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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2006
7. Jahrgang
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Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Malek, Freiburg i.Br.
I.
Es war nicht einfach, unter den Strafverteidigervereinigungen eine Mehrheit für eine Arbeitsgruppe mit dem Titel "Feindstrafrecht" auf dem 30. Strafverteidigertag in Frankfurt zu finden. Zwar hatte die Podiumsdiskussion am Schlusstag des 29. Strafverteidigertages in Aachen unter Teilnahme von Günther Jakobs bei den meisten Anwesenden ein Gefühl der Unzufriedenheit hinterlassen, wobei der kleinste gemeinsame Nenner von Kritik und Selbstkritik die Erkenntnis war, dem Thema "Feindstrafrecht" und seinem Protagonisten - wie auch immer - nicht gerecht geworden zu sein.
Viele Kollegen zogen aus dem "Debakel von Aachen" den Schluss, hier müsse, am besten gleich auf dem nächsten Strafverteidigertag, etwas zurecht gerückt werden. Dieser Meinung war auch der Verfasser dieser Zeilen. Andere erhoben jede Diskussion über die Thesen Jakobs in den Rang eines Tabus, das zu brechen zumindest den Verdacht rechtfertigte, dessen Sympathisant zu sein.
Die zunächst ablehnende Haltung vieler Kolleginnen und Kollegen lag, wie die Diskussion zeigte, auch darin begründet, dass sie sich als Rechtspraktiker in "philosophischen" Fragen - als solche nämlich wurde das Feindstrafrecht betrachtet - dem Elfenbeinturm der Rechtswissenschaft hoffnungslos unterlegen fühlten.[1] Man müsse Kant studiert haben, um Jakobs zu widerlegen, war eines der Argumente. - Selbstredend muss man nicht! Man muss es eben so wenig, wie die Einsicht in die Evolutionstheorie die Kenntnis von Darwins "Entstehung der Arten" erfordert, oder die Verteidigung der Gleichheit vor dem Gesetz nur von dem erwartet werden darf, der die Klassiker der Französischen Revolution im Original zu zitieren weiß. Wer anderes glaubt, der ist dem Meister aus Bonn bereits auf den Leim gegangen.
Das andere Argument gegen die Durchführung der vorgeschlagenen Arbeitsgruppe, man müsse Jakobs quasi tot schweigen[2], war von jeher blauäugig und wurde spätestens dann gänzlich unvertretbar, als das Thema just zum Strafverteidigertag in der Diskussion um den vom Bundesverfassungsgericht am 15.2.2006 für verfassungswidrig erklärten § 14 Abs.3 Luftsicherheitsgesetz aus jedem berufenen Munde zu hören und in fast jeder Zeitung zu lesen war.
Was also bleibt, ist die argumentative Auseinandersetzung.
II.
Es gibt in der Tat Dinge, über die man nicht diskutiert. Menschen sind, wie immer sie sich benehmen mögen, keine "wilden Tiere", die man einfach aus der staatsbürgerlichen Rechtsordnung eliminieren könnte. Wer anderes will, kann von Glück sagen, dass die Anhänger einer ungeteilten Geltung des Rechts diese Geltung auch dem Urheber solcher verfassungswidriger Forderungen zukommen lassen.
Aber es gibt Fragen, die zu diskutieren und an Jakobs zu stellen sind.
Zunächst ist klarzustellen, dass Jakobs nicht nur Situationen beschreibt und analysiert, wie er nicht müde wird zu behaupten,[3] sondern Lösungen anbietet und propagiert. Jakobs Haltung ist nicht deskriptiv, sondern hinsichtlich seines Konzepts legitimatorisch-affirmativ.[4] Zwar erreicht Jakobs neuer Vortrag auf dem Strafverteidigertag[5] nicht die Schärfe und Eindeutigkeit früherer Veröffentlichungen; dass seinen Ausführungen deswegen jedoch "jeder rechtspolitische Impetus" fehle, wie er selbst meint, wird man schwerlich behaupten können.
Unbeantwortet bleiben (und sie blieben es auch in Frankfurt in der auf die Referate folgenden Diskussion in hartnäckiger Weise) vor allem die "praktischen" Fragen, auf die ein phantasiebegabter Jakobs-Leser unvermeidlich stößt: Was ist denn mit den "wilden Tieren" zu tun, wenn sie sich nicht zähmen lassen? Jakobs Thesen legen, wenn man sie ernst nimmt, wahrhaft gespenstische Antworten nahe. Wäre die Diskussion um die in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer wieder behauptete, von offizieller Seite bestrittene Tötung politischer Gefangener etwa unter der Herrschaft des Feindstrafrechts in gleicher Weise zu führen, wie zu RAF-Zeiten geschehen, oder wäre die staatliche Liquidierung von Personen, die sich nicht auf Dauer "in einen bürgerlichen Zustand zwingen" lassen, eine Option, die auch ein Rechtsstaat lediglich unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsprinzips (etwa der Erforderlichkeit der Maßnahme) zu diskutieren hätte? Müsste man Jakobs Diskussionsbeitrag "Endlos lässt sich nicht kontrafaktisch leben" wörtlich nehmen? Von Alejandro Aponte konnte man in der Arbeitsgruppe einiges dazu hören.[6] - Dem Meister selbst sind solche Erörterungen eher unappetitlich. Selbstver-
ständlich sei er, so seine Antwort auf entsprechende Publikumsfragen, gegen eine "öffentliche Vierteilung" der Feinde. - Das ist beruhigend.
Eine weitere Frage, die Jakobs den eher organisatorischen Problemen zurechnet, mit denen er nichts zu tun haben will, ist die nach der Definitionsmacht und den Kriterien der Feinderklärung. Wer bestimmt denn, wer der Feind ist? Das Parlament, der Bundespräsident, die Bundeskanzlerin, ein Gericht (wenn ja, welches?), die Polizei oder der Leiter der örtlich zuständigen Justizvollzugsanstalt? - Und nach welchen Kriterien wird der Feind definiert? Genügt die dauerhafte Abwendung vom Recht? Jakobs in Frankfurt: "Der notorische Radfahrer ohne Licht muss nicht lebenslang weggesperrt werden." Soll uns auch das beruhigen?
Ein letztes: Hassemer stellt in seinem Festvortrag die Frage, "…warum solche Lehren (gemeint ist das Jakobs'sche Konzept, d.Verf.) heutzutage Aufmerksamkeit oder gar Zustimmung finden." Dass Jakobs Thesen Aufmerksamkeit in hohem Maße zuteil wurde, darüber lässt sich kaum streiten. Alleine die Zahl der rechtswissenschaftlichen Veröffentlichungen hochkarätiger Autoren ist unüberschaubar, von journalistischen Beiträgen in Presse, Funk und Fernsehen ganz zu schweigen. Warum dies so ist, hat Hassemer nicht beantwortet. Eine nicht fern liegende Vermutung ist die, dass "feindstrafrechtliche" Normen, die schon längst Eingang in das bürgerliche Strafrecht gefunden haben (eine Feststellung, die auch Jakobs nicht bestreitet), kontinuierlich ausgebaut und vorangetrieben werden (an Vorbildern, etwa den USA und Großbritannien, fehlt es ja nicht), und dass für diese Entwicklung die philosophischen und rechtwissenschaftlichen Legitimationen nachgeliefert werden müssen. Noch gibt es Guantanamo nicht bei uns. Für Jakobs ist es keineswegs undenkbar. Dem (zukünftig) Faktischen bereits jetzt die normative Kraft zu verleihen, das ist Jakobs "Leistung", der, um es mit Frank Saliger[7] auszudrücken, "ins Schwarze des Zeitgeistes" getroffen hat. - Und dies ist beunruhigend.
[1] Gegen diese Überschätzung hilft beispielsweise von Kirchmanns vergnüglicher und zeitloser Vortrag "Von der Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft", gehalten 1848.
[2] Eine Haltung, die auch beim Festredner des Frankfurter Strafverteidigertags, Prof. Winfried Hassemer, in der Diskussion anklang. Allerdings zeigte sein Vortrag, der dem Feindstrafrecht breiten Raum widmete, dass er sich selbst keineswegs der Methode des "Totschweigens" bedient.
[3] So kündigte er in einem Telefonat mit dem Verfasser kurz vor dem Frankfurter Strafverteidigertag seinen neuen Vortrag mit den Worten an, er werde "noch mehr als bisher" nur beschreiben und nicht werten; er sei in dieser Hinsicht immer missverstanden worden.
[4] Zur Nomenklatur vgl. Greco (GA 2006, 102 ff.).
[5] Siehe abgedruckt in diesem Heft der HRRS.
[6] Siehe abgedruckt in diesem Heft der HRRS.
[7] Vgl. dessen Referat in JZ 2006, 756 ff.