaftigkeit und zudem als Sicherung gegen Utilitätsdenken, das humanitären Überlegungen, welche sich vor allem aus den Konventionen des Europarats speisten, nicht hinreichend Beachtung schenkt (S. 367).
In ihrer Schlussbetrachtung (S. 369 ff.) blickt die Autorin nochmals auf die gewonnenen Erkenntnisse der Untersuchung zurück. Sie sieht eine Entwicklung des europäischen Strafrechts im Spannungsfeld zwischen zwei Polen, namentlich traditionellem national-staatlichem Verständnis des Strafrechts sowie der justiziellen Integration in der Europäischen Union. Eine klare Tendenz zur Entwicklung eines einheitlichen Strafrechtsraumes sei jedoch auszumachen (S. 371). Zur Sicherstellung der Einheit des Rechtsraums müsse auch eine europäische "Strafermittlungsbehörde" vorgesehen werden (S. 372). Integrationsfördernd wirke sich dabei auch die EU-Osterweiterung aus, die zu einer nachhaltigen Harmonisierung der Zusammenarbeit im Dritten Pfeiler veranlassen könnte (S. 373 f.).
Katalin Ligeti ist eine überzeugte Europäerin. Dieser Umstand mag bisweilen zur Konsequenz haben, dass einige Aspekte der derzeitigen Entwicklung zu unkritisch gesehen werden bzw. zu viel Potential und Hoffnung in einzelne Integrationsinstrumente gesetzt wird. Im Hinblick auf die grundsätzliche Legitimität des Europäischen Strafrechts lassen sich Einwände gegen die Gestaltung und Entwicklung des materiellen Strafrechts wohl nicht durch den Hinweis entkräften, es gäbe identische Schwierigkeiten auch im nationalen Strafrecht. Damit würden vor allem Schrittmacherfunktion und Gewicht des Europäischen Strafrechts und die damit verbundene Fernwirkung für das nationale System verkannt. Dies gilt insbesondere wegen der Konzentration der europäischen Kriminalpolitik auf "moderne" Gebiete und Formen des Strafrechts. Auch dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wird als Mittel zur Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Rechtsraums trotz einiger Vorbehalte sehr viel positive Wirkmacht zugeschrieben. In der rechtspolitischen Wirklichkeit erweist es sich aber zunehmend als Mechanismus, um Verfahrensrechte zu schleifen. Schließlich fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der potentiellen Wechselwirkung zwischen Harmonisierung des materiellen Strafrechts und dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung (vgl. dazu Vogel, GA 2003, 314, 333).
Dennoch hat Ligeti eine beeindruckende Leistung erbracht. Eine ungeheure Materialmenge stand zur Bewältigung an, die sich ob der fortlaufenden, rapiden Rechtsentwicklung überdies permanent wandelte und erweiterte. Nach Auffassung des Rezensenten ist die Bändigung des Stoffes gelungen. Ihre Untersuchung liefert eine gelungene Einführung in die Thematik des Strafrechts und der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Auch wenn man sich hier und da einige genauere Ausführungen erhofft hätte, stört dies das Gesamtbild nicht. Denn trotz der erwähnten Einschränkungen schafft sie es, den Leser mit den prägenden Zügen und vor allem der Komplexität und den rechtspolitischen Hintergründen der Entwicklung vertraut zu machen. Sie findet dabei in der Zusammenfügung von Inhalten normativer Regelungskörper, politischer Implikationen, Beispielsfällen, pragmatischen Erwägungen und historischen Perspektiven nicht nur durchlaufend die richtige und gut lesbare Mischung, sondern hat damit zugleich eine Rezeptur gewählt, die aus sich selbst heraus aussagekräftig, weil prägend für dieses Rechtsgebiet ist.
Überrascht registriert man als Leser allerdings eine durchaus störende Vielzahl von Rechtschreibfehlern. Die Verantwortung hierfür wird man aber wohl beim Verlag suchen müssen. Für eine Nicht - Muttersprachlerin bleibt die Arbeit in jedem Fall auch eine enorme sprachliche Leistung. Bei ihren Ausführungen zeigt sich die Autorin zudem stets meinungsfreudig und kreativ. Ihr persönlicher Stil ist angenehm. Sie verfährt erfrischend undogmatisch und unaufgeregt. Zu auftauchenden Streitständen oder Kontroversen nimmt sie - auch wenn man in der Sache letztlich anderer Auffassung sein mag - stets mit plausiblen Argumenten Stellung und gibt weiterführende Anleitung zur Vertiefung, wenn sie diese selbst aufgrund des beschränkten Raumes nicht leisten kann.
Skeptischer fällt das Urteil aus, soweit es um das Leitmotiv ihrer Arbeit geht. Ligeti hatte es sich zum Ziel gesetzt, einen Rechtsbegriff "Europäisches Strafrecht" zu etablieren. Jedoch wird allenfalls ein Programm oder Muster europäischer Strafrechtsentwicklung erkennbar. Für einen Rechtsbegriff fehlt demgegenüber die Substanz. Meines Erachtens sind daher keine hinreichend klaren Konturen erkennbar, um daraus zwingende Folgerungen für die Gestaltung des europäischen Strafrechtsraums ziehen zu können; zumal auch nicht recht deutlich wird, ob ontologisch oder normativ begründet werden soll. Dennoch weist die Untersuchung in die richtige Richtung und bestätigt die Autorin als kritische Denkerin. Trotz der vorgenannten Bedenken bereichert die Arbeit zweifelsohne die Debatte um das Europäische Strafrecht. Sie liefert eine gute Basis für eine - gleichwohl erforderlich bleibende - vertiefte Auseinandersetzung mit Wesen und Grenzen des Europäischen Strafrechts.
Dr. Frank Meyer, LL.M (Yale), Freiburg i.Br.
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Jens Schmidt, Verteidigung von Ausländern, 2. Auflage (Praxis der Strafverteidigung Band 27), C.F. Müller, Heidelberg, 2005, 372 Seiten, ISBN 3-8114-3054-8, 42,- Euro.
Der nunmehr in zweiter Auflage vorliegende Band zu der Verteidigung von Ausländern schließt, wie schon die
vorangegangene Auflage, eine große Lücke in der angebotenen Literatur für Strafverteidiger: Obwohl im Jahr 2005 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) etwa ein Viertel der Verurteilten nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaß (viele der in dem "Praxishandbuch" benannten Besonderheiten betreffen darüber hinaus auch Beschuldigte mit Migrationshintergrund, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen), wird diese - große, aber keineswegs homogene - Gruppe in Literatur und Ausbildung kaum spezifisch behandelt (auch in der Ausbildung zum Fachanwalt für Strafrecht wird darauf i.d.R. nicht eingegangen). Dabei treten hier eine ganze Reihe von Besonderheiten und auch Schwierigkeiten auf, die der Verteidiger "im Auge behalten" und auf die er sein Verteidigerhandeln ausrichten muß, um eine erfolgreiche Verteidigung zu gewährleisten. Die hierfür erforderlichen Kenntnisse des Straf-, Strafprozeß- und Ausländerrechts, sowie internationalen Rechtshilferechts werden von Schmidt umfassend und eingängig vermittelt. Der Verteidiger bekommt einen Leitfaden für die Gesamtproblematik der betroffenen Verteidigungsmandate an die Hand, angefangen mit einer klaren Darstellung des Ausländerrechts und Ausländerstrafrechts über die Besonderheiten des Strafverfahrens, der Strafvollstreckung und des Strafvollzugs, bis hin zur Auslieferung und Abschiebungshaft. Dem Leser - oder besser "Benutzer" - des Praxishandbuchs werden zahlreiche Tabellen, Übersichten, Checklisten, Musterschriftsätze, Gesetzestexte, Verwaltungsrichtlinien, völkerrechtliche Verträge und praktische Tips an die Hand gegeben (nicht zuletzt auch auf der Homepage www.verteidigung-von-auslaendern.de), die das Zurechtfinden erleichtern und die für die Verteidigung wesentlichen Punkte verdeutlichen.
Schmidt behält die Gliederung seines Handbuchs in acht Teile bei, die er jeweils gründlich überarbeitet und auf den neuesten Stand von Rechtsprechung und auch Gesetzgebung gebracht hat (mit dem neuen Zuwanderungsgesetz wurde das Ausländerrecht vollständig überholt). Im ersten Teil geht Schmidt auf ausländerrechtliche Grundbegriffe ein und stellt dann ausführlich Verteidigungsstrategien zur Vermeidung der Ausweisung dar, die von Beginn des Strafverfahrens an berücksichtigt werden sollten, um nicht im anschließenden Verwaltungsverfahren vor "vollendeten Tatsachen" zu stehen. Die Regelungen insb. des AufenthG, die vielen Verteidigern - insbesondere nach der Neufassung des Gesetzes im Jahre 2002 - nicht mehr geläufig sein dürften, werden prägnant dargestellt, eine Tabelle und eine Checkliste erleichtern die Anwendung der Vorschriften in der Praxis.
Im zweiten Teil geht Schmidt auf spezifische Probleme ein, die bei der Anwendung des materiellen Strafrechts auf Ausländer entstehen können (z.B. Irrtümer aufgrund des abweichenden kulturellen Hintergrunds, abweichende Wertvorstellungen, Probleme mit ausländischen Führerscheinen, Straftaten nach dem AufenthG etc.). Aktuelle höchstgerichtliche Entscheidungen werden in diesem Zusammenhang dargestellt. In Teil drei des Buches werden Besonderheiten bei der Strafzumessung behandelt. Ein Blick auf die angefügte Tabelle erleichtert das Auffinden von Entscheidungen zum Anrechnungsmaßstab von im Ausland erlittener Haft für eine Vielzahl von Ländern.
Im vierten Teil - einem der Schwerpunkte des Buches - werden die verfahrensrechtlichen Besonderheiten aufgezeigt und Lösungsansätze vermittelt. Hier stehen zunächst die sprachlichen Barrieren im Vordergrund, mit all ihren Folgeproblemen (Dolmetscher, Übersetzung von Entscheidungen, Kostenfragen). Sodann wird die Frage der notwendigen Beiordnung bei sprachunkundigen Ausländern behandelt, die Verteidigung in der Untersuchungshaft (Haftgrund der Fluchtgefahr bei Ausländern), Besonderheiten im Ermittlungsverfahren, Art. 54 SDÜ und die besondere Möglichkeit der Verfahrenseinstellung im Hinblick auf eine zu erwartende Ausweisung nach § 154 b StPO mit ausführlicher Tabelle zur Praxis der einzelnen Bundesländer, so daß der Verteidiger wiederum auf einen Blick erkennt, wann es sich lohnt, die Verteidigungstaktik darauf auszurichten. Zuletzt werden weitere Besonderheiten der Verteidigung in der Hauptverhandlung aufgezeigt und Schmidt geht auch auf Jugendstrafverfahren gegen Ausländer ein.
In Teil fünf wird die Verteidigung von Ausländern in Strafvollstreckung und Strafvollzug dargestellt, hier ist wiederum eine Tabelle sehr hilfreich, in der die Regelungen der einzelnen Bundesländer zur Möglichkeit des Absehens von Vollstreckung nach § 456 a StPO dargestellt sind.
In den Teilen sechs und sieben werden die Voraussetzungen von Auslieferung, Auslieferungshaft und Abschiebehaft erläutert, der Abschnitt zum Europäischen Haftbefehlsgesetz ist allerdings durch das Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2005 zunächst überholt. Praktisch ist in Teil sechs wiederum eine Tabelle, in der die zur Anwendung kommenden Übereinkommen der Bundesrepublik mit anderen Staaten alphabetisch aufgeführt sind. Teil acht enthält Musteranträge und -schriftsätze, die ebenfalls auf den neuesten Stand gebracht wurden und für den Verteidiger hilfreiche Anhaltspunkte bei der Abfassung von Schriftsätzen bieten können.
Schmidt schreibt in einem sachlichen und zugleich leicht eingängigen Stil. Er gibt zahlreiche Hinweise auf einschlägige Rechtsprechung und weiterführende Literatur zu den einzelnen Problempunkten und weist gerade auch durch die optische Darstellung auf wesentliche Punkte hin. Wer Ausländer verteidigt, kann hier eine Vielzahl wertvoller Anregungen finden, aber auch gezielt einzelne Punkte nachlesen. Die klare Gliederung des Buches und das umfangreiche Inhaltsverzeichnis erleichtern das Auffinden der jeweils passenden Stellen. Das Werk verdient deshalb seine Bezeichnung als "Praxishandbuch", seine Anschaffung ist uneingeschränkt zu empfehlen
Rechtsanwältin Hannah Milena Piel, Karlsruhe.
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