HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 362
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH HRRS 2022 Nr. 362, Rn. X
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 20. Juli 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision des Beschuldigten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Das Landgericht hat hinsichtlich der Anlasstat Folgendes festgestellt:
Der Beschuldigte, bei dem sich bereits seit 2014 Symptome einer paranoiden Schizophrenie zeigten, begab sich am 28. November 2020 zu der ihm nicht näher bekannten und in einem benachbarten Wohngebäude lebenden Geschädigten. Er handelte dabei in der Vorstellung, ihn quälende akustische Stimmen, Dämpfe und Geräusche gingen von ihr aus und er wollte sie dazu bringen, damit aufzuhören. Dabei führte der Beschuldigte ein im Inneren seiner Wohnung neben der Wohnungstür aufbewahrtes Beil mit einer Gesamtlänge von etwa 36 cm mit sich, um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Der hoch erregte Beschuldigte klopfte mit einer Hand kräftig an die im ersten Obergeschoss liegenden Eingangstür der Wohnung, während er in der anderen Hand das Beil hielt. Als die Geschädigte diese Schläge vernahm, fragte sie durch die verschlossene Tür, wer da sei. Daraufhin schrie der Beschuldigte auf Englisch, sie solle die Tür öffnen, denn er wolle sie umbringen. Er tat dies, um sie in Angst zu versetzen und sie einzuschüchtern, damit sie ihn - nach seiner Wahnvorstellung - nicht mehr belästigt. Die zu dieser Zeit hochschwangere Geschädigte öffnete die Tür aus Angst um ihr Leben nicht. Nachdem ein in der Nachbarwohnung lebendes Ehepaar auf den Lärm aufmerksam geworden war und den Beschuldigten laut schreiend vor der Tür stehen sah, verständigte es die Polizei. Als diese wenige Minuten später eintraf, hatte sich der Beschuldigte schon wieder in seine Wohnung zurückgezogen.
2. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt aufgehoben gewesen sei (§ 20 StGB). Es hat die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB bejaht und die Gefährlichkeitsprognose vor allem auch darauf gestützt, dass der Beschuldigte über die festgestellte Tat hinaus im Jahr 2020 bereits zweimal Frauen, die ihm nur flüchtig bekannt waren, mit dem Tod bedroht und in diesem Zusammenhang auch Gewalt eingesetzt hatte (UA S. 23). Für diese beiden Taten war der Beschuldigte jeweils durch Strafbefehl zu einer Geldstrafe verurteilt worden (UA S. 8-10).
Die vom Landgericht angeordnete Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Daneben muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 22. September 2021 - 1 StR 305/21 Rn. 17; vom 7. September 2021 - 1 StR 255/21 Rn. 7; vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 3; vom 2. September 2020 - 1 StR 273/20 Rn. 11 und vom 6. August 2020 - 1 StR 93/20 Rn. 10; jeweils mwN).
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil weder bezüglich der Erheblichkeit der Anlasstaten noch bezüglich der Gefährlichkeitsprognose gerecht.
a) Rechtlichen Bedenken begegnet bereits die Bewertung der Anlasstat als erhebliche Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB.
aa) Zwar sind Bedrohungen nicht von vornherein als unerhebliche Taten einzustufen. Namentlich Todesdrohungen, die den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen vermögen, können den Rechtsfrieden schwerwiegend stören. Allerdings ist schon im Hinblick auf das Gewicht der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich, dass die Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die naheliegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2021 - 1 StR 305/21 Rn. 21; Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16 Rn. 15; Beschlüsse vom 12. Dezember 2017 - 5 StR 432/17 Rn. 18 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08 Rn. 11).