HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 910
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 12/20, Beschluss v. 09.06.2020, HRRS 2020 Nr. 910
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Oberlandesgericht übertragen.
Die Beschuldigte wurde am 15. November 2019 festgenommen und befindet sich seit dem 16. November 2019 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (2 BGs 917/19). Gegenstand des Haftbefehls sind folgende Vorwürfe:
Die Beschuldigte habe sich von Anfang 2015 bis Anfang 2019 in Syrien und im Irak durch drei rechtlich selbständige Handlungen als Mitglied an der Gruppierung „Islamischer Staat“ (IS) und damit an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen; in einem dieser Fälle (Fall 2) habe die Beschuldigte tateinheitlich die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz beruht habe; in einem weiteren dieser Fälle (Fall 3) habe sie sich durch dieselbe Handlung im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen Konflikt in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterlagen, angeeignet (§ 9 Abs. 1 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KrWaffKontrG in Verbindung mit Teil B Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG).
Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Die Beschuldigte ist der ihr zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.
Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des „Kalifats“ im Juni 2014 von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG/ISIS) in IS umbenannte, hatte seit 2010 bis zu seinem Tod im Oktober 2019 der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne. Al Baghdadi war von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem „Kalifen“ unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al l’tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, ergänzt um das islamische Glaubensbekenntnis. Die zur Tatzeit mehreren Tausend Kämpfer waren dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Die Vereinigung teilte die von ihr besetzten Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlichte der IS Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen. Darüber hinaus beging die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie etwa für Anschläge in Frankreich, Belgien und Deutschland die Verantwortung übernommen.
Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Heute hat der IS sein ehemaliges Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak verloren.
bb) Die Beschuldigte ist Anhängerin einer salafistischen Auslegung des Islam. Sie radikalisierte sich spätestens im Jahr 2014 und entschied sich dazu, von Deutschland nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen und am Aufbau eines islamischen Staates nach seinen Regeln mitzuwirken. Zu diesem Zweck flog sie Anfang Dezember 2014 im Alter von 16 Jahren unter konspirativen Umständen mit der gesondert verfolgten S. von F. nach A., Türkei. Von dort ließen sich die Frauen von Schleusern über die syrische Grenze in ein „Frauenhaus“ des IS in Raqqa bringen.
Hier schloss sich die Beschuldigte im Einvernehmen mit den verantwortlich Handelnden dem IS an. Im „Frauenhaus“, wo sie etwa zwei Monate verblieb und welches sie in dieser Zeit nicht verlassen durfte, unterwarf sie sich den Regeln der IS-Leiterin und der IS-Wächter. Dem entsprach es, dass sie ihren Pass und ihr Mobiltelefon abgeben musste und sich für die Hochzeit mit einem IS-Kämpfer zur Verfügung stellte. Durch Vermittlung des IS heiratete sie Anfang des Jahres 2015 nach islamischem Ritus den ihr vorher unbekannten, gesondert verfolgten E. Jener war bereits im Laufe des Jahres 2013 als Mitglied der sog. von Deutschland zum IS nach Syrien ausgereist. Er hatte im Jahr 2014 als Angehöriger einer tschetschenischen Einheit für die Organisation gekämpft und war in einem Propagandavideo des IS aufgetreten.
Die Beschuldigte führte nach der Hochzeit den Namen“ ". Sie lebte mehrere Jahre mit E. zusammen, folgte ihm zu seinen jeweiligen Einsatzorten, befürwortete seine Kampfhandlungen und unterstützte ihn, indem sie - wie im IS für die Ehefrau eines Kämpfers vorgesehen - den Haushalt führte und ihn versorgte. Nachdem er im Einsatz stark verwundet worden war, pflegte sie ihn.
Der IS alimentierte die Eheleute mit monatlich wenigstens 100 US-Dollar. Ein Teil dieser Summe war ein offizieller Vergütungsanteil für die Ehefrau und diente explizit dem Unterhalt der Beschuldigten.
In den jeweiligen Kriegsgebieten wohnte das Paar in vom IS zugewiesenen Unterkünften. Darunter befand sich im Zeitraum 2015/2016 ein Haus in Tal Afar (Irak), das zuvor von Angehörigen der einheimischen Bevölkerung bewohnt und vom IS besetzt worden war, nachdem man die rechtmäßigen Inhaber vertrieben, inhaftiert oder getötet hatte. Die Einrichtungsgegenstände im Haus stammten ebenfalls aus Kriegsbeute. Der Beschuldigten waren die vorgenannten Umstände bewusst und sie nahm diese jedenfalls billigend in Kauf.
Zumindest während ihres mehrere Monate umfassenden Aufenthalts in Tal Afar verfügte die Beschuldigte über ein vollautomatisches, geladenes Sturmgewehr vom Typ „Kalaschnikow“, welches sie zu Verteidigungszwecken mit sich führte, wenn sie das Haus verließ.
In der Folgezeit zog die Beschuldigte innerhalb Syriens weiter zwischen verschiedenen Hochburgen des IS um. Zunächst begab sie sich nach Raqqa, wo sich ihr Mann an den Kämpfen um die umzingelte Stadt beteiligte, dann nach Mayadin. Im November 2017 lebte sie gemeinsam mit E. in Hajin. Nachdem sie sich über vier Jahre durchgehend im Herrschaftsgebiet des IS aufgehalten hatte, wurde sie Anfang 2019 von kurdischen Kräften in Gewahrsam genommen und ins Camp“ " verbracht.
b) Der dringende Tatverdacht stützt sich hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung IS unter anderem auf Sachverständigengutachten, Auswertevermerke des Bundeskriminalamts und Behördenerklärungen des Bundesnachrichtendienstes.
Im Hinblick auf die der Beschuldigten zur Last gelegten Tathandlungen ergibt sich der dringende Tatverdacht aus einer Vielzahl von Beweismitteln.
Die Beschuldigte hat sich in ihrer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nicht zu den Tatvorwürfen eingelassen, aber bei verschiedenen anderen Gelegenheiten zur Sache geäußert. Anlässlich einer Befragung in der deutschen Botschaft in Ankara am 15. November 2019 (vgl. zur Verwertbarkeit BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09, BGHSt 55, 314 Rn. 7 ff.) hat sie die äußeren Umstände ihres langjährigen Aufenthalts im Herrschaftsgebiet des IS, ihrer Hochzeit mit E., ihrer zahlreichen Umzüge und der monatlichen Entlohnung durch den IS eingeräumt. Auf dem Rückführungsflug aus der Türkei hat sie den deutschen Ermittlern berichtet, dass sie in den Kriegsgebieten in Häusern gewohnt und ständige Bombardierungen erlebt habe. Der Verfolgungsdruck durch die IS-Opposition sei zuletzt so stark gewesen, dass sie sich den kurdischen Kräften ergeben habe. Am 19. Februar 2020 hat sie als Zeugin in dem Ermittlungsverfahren gegen S. die gesamten Umstände ihrer Ausreise nach Syrien und ihres Aufenthalts im IS-"Frauenhaus“ geschildert.
Der Verdacht bezüglich des Wohnens in einem besetzten Haus in Tal Afar und des dortigen Führens einer „Kalaschnikow“ folgt maßgeblich aus den Angaben der gesondert verfolgten und u.a. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung am 5. Juli 2019 rechtskräftig vom Oberlandesgericht Stuttgart verurteilten Sc. Diese Zeugin lebte selbst im Laufe des Jahres 2015 beim IS in Tal Afar und war mit einem „Emir“ verheiratet. Sie hat ausgesagt, dass sie sich vor Ort regelmäßig mit gleichgesinnten Frauen getroffen habe, auch mit der Beschuldigten. Jene habe in der Öffentlichkeit, wie alle IS-Angehörigen, stets eine geladene „Kalaschnikow“ mit sich geführt. Der Mann der Beschuldigten, E., sei sehr stark vom IS überzeugt gewesen und habe bereitwillig gekämpft. Die Beschuldigte habe die Kriegshandlungen ebenfalls befürwortet und ihren Mann im Kampf für den IS bestärkt. Das Paar habe in Tal Afar nacheinander in zwei von der Vereinigung zugewiesenen Häusern gewohnt. Es habe sich jeweils um Immobilien der vertriebenen Einheimischen gehandelt. Das zweite Haus sei komplett ausgestattet gewesen, wobei auch die Einrichtung aus Kriegsbeute bestanden habe. Dies alles sei jedem IS-Angehörigen vor Ort bekannt gewesen, auch der Beschuldigten.
Im Übrigen folgt der dringende Tatverdacht aus den zahlreichen im Haftbefehl vom 16. November 2019 auf den Seiten 9 bis 14 aufgeführten Beweismitteln sowie den seither erhobenen Beweisen, insbesondere zahlreichen Zeugenvernehmungen und einer Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 7. April 2020, auf die Bezug genommen wird.
c) Danach hat sich die Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit in drei Fällen als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 53 StGB), davon in einem Fall (Fall 2) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einem Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KrWaffKontrG in Verbindung mit Teil B Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG und in einem weiteren Fall (Fall 3) in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum (§ 9 Abs. 1 VStGB, § 52 StGB).
aa) Die Beschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung am IS dringend verdächtig (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
Das gilt sowohl unter Zugrundelegung des früher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Vereinigungsbegriffs (s. dazu etwa BGH, Urteile vom 20. März 1963 - 3 StR 5/63, BGHSt 18, 296, 299 f.; vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 123) als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung (vgl. § 2 Abs. 1, 3 StGB). Nach beiden Varianten ist entscheidend, dass der Täter die Vereinigung von innen heraus und nicht von außen her fördert. Die Unterstützung muss von einem einheitlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben getragen sein (st. Rspr.; vgl. im Einzelnen etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2019 - AK 56/19, juris Rn. 27 f. mwN, und StB 26/19, juris Rn. 21 f.).
Diese Voraussetzungen liegen bei der Beschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit vor. Sie reiste aus eigenem Antrieb nach Syrien, um dort den IS, mit dessen Handlungsweisen und Zielen sie sich identifizierte, im Kampf gegen die „Ungläubigen“ zu unterstützen und am Aufbau eines islamischen Staates mitzuwirken. Mit ihrem Einzug in das von der Vereinigung geführte „Frauenhaus“ im Dezember 2014 gliederte sie sich in die Organisation ein und unterwarf sich freiwillig deren Regeln. Die Beschuldigte stellte sich als Braut für einen beliebigen IS-Kämpfer zur Verfügung, heiratete einen solchen nach entsprechender Vermittlung durch die Vereinigung und erfüllte fortan über mehrere Jahre die ihr von der Organisation zugedachte Rolle als dessen Ehefrau in einem islamistischen Gemeinwesen, indem sie ihm den Haushalt führte und ihn moralisch im Kampf bestärkte. Sie lebte mit ihrem Mann ausschließlich in Städten, die der IS kontrollierte, zeigte sich in der Öffentlichkeit mit einem Sturmgewehr und nutzte Häuser und Einrichtungsgegenstände, die die Vereinigung von der Zivilbevölkerung erbeutet und dem Paar zugewiesen hatte. Während der gesamten Zeit wurde sie von der Organisation alimentiert. Dies alles belegt, dass die Beschuldigte einvernehmlich in den IS aufgenommen wurde.
Durch die ihr zur Last gelegten Handlungen förderte sie bewusst und gewollt die Ziele des IS. Die von der Organisation initiierte Heirat und fortwährende Unterstützung eines IS-Kämpfers bestärkte diesen in seiner Kampfbereitschaft und ging über ein bloßes Alltagsleben im „Kalifat“ hinaus (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207). Die Inbesitznahme der erbeuteten Häuser und Einrichtungsgegenstände durch Angehörige der Vereinigung diente dem Ziel, die Besetzung durch den IS zu festigen und eine Rückkehr der rechtmäßigen, zuvor vertriebenen Bewohner zu erschweren (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 - AK 22/19, NStZ 2020, 26 Rn. 27). Die öffentlich zur Schau gestellte Bewaffnung mit dem Sturmgewehr war geeignet, Gegner des IS einzuschüchtern, und sie versetzte die Beschuldigte in die Lage, jene im Fall eines Angriffs jederzeit wirksam bekämpfen zu können.
bb) Die Beschuldigte ist wegen der letztgenannten Handlung zudem dringend verdächtig, in einem Fall tateinheitlich einen Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KrWaffKontrG begangen zu haben. Das Sturmgewehr „Kalaschnikow“ stellt eine Kriegswaffe im Sinne von Teil B Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG dar.
cc) Die Beschuldigte ist schließlich in einem weiteren Fall eines tateinheitlichen Kriegsverbrechens gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB dringend verdächtig. Gemeinschaftlich mit E., § 2 VStGB in Verbindung mit § 25 Abs. 2 StGB, eignete sie sich im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt ein mit Kriegsbeute eingerichtetes Haus an, das zuvor vertriebene, getötete oder inhaftierte Iraker bewohnt hatten. Es handelte sich hierbei um eine Sache der gegnerischen Konfliktpartei, die der Gewalt der eigenen Partei, des IS, unterlag; dieser ist im Verhältnis zur Zivilbevölkerung der von ihm okkupierten Gebiete als Gegner anzusehen, erst recht im Verhältnis zum irakischen Staat und dessen Militär. Die Aneignung durch die Beschuldigte und ihren Mann hatte nicht nur einen erheblichen Umfang, sondern sie war auch darauf angelegt, die Sache den rechtmäßigen Bewohnern dauerhaft zu entziehen. Schließlich stand die Inbesitznahme des Hauses mit dem bewaffneten Konflikt in dem für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen funktionalen Zusammenhang, war völkerrechtlich nicht gerechtfertigt und auch nicht durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten (s. zu alledem im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 230 f.; vom 15. Mai 2019 - AK 22/19, NStZ 2020, 26 Rn. 29 f.).
dd) Im Hinblick auf die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten gilt:
Die mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte, die zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen, stehen gemäß § 52 Abs. 1 Alternative 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung, jedoch - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit (BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23 ff.; vom 17. Oktober 2019 - StB 26/19, juris Rn. 30 ff., und AK 56/19, juris Rn. 53).
Das Waffendelikt und das Kriegsverbrechen standen im Interesse des IS. Beide Delikte bilden deshalb jeweils eine Tateinheit, § 52 StGB, mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung, stellen aber untereinander eigenständige Taten im Sinne des § 53 StGB dar. Zu den daneben von der Beschuldigten verwirklichten, keinen weiteren Tatbestand erfüllenden mitgliedschaftlichen Beteiligungsakten, namentlich ihrer langjährigen Versorgung und moralischen Bekräftigung des IS-Kämpfers E., stehen sie ebenfalls in Tatmehrheit gemäß § 53 StGB.
d) Deutsches Strafrecht ist nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen für die deutsche Beschuldigte jedenfalls gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB anwendbar. Die jeweiligen Tatorte befanden sich zur Tatzeit unter alleiniger Kontrolle des IS und unterlagen damit faktisch keiner Strafgewalt. Auslieferungen von und nach Syrien finden derzeit nicht statt (vgl. näher BGH, Beschlüsse vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.; vom 5. Juni 2019 - AK 26/19, juris Rn. 17).
Im Hinblick auf das Kriegsverbrechen folgt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aus § 1 VStGB.
e) Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz für den IS am 13. Oktober 2015 erteilt.
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist wahrscheinlicher, dass sich die Beschuldigte - sollte sie auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm stellen wird.
Die Beschuldigte hat trotz ihres zum Zeitpunkt der Ausreise jungen Alters im Falle ihrer Verurteilung mit einer erheblichen Jugendstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Die Beschuldigte verfügt in Deutschland weder über einen festen Wohnsitz noch über eine Erwerbstätigkeit. Die Bindung zu ihrer Familie war bereits vor ihrer Ausreise nach Syrien so schwach, dass sie sie nicht davon abhalten konnte, sich unter Hinnahme erheblicher Gefahren in das Kampfgebiet nach Syrien zu begeben. Dies hat sich seither nicht geändert und gilt auch mit Blick auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 29. Mai 2020. Zwar ist darin zutreffend geschildert, dass die Eltern ihre Tochter in der Haft besucht haben. Bei einem überwachten Besuch am 19. Dezember 2019 hat sich die Beschuldigte jedoch völlig teilnahmslos gezeigt. Nach nur fünf Minuten hatten sich Mutter und Tochter nichts mehr zu sagen und brachen den Besuch ab.
Darüber hinaus liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität vor. Die Beschuldigte ist der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung dringend verdächtig. Daher sind die Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 StPO auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung dieser Vorschrift erfüllt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2016 - AK 47/16, juris Rn. 26; vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.).
Ob außerdem Verdunklungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO besteht, weil die Beschuldigte auf ihrem Rückführungsflug am 15. November 2019 ihr Mobiltelefon zerstört hat, um es dem Zugriff durch die Ermittlungsbehörden zu entziehen, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind nicht erfolgversprechend.
3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.
Nach der Auslieferung der Beschuldigten aus der Türkei am 15. November 2019 sind Erkenntnisse aus zahlreichen weiteren Verfahren gegen Syrien-Ausreisende anzufragen und zusammenzutragen gewesen. Insgesamt 13 Zeugen sind - teils mehrfach - vernommen worden. Zu 53 weiteren Zeugen laufen Ermittlungen, wobei sich 37 von diesen in Syrien oder im Irak befinden sollen, sofern sie noch am Leben sind. Sehr komplex gestaltet sich die Auswertung des von der Beschuldigten im Flugzeug zerstörten Mobiltelefons. Hierzu sind Ersatzteile im Nahen Osten gekauft und nach Deutschland verbracht worden, mit deren Hilfe sich Spezialkräfte des Bundeskriminalamts einen Zugriff auf die Daten erhoffen. Die hessischen Ermittlungsbehörden sind überdies dabei, die Mobiltelefone der Schwester und des Schwagers von E., die beide in Deutschland leben, auszuwerten. Mit jenen stand die Beschuldigte während ihres Aufenthalts in Syrien und in der Türkei in Kontakt. Hierbei handelt es sich um umfangreiches Datenmaterial von insgesamt 108,9 Gigabyte.
Nach alldem ist das Verfahren bislang mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden.
4. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft derzeit nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Senat geht aufgrund des derzeitigen Ermittlungsstands davon aus, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zügig Anklage gegen die Beschuldigte erheben kann. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass die genannten Mobiltelefone der Schwester und des Schwagers von E. bisher nicht vollständig ausgewertet sind.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 910
Bearbeiter: Christian Becker