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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 362

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 453/21, Beschluss v. 27.01.2022, HRRS 2022 Nr. 362


BGH 1 StR 453/21 - Beschluss vom 27. Januar 2022 (LG Mannheim)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose: Erwartung erheblicher rechtswidriger Taten, Bedrohung).

§ 63 Satz 1 StGB; § 241 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Zwar sind Bedrohungen nicht von vornherein als unerhebliche Taten i.S.d. § 63 Satz 1 StGB einzustufen. Namentlich Todesdrohungen, die den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen vermögen, können den Rechtsfrieden schwerwiegend stören. Allerdings ist schon im Hinblick auf das Gewicht der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich, dass die Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die naheliegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 20. Juli 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision des Beschuldigten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

1. Das Landgericht hat hinsichtlich der Anlasstat Folgendes festgestellt:

Der Beschuldigte, bei dem sich bereits seit 2014 Symptome einer paranoiden Schizophrenie zeigten, begab sich am 28. November 2020 zu der ihm nicht näher bekannten und in einem benachbarten Wohngebäude lebenden Geschädigten. Er handelte dabei in der Vorstellung, ihn quälende akustische Stimmen, Dämpfe und Geräusche gingen von ihr aus und er wollte sie dazu bringen, damit aufzuhören. Dabei führte der Beschuldigte ein im Inneren seiner Wohnung neben der Wohnungstür aufbewahrtes Beil mit einer Gesamtlänge von etwa 36 cm mit sich, um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Der hoch erregte Beschuldigte klopfte mit einer Hand kräftig an die im ersten Obergeschoss liegenden Eingangstür der Wohnung, während er in der anderen Hand das Beil hielt. Als die Geschädigte diese Schläge vernahm, fragte sie durch die verschlossene Tür, wer da sei. Daraufhin schrie der Beschuldigte auf Englisch, sie solle die Tür öffnen, denn er wolle sie umbringen. Er tat dies, um sie in Angst zu versetzen und sie einzuschüchtern, damit sie ihn - nach seiner Wahnvorstellung - nicht mehr belästigt. Die zu dieser Zeit hochschwangere Geschädigte öffnete die Tür aus Angst um ihr Leben nicht. Nachdem ein in der Nachbarwohnung lebendes Ehepaar auf den Lärm aufmerksam geworden war und den Beschuldigten laut schreiend vor der Tür stehen sah, verständigte es die Polizei. Als diese wenige Minuten später eintraf, hatte sich der Beschuldigte schon wieder in seine Wohnung zurückgezogen.

2. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt aufgehoben gewesen sei (§ 20 StGB). Es hat die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB bejaht und die Gefährlichkeitsprognose vor allem auch darauf gestützt, dass der Beschuldigte über die festgestellte Tat hinaus im Jahr 2020 bereits zweimal Frauen, die ihm nur flüchtig bekannt waren, mit dem Tod bedroht und in diesem Zusammenhang auch Gewalt eingesetzt hatte (UA S. 23). Für diese beiden Taten war der Beschuldigte jeweils durch Strafbefehl zu einer Geldstrafe verurteilt worden (UA S. 8-10).

II.

Die vom Landgericht angeordnete Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Daneben muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 22. September 2021 - 1 StR 305/21 Rn. 17; vom 7. September 2021 - 1 StR 255/21 Rn. 7; vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 3; vom 2. September 2020 - 1 StR 273/20 Rn. 11 und vom 6. August 2020 - 1 StR 93/20 Rn. 10; jeweils mwN).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil weder bezüglich der Erheblichkeit der Anlasstaten noch bezüglich der Gefährlichkeitsprognose gerecht.

a) Rechtlichen Bedenken begegnet bereits die Bewertung der Anlasstat als erhebliche Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB.

aa) Zwar sind Bedrohungen nicht von vornherein als unerhebliche Taten einzustufen. Namentlich Todesdrohungen, die den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen vermögen, können den Rechtsfrieden schwerwiegend stören. Allerdings ist schon im Hinblick auf das Gewicht der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich, dass die Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die naheliegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2021 - 1 StR 305/21 Rn. 21; Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16 Rn. 15; Beschlüsse vom 12. Dezember 2017 - 5 StR 432/17 Rn. 18 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08 Rn. 11).

bb) Dies wird mit den bisher getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrundeliegenden Beweiswürdigung nicht hinreichend belegt. Vielmehr geht das Landgericht insoweit ohne tiefergehende Prüfung der Gefahr der Verwirklichung der Bedrohung davon aus, dass es sich bei der als Anlasstat festgestellten Bedrohung nach § 241 StGB bereits um eine erhebliche Straftat handelte (UA S. 20). Das Landgericht verweist lediglich darauf, dass der Beschuldigte bei der Tatbegehung in einer Hand ein Beil mit sich führte und die Geschädigte verbal bedrohte (UA S. 12), die aber - obwohl sie das Beil nicht sehen konnte - die Drohung ernst nahm und um ihr Leben fürchtete (UA S. 21). Es werden aber keine Feststellungen dazu getroffen, dass der Beschuldigte dieses Beil bei der Tatbegehung tatsächlich eingesetzt oder - etwa durch die erhobene Hand mit dem Beil - als Druckmittel verwendet hätte. Vielmehr beschränkten sich die Handlungen des Beschuldigten auf rein verbale Drohungen und ein Klopfen mit der Hand gegen die Tür. Damit bleibt nach den Feststellungen offen, ob die Bedrohung hier in ihrer konkreten Ausgestaltung bereits die naheliegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trug und damit die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne des § 63 Satz 1 StGB überschritt. Dies gilt umso mehr als der Beschuldigte sich unmittelbar nach der festgestellten Tat wieder freiwillig in seine Wohnung zurückbegeben hat, was das Landgericht nicht verkennt (UA S. 22).

b) Auch die vom Landgericht vorgenommene Gefährlichkeitsprognose gemäß § 63 Satz 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu stellen. Dabei sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 2021 - 5 StR 390/20 Rn. 16 und vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16 Rn. 12; Beschlüsse vom 18. August 2020 - 5 StR 318/20 Rn. 9 und vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16 Rn. 9). Auch lange zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und ihre Ursache nicht in anderen Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 - 5 StR 390/20 Rn. 16; Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16 Rn. 9).

bb) Zwar hat das Landgericht zwei weitere fremdaggressive Taten des Beschuldigten im Jahr 2020 durch Vernehmung der beiden Geschädigten in das Verfahren eingeführt. Das Landgericht übersieht aber, dass Taten nur dann im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose berücksichtigt werden dürfen, wenn sie ihrerseits in einem Zusammenhang mit der Erkrankung des Täters stehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 7. September 2021 - 1 StR 255/21 Rn. 10; vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 7; vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20 Rn. 20; vom 3. Dezember 2020 - 4 StR 371/20 Rn. 18 und vom 17. November 2020 - 4 StR 390/20 Rn. 34; jew. mwN). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Landgericht nicht belegt. Vielmehr ergeben sich aus den insoweit ergangenen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschuldigten mit Strafbefehlen vom 19. August 2020 und vom 16. Dezember 2020 jeweils zu Geldstrafen keine Feststellungen dazu, dass diese bereits Ausfluss der Erkrankung des Beschuldigten waren und im symptomatischen Zusammenhang mit der Erkrankung standen.

3. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Dabei wird das neue Tatgericht auch die weitere Entwicklung des Beschuldigten in der einstweiligen Unterbringung seit dem 11. März 2021 - insbesondere unter Berücksichtigung der aufgenommenen Behandlung - näher in den Blick zu nehmen und darzustellen haben.

4. Ergänzend zum Antrag des Generalbundesanwalts auf Aufhebung der Einziehungsentscheidung in Bezug auf das Beil weist der Senat darauf hin, dass mit der zum 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Änderung des § 413 StPO nun auch eine Einziehung als Nebenfolge im Sicherungsverfahren angeordnet werden kann, ohne dass es eines besonderen Antrags der Staatsanwaltschaft bedürfte (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - 5 StR 312/21 Rn. 8 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 362

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede