Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2006
7. Jahrgang
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die Doppelausgabe August/September widmet sich vor allem zwei aktuellen Themen: Zum einen behandelt der Aufsatz von Neumann/Saliger kritisch die aktuelle Debatte über ein verändertes Recht der Sterbehilfe, insbesondere den vorgelegten Alternativentwurf zur „Sterbebegleitung“. Zum anderen wird das Thema Feindstrafrecht anhand von Referaten und Beiträgen zur einschlägigen Arbeitsgruppe des diesjährigen 30. Strafverteidigertages umfangreich aufgegriffen. Zu den Publikationen zählt auch ein Aufsatz von Günther Jakobs unter dem Titel „Feindstrafrecht? – Eine Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlichkeit“.
Unter den Entscheidungen dieser Ausgabe sind besonders die Entscheidungen des BVerfG zur versagten Strafmilderung bei Mordverurteilungen nach Verstößen gegen das Recht auf Verfahrensbeschleunigung und zur zwangsweisen Verlegung von Strafgefangenen hervorzuheben. Die Rechtsprechung des BGH präzisiert u.a. die Voraussetzungen des Verfalls, und sie dehnt trotz der jüngeren Rechtsprechung zu Art. 101 I 2 GG den Anwendungsbereich des § 26a I Nr. 2 StPO für die Vorbefassung weitestmöglich aus.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Karsten Gaede
1. Über die Feststellung einer rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen hinaus, kommt eine Reduzierung einer verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe im Fall der Verurteilung wegen Mordes nicht in Betracht.
2. Der Beschleunigungsgrundsatz entspringt - wie das Bundesverfassungsgericht sowohl in Kammer- (vgl. 2 BvR 153/03 -, BVerfGK 1, 269, 278) als auch in maßstabbildenden Senatsentscheidungen (vgl. BVerfGE 63, 45, 69) mehrfach betont hat - dem Rechtsstaatsprinzip. Er schützt vorwiegend subjektive Belange des Beschuldigten.
3. Für den Beschuldigten folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG ein bindender Anspruch auf Durchführung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens in angemessener Zeit (vgl. BVerfG NJW 1984, S. 967). Verletzen die Justizbehörden diesen Anspruch, haben sie die dadurch eintretende rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens bei ihrer anstehenden Entscheidung zu Gunsten des Beschuldigten zu berücksichtigen.
4. Für eine Kompensation von rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen ist nur dort Raum, wo das Gesetz die Möglichkeit eröffnet, das aus der Verwirklichung des Deliktstatbestandes offenbar werdende Tatunrecht und die darin zum Ausdruck kommende Schuld des Täters zu relativieren. Bei § 211 StGB jedenfalls besteht diese Möglichkeit nicht. Der Mordparagraf verfügt über keinen Strafrahmen, der Gelegenheit dazu böte, Schuldmilderungen als Folge einer unangemessenen Verfahrensdauer gegen die Tatschuld abzuwägen.
5. Es kann dahingestellt bleiben, ob die auf Grund der Stellung des Bundesverfassungsgerichts im deutschen Rechtssystem eher fern liegende Rechtsauffassung zutrifft, wonach die Bearbeitungsdauer einer nicht zum
Rechtsweg gehörenden Verfassungsbeschwerde der Dauer des Strafverfahrens hinzuzurechnen sei.
1. Der generelle Zweck des Art. 17 EMRK besteht darin, es unmöglich zu machen, dass Einzelne ein Recht mit dem Ziel nutzen, Ideologien zu fördern, welche dem Text und dem Geist der Menschenrechtskonvention widerstreiten. Die Äußerungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK kann Art. 17 EMRK insbesondere in solchen Fällen nicht verdrängen, in denen Holocaustleugnungen und ähnliche Vorkommnisse zu beurteilen sind. Der Missbrauch der Äußerungsfreiheit ist mit der Demokratie und mit den Menschenrechten unvereinbar; er verletzt die Rechte anderer.
2. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Äußernde weder den Holocaust noch die Existenz von Gaskammern leugnet, in denen er aber die Verantwortung von Hitler und der NSDAP für die Massentötungen an Juden als historisch falsch in Abrede stellt. Dass die Äußerung dabei in einem privaten Brief gefallen ist, macht hierbei jedenfalls dann keinen Unterschied aus, wenn es als zweifelhaft gelten muss, dass der Absender des Briefs keine öffentliche Diskussion seiner Thesen gewünscht hat.
1. Die Verlegung eines Strafgefangenen oder Sicherungsverwahrten ohne seinen Willen greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Die Verlegung kann auch die Resozialisierung des Strafgefangenen beeinträchtigen und berührt somit auch dessen durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vermittelten (vgl. BVerfGE 98, 169, 200) Anspruch auf einen Strafvollzug, der auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet ist (vgl. BVerfG StV 2006, 146 f.).
2. Auch wenn im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung, einer Maßnahme nach § 85 StVollzG die tatbestandlichen Voraussetzungen einem Beurteilungsspielraum der Vollzugsverwaltung unterliegen sollten, erübrigt das nicht die gerichtliche Prüfung ihres Vorliegens.
3. Die Annahme, § 85 StVollzG gestatte eine Verlegung eines Gefangenen ohne weiteres deshalb, weil er durch Mitgefangene dem latenten Risiko von Übergriffen ausgesetzt ist, sind überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Gesetzesinterpretation.
4. Es ist unvereinbar mit den Grundsätzen rechtsstaatlicher Zurechnung, wenn die Gefahr, dass bestimmte Personen sich in rechtswidriger Weise verhalten, nicht im Regelfall vorrangig diesen Personen zugerechnet und nach Möglichkeit durch ihnen gegenüber zu ergreifende Maßnahmen abgewehrt wird, sondern ohne weiteres Dritte oder gar die potentiellen Opfer des drohenden rechtswidrigen Verhaltens zum Objekt eingreifender Maßnahmen der Gefahrenabwehr gemacht werden (vgl. BVerfGE 69, 315, 360 f.). Rechtsstaatliche Zurechnung muss darauf ausgerichtet sein, nicht rechtswidriges, sondern rechtmäßiges Verhalten zu begünstigen.
5. Beschränkungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG dürfen nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgenommen werden; sie müssen zum Schutz eines kollidierenden Rechtsguts geeignet und erforderlich sein und zur Art und Intensität der Beeinträchtigung oder Gefährdung, der begegnet werden soll, in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 16, 194, 201 f.; stRspr). Die Verlegung eines Gefangenen gegen dessen Willen ist daher auch bei Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 85 StVollzG nur zulässig, wenn dieser Gefahr in der Justizvollzugsanstalt nicht mit milderen Mitteln angemessen begegnet werden kann (vgl. BVerfG StV 2006, 146, 147).
1. Während prozessual zulässige Handlungen dem Verteidiger nicht als tatbestandsmäßig zugerechnet werden können, kann ein nicht mehr vom Verteidigungszweck
getragenes verteidigungsfremdes Verhalten, sofern die weiteren Voraussetzungen hierfür vorliegen, eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung begründen.
2. Ein verteidigungsfremdes Verhalten liegt jedenfalls dann vor, wenn der Verteidiger seinen Mandanten über eine bevorstehende Verhaftung informiert, von der er sich Kenntnis durch Täuschung der Ermittlungsbehörden verschafft hat.
3. Die Rechtsprechung zur inneren Tatseite bei der Geldwäsche durch Annahme von Verteidigerhonorar ist auf § 258 StGB nicht übertragbar.
4. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Gesetzgeber die Eingriffsvoraussetzungen in § 100g Abs. 1 S. 1 2. Alternative StPO gegenüber der 1. Alternative abgesenkt hat. Indem der Beschuldigte die Telekommunikationsanlage zum Tatmittel seiner strafbaren Handlungen einsetzt, mindert sich sein Anspruch auf Wahrung des Schutzes der Vertraulichkeit des von ihm missbrauchten Mediums.
5. Als taugliche Anlasstat für eine Maßnahme gemäß § 100 g Abs. 1 Satz 1 StPO kommt jede beliebige Straftat in Betracht, wenn diese durch eine Endeinrichtung im Sinne des § 3 Nr. 3 TKG begangen wurde und dem Rechtseingriff Gründe der Verhältnismäßigkeit nicht entgegenstehen.
6. Ob im Hinblick auf das Überwachungsverbot zwischen Mandant und Strafverteidiger tatsächlich eine Ausnahme von der Entprivilegierung des § 100 h Abs. 2 Satz 2 StPO - von Verfassungs wegen - geboten wäre, bedarf daher keiner Entscheidung.
1. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Gesetzeswortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 71, 108, 114; stRspr). Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist "Analogie" nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen. Ausgeschlossen ist vielmehr jede Anwendung von Strafrecht, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht; der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation.
2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB ist es erforderlich, dass eine Ähnlichkeit zu einem tatsächlich existenten Kennzeichen besteht, dessen Verwendung nach § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB verboten ist. Die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" weist eine solche Ähnlichkeit nicht auf.
3. Das Rufen der Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. In der Bestrafung wegen dieser Äußerung liegt auch ein Eingriff in dieses Grundrecht.
4. Auf den Schutz der Meinungsfreiheit können sich grundsätzlich auch Rechtsextremisten berufen; allerdings sind auch sie an die Schranken der allgemeinen Gesetze gebunden (vgl. BVerfGE 111, 147, 155 ff.).
5. Dem Ziel des § 86 a StGB, die Verwendung bestimmter Symbole in der öffentlichen Auseinandersetzung auszuschließen, dient auch die Regelung in dessen Absatz 2 Satz 2. Wo hingegen das Symbol nicht mit verbotenen Symbolen verwechselt werden kann, kann eine Beschränkung der Meinungsfreiheit durch diese Norm nicht begründet werden.
6. Nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Parole - wie auch ein sonstiges Kennzeichen - einer anderen "zum Verwechseln ähnlich", wenn ein gesteigerter Grad sinnlich wahrnehmbarer Ähnlichkeit gegeben ist. Erforderlich sei eine objektiv vorhandene Übereinstimmung in wesentlichen Vergleichspunkten. Es müsse nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen, nicht genau prüfenden Betrachters eine Verwechslung mit dem Original möglich sein. Dafür genüge nicht, dass sich lediglich einzelne Merkmale des Vorbilds in der Abwandlung wieder finden, ohne dass dadurch einem unbefangenen Betrachter, der das Original kennt, der Eindruck des Originalkennzeichens vermittelt werde (vgl. BGH, NJW 2005, 3223 f.).
Eine gerichtliche Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben hat (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), kann nicht in einer erneuten fachgerichtlichen Entscheidung für rechtmäßig erklärt werden.
1. Damit die Unverletzlichkeit der Wohnung durch eine vorbeugende richterliche Kontrolle gewahrt werden kann, hat der Ermittlungsrichter die Durchsuchungsvoraussetzungen eigenverantwortlich zu prüfen. Erforderlich ist eine konkret formulierte, formelhafte Wendungen vermeidende Anordnung, die zugleich den Rahmen der Durchsuchung abstecken und eine Kontrolle durch ein Rechtsmittelgericht ermöglichen kann (vgl. BVerfGE 42, 212, 220 f.; 103, 142, 151 f.).
2. Das Gewicht des Eingriffs in Art. 13 GG verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 44, 353, 371 f.; 59, 95, 97).
3. Eine Durchsuchung ist nur dann zulässig, wenn gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der in Frage stehenden Straftat erforderlich ist. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 96, 44, 51).
1. Eine mangelhafte Umschreibung des Tatvorwurfes in einem Durchsuchungsbeschluss verletzt jedenfalls dann nicht das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG, wenn der Durchsuchungsbeschluss die zu suchenden Gegenstände so genau und detailliert benennt, dass es der Umschreibung des Tatvorwurfes nicht mehr bedarf um diese zu identifizieren.
2. Die Kontrollfunktion des Richtervorbehalts (Art. 13 Abs. 2 GG) verbietet ein Nachbessern oder Nachholen einer mangelhaften Umschreibung des Tatvorwurfs im Beschwerdeverfahren nur dann, wenn diese Angaben zur Begrenzung des Eingriffs auf das zur Zweckerreichung erforderliche Maß erforderlich waren und deshalb den ermittelnden Beamten vor der Durchsuchung zur Kenntnis gelangen mussten (vgl. BVerfGK 5, 84, 88; BVerfG NJW 2004, 3171). Außerhalb der für den Vollzug der Durchsuchung unabdingbaren Umgrenzung können Defizite in der Begründung der Durchsuchungsanordnung hingegen durch das Beschwerdegericht nachgebessert werden, etwa zur Darlegung des Tatverdachts oder der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet die grundsätzliche Befugnis des Einzelnen, selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichkeitsbezogenen Daten zu bestimmen. Ein Eingriff in dieses Recht liegt nicht nur in der Erhebung solcher Daten, sondern auch in ihrer Speicherung (vgl. BVerfGE 65, 1, 41 ff.; 84, 239, 279). Zu den geschützten Daten zählen auch die Informationen, die in den erkennungsdienstlichen Unterlagen enthalten sind.
2. Im Fall einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO bedarf es der Überprüfung, ob noch Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen, die eine Fortdauer der Speicherung zur präventiv-polizeilichen Verbrechensbekämpfung rechtfertigen. Weitere Voraussetzung der Datenspeicherung sind hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene zukünftig eine Straftat begehen wird. Deren Feststellung ist einer schematischen Betrachtung nicht zugänglich, sondern bedarf der eingehenden Würdigung aller hierfür relevanten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Gründe für die Einstellung des Verfahrens (vgl. BVerfG NJW 2002, 3231, 3232).
1. Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz setzt voraus, dass das angegriffene Gesetz ohne einen weiteren vermittelnden Akt in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirkt (vgl. BVerfGE 72, 39, 43). Bedarf es zur Durchführung des Gesetzes eines besonderen Vollzugsaktes, muss der Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt (vgl. BVerfGE 1, 97, 102 f.; 68, 376, 379 f.).
2. Trotz unmittelbarer Betroffenheit durch eine Rechtsnorm ist die Verfassungsbeschwerde subsidiär, wenn ein fachgerichtlicher Rechtsschutz in der Sache erlangt werden kann (vgl. BVerfGE 72, 39, 43 f.; 97, 157, 164 f.).