hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 9

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 422/18, Beschluss v. 24.10.2018, HRRS 2019 Nr. 9


BGH 1 StR 422/18 - Beschluss vom 24. Oktober 2018 (LG Traunstein)

Mord aus niedrigen Beweggründen; Tatmehrheit (nacheinander folgender Angriff auf einzelne Menschen, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen: grundsätzliche Annahme von Tatmehrheit, Ausnahmen); Rücktritt vom Versuch (Freiwilligkeit: erforderliche Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters); Täter-Opfer-Ausgleich (erforderlicher kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer: Kommunikation über Verteidiger; erforderliche Feststellungen auch zur Stellung des Opfers zu den Ausgleichsbemühungen).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 46a StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, d.h. in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung können niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.

2. Entbehrt hingegen das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 177 Rn. 10 mwN). Auch die Tötung des Intimpartners, der sich vom Täter abwenden will oder abgewendet hat, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden. Gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 177 Rn. 10 mwN).

3. Der Feststellung, der Täter habe dem Opfer das Lebensrecht abgesprochen, es vernichten wollen und sich damit zur Selbstjustiz aufgeschwungen, kommt für sich allein kein über § 212 StGB hinausgehendes Gewicht zu. Hierdurch wird lediglich die Eigenmächtigkeit der vorsätzlichen Tötung umschrieben, nicht aber, wie es für das Mordmerkmal „aus niedrigen Beweggründen“ erforderlich wäre, ein besonderer Tötungsbeweggrund (vgl. BGH StV 2009, 524 Rn. 27). Der rechtswidrigen Tat nach § 212 StGB wohnt an sich schon ein unerträgliches Missverhältnis inne; daher wäre es, auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG und die absolute Rechtsfolge des § 211 StGB verfehlt, jede vorsätzliche Tötung, für welche sich kein nachvollziehbarer oder naheliegender Grund finden lässt, als Mord aus niedrigen Beweggründen anzusehen (vgl. BGH NStZ 2006, 166 Rn. 20).

4. In Fällen, in denen der Täter einzelne Menschen nacheinander angreift, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen, besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge als eine Tat zusammenzufassen.

5. Etwas anderes gilt dann, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene, es sei denn, es fehlt an dem verbindenden subjektiven Element, weil sich der Täter zu dem Angriff auf das weitere Opfer erst entschlossen hat, nachdem dieses für ihn überraschend hinzugekommen ist, als er bereits mit Tötungsvorsatz auf das erste Opfer einwirkte; der Angriff auf das zweite Opfer beruht dann auf einem selbständigen, aufgrund veränderter Tatsituation gefassten Entschluss, der die Wertung als einheitliches, zusammengehöriges Tun in der Regel nicht zulässt (vgl. BGH NStZ 2005, 262, 263).

6. Hält der Täter die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten, vorausgesetzt, der Täter wurde weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon und zwar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (vgl. BGH StV 2018, 715). Daher sind Feststellungen zum entsprechenden Vorstellungsbild des Angeklagten bei Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung, also im Moment seines Nichtweiterhandelns, zu treffen.

7. Bei der Prüfung eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a StGB muss das Urteil erkennen lassen, welche der Fallgruppen des § 46a StGB angenommen wird. Die vorrangig den Ausgleich immaterieller Tatfolgen betreffende Alternative des § 46a Nr. 1 StGB macht die Milderungsmöglichkeit davon abhängig, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Tatopfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel ernsthaft erstrebt hat. Das erfordert - in beiden Varianten - grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, im Rahmen dessen das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichteten Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Deshalb hat das Tatgericht regelmäßig auch Feststellungen dazu zu treffen, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat. Der kommunikative Prozess setzt keine persönliche Begegnung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa den Verteidiger, genügt (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 304) und wird bei schwerwiegenden Gewalt- insbesondere Sexualdelikten, vielfach als opferschonendes Vorgehen ratsam sein.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 6. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Passau zurückverwiesen.

Gründe

In einem ersten Rechtsgang wurde der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit rechtlich zusammentreffender gefährlicher Körperverletzung, versuchter Körperverletzung, Sachbeschädigung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 24. Oktober 2017 das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Das Landgericht hat den Angeklagten nun wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung rechtlich zusammentreffend mit Sachbeschädigung, in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung rechtlich zusammentreffend mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg hat (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte, ein Triebwagenführer bei der B. Bahn, begehrte nach dem Ende der Beziehung zu der späteren Geschädigten, einer Zugbegleiterin der B. Bahn, einen finanziellen Ausgleich in Höhe von 4.500 € für die von ihm finanzierte Mietwohnung der Geschädigten. Diese lehnte jegliche Zahlung ab.

Schließlich informierte der Angeklagte einen bei der D. Bahn beschäftigten Fahrdienstleiter über Fahrgeldunterschlagungen seiner ehemaligen Lebensgefährtin, weil dieser Ehefrau und Kinder verlassen wollte, um eine Beziehung mit der Geschädigten einzugehen. Der Angeklagte wurde deshalb von seinem Arbeitgeber wegen der Weitergabe von Betriebsinterna abgemahnt; für den Fall der erneuten Weitergabe von Betriebsinterna wurde ihm die Kündigung angedroht. Der Angeklagte war empört, weil er eine Abmahnung erhalten hatte, seiner Kenntnis nach seiner ehemaligen Lebensgefährtin aber trotz der Unterschlagungen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen drohten.

Der Angeklagte teilte ihr telefonisch mit, dass er wegen ihr und dem Fahrdienstleiter eine Abmahnung erhalten habe und forderte erneut das ausstehende Geld. Als ihm seine ehemalige Lebensgefährtin entgegnete, sie sei jetzt mit dem Fahrdienstleiter der D. Bahn zusammen, behauptete der Angeklagte, alle Leute in Be. wüssten von ihren Unterschlagungen. Daraufhin spiegelte sie ihm vor, sie habe dieses Telefonat aufgezeichnet.

Der Angeklagte befürchtete, er werde wegen des aufgezeichneten Telefonats über die erneute Weitergabe von Betriebsinterna die Kündigung erhalten. Er fuhr wutentbrannt zu ihrer Wohnung und trat die Wohnungstür ein. Nachdem die Geschädigte in den Garten geflüchtet war, warf sie der Angeklagte zu Boden und würgte sie mit beiden Händen am Hals. Die Geschädigte verlor das Bewusstsein. Den Zuruf der Zeugin Bu., loszulassen, beachtete der Angeklagte nicht. Nun schob und zog die Zeugin den Angeklagten von der Geschädigten herunter. Der Angeklagte forderte diese nun auf, wegzugehen, um seinen Angriff gegen die Geschädigte fortsetzen zu können. Als die Zeugin der Aufforderung nicht nachkam, stieß er sie in Richtung Hecke, packte die Geschädigte an den Haaren und schwang sie durch die Luft. Sie schlug auf dem Boden auf. Der Angeklagte setzte sich wieder auf ihren Oberkörper und würgte sie erneut. Die Zeugin stieß ihn von der Geschädigten herunter und rief um Hilfe. In diesem Augenblick erschien eine weitere Nachbarin auf dem Balkon im zweiten Stock des Anwesens und sah, dass der Angeklagte seitlich neben der am Boden liegenden Geschädigten stand. Sie rief: „Was soll das!“. Daraufhin schaute der Angeklagte zu ihr hoch. Nun rief sie: „Verschwinde oder ich hole die Polizei.“. Der Angeklagte hörte der Nachbarin auf dem Balkon kurz zu, ging einige Schritte in Richtung der sich mit Unterstützung der Zeugin Bu. entfernenden Geschädigten, drehte sich um und verließ ohne Hast den Garten.

Die Geschädigte erlitt u.a. eine Einblutung im Bereich des linken Taschenbandes am Kehlkopf. Am Hals waren bei der rechtsmedizinischen Untersuchung knapp neben dem Kehlkopf vergleichsweise „diskrete Male“ in Gestalt einer kleinen violetten Hautverfärbung von 0,5 cm im Durchmesser festzustellen. Die Lid- und Bindehäute waren frei von Punktblutungen. Ein Krankenhausaufenthalt war nicht erforderlich. Körperliche Beeinträchtigungen sind nicht verblieben.

In der Hauptverhandlung berief sich der Angeklagte hinsichtlich des Tatgeschehens im Garten bis zum Zeitpunkt der Rufe der Nachbarin vom Balkon auf eine Erinnerungslücke.

Die Strafkammer wertete das Geschehen als einen mit Tötungsvorsatz geführten Angriff auf die Geschädigte und schloss einen Rücktritt vom Tötungsversuch aus, da der Angeklagte die weitere Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben habe. Eine affektive Aufladung beim Angeklagten schloss sie - entgegen den Ausführungen des Sachverständigen - ebenfalls aus.

Die Strafkammer nahm das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe an, weil der Angeklagte der Geschädigten ihr Lebensrecht abgesprochen habe, sie habe vernichten wollen und sich zur Selbstjustiz aufgeschwungen habe. Er habe wegen des angeblich von ihr aufgezeichneten Telefonats den Verlust seiner beruflichen Existenz befürchtet, sie für seine arbeitsrechtliche und finanzielle Misere verantwortlich gemacht; es sei ihm unverständlich und ungerecht erschienen, dass ihre Unterschlagungen für sie keine Konsequenzen haben sollten, ihm aber wegen der Weitergabe von Informationen an den Fahrdienstleiter, den er als Kollegen und nicht als Betriebsfremden angesehen hatte, eine Abmahnung ausgesprochen worden war.

Die Voraussetzungen für einen Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB) hat die Strafkammer verneint. Zwar habe der Angeklagte mit der Geschädigten einen Vergleich abgeschlossen, dieser sei aber bisher unerfüllt geblieben. Seine Entschuldigungen bei der Geschädigten „in beiden Hauptverhandlungen“ habe sie nicht angenommen. Damit habe es neben der ehrlichen und eindeutigen Anerkennung der Opferrolle der Geschädigten auch an einem kommunikativen Prozess gefehlt.

II.

Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand, da die Feststellung eines Tötungsvorsatzes des Angeklagten nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, die Prüfung eines freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch mit Rechtsfehlern behaftet ist, die Urteilsfeststellungen einen freiwilligen Rücktritt nicht ausschließen und die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt, von den von der Strafkammer in die Gesamtwürdigung eingestellten Bewertungsfaktoren nicht getragen wird.

1. Die Feststellungen des Landgerichts zum Tötungsvorsatz beruhen auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.

Eine rechtlich fehlerfreie Beweiswürdigung erfordert die sorgfältige Abwägung aller für und gegen einen Tötungsvorsatz sprechenden Umstände im Rahmen einer Gesamtschau. Dieser kommt im konkreten Fall eine umso größere Bedeutung zu, weil der Angeklagte einen Tötungsvorsatz nicht eingeräumt hat, sondern sich dahingehend eingelassen hat, er habe die Geschädigte aufgesucht, um von ihr die Löschung des Telefonats zu verlangen, könne sich aber an das eigentliche Tatgeschehen im Garten bis zu dem Zeitpunkt der Rufe vom Balkon nicht erinnern.

Die Strafkammer aber hat das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes lediglich behauptet, ohne eine erschöpfende Gesamtwürdigung sämtlicher objektiver und subjektiver, für und gegen den Angeklagten sprechender Umstände durchzuführen, einschließlich solcher, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, also rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Insbesondere schöpft die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht aus. Sie erörtert vorsatzkritische Faktoren nicht (vgl. hierzu zum [bedingten] Tötungsvorsatz, BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17 Rn. 14). Hierzu gehören neben den Äußerungen des Angeklagten gegenüber seinem Arbeitskollegen vor der Tat, seinem psychischen Zustand zum Tatzeitpunkt, auch soweit er sich auf die Kognitionsfähigkeit im Hinblick auf eine eventuelle Lebensgefahr ausgewirkt haben kann, der Tatmotivation, auch die tatsächlich eingetretenen Verletzungen, die keinen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten. Trotz des nach den Feststellungen lange andauernden Würgevorgangs mit Bewusstlosigkeit der Geschädigten waren außer einer von der Zeugin E. unmittelbar nach dem Würgevorgang wahrgenommenen Rötung am Hals der Geschädigten und einem durch den rechtsmedizinischen Sachverständigen festgestellten vergleichsweise „diskreten Mal“ am Hals knapp neben dem Kehlkopf in Gestalt einer kleinen violetten Hautverfärbung von 0,5 cm keine sonstigen Verletzungen in diesem Bereich ersichtlich; insoweit führte der rechtsmedizinische Sachverständige aus, je diskreter die Male sich darstellten, desto weniger sei auf ein Kampfgeschehen zu schließen.

2. Die Urteilsfeststellungen schließen auch einen (freiwilligen) Rücktritt des Angeklagten vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts nicht rechtsfehlerfrei aus.

Hält der Täter die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten, vorausgesetzt, der Täter wurde weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon und zwar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (vgl. hierzu z.B. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2017 - 1 StR 393/17, StV 2018, 715 und vom 23. Januar 2018 - 3 StR 451/17, StV 2018, 717). Daher sind Feststellungen zum entsprechenden Vorstellungsbild des Angeklagten bei Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung, also im Moment seines Nichtweiterhandelns, zu treffen.

Die Strafkammer knüpft bereits an den falschen Zeitpunkt zur Prüfung des Rücktrittshorizonts an. Die letzte vom Angeklagten abgeschlossene Ausführungshandlung war der Würgevorgang, nach dessen Abbruch er neben der Geschädigten stehenblieb und zu der ihn ansprechenden Zeugin E. hochsah und nicht - wovon die Strafkammer ausgegangen ist - der Zeitpunkt, indem er danach einige Schritte in Richtung der sich mit der Zeugin Bu. entfernenden Geschädigten ging. Es lag nicht auf der Hand, dass sich der Angeklagte in dieser Situation gehindert sah, den Tod des Opfers noch herbeizuführen. Er hatte eine Ausbildung im Boxen und war Träger des Schwarzen Gürtels in einer asiatischen Kampfsportart. Die Nachbarin Bu. hatte ihn bis dahin nicht an weiteren Angriffen auf die Geschädigte hindern können. Die Bewohnerinnen des zweiten und dritten Stockwerks hatten aufgrund der Entfernung keine Möglichkeit, aktiv in das Geschehen einzugreifen. Die Polizei war noch nicht am Tatort erschienen. Der Angeklagte hatte zudem nach den Feststellungen der Strafkammer zumindest einmal seine Vorgehensweise gewechselt und hat sich letztendlich nicht in schneller Flucht, sondern langsam gehend vom Tatort entfernt. Der Ausschluss einer möglichen Tataufgabe aus selbstgesetzten Motiven ist damit nicht belegt.

3. Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, d.h. in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung können niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind. Entbehrt hingegen das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren (BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - 1 StR 351/17, NStZ-RR 2018, 177 Rn. 10 mwN). Auch die Tötung des Intimpartners, der sich vom Täter abwenden will oder abgewendet hat, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden (siehe nur BGH, Urteil vom 25. Juli 2006 - 5 StR 97/06, NStZ-RR 2006, 340, 342). Gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden (BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - 1 StR 351/17, NStZ-RR 2018, 177 Rn. 10 mwN).

Der Feststellung, der Täter habe dem Opfer das Lebensrecht abgesprochen, es vernichten wollen und sich damit zur Selbstjustiz aufgeschwungen, kommt für sich allein kein über § 212 StGB hinausgehendes Gewicht zu. Hierdurch wird lediglich die Eigenmächtigkeit der vorsätzlichen Tötung umschrieben, nicht aber, wie es für das Mordmerkmal „aus niedrigen Beweggründen“ erforderlich wäre, ein besonderer Tötungsbeweggrund (BGH, Beschlüsse vom 30. August 2018 - 5 StR 411/18, juris Rn. 4 mwN und vom 3. April 2008 - 5 StR 525/07, StV 2009, 524 Rn. 27). Der rechtswidrigen Tat nach § 212 StGB wohnt an sich schon ein unerträgliches Missverhältnis inne; daher wäre es, auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG und die absolute Rechtsfolge des § 211 StGB verfehlt, jede vorsätzliche Tötung, für welche sich kein nachvollziehbarer oder naheliegender Grund finden lässt, als Mord aus niedrigen Beweggründen anzusehen (BGH, Urteil vom 9. November 2005 - 1 StR 234/05, NStZ 2006, 166 Rn. 20).

Daran gemessen trägt die Gesamtschau der vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu der handlungsleitenden Wut des Angeklagten die Annahme niedriger Beweggründe nicht.

4. Diese Rechtsfehler bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes sowie eines möglichen Rücktritts vom Versuch sowie des Mordmerkmals führen zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen des versuchten Tötungsdelikts. Der Senat hat wegen des eng zusammenhängenden Tatgeschehens auch die weiteren Schuldsprüche mit sämtlichen Feststellungen aufgehoben, um es dem neuen Tatrichter zu ermöglichen, insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. In Fällen, in denen der Täter einzelne Menschen nacheinander angreift, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen, besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge als eine Tat zusammenzufassen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 22. August 2018 - 3 StR 59/18, juris Rn. 6 mwN).

Etwas anderes gilt dann, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene, es sei denn, es fehlt an dem verbindenden subjektiven Element, weil sich der Täter zu dem Angriff auf das weitere Opfer erst entschlossen hat, nachdem dieses für ihn überraschend hinzugekommen ist, als er bereits mit Tötungsvorsatz auf das erste Opfer einwirkte (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 4 StR 268/04, NStZ 2005, 262, 263); der Angriff auf das zweite Opfer beruht dann auf einem selbständigen, aufgrund veränderter Tatsituation gefassten Entschluss, der die Wertung als einheitliches, zusammengehöriges Tun in der Regel nicht zulässt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2018 - 3 StR 59/18, juris Rn. 6 mwN; Urteil vom 28. Oktober 2004 - 4 StR 268/04, NStZ 2005, 262, 263).

Bei dieser Abgrenzung wird im konkreten Fall zu berücksichtigen sein, dass die Zeugin Bu. für den Angeklagten zwar zunächst überraschend eingriff, sich der Angeklagte von ihrem Erscheinen aber nicht von seinem Einwirken auf die Geschädigte abhalten ließ und seinen Angriff auf sie fortsetzte.

2. Bei der Prüfung eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a StGB muss das Urteil erkennen lassen, welche der Fallgruppen des § 46a StGB angenommen wird. Die vorrangig den Ausgleich immaterieller Tatfolgen betreffende Alternative des § 46a Nr. 1 StGB macht die Milderungsmöglichkeit davon abhängig, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Tatopfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel ernsthaft erstrebt hat. Das erfordert - in beiden Varianten - grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, im Rahmen dessen das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichteten Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (BGH, Urteil vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17, StRR 2018, Nr. 4, 16 Rn. 13 mwN).

Deshalb hat das Tatgericht regelmäßig auch Feststellungen dazu zu treffen, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat (BGH, Urteil vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17, StRR 2018, Nr. 4, 16 Rn. 15 mwN). Angesichts des von der Geschädigten mit dem Angeklagten abgeschlossenen umfassenden Vergleichs und den nur geringfügigen körperlichen Verletzungen durch das Tatgeschehen liegt allerdings fern, dass sie die hohen Schmerzensgeldzahlungen und sonstigen finanziellen Leistungen des Angeklagten nicht als „friedensstiftenden Ausgleich“ akzeptiert haben könnte. Mit ihrem späteren, die Entschuldigung des Angeklagten ablehnenden Verhalten in der Hauptverhandlung könnte sie sich daher mit ihrem früherem Verhalten in Widerspruch gesetzt haben; einen bereits eingetretenen friedensstiftenden Ausgleich könnte dies nicht mehr beseitigen.

Der kommunikative Prozess setzt auch keine persönliche Begegnung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa den Verteidiger, genügt (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 1 StR 266/14, NStZ-RR 2014, 304; Urteil vom 7. Dezember 2005 - 1 StR 287/05, NStZ 2006, 275 Rn. 9) und wird bei schwerwiegenden Gewalt- insbesondere Sexualdelikten, vielfach als opferschonendes Vorgehen ratsam sein (BGH, Urteil vom 24. August 2017 - 3 StR 233/17, StRR 2018, Nr. 4, 16 Rn. 15 mwN).

Die Annahme des Landgerichts, es habe kein kommunikativer Prozess zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten stattgefunden, steht deshalb in Widerspruch zu dem im Urteil mitgeteilten umfassenden Vergleich vom 14. März 2017. Darin hat sich der Angeklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 € zuzüglich Zinsen und zum Ersatz sämtlicher zukünftiger materieller und immaterieller Schäden aus der verfahrensgegenständlichen Straftat sowie zur Übernahme sämtlicher Kosten des Adhäsionsverfahrens und des Vergleichs verpflichtet und auf sämtliche Ansprüche seinerseits gegen die Geschädigte und die Einrede der Verjährung hinsichtlich Zinsen und Kosten verzichtet.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Verzicht des Angeklagten auf eigene Ansprüche in Höhe von 4.500 € gegen die Geschädigte eine Teilleistung im Rahmen des abgeschlossenen Täter-Opfer-Ausgleichs darstellt. Dem Angeklagten kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er keine (weiteren) Zahlungen erbracht hat, denn er befindet sich derzeit in Haft und hat infolge des Verlusts seiner Arbeitsstelle keine finanziellen Mittel zur Verfügung, weshalb in den Vergleich ein Vollstreckungsverzicht bis drei Monate nach Entlassung des Angeklagten aus der Haft aufgenommen worden ist.

Soweit die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt, dass sich das Verhalten des Täters als Ausdruck der Übernahme von Verantwortung darstellt (vgl. etwa BGH, Urteile vom 25. Mai 2001 - 2 StR 78/01, NJW 2001, 2557 und vom 23. Dezember 2015 - 2 StR 307/15, juris Rn. 20), steht dem nicht entgegen, dass der Angeklagte eine Erinnerungslücke für das eigentliche Tatgeschehen im Garten geltend gemacht und damit den Tatvorwurf nicht vollumfänglich eingeräumt hat. Dies schließt hier eine Verantwortungsübernahme für die Tat nicht aus. Der Angeklagte hat das objektive Tatgeschehen eingeräumt und die „Opfer-Position“ der Geschädigten nicht bestritten.

3. Im Hinblick auf den Umstand, dass inzwischen mehrere, auch inhaltlich hinsichtlich des Tatablaufs differierende Aussagen der Geschädigten vorliegen, die Geschädigte die Zeugin Bu. für die Verleihung eines Preises der Sendung Aktenzeichen XY für ihr mutiges Einschreiten vorgeschlagen hat, sie in Gegenwart der Zeugin Bu. Mitarbeitern des Fernsehteams das Tatgeschehen geschildert hat, das ihren Angaben nach jedoch mit einem anderen Tatablauf gesendet worden ist, wird sich die neue Strafkammer im Einzelnen auch mit den Aussageinhalten und der Aussagekonstanz der Zeuginnen zu befassen haben.

IV.

Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 9

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 204

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede