hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1103

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 27/20, Beschluss v. 03.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1103


BGH AK 27/20 - Beschluss vom 3. September 2020

Dringender Tatverdacht wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung (Gründer; Mitglied; Rädelsführer; Konkurrenzen).

§ 129a StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für die unterschiedlichen Tatvarianten der Bildung terroristischer Vereinigungen gilt:

a) Gründer im Sinne von § 129a Abs. 1 StGB sind solche Personen, die den Gründungsakt führend und richtungsweisend bewirken. Dies setzt keine organisatorische Führungsrolle voraus. Vielmehr wird nur eine wesentliche Förderung der Gründung verlangt, also ein für das Zustandekommen der Vereinigung weiterführender und richtungsweisender Beitrag, auch wenn dieser im Verhältnis zu den Beiträgen anderer Gründer von untergeordneter Bedeutung ist.

b) Als Mitglied beteiligt sich, wer die Vereinigung nicht nur von außen, sondern, getragen von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben, von innen fördert, und damit eine Stellung innerhalb der Organisation einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet.

c) Rädelsführer im Sinne des § 129a Abs. 4 StGB ist, wer in der Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt.

2. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB steht zu der weiteren Tatbestandsalternative der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung jedenfalls dann im Verhältnis der Tateinheit, wenn sich die Beteiligung als Mitglied wie hier unmittelbar an das Gründen der Vereinigung anschließt. Dies gilt auch, wenn der Täter jeweils als Rädelsführer handelt. Denn das Qualifikationsmerkmal normiert, wie dargelegt, bezogen auf beide Varianten des § 129a Abs. 1 StGB nur eine besonders intensive Form der Tatbestandsverwirklichung. Es berührt das Konkurrenzverhältnis zwischen den Delikten nicht.

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 14. Februar 2020 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 15. Februar 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (3 BGs 91/20).

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich spätestens seit Ende September 2019 in M. und an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland an einer Vereinigung, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, als Rädelsführer beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB).

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Beschuldigte gehört seit vielen Jahren der rechtsextremistischen Szene an und verfügt über eine ebensolche Gesinnung. Spätestens kurz vor dem 28. September 2019 kam er mit den Mitbeschuldigten E., N., B. und U. überein, sich auf unbestimmte Zeit zu der „Gruppe“ zusammenzuschließen. Diese Personenvereinigung war darauf ausgerichtet, ihre rechtsextremistische Ideologie gewaltsam durch koordinierte Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Personen muslimischen Glaubens durchzusetzen. Unter anderem planten die Mitglieder der Gruppe, als Einzeltäter oder in kleinen Einheiten Moscheen anzugreifen und eine möglichst große Zahl dort Anwesender zu töten oder zu verletzen. Die Anschläge sollten die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sowie ihre demokratisch gewählten Vertreter in erheblicher Weise einschüchtern und bürgerkriegsartige Zustände im Land auslösen. Letztlich wollte die „Gruppe“ durch die Gewalttaten die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland erschüttern und überwinden.

Die Organisation verfügte über eine hierarchische Struktur und abgegrenzte Zuständigkeiten. Der Beschuldigte war der „Kopf“ der Gruppe, der diese ins Leben rief, als treibende Kraft fungierte, die Treffen initiierte, die inhaltlichen Vorgaben machte, die Aufgaben zuwies und in allen wesentlichen Belangen - etwa in der Frage, wer zu Treffen eingeladen wurde - das letzte Wort hatte. Der ebenfalls dem militanten rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnende Mitbeschuldigte E. trat als rechte Hand des Beschuldigten auf. Er war unter anderem mit der praktischen Organisation der Zusammenkünfte befasst und willens, zur Umsetzung der Gruppenziele erforderlichenfalls sein Leben zu opfern. Letzteres gilt gleichermaßen für den Mitbeschuldigten N., der sein Haus für ein Treffen der Vereinigung zur Verfügung stellte und dem Beschuldigten Treue bis in den Tod versprochen hatte. Der Mitbeschuldigte B. konnte aufgrund seiner beruflichen Qualifikation Waffen bearbeiten und verändern; er wurde vom Beschuldigten als jemand geschätzt, der „zu allem bereit“ ist. Der Mitbeschuldigte U., der wegen zahlreicher Gewalttaten bereits über 20 Jahre Haft verbüßt hatte, bekleidete die Rolle eines „getreuen Fußsoldaten“.

Der Beschuldigte suchte gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten E. über diesen Kreis hinaus fortlaufend nach weiteren geeigneten Kämpfern für die geplanten Anschläge. Seine Vernetzung in der Szene ermöglichte es ihm, eine vierstellige Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer anzusprechen und - nach seiner Vorstellung - für sein Vorhaben zu mobilisieren. Zu diesem Zweck pflegte er persönliche Kontakte zu ihm ideologisch nahestehenden Mitgliedern anderer Organisationen, betätigte sich in rechtsextremistisch ausgerichteten Messenger-Chatgruppen und Internet-Foren bzw. gründete solche und führte - wiederum unterstützt durch E. - Einzelgespräche mit Anwärtern, um ihre Gewaltbereitschaft zu überprüfen. Auf diese Weise fanden die Mitbeschuldigten Ba., H., W., K. und Wi. zur „Gruppe ", während der Mitbeschuldigte Kr. von E. und N. sowie der Mitbeschuldigte Wo. nur von N. angeworben wurden. Sogenannte „Schwätzerpatrioten“, worunter der Beschuldigte jeden fasste, der nicht bereit war, zur Waffe zu greifen, sortierte er aus.

Das erste Treffen der Vereinigung fand am 28./29. September 2019 bei A. (" ") statt. Dort erläuterte der Beschuldigte seine terroristischen Ziele. In einer Vorstellungsrunde äußerte sich jeder Teilnehmer dazu, ob er bereit sei, mit Waffengewalt „aktiv“ zu werden.

Kurz darauf kam die Gruppe am 3. Oktober 2019 in Be. anlässlich einer rechtsgerichteten Demonstration zum Tag der Deutschen Einheit zusammen. Im Anschluss versammelte sie sich zur weiteren Förderung der gemeinsamen Ziele bei einer Tankstelle nördlich von Be. Hier sprach der Beschuldigte mit den Mitbeschuldigten Ba. und K. über die Beschaffung von sogenannten Slam-Guns für die Vereinigung. Ba. und K. bestellten in den Folgetagen nach weiterer Rücksprache mit dem Beschuldigten bei ihrem Waffenlieferanten, dem gesondert verfolgten Sc., wenigstens sechs dieser selbstgebauten Gewehre. K. erklärte sich überdies dazu bereit, beim gesondert verfolgten Br. Munition zu ordern. Im Folgenden hielten die Beschuldigten untereinander und mit den Lieferanten regen Kontakt; dabei stand schließlich auch der Kauf eines Maschinengewehrs „Kalaschnikow“ nebst Munition für den Beschuldigten in Rede („AK mit Zubehör für Ma. ").

Das dritte Treffen ging unter konspirativen Umständen am 7./8. Februar 2020 in M. (Westfalen) im Haus des Mitbeschuldigten N. vonstatten. Hier wurde über die konkrete Umsetzung der terroristischen Ziele, namentlich Anschläge auf Moscheen, gesprochen. Der Beschuldigte, der - ebenso wie weitere Teilnehmer - bereits über mindestens eine scharfe Schusswaffe, Kaliber 9 mm, verfügte, stellte seine Pläne vor, nach denen die Gruppe für die Durchführung der Anschläge weitere Waffen benötigte. In diesem Zusammenhang brachte der Mitbeschuldigte Ba., der über die Preise seines Lieferanten im Bilde war, eine aufzubringende Summe von 50.000 € ins Spiel. Daraufhin sagten die Anwesenden die individuelle Bereitstellung von Beträgen zwischen 500 und 5.000 € zu, so dass letztlich 45.000 € zusammenkamen, die der Beschuldigte aus eigenen Mitteln auf die veranschlagten 50.000 € aufstocken wollte. Von diesem Geld sollten die Mitbeschuldigten Ba. und K. über ihre bereits laufende Lieferschiene Langwaffen besorgen. Der Mitbeschuldigte H., der über Kontakte zu einem Waffengeschäft in Tschechien verfügte, erhielt den Auftrag, die benötigten Kurzwaffen zu erwerben. Einige Teilnehmer des Treffens äußerten in diesem Zusammenhang konkrete Wünsche zu einem Waffentyp, den sie jeweils präferierten. Unter der Wortführung des Beschuldigten beschlossen die Anwesenden, anschließend zeitnah loszuschlagen. Hierzu kam es nicht mehr, weil kurze Zeit später zwölf von ihnen verhaftet wurden.

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der Gründung, der Struktur und der Zielsetzung der „Gruppe ", des Verhaltens des Beschuldigten als Anführer und Namensgeber der Vereinigung sowie desjenigen der Mitbeschuldigten stützt sich auf eine Vielzahl von Beweismitteln, unter anderem die geständigen Einlassungen des Mitbeschuldigten U., die Angaben weiterer Mitbeschuldigter, von denen mehrere die Organisation, Planung und Ziele der „Gruppe“ bestätigt haben, die bei Durchsuchungen aufgefundenen Waffen und Geldbeträge sowie die Observationen im zeitlichen Umfeld der Gruppentreffen. Die Gewaltbereitschaft des Beschuldigten gegenüber Migranten sowie politisch Andersdenkenden und seine Forderung nach einem gesellschaftlichen Umsturz sind aus den gesicherten Chatverläufen ersichtlich. Exemplarisch hierfür ist seine Nachricht vom 19. August 2019 in der Chatgruppe“ ": „Freue mich auf den Wandel und die vielen jämmerlich verreckten Körper neben dem Bordstein“. Die Erkenntnisse aus der Überwachung seines Telefonanschlusses belegen sein Zusammenwirken mit den Mitbeschuldigten sowie seine Bemühungen um die Beschaffung von Waffen und Rekrutierung weiterer Kämpfer.

Soweit der Beschuldigte im Schriftsatz vom 26. August 2020 vorträgt, es habe sich bei der „Gruppe“ lediglich um einen Haufen unzufriedener Sprücheklopfer und gescheiterter Existenzen gehandelt, der sich auf geistiger Pfadfinderebene einer Kneipenangeberei hingegeben, aber mitnichten ernsthaft Straftaten geplant habe, stehen die genannten Ermittlungsergebnisse dem entgegen.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Tatsachen auf die ausführliche Darstellung und Würdigung im Haftbefehl vom 15. Februar 2020 und den Antrag des Generalbundesanwalts vom 7. August 2020 Bezug genommen.

c) Danach gründete der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Rädelsführer eine terroristische Vereinigung und beteiligte sich anschließend ebenfalls als Rädelsführer an dieser (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 52 Abs. 1 StGB).

Die „Gruppe“ stellte nach den Ermittlungsergebnissen einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses im Sinne von § 129 Abs. 2 StGB dar, der darüber hinaus über - nach der Neuregelung durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2440) nicht mehr erforderliche - Strukturmerkmale wie etwa Führungspersonal und klare Aufgabenverteilung verfügte. Die Zwecke der Vereinigung waren jedenfalls auf die Verübung von bewaffneten Anschlägen auf Moscheen und damit auf die Begehung von Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) gerichtet.

Gründer im Sinne von § 129a Abs. 1 StGB sind solche Personen, die den Gründungsakt führend und richtungsweisend bewirken (BGH, Urteil vom 19. Mai 1954 - 6 StR 88/54, in einem redaktionellen Leitsatz in NJW 1954, 1254 abgedruckt und in BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977 - 3 StR 427/77 (S), BGHSt 27, 325, 327 wiedergegeben). Dies setzt keine organisatorische Führungsrolle voraus. Vielmehr wird nur eine wesentliche Förderung der Gründung verlangt, also ein für das Zustandekommen der Vereinigung weiterführender und richtungsweisender Beitrag, auch wenn dieser im Verhältnis zu den Beiträgen anderer Gründer von untergeordneter Bedeutung ist (BGH, Beschlüsse vom 5. September 2019 - AK 49/19, juris Rn. 17; vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603, 1604).

Als Mitglied beteiligt sich, wer die Vereinigung nicht nur von außen, sondern, getragen von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben, von innen fördert, und damit eine Stellung innerhalb der Organisation einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet (s. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2018 - StB 11/18, NStZ-RR 2018, 369, 370 f.; vom 9. Juni 2020 - AK 12/20, juris Rn. 24, jeweils mwN).

Rädelsführer im Sinne des § 129a Abs. 4 StGB ist, wer in der Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt (BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160 Rn. 8 ff.; Beschluss vom 12. November 2015 - AK 36/15, NStZ-RR 2016, 170, 171; Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, juris Rn. 140). Diese Voraussetzung ist beim Beschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit in Bezug auf beide Tatbestandsvarianten des § 129a Abs. 1 StGB erfüllt. Das Qualifikationsmerkmal des rädelsführerschaftlichen Handelns gilt nicht nur für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, sondern auch für deren Gründung (für das zwingende Beispiel eines besonders schweren Falls nach § 129 Abs. 5 Satz 2 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603 Rn. 16). Das ergibt sich aus der Struktur des § 129a StGB und steht im Einklang mit der Definition des Rädelsführers. Als Initiator und Namensgeber des Zusammenschlusses rief der Beschuldigte die Gruppe unter hohem Einsatz an organisatorisch und inhaltlich leitender Stelle ins Leben. Damit gründete er die Vereinigung nicht lediglich als einfacher Täter, sondern als Rädelsführer. Anschließend blieb der Beschuldigte die zentrale Führungsfigur der Gruppe, weshalb auch seine Beteiligung als rädelsführerschaftlich zu werten ist.

Das Gründen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB steht zu der weiteren Tatbestandsalternative der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung jedenfalls dann im Verhältnis der Tateinheit, wenn sich die Beteiligung als Mitglied wie hier unmittelbar an das Gründen der Vereinigung anschließt (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 58; Beschluss vom 5. September 2019 - AK 49/19, juris Rn. 26). Dies gilt auch, wenn der Täter jeweils als Rädelsführer handelt. Denn das Qualifikationsmerkmal normiert, wie dargelegt, bezogen auf beide Varianten des § 129a Abs. 1 StGB nur eine besonders intensive Form der Tatbestandsverwirklichung. Es berührt das Konkurrenzverhältnis zwischen den Delikten nicht.

Dieser rechtlichen Würdigung des Sachverhalts steht nicht entgegen, dass dem Beschuldigten im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 2020 (3 BGs 91/20) lediglich die Beteiligung als Rädelsführer zur Last gelegt wird. Die Haftprüfung ist zwar grundsätzlich auf den im Haftbefehl erhobenen Vorwurf beschränkt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, juris Rn. 9; vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22). Das Haftprüfungsgericht ist aber an einer anderen rechtlichen Würdigung der im Haftbefehl geschilderten prozessualen Tat - auch auf verdichteter Tatsachengrundlage (s. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - AK 53/16, juris Rn. 8) - nicht gehindert (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2017 - AK 63/17, NStZ-RR 2018, 53, 54).

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.

Der Beschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, die sich in einem Strafrahmen zwischen drei und 15 Jahren bewegt, § 129a Abs. 4 StGB. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Der Beschuldigte verfügt in Deutschland weder über familiäre Bindungen noch über eine feste Beschäftigung. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch den Handel mit Antiquitäten auf Flohmärkten und im Internet. Seine Wohnverhältnisse in Deutschland sind leicht löslich; er lebte von Ende November 2019 bis zu seiner vorläufigen Festnahme bei einem Ehepaar, das ihm zwei kleine Räume zur Verfügung stellte.

Der Beschuldigte kaufte im Dezember 2019 ein Haus in Italien und besitzt sowohl dort als auch in Deutschland vielfältige Kontakte in die rechtsextremistische Szene, die ihm ein jederzeitiges Untertauchen ermöglichen. Seinem Vorbringen, dass sein Bezug zu Italien - bis auf den Hauskauf - frei erfunden sei, stehen die Ermittlungserkenntnisse entgegen. Nach diesen sprach der Beschuldigte im Tatzeitraum häufig über seine italienischen Verbindungen, und zwar zumindest gegenüber den Beschuldigten H. und Ba., der gesondert verfolgten G., dem Zeugen R. und dem verdeckten Ermittler. Unter anderem betonte er, seit 2014 Mitglied der italienischen Gruppe“ " zu sein, in Italien über eine Truppe von 103 Mann sowie über ein Grundstück zu verfügen, auf dem man sich regelmäßig treffe, und als Zuflucht eine Berghütte in Sü. zu besitzen. Wiederholt benutzte er gegenüber verschiedenen Adressaten den Ausdruck, Italien sei sein Rückzugsort. Am 15. September 2019 schrieb der Beschuldigte an den Mitbeschuldigten K. : „Bin jeden Monat in Italien, da wird schon aufgeräumt, hartes Brot, aber erfolgreich.“ Darüber hinaus liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität vor. Der Beschuldigte ist der Gründung und der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, jeweils als Rädelsführer, dringend verdächtig. Daher sind aus den im Rahmen der Fluchtgefahr ausgeführten Gründen die Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 StPO auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung dieser Vorschrift erfüllt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2016 - AK 47/16, juris Rn. 26; vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 f.).

Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind nicht erfolgversprechend.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen. Das Verfahren ist bisher mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden.

Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg ist eine Sonderkommission mit einer Vielzahl von Polizeibeamten mit den Ermittlungen zur „Gruppe“ befasst, die lageabhängig von weiteren Polizisten anderer Bundesländer und vom Bundeskriminalamt unterstützt wird. Es sind 53 Objekte durchsucht und 1.282 Asservate sichergestellt worden, darunter 97 Mobilfunkgeräte, 43 Computer und 149 Speichermedien. Dies entspricht einem Datenvolumen von 17,79 Terabyte bzw. über 59 Millionen Chatnachrichten, Bildern, Videos und Audiofiles. Deren Auswertung ist zu einem überwiegenden Teil fertiggestellt. Außerdem sind 13 Beschuldigten- und 53 Zeugenvernehmungen, umfangreiche Finanzermittlungen, daktyloskopische und molekulargenetische Untersuchungen sowie waffenrechtliche Bewertungen durchgeführt worden. Die Verfahrensakte umfasst derzeit 228 Stehordner. Der Abschluss der Ermittlungen ist für Herbst 2020 vorgesehen.

4. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1103

Externe Fundstellen: StV 2021, 574

Bearbeiter: Christian Becker