hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, GSSt 2/94, Beschluss v. 22.11.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH GSSt 2/94 - Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 22. November 1994

BGHSt 40, 360; Feststellung der besonderen Schwere der Schuld nach StGB § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (Umstände von Gewicht; Entscheidung auf Grund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit).

§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB

Leitsatz des Großen Senats für Strafsachen

Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld nach StGB § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 verlangt Umstände von Gewicht. Der Tatrichter hat seine Entscheidung auf Grund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu treffen. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld nach § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verlangt Umstände von Gewicht. Der Tatrichter hat seine Entscheidung auf Grund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu treffen.

Gründe

I. 1. Der 1. Strafsenat hat gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG dem Großen Senat für Strafsachen folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt (Beschl. vom 13. Juni 1994 - 1 StR 504/93 - NStZ 1994, 540):

"Ist eine besondere Schwere der Schuld im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB schon anzunehmen, wenn das für die lebenslange Freiheitsstrafe beim Mord vorausgesetzte Mindestmaß an Schuld deutlich überschritten ist?"

Folgender Sachverhalt liegt zugrunde:

Der Angeklagte M. hatte das spätere Tatopfer, den 54 Jahre alten Klaus B., im Juni 1991 kennengelernt. Es kam in der Folge zu zahlreichen geschlechtlichen Kontakten, für die der Angeklagte jeweils Geld erhielt. Er bemerkte, daß B. erhebliche Geldbeträge und wertvolle Gebrauchsgegenstände in seiner Wohnung aufbewahrte. Da der Angeklagte weder über Geld noch über gültige Papiere verfügte und zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert worden war, reifte in ihm der Plan, B. zu berauben. Er besprach mit dem Mitangeklagten V., den er zur Teilnahme gewinnen konnte, die näheren Tatmodalitäten. Das Opfer sollte durch eine mitgeführte Gaspistole 9 mm, bei welcher das Gas durch den Lauf austritt, eingeschüchtert, mit Handschellen gefesselt und mittels eines Klebebandes geknebelt werden. Bei Gegenwehr sollte das Opfer durch Schläge benommen gemacht werden.

Am 2. November 1991 gegen 18.30 Uhr begaben sich die beiden Angeklagten zur Wohnung B.'s, wo sie eingelassen wurden. Sie aßen mit B. zu Abend. Gegen 22.15 Uhr trat der Angeklagte V. mit vorgehaltener Pistole auf B. zu und forderte ihn auf, die Hände hoch zu nehmen. Gleichzeitig ergriff der Angeklagte M. ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 26,5 cm und führte dieses mit einer schnellen Bewegung zur Brust des Opfers. Hierbei stach er ihm etwa ein bis zwei Zentimeter tief in die Brust. Als B. versuchte, um Hilfe zu rufen, versetzte der Angeklagte M. ihm mit der Faust einen Schlag gegen den Mund, wodurch der Getroffene zu Boden stürzte. Als beide Angeklagten erkannten, daß ihr Opfer durch Bedrohung und bloße Faustschläge nicht einzuschüchtern war, versetzte V. ihm unter Einsatz seiner ganzen Körperkraft mit der Gaspistole einen Hieb auf die linke Kopfseite, wobei diese durch das herausstehende metallene Magazin getroffen wurde. V. erkannte dabei, daß das Opfer hierdurch auch tödlich verletzt werden könne, nahm das jedoch billigend in Kauf, da es ihm darauf ankam, in den Besitz der stehlenswerten Gegenstände zu gelangen. Auch M. hielt diese Vorgehensweise für erforderlich und war aus den gleichen Gründen damit einverstanden. Wider Erwarten verlor B. jedoch nicht das Bewußtsein. Beide Angeklagten stürzten sich sodann auf ihn, drehten ihn mit dem Oberkörper zur Couch, und V. schlug ihm die Pistole mindestens zwei bis dreimal auf den Kopf, wobei er gleichzeitig mit der anderen Hand den Kopf des Opfers in die Polsterkissen drückte. Währenddessen versuchte M., dem Opfer die Handschellen anzulegen, und hielt es fest, so daß Gegenwehr ausgeschlossen war. Beide Angeklagten erkannten auch hierbei, daß diese Schläge tödlich sein könnten, und nahmen diese Folge billigend in Kauf. Sodann wurde das Opfer gefesselt. Beim Versuch, ihn zu knebeln, schrie B. um Hilfe, worauf der Angeklagte V. nochmals mindestens dreimal mit aller Wucht die Pistole gegen seinen Hinterkopf schlug.

Daraufhin gab B. kein Lebenszeichen mehr von sich, und die Angeklagten begannen, sich der Wertgegenstände zu bemächtigen. Als sich M. vom Opfer entfernt hatte, um die Wohnung zu durchsuchen, ergriff V. das Küchenmesser und stieß es dem auf dem Bauch liegenden B. zweimal tief in den Rücken, um den Tod sicherzustellen. Er beabsichtigte dabei, die drohende Gefahr der Identifizierung auszuschließen. Sodann durchsuchten beide Angeklagten die Wohnung und entwendeten zahlreiche Wert- und Gebrauchsgegenstände sowie den Kraftwagen des Opfers im Gesamtwert von mindestens 30.000 DM.

Das Tatopfer hatte durch die Schläge mit der Gaspistole Schädelbasis- und Schädeldachbrüche mit schweren Hirnquetschungen an beiden Stirnlappen, am linken Schläfenlappen und am linken Kleinhirnlappen erlitten. Aufgrund dieser Verletzung trat infolge zentraler Lähmung der Tod ein, noch bevor die Stichverletzungen gesetzt wurden. Trotz alkoholischer Enthemmung lag bei beiden Angeklagten keine relevante Minderung der Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat vor.

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit gemeinschaftlichem schweren Raub je zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Es hat dann im Hinblick auf § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB die zu Gunsten und zu Lasten der Angeklagten sprechenden Umstände gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, "daß die erschwerenden Gesichtspunkte erheblich überwiegen und bei beiden Angeklagten die Schuld besonders schwer wiegt".

Ob es bei seiner Entscheidung von einem "Mindestmaß an Schuld" oder von welchem Maßstab es sonst ausgeht, hat das Landgericht nicht erwähnt.

2. Der vorlegende Senat will die Revisionen der Angeklagten - entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - verwerfen. Nach Auffassung des Senats ist die Feststellung besonders schwerer Schuld durch das Landgericht nicht rechtsfehlerhaft, weil beide Angeklagten jedenfalls das für die lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord vorausgesetzte Mindestmaß an Schuld deutlich überschritten hätten. Nach Auffassung des vorlegenden Senats genügt das; er hatte diese Meinung schon in dem Urteil vom 5. Januar 1993 - 1 StR 785/92 - vertreten.

So zu entscheiden, sieht sich der vorlegende Senat gehindert durch die Rechtsprechung des 4. Strafsenats. Dieser hat in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, die Schuld des Täters wiege im Sinne des § 57 a StGB nur dann besonders schwer, wenn das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen so sehr abweicht, daß eine Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei günstiger Prognose unangemessen wäre (Urteil vom 21. Januar 1993 - 4 StR 560/92 - NStZ 1993, 235; Beschlüsse vom 4. Mai 1993 - 4 StR 468/93 - und vom 14. Juni 1993 - 4 StR 304/93). Dieser Rechtsprechung haben sich der 2. Strafsenat (Beschluß vom 11. August 1993 - 2 StR 384/93), der 3. Strafsenat (Beschluß vom 14. Mai 1993 - StB 10/93) und der 5. Strafsenat (Beschluß vom 16. Februar 1993 - 5 StR 716/92) angeschlossen, wobei letzterer von dem Maß der Schuld spricht, der mit dem Mordtatbestand üblicherweise verbunden ist. Die genannte Entscheidung des 2. Strafsenats beruhte allerdings nicht auf der hier zu entscheidenden Rechtsfrage (Beschluß vom 19. Januar 1994 - 2 ARs 399/93).

Der 1. Strafsenat vermag nicht auszuschließen, daß die anderen Senate, ausgehend von ihrer Rechtsmeinung, im hier zu entscheidenden Fall die Entscheidung des Landgerichts für rechtsfehlerhaft halten könnten.

Außerdem mißt der 1. Strafsenat der streitigen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung bei (§ 132 Abs. 4 GVG).

Zur Begründung seiner Auffassung führt der 1. Strafsenat an, das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 3. Juni 1992 (BVerfGE 86, 288) nicht bindend ausgesprochen, die Rechtsfigur des besonders schweren Falles sei maßgebliches Kriterium für die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld im Sinne von § 57 a StGB. Dazu eigne sich diese Rechtsfigur auch nicht; schon Gründe der Systematik stünden entgegen.

Entscheidend sei vielmehr, daß die lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord zwar auf ganz unterschiedliches Schuldmaß gegründet sein kann, dennoch aber schon bei Mordtaten an der unteren Grenze dieser Schuld (abgesehen von den in BGHSt 30, 105 genannten Fällen) eine Vollstreckung von 15 Jahren unumgänglich ist. Eine Verlängerung der Vollstreckung wegen besonderer Schuldschwere müsse sich daher an dem Mindestmaß an Schuld orientieren. Auch den Gesetzesmaterialien sei zu entnehmen, daß die in § 57 a StGB genannte Zeitspanne von 15 Jahren nicht Regel-, sondern Mindestverbüßungszeit sein sollte.

II. Auf Anfrage des 1. Strafsenats hat der 2. Strafsenat sich dahin geäußert, er halte eine formelhafte, abstrakte Umschreibung für untauglich, die besondere Schwere der Schuld sachgerecht zu bestimmen. Die Anfrage des 1. und die Stellungnahme des 4. Strafsenats zeigten vielmehr, daß jede dieser Auslegungsformeln bei demselben Sachverhalt sowohl zu dem einen wie zu dem anderen Ergebnis führen könne. Für die Bewertung der besonderen Schuldschwere komme es darauf an, die allgemein anerkannten Grundsätze des Strafzumessungsrechts anzuwenden. Eine umfassende Gesamtwürdigung der schuldrelevanten Umstände sei entscheidend, nicht aber die Frage, ob Mindest- oder Regelschuld zum Ausgangspunkt genommen würden, zumal beide gleichermaßen schwer festzustellen seien (Beschl. vom 19. Januar 1994 - 2 ARs 399/93).

Der 3. Strafsenat hält daran fest, an das "Normalmaß", nicht an das "Mindestmaß" anzuknüpfen (Beschl. vom 29. Dezember 1993 - 3 ARs 40/93 - NStE Nr. 15 zu § 57 a StGB), der 5. Strafsenat stellt darauf ab, ob das Maß an Schuld, das mit dem Mordtatbestand üblicherweise verbunden ist, deutlich überschritten wird (Beschl. vom 7. Dezember 1993 - 5 ARs 65/93 - GA 1994, 531). Der 4. Strafsenat vertritt weiterhin die Auffassung, besondere Schuldschwere liege vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen so sehr abweicht, daß eine Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei günstiger Täterprognose unangemessen wäre (Beschl. vom 30. November 1993 - 4 ARs 27/93).

III. Der Generalbundesanwalt befürwortet weder die Meinung des 1. (vorlegenden) noch des 4. Strafsenats; vorzuziehen sei vielmehr die Auffassung des 2. Strafsenats. Von jeglicher Kategorisierung nach bestimmten Fixpunkten sei abzuraten. Auch die "Mindestschuld" sei nicht mit hinlänglicher Sicherheit bestimmbar. Erforderlich sei vielmehr eine Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände nach den allgemeinen Regeln der Strafzumessung. Aufgabe des erkennenden Gerichts sei es, in zeitlicher Nähe zur Tat die Feststellungen der zur Gesamtwürdigung erforderlichen Grundlagen zu treffen und ihre Gewichtung vorzunehmen. Eines Rückgriffs auf Vergleichsfälle, den minder schweren, den Normal- oder den besonders schweren Fall bedürfe es zu einer sachgerechten und auch systemkonformen Entscheidung nicht. Der Generalbundesanwalt beantragt zu beschließen:

"Für die Bewertung, ob eine besondere Schwere der Schuld im Sinne des § 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB anzunehmen ist, kommt es auf eine Gesamtwürdigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden schuldrelevanten Umstände an, nicht jedoch darauf, ob Mindest- oder Regelschuld zum Ausgangspunkt der Bewertung genommen werden."

IV. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben.

1. Zwar könnte es fraglich sein, ob die Vorlegung nach § 132 Abs. 2 GVG zulässig ist. Der 4. Strafsenat ist nämlich der Ansicht, daß dem Revisionsgericht eine sachliche Richtigkeitskontrolle der vom Tatrichter vorgenommenen Beurteilung, ob eine besondere Schuldschwere gegeben ist, versagt sei und das Revisionsgericht seine Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen dürfe; vielmehr sei vom Revisionsgericht nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht habe (Urt. vom 22. April 1993 - 4 StR 153/93 - NJW 1993, 1999, 2000, insoweit in BGHSt 39, 208 nicht abgedruckt). Daß der Tatrichter bei seiner Feststellung der besonderen Schuldschwere im vorliegenden Fall maßgebliche Umstände nicht berücksichtigt oder vorliegende Umstände rechtsfehlerhaft gewertet hat, ist dem Vorlegungsbeschluß des 1. Strafsenats nicht zu entnehmen. Es erscheint daher nicht fernliegend, daß auch nach der Auffassung des 4. Strafsenats auf Grund der von ihm in der Entscheidung BGHSt 39, 121, 125 bezeichneten Kriterien hier die Revisionen der Angeklagten zu verwerfen wären.

2. Der 1. Strafsenat hat die Vorlegung aber auch auf § 132 Abs. 4 GVG gestützt. Die gleichzeitige Vorlegung nach Absatz 2 und Absatz 4 des § 132 GVG ist zulässig, weil der Große Senat in beiden Fällen (im Gegensatz zur früheren Rechtslage nach § 132 Abs. 5 aF GVG) gleich besetzt ist. Die Frage, wie die Tatgerichte die besondere Schwere der Schuld im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB werten, ist von erheblichem praktischen Gewicht.

V. Der Große Senat teilt weder die Auffassung des 1. Strafsenats noch die der anderen Strafsenate.

1. Bewertet der Tatrichter eine begangene Straftat als Mord, hat er im Grundsatz zwingend lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen. Die Rechtsfolgenentscheidung ist damit getroffen; sie ist zu vollstrecken. Für Strafzumessungserwägungen bleibt kein Raum. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) ist systematisch kein Teil der Entscheidung zu Schuld- und Strafausspruch. Sie ist vielmehr eine Entscheidung für das Vollstreckungsverfahren, die das Bundesverfassungsgericht aus diesem herausgelöst und dem Tatrichter übertragen hat (BGHSt 39, 208). Sie dient nicht der Bemessung der Sanktion, sondern der Vorbereitung einer Entscheidung über die Aussetzung ihrer weiteren Vollstreckung.

Diese Entscheidung obliegt dem Vollstreckungsrichter; er hat - neben den sonstigen Voraussetzungen - zu prüfen, ob die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Vollstreckungsrichter diese Entscheidung nicht abgenommen. Nur um sie vorzubereiten, hat der Tatrichter schon im Urteil die Umstände aufzuführen, die eine Beurteilung der Schuldschwere ermöglichen; er hat diese Umstände abzuwägen, zu gewichten und danach zu entscheiden, ob die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt. Bejaht der Tatrichter das, so ist damit weder eine Aussage getroffen, ob später die Strafe länger als 15 Jahre vollstreckt noch - falls der Vollstreckungsrichter längere Vollstreckung für geboten erachtet -, wie lange die weitere Verbüßung dauern wird. Die Tätigkeit des Tatrichters beschränkt sich darauf, dem Vollstreckungsrichter die Anordnung längerer Vollstreckung aus dem Grund besonderer Schuldschwere zu ermöglichen, und sie liefert ihm, wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, die Grundlage, die er braucht, um die Verlängerung der Vollstreckung unter diesem Gesichtspunkt zeitlich zu bestimmen (vgl. BVerfGE 86, 288, 331).

2. Das Gesetz bietet über den Wortlaut des § 57 a StGB hinaus keinen weiteren Anhaltspunkt für eine Entscheidung dieses Inhalts. Das Bundesverfassungsgericht verweist auf die Regeln, welche der Richter bei der Bemessung der Strafe anwendet. Doch kann es sich nur um eine entsprechende Anwendung handeln (vgl. auch BVerfGE 86, 288, 313: "entsprechend § 46 StGB").

Zum einen weicht die Struktur des Erkenntnisvorgangs bei der hier zu treffenden Feststellung nach § 57 a StGB notwendigerweise vom üblichen Strafzumessungsakt ab. Bei Mord verwehrt das Gesetz dem Richter grundsätzlich Schuldabwägung und Strafzumessung. Vielmehr führt die Schuld eines solchen Täters zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Wäre sie nicht schuldangemessen, dürfte sie nicht verhängt werden.

Zum andern haftet der Feststellung besonders schwerer Schuld durch den Tatrichter die Besonderheit an, daß sie - anders als jede Strafzumessung - zu keinem zahlenmäßig bestimmten Ergebnis führt. Ob, gegebenenfalls in welchem Ausmaß der Vollstreckungsrichter später eine Fortsetzung der Vollstreckung über 15 Jahre hinaus anordnet, ist seine Entscheidung.

3. Auch Wortsinn, Regelungszusammenhang und Entstehungsgeschichte der Vorschrift lassen keine eindeutige Bewertung, ob und wenn ja, von welchem Fixpunkt bei der Feststellung der besonderen Schuldschwere auszugehen sei. Die unterschiedlichen Standpunkte in der Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Frankfurt NStZ 1987, 329; OLG Karlsruhe NStZ 1983, 74, 75; JR 1988, 163, 164 einerseits, OLG Celle StV 1983, 156; OLG Nürnberg NStZ 1982, 509; 1983, 319 andererseits) sind weitgehend mit Gesetzeswortlaut und Entstehungsgeschichte begründet worden; ein übereinstimmendes Ergebnis wurde nicht erzielt (siehe auch die weiteren Nachweise bei Mysegades, Zur Problematik der Strafaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe, 1988, S. 93 ff.; Revel, Anwendungsprobleme der Schuldschwereklausel des § 57 a StGB, 1988, S. 53 ff.)

Unter diesen Umständen ist bei der Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB auf Schulddifferenzen und Abstufungen der Verwerfbarkeit im Rahmen der Schuldangemessenheit bei Taten höchster Strafwürdigkeit abzustellen.

Zwar sieht der 4. Strafsenat einen Bezugspunkt in dem Schuldmaß, das den "erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen" zugrundeliegt, der 3. und 5. Strafsenat knüpfen an das "Normalmaß", das "übliche" Schuldmaß an, der 1. Strafsenat möchte das bei Mord vorausgesetzte "Mindestmaß" an Schuld zum Ausgangspunkt der Bewertung nehmen.

a) Die von der Mehrheit der Strafsenate gewählten Bezugspunkte sind - zumindest überwiegend - normativer Natur. Für sie gilt, was der Große Senat für Strafsachen in dem Beschluß vom 10. April 1987 - GSSt 1/86 - (BGHSt 34, 345) ausgeführt hat, daß nämlich der Tatrichter bei der Bewertung zumessungserheblicher Umstände von einem normativen Normalfall nicht ausgehen kann und überhaupt in diesem Zusammenhang "der Gesetzgeber von jedem Schematismus ... weit entfernt ist" (BGH aaO S. 351). Maßgebend sei die Abwägung im Einzelfall.

b) Auch empirisch läßt sich ein Bezugspunkt nicht gewinnen. Die "normale", die "übliche" Mordtat läßt sich ebensowenig bestimmen wie die Mordtat mit Mindestschuldgehalt. Die von der Kriminologie herausgearbeiteten Erscheinungsformen der Tötungsdelikte (etwa: Tötung des Partners; Tötung aus Gründen der Selbstbegünstigung) entsprechen nicht strafrechtlichen Schuldschweregesichtspunkten. Die in § 211 Abs. 2 StGB aufgeführten Merkmale sind durchaus verschiedener Natur. Sie als solche in eine Werteskala größerer oder geringerer Schuld einzusetzen, ist ausgeschlossen. Ebenso erfaßt das einzelne Mordmerkmal Taten ganz verschiedenen Gewichts. Die Vielgestaltigkeit der Tatsituationen und der sie begleitenden Umstände, der zur Tat führenden Beweggründe und der Täterpersönlichkeiten macht es gleichermaßen unmöglich, einen "Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle" zu ermitteln wie einen Mordfall mit "Mindestschuld" zu postulieren. Beide Begriffe würden, auch wenn sie in die richterliche Praxis eingingen, zur besseren Rechtsfindung nichts beitragen, weil darüber, wie sie richtig auszufüllen wären, keine Übereinstimmung hergestellt werden könnte.

c) Die Stellungnahmen der Strafsenate zum Vorlagefall zeigen, daß jede der Formeln einen breiten Beurteilungsspielraum ließe, der kein erhöhtes Maß an Berechenbarkeit und gleichmäßiger Rechtsanwendung gewährleistete, sondern es weithin zuließe, das für richtig erachtete Ergebnis mit der einen oder der anderen Formel zu begründen. Wann die "Mindestschuld" deutlich überschritten ist, entzieht sich begrifflicher Eingrenzung. Entsprechendes gilt für den Ansatzpunkt der "erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden" Mordfälle; denn anders als sonst im sachlichen Strafrecht wird die Bewertung hier nicht abgestützt durch den Vergleich verschiedener Strafrahmen.

d) In seiner Auffassung, die besondere Schwere der Schuld im Sinne von § 57 a StGB sei nicht mittels bestimmter Definitionen zu erfassen, die an begriffliche Abstufungen der Tatschuld anknüpfen, sieht sich der Große Senat durch die Regelung des § 57 b StGB bestärkt. Danach werden, wenn auf lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt ist, bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld "die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt". Einen Maßstab für diese Gesamtwürdigung liefert das Gesetz nicht. Angesichts der möglichen Verschiedenheit der zu würdigenden Taten ist ein solcher dafür auch sonst nicht ersichtlich. Die Fälle, in denen der Täter neben Mord andere Taten verübt hat, sind aber nicht so selten, daß der Große Senat sie bei seinen Erwägungen vernachlässigen könnte. Dann aber geht es nicht an, die besondere Schwere der Schuld in §§ 57 a und 57 b StGB unterschiedlich zu bestimmen.

4. Der Tatrichter hat demnach ohne Bindung an begriffliche Vorgabe die schuldrelevanten Umstände zu ermitteln und zu gewichten. Alsdann hat er im Wege einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit die Schuld daraufhin zu bewerten, ob sie nach seiner Auffassung besonders schwer ist. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld kann dabei nur dann in Betracht kommen, wenn Umstände vorliegen, die Gewicht haben. Nur dies wird der nach § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffenden Entscheidung gerecht, die die Möglichkeit eines fünfzehn Jahre überschreitenden Freiheitsentzuges eröffnet. Solche Umstände können beispielsweise eine besondere Verwerflichkeit der Tatausführung oder der Motive, mehrere Opfer bei einer Tat, die Begehung mehrerer Mordtaten oder - im oder ohne Zusammenhang mit dem Mord begangene - weitere schwere Straftaten sein (vgl. BGHSt 39, 208; BGH NStZ 1994, 540, 541). Hierbei ist jedoch stets zu bedenken, daß solche Umstände nicht ohne weiteres, sondern nur im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung zur Bejahung der besonderen Schwere der Schuld führen können (vgl. auch BGHSt 39, 121).

Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der Entscheidung eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat, darf aber nicht seine Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (BGH NJW 1993, 1724; BGH StV 1993, 344, 346).

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 360; NJW 1995, 407; NStZ 1995, 122; NStZ 1995, 227; NStZ 1995, 337; StV 1995, 20

Bearbeiter: Karsten Gaede