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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1118

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 49/19, Beschluss v. 05.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1118


BGH AK 49/19 - Beschluss vom 5. September 2019

Bildung terroristischer Vereinigungen (Vereinigungsbegriff; Organisationsstruktur; Willensbildung; Gruppenidentität; hierarchische Organisation; einvernehmliche Eingliederung des Täters; Gründer; weiterführender und richtungsweisender Beitrag; Konkurrenzen); schwerer Landfriedensbruch (Menschenmenge); Fortdauer der Untersuchungshaft (Haftgrund der Schwerkriminalität).

§ 129a StGB; § 125 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 112 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die geltende Fassung des § 129 Abs. 2 StGB soll den Vereinigungsbegriff im Vergleich zu dem früheren Begriff der kriminellen oder terroristischen Vereinigung, wie er in der Rechtsprechung verstanden worden ist (vgl. etwa BGH  HRRS 2009 Nr. 890), ausweiten, indem die Anforderungen an die Organisationsstruktur und die Willensbildung abgesenkt wurden. Es sollen nunmehr nicht nur Personenzusammenschlüsse erfasst werden, deren Mitglieder sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen, sondern auch hierarchisch organisierte Gruppierungen mit bloßer Durchsetzung eines autoritären Anführerwillens ohne Gruppenidentität.

2. Indes handelt es sich bei einer Vereinigung weiterhin um einen organisierten Zusammenschluss von Personen, was zumindest eine gewisse Organisationsstruktur sowie in gewissem Umfang instrumentelle Vorausplanung und Koordinierung erfordert; notwendig ist darüber hinaus das Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Interesse. Auch wenn die Mitgliedschaft in einer Vereinigung auf der Grundlage der Legaldefinition nicht erfordert, dass sich der Täter in das „Verbandsleben“ der Organisation integriert und sich deren Willen unterordnet, so setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung auch nach der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 StGB eine gewisse, einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Organisation voraus.

3. Gründer im Sinne von § 129a Abs. 1 StGB sind solche Personen, die den Gründungsakt führend und richtungsweisend bewirken. Dies bedeutet aber nicht, dass allein die Gründungsaktivitäten führender Personen erfasst werden sollen; vielmehr wird nur eine wesentliche Förderung der Gründung verlangt, also ein für das Zustandekommen der Vereinigung weiterführender und richtungsweisender Beitrag, auch wenn dieser im Verhältnis zu den Beiträgen anderer Gründer von lediglich untergeordneter Bedeutung ist.

4. Der Begriff der Menschenmenge im Sinne des § 125 StGB bezeichnet eine nicht notwendigerweise ungezählte, aber doch so große Personenmehrheit, dass die Zahl nicht sofort überschaubar ist. Eine Ansammlung von 15 bis 20 Personen kann eine solche Menschenmenge sein, wobei dies keine Festlegung einer Untergrenze bedeutet. Sogar eine Gruppe von zehn Personen kann ausreichen, wenn besondere Umstände - insbesondere eine auf die räumliche Enge zurückzuführende Unübersichtlichkeit am Tatort - es für den Außenstehenden unmöglich machen, die Größe der Menge und die von ihr ausgehende Gefahr zu erfassen.

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Dresden übertragen.

Gründe

I. Der Angeschuldigte befindet sich nach seiner Festnahme am 1. Oktober 2018 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. September 2018 (3 BGs 209/18) in Untersuchungshaft. Vom 18. Oktober 2018 bis zum 13. März 2019 ist die Untersuchungshaft zur Vollstreckung zweier Ersatzfreiheitsstrafen von insgesamt 147 Tagen unterbrochen gewesen. Am 7. Mai 2019 hat der Senat entschieden, dass eine Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO noch nicht veranlasst sei. Der Generalbundesanwalt hat die Akten nunmehr erneut dem Senat zur besonderen Haftprüfung vorgelegt.

Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe zusammen mit den Mitangeschuldigten spätestens am 11. September 2018 die terroristische Vereinigung „Revolution Chemnitz“ gegründet, sich in der Folge an dieser als Mitglied beteiligt sowie tateinheitlich hierzu sich unter Mitführung gefährlicher Werkzeuge an Gewalttätigkeiten gegen Menschen, die aus einer Menschenmenge heraus in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, beteiligt (§ 129a Abs. 1, § 125 Abs. 1 Nr. 1, § 125a Satz 2 Nr. 2, § 52 StGB). Unter dem 11. Juni 2019 hat der Generalbundesanwalt gegen den Angeschuldigten und andere Anklage zum Oberlandesgericht Dresden wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an dieser Vereinigung sowie wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Landfriedensbruch erhoben. Das Oberlandesgericht hat mit Verfügung vom 24. Juli 2019 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten.

II. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Nach den Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:

a) Der Angeschuldigte gehört wie die Mitangeschuldigten der Hooligan-, Skinhead- sowie Neonaziszene im Raum Chemnitz an, in der die Angeschuldigten jeweils führende Rollen einnehmen und teilweise auch mit anderen Gruppierungen über Chemnitz hinaus vernetzt sind, so dass es ihnen möglich ist, für bestimmte „Aktionen“ eine größere Zahl von Anhängern und Aktivisten zusammenzubringen. Ideologisch eint sie eine rechtsradikale Einstellung, die von Ausländerfeindlichkeit geprägt ist und bis zu offenen Bekenntnissen zu nationalsozialistischem Ideengut reicht. Nach vorbereitenden Kontakten zwischen dem Mitangeschuldigten K. sowie den Mitangeschuldigten W. und E. bereits Anfang September 2018 schlossen sich alle Angeschuldigten einer von dem Mitangeschuldigten K. eingerichteten und als“ " bezeichneten Chatgruppe des Messenger-Dienstes „Telegram“ an, die in ihrem Profilbild den Namen „Revolution Chemnitz“ aufführte. Hier versandte der Mitangeschuldigte K., der den Zusammenschluss der Chatgruppe initiiert und die Gruppenmitglieder ausgewählt hatte, am 10. September 2018 einen „Einführungstext“ zu dem gemeinsamen Vorhaben, in dem er auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit hinwies und die Zielsetzung der Gruppe formulierte, die sich nicht mit kleineren Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner begnügen, sondern „effektive Schläge gegen Linksparasiten, Merkelzombi, Mediendiktatur und deren Sklaven“ führen sollte. Am 10. und 11. September 2018 erklärten die Mitangeschuldigten jeweils ihr Einverständnis mit der in der Erklärung genannten Zielsetzung und den - auch die Sicherheit der Kommunikation und die Verschwiegenheit der Mitglieder betreffenden - Regeln. Der Angeschuldigte selbst gab zwar eine solche Einverständniserklärung im Chat nicht ausdrücklich ab, beteiligte sich aber maßgeblich ab dem 12. September 2018 am Chat und am 14. September 2018 an der ersten Aktion der Gruppierung (s.u. c)), was auf eine zumindest konkludent abgegebene Zustimmung schließen lässt. Dabei war ihm wie den anderen Gruppenmitgliedern bewusst, dass der Mitangeschuldigte K. ihn aufgrund seiner herausgehobenen Position in der entsprechenden Szene ausgewählt hatte. Auch in der Folge übernahm der Mitangeschuldigte K. die Führung der Gruppe und tat sich als maßgeblicher Ideengeber hervor. Er gab die planerischen Konzepte für einzelne Aktionen vor und organisierte die Bemühungen um die Beschaffung von Schusswaffen, die bereits bei möglichen Aktionen am 3. Oktober 2018 in Berlin (vgl. unten b)) zum Einsatz kommen sollten, und in die insbesondere die Mitangeschuldigten Wa., W. und Wo. einbezogen waren.

b) Ziel des Zusammenschlusses sollte es nach dem von allen Gruppenmitgliedern gebilligten Einführungstext vom 10. September 2018 sowie der nachfolgenden Chatkommunikation sein, die bisher von den Vereinigungsmitgliedern in führenden Tätigkeiten der rechtsradikalen Szene gemachten Erfahrungen zu bündeln, um „etwas zu bewegen“. Hierzu zählte insbesondere die Planung und Durchführung gewalttätiger Aktionen am 3. Oktober 2018 in Berlin, wo, wie es der Mitangeschuldigte K. ausdrückte, „die Leute“ sitzen, die „abgesetzt werden müssen“. Diese Gewalttätigkeiten waren als symbolträchtiger Auftakt für das weitere Vorgehen gedacht, in das auch „normale Bürger“ und die Polizei einbezogen werden sollten und das darauf abzielen sollte, „das Regime (zu) stürzen“. Sie sollten einen „Stein ins Rollen bringen“, um eine Wende in der Geschichte Deutschlands einzuleiten und einen „Systemwechsel“ herbeiführen. Ob die Gruppe bereits ein konkretes Vorhaben - und gegebenenfalls welches - ins Auge gefasst hatte, ist nicht bekannt. Weitere Planungen der Gruppe wurden möglicherweise durch die Durchsuchungen und Beschlagnahmen insbesondere auch der Mobilfunkgeräte der an der Aktion vom 14. September 2018 (s.u. c)) beteiligten Angeschuldigten E., H., K., Wa. und W. verhindert.

c) Unter maßgeblicher Führung des Angeschuldigten K. planten die Mitglieder der Vereinigung eine Art „Probelauf“ für künftige Aktionen am 14. September 2018, der im Anschluss an eine Demonstration in Chemnitz stattfinden sollte. Dabei sollten zwar gefährliche Gegenstände wie Quarzhandschuhe, nicht aber todbringende Waffen (Messer und Schusswaffen) benutzt werden. In Vorbereitung der Aktion waren unter anderem durch den Angeschuldigten weitere gewaltbereite Personen hinzugezogen worden. Die - einheitlich in schwarz gekleideten - Beteiligten wurden in Gruppen eingeteilt, die sich zur Schlossteichinsel in Chemnitz begaben, wo sie Mitglieder der Antifa-Bewegung vermuteten. Einige - unter anderem der Angeschuldigte - führten Quarzhandschuhe mit sich. Bereits auf dem Weg zur Insel kam es zu einem Vorfall, bei dem der Mitangeschuldigte E. einen Passanten mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. An der Schlossteichinsel angekommen, kontrollierte der Mitangeschuldigte E. mit zwei gesondert Verfolgten zunächst eine Gruppe Jugendlicher, wobei sie sich als Mitglieder einer „Bürgerwehr“ vorstellten. Danach lief die gesamte Gruppe einschließlich des Angeschuldigten auf die Jugendgruppe zu, umkreiste sie und schubste die männlichen Mitglieder, ohne dass es zu Verletzungen kam. Nachdem die Jugendlichen geflohen waren, wandten sich die Angeschuldigten und die übrigen Beteiligten einer siebenköpfigen Gruppe zu, in der sich auch Personen iranischer und pakistanischer Herkunft befanden, die sich zum Grillen zusammengefunden hatte. Auf diese stürmten sie ein, wobei sie zum Teil zerbrochene Bierflaschen trugen. Einige riefen dabei „Ausländer raus“. Als sich die Polizei näherte, ergriffen die Angeschuldigten zusammen mit ihren Mittätern die Flucht, wobei einige der Beteiligten Bierflaschen bzw. Scherben in Richtung der Gruppe warfen. Ein iranischer Staatsbürger wurde am Hinterkopf getroffen, ging zu Boden und erlitt eine blutende Kopfplatzwunde.

2. Der dringende Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt sich aus den vorliegenden Beweismitteln, unter anderem aus der Auswertung der Mitteilungen im Gruppenchat“ ". Er gründet zudem auf den Einlassungen der Angeschuldigten E., Wa. und W. sowie den Aussagen der Zeugen zu dem Geschehen am 14. September 2018. Den Äußerungen des Mitangeschuldigten K. im Gruppenchat, aber auch in mit dem Mitangeschuldigten Wa. ausgetauschten Einzelchats ist zu entnehmen, dass der Mitangeschuldigte K. die Gründung der Gruppe initiierte und als Ideengeber auftrat. Ebenso ergibt sich aus den Äußerungen im Gruppenchat, dass die einzelnen Mitglieder deshalb ausgewählt worden waren, weil sie in ihren jeweiligen rechtsradikalen „Szenen“ Führungspositionen einnahmen und teilweise über den Raum Chemnitz hinaus gut vernetzt waren. Schließlich verhalten sich die Chatnachrichten zu der geplanten Beschaffung scharfer Schusswaffen. Dabei ist dem Chatverkehr sowie den Vernehmungen der Mitangeschuldigten V. am 4. Oktober 2018 und We. am 1. Oktober und 6. Dezember 2018 zu entnehmen, dass die Schusswaffen, die besorgt werden sollten, auch im Zusammenhang mit der ins Auge gefassten Aktion in Berlin am 3. Oktober 2018 zum Einsatz gebracht werden sollten. Ebenso belegt der Chatverkehr die Planungen für den „Probelauf“ am 14. September 2018. Das Verhalten der Angeschuldigten bei diesem Vorfall wird insbesondere durch die Aussagen der - zum Teil selbst betroffenen - Zeugen und die Einlassungen des Mitangeschuldigten E. bei seiner Vernehmung am 20. September 2018 belegt. Die rechtsradikale Einstellung des Angeschuldigten ergibt sich ebenfalls aus Äußerungen im Chatverkehr, seiner Einlassung gegenüber der Polizei, aber auch dem von den Zeugen zum Geschehen vom 14. September 2018 geschilderten Auftreten der Gruppe. Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Beweismittel wird auf die ausführlichen Darlegungen im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs und in der Anklage des Generalbundesanwalts vom 11. Juni 2019, insbesondere dort im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, Bezug genommen.

3. Danach besteht der dringende Verdacht, dass der Angeschuldigte - als Heranwachsender - zusammen mit den Mitangeschuldigten auf Initiative des Mitangeschuldigten K. eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB gründete und sich tateinheitlich hierzu an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligte sowie sich darüber hinaus in einem weiteren - tatmehrheitlichen - Fall der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Landfriedensbruch schuldig gemacht hat. Im Einzelnen:

a) Die unter dem Chatnamen „Revolution Chemnitz“ agierende Gruppe stellt eine terroristische Vereinigung im Sinne der § 129 Abs. 2, § 129a Abs. 1 StGB dar.

§ 129 Abs. 2 StGB in der durch das Vierundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 17. Juli 2017 (BGBl. I Nr. 48, S. 2440) eingeführten, zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung definiert den Begriff der Vereinigung in Anlehnung an den Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität als einen auf längere Dauer angelegten, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängigen organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses. Erklärtes Ziel der gesetzlichen Regelung ist es, den Vereinigungsbegriff im Vergleich zu dem früheren Begriff der kriminellen oder terroristischen Vereinigung, wie er in der Rechtsprechung verstanden worden ist (vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. März 1963 - 3 StR 5/63, BGHSt 18, 296, 299 f.; vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 111), auszuweiten, indem die Anforderungen an die Organisationsstruktur und die Willensbildung abgesenkt wurden. Es sollen nunmehr nicht nur Personenzusammenschlüsse erfasst werden, deren Mitglieder sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen, sondern auch hierarchisch organisierte Gruppierungen mit bloßer Durchsetzung eines autoritären Anführerwillens ohne „Gruppenidentität“ (BT-Drucks. 18/11275, S. 7, 11). Auch nach dieser Legaldefinition handelt es sich bei einer Vereinigung indes um einen organisierten Zusammenschluss von Personen, was zumindest eine gewisse Organisationsstruktur sowie in gewissem Umfang instrumentelle Vorausplanung und Koordinierung erfordert; notwendig ist darüber hinaus das Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Interesse (BT-Drucks. 18/11275, S. 7 f., 11). Auch wenn die Mitgliedschaft in einer Vereinigung auf der Grundlage der Legaldefinition nicht erfordert, dass sich der Täter in das „Verbandsleben“ der Organisation integriert und sich deren Willen unterordnet, so setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung auch nach der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 StGB eine gewisse, einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Organisation voraus (BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207).

aa) Die unter dem Namen „Revolution Chemnitz“ agierende Gruppe sollte auf Dauer angelegt sein. Den Beteiligten ging es nicht etwa nur darum, am 3. Oktober 2018 in Berlin gewaltsame Aktionen durchzuführen. Die zum Einigungstag vorgesehenen Aktionen sollten vielmehr der Auftakt sein, dem langfristig weitere Gewaltakte folgen sollten, die dem Sturz der Regierung und der Beseitigung des demokratisch verfassten Rechtsstaats dienen sollten.

bb) Es handelt sich bei der Vereinigung auch um einen organisierten Zusammenschluss. Dem Mitangeschuldigten K., der Initiator des Zusammenschlusses war, ging es darum, die verschiedenen Erfahrungen der Gruppenmitglieder zu bündeln, um planvoll agieren zu können. Dieses organisierte Vorgehen zeigt sich auch in dem Bemühen, sich Schusswaffen zu besorgen, sowie in der Organisation des „Vorlaufs“ am 14. September 2018.

cc) Dass die Handlungen aller Angeschuldigter der Verfolgung eines übergeordneten Zieles dienten, ergibt sich schon aus den unter aa) gemachten Ausführungen. Ihnen ging es darum, die Unruhen in Chemnitz im September 2018 zu nutzen, um mit gewaltsamen Aktionen am 3. Oktober 2018 in Berlin einen Systemwechsel im Sinne ihrer rechtsradikalen Ideologie einzuleiten.

dd) Zweck und Tätigkeit der Vereinigung waren zudem darauf gerichtet, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Die Angeschuldigten wollten sich Schusswaffen besorgen, die auch im Zusammenhang mit einer Aktion in Berlin am 3. Oktober 2018 zum Einsatz gebracht werden sollten. Damit nahmen sie aber auch den Tod von Personen durch den Einsatz von Schusswaffen zumindest in Kauf.

b) Der Angeschuldigte hat zusammen mit den Mitangeschuldigten diese terroristische Vereinigung mit der Zustimmung zu dem „Einführungstext“ des Mitangeschuldigten K. gegründet.

Gründer im Sinne von § 129a Abs. 1 StGB sind solche Personen, die den Gründungsakt „führend und richtungsweisend“ bewirken (BGH, Urteil vom 19. Mai 1954 - 6 StR 88/54, in einem redaktionellen Leitsatz in NJW 1954, 1254 abgedruckt und in BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977 - 3 StR 427/77 (S), BGHSt 27, 325, 326 wiedergegeben). Dies bedeutet aber nicht, dass allein die Gründungsaktivitäten führender Personen erfasst werden sollen; vielmehr wird nur eine wesentliche Förderung der Gründung verlangt, also ein für das Zustandekommen der Vereinigung weiterführender und richtungsweisender Beitrag, auch wenn dieser im Verhältnis zu den Beiträgen anderer Gründer von lediglich untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603, 1604). Demnach ist nicht nur der Mitangeschuldigte K., der die Vereinigung initiierte und den am 10. September 2018 versandten Gründungstext verfasste, als Gründer anzusehen, sondern auch der Angeschuldigte, der jedenfalls konkludent seine Zustimmung zu dem Text erteilte und sich der Chatgruppe anschloss. In der Folge - nämlich anlässlich des „Probelaufs“ vom 14. September 2018 - gewann er zudem andere Personen dazu, sich an den Aktionen der Gruppe zu beteiligen.

c) Darüber hinaus ist der Angeschuldigte auch dringend verdächtig, sich tateinheitlich an dieser Vereinigung mitgliedschaftlich beteiligt zu haben. Er nahm ab dem 12. September 2018 am Gruppenchat teil und gliederte sich in die Organisation ein (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4/01 u.a., BGHSt 46, 349, 356). Im Vorfeld der für den 14. September 2018 geplanten Aktion bemühte er sich im Rahmen seiner bestehenden Kontakte um eine Erhöhung der Teilnehmerzahl. Schließlich nahm er selbst in führender Position an dem „Probelauf“ am 14. September 2018 teil.

d) Gegen den Angeschuldigten besteht zudem der dringende Verdacht, dass er sich mit seiner Teilnahme an der Aktion in Chemnitz am 14. September 2018 wegen Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 Satz 1 StGB strafbar gemacht hat.

Nach § 125 Abs. 1 StGB macht sich unter anderem strafbar, wer sich an Gewalttätigkeiten gegen Menschen (Nr. 1) oder an Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit (Nr. 2), die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt.

aa) Der Begriff der Menschenmenge im Sinne des § 125 StGB bezeichnet eine nicht notwendigerweise ungezählte, aber doch so große Personenmehrheit, dass die Zahl nicht sofort überschaubar ist. Der zur Menschenmenge gehörende Personenkreis muss so groß sein, dass es auf das Hinzukommen oder Weggehen Einzelner - und zwar aus Sicht eines Außenstehenden - nicht mehr ankommt. Wesentlich ist, dass die Personen einen räumlichen Zusammenhang herstellen, so dass bei Außenstehenden die Vorstellung einer Menschenmenge als räumlich verbundenes Ganzes entsteht (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1985 - 4 StR 397/85, BGHSt 33, 306, 308). Eine Ansammlung von 15 bis 20 Personen kann eine solche Menschenmenge sein (BGH, Urteil vom 29. August 1985 - 4 StR 397/85, aaO), wobei dies keine Festlegung einer Untergrenze bedeutet. Sogar eine Gruppe von zehn Personen kann ausreichen, wenn besondere Umstände - insbesondere eine auf die räumliche Enge zurückzuführende Unübersichtlichkeit am Tatort - es für den Außenstehenden unmöglich machen, die Größe der Menge und die von ihr ausgehende Gefahr zu erfassen (BGH, Urteil vom 31. Mai 1994 - 5 StR 154/94, BGHR StGB § 125 Menschenmenge 1; vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2002 - 5 StR 199/02, NStZ 2002, 538).

Nach den bisherigen Ermittlungserkenntnissen besteht jedenfalls der dringende Verdacht, dass die geschlossen auf der Schlossteichinsel auftretende Gruppe das Tatbestandsmerkmal einer Menschenmenge erfüllt. Wie viele Personen aus dem Umfeld der Angeschuldigten dort auftraten, lässt sich den Zeugenaussagen nicht eindeutig entnehmen. Während etwa die Zeugen M. und Wal. von etwa zehn Personen ausgehen, schätzen die Zeugen Ke. und P. die Teilnehmerzahl auf (mindestens) 15 Personen, der Zeuge C. sogar auf 15 bis 20 Personen. Der Angeschuldigte E. nennt in seiner Vernehmung vom 1. Oktober 2018 eine Gruppe von zunächst zehn, später von 15 Personen. Diese Gruppe stellte unter den gegebenen äußeren Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Menschenmenge im Sinne der genannten Vorschrift dar. Die Anwesenden traten in der Dunkelheit geschlossen in schwarzer Kleidung auf, so dass Außenstehende - wie auch die Schätzungsschwankungen in den Zeugenaussagen zeigen - sie als eine für die Tatbestandserfüllung ausreichende nicht überschaubare Anzahl wahrnahmen.

bb) Auch die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 125 Abs. 1 StGB sind nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand erfüllt. Aus der Gruppe um den Angeschuldigten sowie die Mitangeschuldigten heraus kam es zu Gewalttätigkeiten und Bedrohungen sowohl gegenüber den Jugendlichen als auch gegenüber den sieben ausländischen Staatsangehörigen. Indem die Gruppenmitglieder sowohl auf die Jugendlichen als auch auf die ausländischen Staatsbürger losstürmten und diese umzingelten, wobei sie schon durch ihr Auftreten eine bedrohliche Wirkung entfalteten, beteiligten sie sich jedenfalls an der Bedrohung mit einer Gewalttätigkeit im Sinne des § 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zudem wurde aus der Menschenmenge heraus auch eine Gewalttätigkeit begangen, indem Bierflaschen und Glasscherben in Richtung der letztgenannten Gruppe geworfen wurden (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, StGB, 30. Aufl., § 125 Rn. 6 mwN). Indem durch das Vorgehen der Gruppe um die Angeschuldigten eine unbestimmte Zahl von Menschen um ihre körperliche Integrität fürchten musste, lag auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor.

cc) Der Angeschuldigte beging den Landfriedensbruch auch unter den erschwerenden Bedingungen des § 125a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. Einige der Gruppenmitglieder - so auch der Angeschuldigte - führten Quarzhandschuhe mit sich. Andere trugen beim Losstürmen auf die pakistanischen und iranischen Staatsbürger zerbrochene Bierflaschen mit sich, die sie teilweise auch als Wurfgeschosse verwendeten. Dies entsprach dem gemeinsamen Tatplan.

e) Hinsichtlich der Konkurrenzen zwischen der Gründung einer terroristischen Vereinigung und der mitgliedschaftlichen Beteiligung hieran sowie dem Landfriedensbruch gilt Folgendes:

aa) Die Gründung einer terroristischen Vereinigung steht mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an dieser jedenfalls dann in Tateinheit, wenn sich die Beteiligung als Mitglied wie hier unmittelbar an die Gründung der Vereinigung anschließt (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 235), so dass der Angeschuldigte, der nach der Gründung der Vereinigung durch Zustimmung zu dem Vorschlag des Mitangeschuldigten K. seine Teilnahme am Chatverkehr zur Planung der verabredeten Aktivitäten unmittelbar fortsetzte, der tateinheitlichen Gründung einer terroristischen Vereinigung und der Beteiligung hieran als Mitglied dringend verdächtig ist.

bb) Darüber hinaus ist der Angeschuldigte tatmehrheitlich hierzu dringend einer weiteren mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Landfriedensbruch verdächtig.

Nach der neueren Rechtsprechung des Senats zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung handelt es sich bei mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen im Sinne von §§ 129, 129a StGB, die zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen, materiellrechtlich um Taten, die - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB stehen (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 311 f.).

Wie oben bereits aufgezeigt, beging der Angeschuldigte neben für sich nicht strafbaren Beteiligungsakten am 14. September 2018 einen Landfriedensbruch, der seinerseits eine mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung darstellt, zugleich aber einen weiteren Straftatbestand erfüllt. Diese Tat steht als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Landfriedensbruch zu der mitgliedschaftlichen Beteiligung durch andere nicht strafbare Aktivitäten in Tatmehrheit, so dass der Angeschuldigte der Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an ihr sowie wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Landfriedensbruch dringend verdächtig ist.

4. Es liegt wegen des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (s. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Danach ist der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn Umstände gegeben sind, die die Gefahr begründen, dass ohne Festnahme des Angeschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte. Es genügt schon die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls doch nicht auszuschließende - auch verhältnismäßig geringe oder entfernte - Fluchtgefahr (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 31 mwN). Hier lässt bereits die zu erwartende Strafe auch unter Berücksichtigung der Vorverurteilungen des Angeschuldigten einen erheblichen Fluchtanreiz als nicht fernliegend erscheinen. Auch die bestehenden sozialen und beruflichen Bindungen im Inland genügen nicht, dem sich aus der Straferwartung ergebenden Anreiz zur Flucht maßgeblich entgegen zu wirken. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden kann.

Unter den gegebenen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass auch durch sie der Zweck der Untersuchungshaft erreicht werden kann.

5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil noch nicht zugelassen. Bereits im Rahmen der Ermittlungen durch die Polizeidirektion Chemnitz nach den Straftaten vom 14. September 2018 sind 16 Mobiltelefone und bei insgesamt 13 Durchsuchungen 126 Asservate sichergestellt worden. Im Zusammenhang mit den Festnahmen am 1. Oktober 2018 sind weitere Durchsuchungen durchgeführt worden, die ihrerseits zu Sicherstellungen geführt haben, so dass schon zu diesem Zeitpunkt 247 Asservate, die unter anderem 900.000 Daten umfassen, auszuwerten gewesen sind. Zuletzt sind bei einer Durchsuchung im Februar 2019 erneut elektronische Datenträger sichergestellt worden. Darüber hinaus sind die Angeschuldigten und zehn gesondert Verfolgte - teilweise auch mehrfach - sowie 75 Zeugen vernommen worden. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 11. Juni 2019 Anklage zum Oberlandesgericht Dresden erhoben. Der Vorsitzende des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts hat am 24. Juni 2019 deren Zustellung verfügt und eine Frist zur Stellungnahme von sechs Wochen eingeräumt, die wegen Verhinderungen einzelner Verteidiger für alle Angeschuldigten auf den 20. August 2019 verlängert worden ist. Gleichzeitig hat der Vorsitzende mit den Verteidigern - vorbehaltlich einer Zulassung der Anklage - Termine für die Durchführung einer möglichen Hauptverhandlung ab dem 30. September 2019 abgesprochen.

6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1118

Bearbeiter: Christian Becker