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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 348

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 370/19, Beschluss v. 12.11.2019, HRRS 2020 Nr. 348


BGH 1 StR 370/19 - Beschluss vom 12. November 2019 (LG Memmingen)

Mord aus niedrigen Beweggründen (Einstufung eines Tatmotives als „niedrig“).

§ 211 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, das heißt in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist.

2. Entbehrt das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren. Der Feststellung, der Täter habe dem Opfer das Lebensrecht abgesprochen, es vernichten wollen und sich damit zur Selbstjustiz aufgeschwungen, kommt für sich allein kein über § 212 StGB hinausgehendes Gewicht zu. Hierdurch wird lediglich die Eigenmächtigkeit der vorsätzlichen Tötung umschrieben, nicht aber, wie es für das Mordmerkmal „aus niedrigen Beweggründen“ erforderlich wäre, ein besonderer Tötungsbeweggrund. Der rechtwidrigen Tat nach § 212 StGB wohnt bereits ein unerträgliches Missverhältnis inne. Daher kann nicht jede vorsätzliche Tötung, für welche sich weder ein nachvollziehbarer noch naheliegender Grund finden lässt, als Mord aus niedrigen Beweggründen angesehen werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten S. S. wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 24. Januar 2019 im Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld aufgehoben; die Feststellung der besonderen Schuldschwere entfällt.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten S. S. und die Revision des Angeklagten E. S. werden verworfen.

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Jedoch wird die Revisionsgebühr, soweit es das Rechtsmittel des Angeklagten S. S. betrifft, um 1/6 ermäßigt. Von den übrigen Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens werden dem Angeklagten S. S. 5/6, der Staatskasse 1/6 auferlegt.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes an der Ehefrau des Angeklagten E. S. jeweils zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; allein beim Angeklagten S. S. hat das Landgericht auf der Grundlage von zwei Mordmerkmalen (der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe) die besondere Schwere der Schuld festgestellt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten S. S. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel wie das des Mitangeklagten E. S., mit welchem ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts beanstandet wird, unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Das Urteil hält im Rechtsfolgenausspruch, soweit es den Angeklagten S. S. betrifft, der sachlichrechtlichen Prüfung nicht vollumfänglich stand. Zwar ist das Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 StGB) rechtsfehlerfrei festgestellt; indes ist das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe nicht belegt, was zum Wegfall der Feststellung der besonderen Schuldschwere führt.

a) Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, das heißt in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 - 1 StR 150/19 Rn. 8; vom 12. September 2019 - 5 StR 399/19 Rn. 8; vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 422/18 Rn. 20; vom 31. Juli 2018 - 1 StR 260/18 Rn. 5 und vom 15. Mai 2003 - 3 StR 149/03 Rn. 4; Urteile vom 21. Februar 2018 - 1 StR 351/17 Rn. 10; vom 22. März 2017 - 2 StR 656/13 Rn. 6; vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11 Rn. 14 und vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11 Rn. 10). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (BGH, Urteile vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11 Rn. 14 und vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11 Rn. 10).

Entbehrt das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als ?niedrig? zu qualifizieren (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 - 1 StR 150/19 Rn. 8 und vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 422/18 Rn. 20). Der Feststellung, der Täter habe dem Opfer das Lebensrecht abgesprochen, es vernichten wollen und sich damit zur Selbstjustiz aufgeschwungen, kommt für sich allein kein über § 212 StGB hinausgehendes Gewicht zu. Hierdurch wird lediglich die Eigenmächtigkeit der vorsätzlichen Tötung umschrieben, nicht aber, wie es für das Mordmerkmal ?aus niedrigen Beweggründen? erforderlich wäre, ein besonderer Tötungsbeweggrund. Der rechtwidrigen Tat nach § 212 StGB wohnt bereits ein unerträgliches Missverhältnis inne. Daher kann nicht jede vorsätzliche Tötung, für welche sich weder ein nachvollziehbarer noch naheliegender Grund finden lässt, als Mord aus niedrigen Beweggründen angesehen werden (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 422/18 Rn. 21; Urteil vom 9. November 2005 - 1 StR 234/05 Rn. 20).

b) An diesen Grundsätzen gemessen hat das Landgericht niedrige Beweggründe nicht tragfähig begründet.

aa) Es hat die niedrigen Beweggründe dadurch als erfüllt angesehen, dass der Angeklagte S. S. wie sein jüngerer Bruder befürchtet habe, dessen Ehefrau würde bei der bevorstehenden Trennung die drei minderjährigen Kinder mitnehmen und der Familie S. vorenthalten. Ohnehin sei das Tatopfer dem Angeklagten S. S. ?als ständiger Quell von Unfrieden innerhalb der Familie ein Dorn im Auge? gewesen (UA S. 143); auch als Familienoberhaupt habe es dem Angeklagten S. S. nicht zugestanden, sich in die Ehe seines jüngeren Bruders einzumischen. Dass der Angeklagte S. S., der als ?gut integrierter syrisch-orthodoxer Christ? zu charakterisieren sei (UA S. 133), dennoch sich als Familienoberhaupt die Entscheidung über das Leben der D., des Tatopfers, angemaßt habe, sei eine krasse Missachtung deren Lebensrechts; der Anlass stehe im krassen Missverhältnis zur Tat.

bb) Es ist bereits zweifelhaft, ob diese drei miteinander zusammenhängenden Motive auch in ihrer Gesamtheit mehr als die Eigenmächtigkeit ausmachen, die bereits vom Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB erfasst wird. Das Gewicht etwa eines ?Ehrenmords? (dazu nur BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05 Rn. 36, BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 46), welchen das Landgericht in der Tötung zurecht nicht gesehen hat, kommt ihnen nicht zu.

Jedenfalls ist die vom Landgericht angenommene Motivlage durch die Beweiswürdigung nicht tragfähig belegt. Es hat aus einem körperlichen Übergriff auf D. vom 24. Oktober 2015 und dem Alltagsgeschehen geschlossen, dass der Angeklagte S. S. als Familienoberhaupt über D. Tod entschieden habe. Dies erschöpft sich aber in einer bloßen Spekulation und reicht als Tatsachenfundierung nicht aus. Denn ungeachtet seiner vielleicht ansonsten dominanten Stellung liegt es nicht fern, dass S. S. der Tötungsabsicht seines mitangeklagten Bruders, der dessen von diesem in eine abseits gelegene Festhalle gelockte Ehefrau mit einem Kabelbinder von hinten erdrosselte, nur beigetreten ist. Das Landgericht hat im unmittelbaren Vorfeld der Tötung am 23. August 2017 für ein Übergewicht des Angeklagten S. S. bei Verabredung und Planung des Mordes keine geeigneten Hilfstatsachen festgestellt. Den weiteren Inhalt der Absprache zwischen dem Angeklagten E. S., der die Tathandlung ausführte, und dem Angeklagten S. S., der gemäß dem Tatplan (§ 25 Abs. 2 StGB) dafür gewichtige organisatorische Beiträge wie insbesondere das Zurverfügungstellen der Halle, die Vorbereitung zum Entsorgen des Leichnams sowie die Aufnahme der Neffen und Nichte während der Tatzeit in dessen Haus leistete und eingriffsbereit seinem Bruder beim Angriff zur Seite stand, hat das Landgericht nicht aufzuklären vermocht. Damit bleibt offen, von welchem der beiden Brüder die entscheidende Initiative zur Tötung D. ausging.

c) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang Feststellungen getroffen werden können, die das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe belegen könnten. Die Motivlage ist erschöpfend ausermittelt.

2. Dies zieht das Entfallen der Feststellung der besonderen Schuldschwere nach sich (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend). Es sind keine Umstände ersichtlich, die eine im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu begründende besondere Schuldschwere tragen könnten, zumal das Landgericht keine Beteiligung an der eigentlichen Tötungshandlung feststellen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2019 - 1 StR 238/19 Rn. 7; vom 18. Oktober 2018 - 3 StR 408/18 Rn. 5 und vom 22. November 1994 - GSSt 2/94 Rn. 36, BGHSt 40, 360, 370; Urteile vom 22. Juni 2016 - 5 StR 524/15 Rn. 9, BGHSt 61, 193, 195 f.; vom 2. März 1995 - 1 StR 595/94 Rn. 28, BGHSt 41, 57, 62 und vom 18. Juni 2014 - 5 StR 60/14 Rn. 8, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 29).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 348

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 142

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede