HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2025
26. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

1233. BGH 6 StR 176/25 – Beschluss vom 10. Juni 2025 (LG Ansbach)

Minder schwerer Fall des Totschlags (ohne eigene Schuld des Täters: Gesamtwürdigung, hier: fremdenfeindliche und rassistische Beleidigung des Täters; Geltung des Zweifelssatzes hinsichtlich des Zeitpunktes der Beleidigung).

§ 212 Abs. 1 StGB; § 213 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB

1. Eigene Schuld des Täters schließt die Annahme einer strafmildernden Provokation nur aus, wenn sie sich gerade auf die ihm vom Opfer zugefügte tatauslösende Misshandlung oder schwere Beleidigung bezieht und der Täter dem Opfer genügende Veranlassung zur Provokation gegeben hat. Das Vorverhalten muss dem Täter vorwerfbar und in qualitativer Hinsicht geeignet sein, die darauf fußende Provokation des Opfers als verständliche Reaktion erscheinen zu lassen. Zu prüfen ist daher, ob die dem Täter zugefügte Misshandlung ihrerseits Ausfluss einer angemessenen Reaktion des Opfers auf die ihm zuvor durch den Täter zuteil gewordene Behandlung war. Fehlt es an der Proportionalität zwischen vorangegangenem Fehlverhalten des Täters und der nachfolgenden Opferreaktion, ist eine schuldhafte Provokation mangels genügender Veranlassung zu verneinen. Insoweit ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen.

2. Einzelfall einer ungenügenden Prüfung des Ausschlusses der schuldmindernden Provokation nach einer Ohrfeige und einer zuvor vorausgegangenen fremdenfeindlichen und rassistischen Beleidigung des Angeklagten.

3. Unter Umständen ist zu erwägen, ob unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ eine Provokation durch das Opfer und ein diesbezüglich zeitlich hinreichender Zusammenhang unterstellt werden kann.


Entscheidung

1240. BGH 6 StR 203/25 – Beschluss vom 26. Juni 2025 (LG Stendal)

Versuchter Mord, besondere gesetzliche Milderungsgründe, Versuch (fakultative Strafmilderung; Gesamtschau, Persönlichkeit des Täters, besonders sorgfältige Abwägung bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe: Unvorbestraftheit, Maßgeblichkeit des deutschen Rechts).

§ 211 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 2 StGB; § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB

1. Eine besonders sorgfältige Abwägung der für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte ist geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt.

2. Für die Tilgungsreife, Tilgung und damit Verwertbarkeit deutscher Vorstrafen ist ausschließlich das deutsche Recht maßgeblich.


Entscheidung

1102. BGH 3 StR 207/25 – Beschluss vom 8. Juli 2025 (LG Koblenz)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (Zäsurwirkung; Angaben zum Vollstreckungsstand einbezogener Entscheidungen); Anordnung zur Reihenfolge der Vollstreckung bei Verhängung mehrerer Freiheitsstrafen; Verschlechterungsverbot (Zulässigkeit der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe; ganzheitliche Betrachtung).

§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 55 StGB; § 67 StGB; § 358 Abs. 2 StPO

1. Wenn infolge der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei Gesamtfreiheitsstrafen gebildet werden müssen, ist die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden, sodass die Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB für beide Strafen nicht getrennt, sondern einheitlich gilt.

2. Zwar verstößt die Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe grundsätzlich gegen das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 StPO, wenn das Tatgericht im ersten Rechtsgang diese gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB neben der Gesamtfreiheitsstrafe bestehen lassen hat und die Einbeziehung durch das neue Tatgericht zu einer Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe führen würde. Denn die (Gesamt-)Freiheitsstrafe ist im Verhältnis zur Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen, weil der Angeklagte durch die zu einer Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe führende Einbeziehung einer Geldstrafe regelmäßig gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten Urteils eine Verschlechterung erleidet.

3. Allerdings bedarf die Frage, wann eine Verschlechterung in diesem Sinne vorliegt, einer ganzheitlichen Betrachtung, die Ausnahmen von diesem Grundsatz zulässt. Dabei sind besondere Umstände in Betracht zu ziehen, unter denen sich eine Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe infolge der Einbeziehung der Geldstrafe als für den Angeklagten günstiger darstellen könnte. Mit Blick auf die finanziellen Verhältnisse eines Angeklagten – insbesondere wenn eine Vollstreckung der Geldstrafe im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe möglich erscheint – kann die Aufrechterhaltung der Geldstrafe neben der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer erhöhten Gesamtverbüßungsdauer führen. In einem solchen Fall kann die Verhängung einer erhöhten Gesamtfreiheitsstrafe einen Angeklagten unter Umständen ausnahmenweise besserstellen.


Entscheidung

1138. BGH 2 StR 154/25 – Urteil vom 30. Juli 2025 (LG Bonn)

Strafzumessung (sexueller Übergriff; minder schwerer Fall: Kombinationsprinzip, Berücksichtigung eines tateinheitlich verwirklichten Delikts mit höherer Strafobergrenze; Nichtberücksichtigung eines zumessungsrelevanten Umstandes: bei der Tat aufgewendeter Wille, umsichtige Planung, Abschließen der Tür bei sexuellem Übergriff; Vermengung von Zumessung der Strafhöhe und Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung); Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch (Auslegung der Revisionsbegründung).

§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 52 Abs. 2 StGB; § 56 StGB; § 174c Abs. 1 StGB; § 177 Abs. 9 StGB; § 344 Abs. 1 StPO; Nr. 156 Abs. 2 RiStBV

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, namentlich das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder es rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen hat, oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder unten löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist. Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. In Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Wertung des Tatgerichts hinzunehmen.

2. Da der bei der Tat aufgewendete Wille grundsätzlich ein anerkannter Strafzumessungsumstand ist, kann das Tatgericht veranlasst sein, die umsichtige Planung des Angeklagten zu seinen Lasten zu würdigen. Eine solche kann im Fall eines sexuellen Übergriffs darin liegen, dass der Angeklagte die Tür des Zimmers von innen abgeschlossen hat, um bei der Ausführung der Tat nicht entdeckt zu werden.

3. Die Zumessung der Strafhöhe darf nicht mit Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung vermengt werden. Das Tatgericht hat zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden; erst, wenn sich ergibt, dass die der Schuld entsprechende Strafe innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder 2 StGB liegt, ist Raum für die Prüfung, ob auch die

sonstigen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind. Die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung darf zwar bei der Findung schuldangemessener Sanktionen unter dem Blick der Wirkungen, die von einer Strafe ausgehen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), mitberücksichtigt werden. Rechtsfehlerhaft sind solche Erwägungen bei der Strafzumessung aber dann, wenn eine zur Bewährung aussetzungsfähige Strafe nicht mehr innerhalb des Spielraums für eine schuldangemessene Strafe liegt. Denn von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten lösen.


Entscheidung

1185. BGH 4 StR 179/25 – Beschluss vom 2. Juli 2025 (LG Detmold)

Strafzumessung (dienstrechtliche Folgen als bestimmender Strafzumessungsgrund: Verlust der Soldatenstellung, Beruhen).

§ 46 Abs. 1 StGB; § 48 Satz 1 Nr. 2 SG; § 49 Abs. 3 SG

Nach § 48 Satz 1 Nr. 2 SG verliert ein Berufssoldat seine Rechtsstellung, wenn er von einem deutschen Gericht im Geltungsbereich des Grundgesetzes wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Derartige dienstrechtliche Folgen einer Verurteilung, die mit dem Verlust der wirtschaftlichen und der beruflichen Grundlagen einhergehen können (§ 49 Abs. 3 SG), bilden einen bestimmenden Strafzumessungsgrund.


Entscheidung

1143. BGH 2 StR 161/25 – Urteil vom 2. Juli 2025 (LG Frankfurt am Main)

Strafzumessung (Einfuhr von Cannabis: Berücksichtigung der Einfuhrmenge, Kurierfälle; Vorstrafe in anderem EU-Mitgliedstaat: unzulässige strafmildernde Berücksichtigung fehlender Vorverurteilungen in Deutschland; unzulässige strafmildernde Berücksichtigung von Untersuchungshaft; Beruhen).

§ 46 StGB; § 34 KCanG; § 337 Abs. 1 StPO

1. Nur das Fehlen von Vorstrafen ist strafmildernd zu berücksichtigen, wohingegen Vorverurteilungen – ausschließlich – zu Lasten des Täters wirken. Insoweit sind einer Verurteilung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die gleichen tatsächlichen bzw. verfahrens- und materiellrechtlichen Wirkungen zuzuerkennen wie einer inländischen Verurteilung, sofern die Tat nach deutschem Recht strafbar und eine Eintragung der Verurteilung nicht tilgungsreif wäre.

2. Der – auch erstmalige – Vollzug von Untersuchungshaft ist regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird.


Entscheidung

1145. BGH 2 StR 195/25 – Beschluss vom 3. Juli 2025 (LG Stralsund)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (Bemessung der Freiheitsstrafe nach vollen Monaten und Jahren: Ausnahme für Gesamtstrafenbildung).

§ 39 StGB; § 54 StGB

Gemäß § 39 StGB werden Freiheitsstrafen von längerer Dauer als einem Jahr nach vollen Monaten und Jahren bemessen. Davon kann abgewichen werden, wenn wegen § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB einerseits und § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB andererseits den Grundsätzen der Gesamtstrafenbildung nur entsprochen werden kann, wenn die zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe nicht nur nach Jahren und Monaten, sondern auch nach Wochen bemessen wird.


Entscheidung

1155. BGH 2 StR 333/24 – Beschluss vom 3. Juni 2025 (LG Aachen)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (Gesamtstrafenfähigkeit von Vorverurteilungen, Zäsurwirkung, unklare Feststellungen); Meistbegünstigungsgrundsatz (Handeltreiben mit Cannabis; Bestimmen Minderjähriger zum Absatz von Betäubungsmitteln).

§ 2 Abs. 3 StGB; § 54 StGB; § 55 StGB; § 29a BtMG; § 30a BtMG; § 34 KCanG

1. Ist eine neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 Abs. 1 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abzuurteilende Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Im Übrigen ermächtigt und verpflichtet § 55 StGB den Tatrichter, in rechtskräftige frühere Gesamtstrafen einzugreifen; die Rechtskraft einer Gesamtstrafe stellt auch dann kein Hindernis dar, wenn nicht alle in ihr zusammengefassten Einzelstrafen in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen sind, sie vielmehr zu verschiedenen Gesamtstrafen zusammengefügt werden oder als Einzelstrafe bestehen bleiben.

2. Im Fall der Unaufklärbarkeit der für § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bedeutsamen zeitlichen Verhältnisse ist nach dem Zweifelssatz zu entscheiden, wobei es darauf ankommt, was für den Täter in der konkreten Situation günstiger ist.


Entscheidung

1150. BGH 2 StR 227/25 – Beschluss vom 24. Juni 2025 (LG Köln)

Strafzumessung (Berücksichtigung einer ausländischen Verurteilung: Gesamtstrafenübel, Härteausgleich); Einziehung des Tatertrags (Nichtabziehbarkeit von zur Tatbegehung eingesetzten Mitteln).

§ 46 StGB; § 54 StGB; § 55 StGB; § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB

Bei der Strafzumessung sind etwaige Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, welche von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhängt wurden, wenn in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB erfüllt wären. Derartige Härten werden in vergleichbaren Fällen vorausgegangener Verurteilungen durch deutsche Gerichte nach § 55 StGB durch eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe vermieden, während ausländische Strafen wegen des mit einer Gesamtstrafenbildung verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit grundsätzlich nicht gesamtstrafenfähig sind. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch sicherstellen, dass ihre Gerichte frühere, in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen in dem Maße berücksichtigen wie

im Inland ergangene frühere Verurteilungen und ihnen gleichwertige Rechtswirkungen zuerkennen. Auf welche Weise dies geschieht, ist unionsrechtlich nicht vorgegeben. Es gelten daher dieselben Grundsätze wie bei einer an sich gesamtstrafenfähigen, aus zufälligen Gründen aber nicht mehr berücksichtigungsfähigen inländischen Vorstrafe.


Entscheidung

1174. BGH 4 StR 11/25 – Beschluss vom 5. Juni 2025 (LG Bielefeld)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose: erhebliche Straftaten; Gewalt- und Aggressionsdelikte: einfache Körperverletzung, versuchte Körperverletzung, Umstände des Einzelfalls; schwerer wirtschaftlicher Schaden: Schaden unter 5.000-Euro-Grenzwert, Wohnungseinbruchdiebstahl, Umstände des Einzelfalls, inneres Tatgeschehen, Rücktritt vom versuchten Betrug, Fehlschlag); fehlende Feststellungen zur Einlassung des Beschuldigten zur Sache.

§ 63 Satz 1 StGB

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Zudem muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Die dazu notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt.

2. Zwar ist bei Gewalt- und Aggressionsdelikten regelmäßig davon auszugehen, dass sie zu den erheblichen Straftaten in diesem Sinne gehören. Gleichwohl kann auch hier anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen und genauer darzulegen sein, ob tatsächlich erhebliche Schädigungen im Sinne von § 63 Satz 1 StGB zu erwarten sind. Einfache Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB, die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit lediglich unwesentlich überschreiten, können danach nicht ausreichend sein. Gleiches muss im Ergebnis auch für Versuchstaten gelten, die von den anvisierten Opfern mit einfachen Mitteln abgewehrt werden können.

3. Für die Auslegung des Begriffs des schweren wirtschaftlichen Schadens hat die Rechtsprechung – als Ausgangswert – den durch den Gesetzgeber hierfür im Jahr 2016 für vertretbar erachteten Betrag von 5.000 Euro übernommen, betont jedoch in weiterer Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Daher kann im Einzelfall auch ein geringerer drohender Schaden die Gefährlichkeit des Täters begründen – etwa bei einem Wohnungseinbruchsdiebstahl, der das Opfer in der Regel seelisch oder körperlich erheblich gefährdet –, ebenso wie die Gefährlichkeit auch bei höheren Schäden verneint werden kann.


Entscheidung

1182. BGH 4 StR 169/25 – Beschluss vom 3. Juli 2025 (LG Frankenthal (Pfalz))

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (unzulässige Anordnung bei strafbefreiendem Rücktritt vom Versuch; Gefährlichkeitsprognose: Würdigung aller Umstände, Besitz von Waffen); Rücktritt vom Versuch (Fehlschlag: Darstellungsanforderungen; Freiwilligkeit: natürlicher Vorsatz, Schuldunfähigkeit).

§ 24 StGB; § 63 StGB; § 224 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 2 StPO

1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nur zulässig, wenn der Täter allein wegen mangelnder Schuldfähigkeit nicht bestraft werden kann; nicht jedoch, wenn er mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten ist. Dem steht die rechtliche Einordnung des Rücktritts als Strafaufhebungsgrund nicht entgegen.

2. Im Rahmen der von § 63 StGB geforderten Gefährlichkeitsprognose muss das Tatgericht neben der Würdigung der den Anlass des Verfahrens gebenden strafbewehrten Handlungen die Gesamtpersönlichkeit des Täters, insbesondere die Art seiner Erkrankung, sein ganzes Vorleben, seine allgemeinen Lebensbedingungen und alle sonst in Frage kommenden maßgeblichen Umstände berücksichtigen.

3. Ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil der Zurücktretende aufgrund seines Geisteszustands schuldunfähig war, denn die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung kann auch mit natürlichem Vorsatz geschehen.

4. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, oder geht er in seiner Vorstellung von einer solchen Sachlage aus, liegt ein Fehlschlag vor.

5. Zwar kann schon der Besitz von Waffen an sich die Besorgnis begründen, dass der Beschuldigte bereit sein könnte, diese auch einzusetzen; dies vor allem dann, wenn er damit droht. Das allein rechtfertigt eine Gefährlichkeitsprognose aber nur nach intensiver

Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten sprechen könnten.


Entscheidung

1147. BGH 2 StR 203/25 – Beschluss vom 25. Juni 2025 (LG Kassel)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Schuldfähigkeitsprüfung: widersprüchliche Beweiswürdigung, Einschätzung eines psychiatrischen Sachverständigen, Tatmotiv, fehlende Auseinandersetzung mit Gegenindizien); Verschlechterungsverbot (Aufhebung des Freispruchs bei Aufhebung der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf die Revision des Angeklagten hin).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 63 StGB; § 261 StPO; § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist.

2. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte hierfür in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.

3. Ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist prinzipiell mehrstufig zu prüfen. Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu untersuchen. Durch die psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen Unrechtseinsichtsfähigkeit oder der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt.


Entscheidung

1195. BGH 4 StR 252/25 – Beschluss vom 18. Juni 2025 (LG Münster)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (symptomatischer Zusammenhang zwischen psychischer Störung und Anlasstat: erhöhte Darlegungsanforderungen bei möglicher normalpsychologischer Motivation, Rache).

§ 63 StGB; § 267 Abs. 6 StPO

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Letzteres ist der Fall, wenn der festgestellte, für die Schuldfähigkeit bedeutsame Zustand des Täters für die Anlasstat kausal geworden ist, wobei Mitursächlichkeit genügt. Die bloße Feststellung einer Koinzidenz zwischen dem für die Schuldfähigkeit relevanten Zustand und der Tatbegehung reicht dafür regelmäßig nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Die hierzu gemachten Ausführungen müssen widerspruchsfrei sein und dürfen keine relevanten Lücken aufweisen. Dabei können sich besondere Darlegungsanforderungen ergeben, wenn als Tatauslöser auch normalpsychologisch erklärbare Beweggründe in Betracht kommen.


Entscheidung

1072. BGH 1 StR 58/24 – Urteil vom 8. Juli 2025 (LG Wiesbaden)

Einziehung des „für“ die Tat Erlangten (Voraussetzungen des Erlangens „für“ die Tat: synallagmatische Unrechtsvereinbarung zwischen Zuwendendem und Täter; keine betragsmäßige Beschränkung der Einziehung von Tatlohn auf den durch die Tat entstandenen Schaden; keine Gesamtschuld zwischen denjenigen, die Tatlohn, und denjenigen, die Tatertrag erlangt haben); Einziehung weitergeleiteten Tatlohns (Begriff der Rechtsgrundlosigkeit: keine Weiterleitung durch den Täter selbst erforderlich; erforderlicher Bereicherungszusammenhang bei Wertersatzeinziehung).

§ 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB; § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a), Abs. 2 StGB; § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB

1. „Für die Tat“ ist etwas erlangt, wenn sich der Vermögensvorteil als Entgelt oder Lohn für eine vergangene, vom Anklagesatz erfasste und tatrichterlich festgestellte Straftat darstellt. Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt entsprechend, dass „für die Tat“ diejenigen Vermögenswerte erlangt sind, die dem Täter als Gegenleistung für sein rechtswidriges Tun gewährt werden, also nicht auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruhen. Gleichgültig ist, ob das Entgelt vor oder erst nach der Tat geleistet wird. Erforderlich ist nur, dass es nicht bloß gelegentlich einer Straftat, sondern als Gegenleistung für die Tatbegehung erlangt wird.

2. Maßgeblich für die Annahme einer Gegenleistung in diesem Sinne ist ein synallagmatischer Charakter. Wesentlich ist, dass das Entgelt auf der Grundlage einer Unrechtsvereinbarung zwischen Zuwendendem und dem Täter oder Teilnehmer der Straftat gegeben bzw. verlangt wird.

3. Dies hat etwa zur Folge, dass im Vorfeld der Tatbegehung erlangte Vermögensvorteile (Vorkasse) der Abschöpfung allein gemäß § 73 Abs. 1 Alternative 2 StGB unterliegen. Der Gesichtspunkt, ob die Vorauszahlungen später durch die Erträge aus der Straftat refinanziert wurden, bleibt bei der durch eine faktische Betrachtungsweise geprägten Abschöpfung außer Betracht. Maßgeblich ist dabei der tatsächliche Zahlungsfluss.

4. Die Einziehung gemäß § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) StGB ist auch dann zulässig, wenn dem Drittbegünstigten nicht ein Teil der Beute, sondern ein Teil des an einen Täter geleisteten Tatlohns zugewandt wurde.

5. „Rechtsgrundlosigkeit“ im Sinne des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) StGB meint insbesondere jede Vorteilserlangung des Dritten ohne wirksames Grundgeschäft. Eine „Verschiebung“ des Erlangten oder von dessen Wert unmittelbar durch den Täter oder Teilnehmer der Erwerbstat setzt die Regelung des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nicht voraus. Auch eine etwaige Vermischung mit dem legalen Vermögen des Weiterleitenden vor dem Transfer des Erlangten hindert die Einziehung des Wertersatzes bei dem anderen nicht (vgl. BGHSt 66, 147-182 Rn. 152 ff. i.V.m. Rn. 13).

6. Auch nach neuem Recht setzt die Wertersatzeinziehung gemäß § 73b Abs. 2 StGB einen Bereicherungszusammenhang des Inhalts voraus, dass aufgrund einer Gesamtschau Grund zu der Annahme besteht, mit den in Frage stehenden Transaktionen sollte das Ziel verfolgt werden, das durch die Tat unmittelbar begünstigte Vermögen des Täters oder eines weiteren Dritten dem Gläubigerzugriff zu entziehen oder die Tat zu verschleiern. Die Einziehung nach § 73b Abs. 2 StGB findet danach ihre Grenzen, wenn ein Zusammenhang mit den ursprünglichen Tatvorteilen nicht mehr erkennbar ist und mit der Transaktion weder das Ziel verfolgt wird, das durch die Tat unmittelbar begünstigte Vermögen des Täters oder des Dritten dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, noch die Tat zu verschleiern. Dies bedeutet hingegen nicht, dass der von dem Dritten erlangte Gegenstand konkreten Ausgangstaten zuzuordnen sein müsste.

7. Das „durch“ die Tat Erlangte und das „für“ sie Erhaltene unterliegen gemäß § 73 Abs. 1 StGB nebeneinander der Einziehung. Eine betragsmäßige Beschränkung der Einziehung auf den durch die Tat verursachten Schaden oder das hierzu vom Täter spiegelbildlich Erlangte sieht das Gesetz nicht vor. Hieraus folgt zwangsläufig, dass es im Einzelfall zur Einziehung in einer Höhe kommen kann, die den jeweiligen Ertrag der Straftat oder den aus ihr erzielten Erlös übersteigt. Allein dies entspricht dem Wesen der Einziehung, die der vollständigen Abschöpfung von rechtswidrig erlangten Vermögensvorteilen aus Straftaten dient und bezweckt, dem Täter den Anreiz zur Tatbegehung zu nehmen. Straftaten sollen sich in wirtschaftlicher Hinsicht nicht lohnen.


Entscheidung

1089. BGH 1 StR 475/23 – Urteil vom 9. Juli 2025 (LG Frankfurt am Main)

Einziehung bei Bestechungsdelikten (erlangter Auftrag als durch die Tat Erlangtes: Abzugsfähigkeit von Aufwendungen zur Erfüllung des Auftrags; keine Gesamtschuld zwischen Bestechendem und Bestochenen); Wertersatzeinziehung von weitergeleiteter Tatbeute (erforderlicher Zurechnungszusammenhang).

§§ 331 ff. StGB; § 73 Abs. 1 StGB; § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB; § 73d Abs. 1 StGB

1. Der Bestechende erlangt „durch“ seine Tat (§ 334 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB) zwar zunächst „gegenständlich“ den Auftrag. Nach der Neuregelung des Verfallsrechts durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 mit Wirkung zum 1. Juli 2017 sind aber die Aufwendungen des Bestechenden zur Erfüllung des Auftrags abzuziehen (vgl. § 73d Abs. 1 StGB); damit unterliegt nur sein Gewinn der Einziehung.

2. Zwischen dem Bestechenden und dem Bestochenen besteht einziehungsrechtlich keine Gesamtschuld. Denn der Bestochene erhält seinen Bestechungslohn durch eine andere Tat, nämlich die Vorteilsnahme (§ 331 StGB) bzw. Bestechlichkeit (§ 332 StGB).

3. Der beim einziehungsrelevanten Zufluss erforderliche Kausal- und Zurechnungszusammenhang wird nicht durch das Zwischenschalten eines Dritten, insbesondere einer vertretenen Gesellschaft (vgl. § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB), unterbrochen, sofern sich das Weiterleiten als Verteilung der Tatbeute darstellt („indirekter Vermögenszufluss“). Dies ist nicht mehr der Fall, wenn der Übertragung an das angeklagte Gesellschaftsorgan ein Rechtsgrund, insbesondere ein nicht bemakelter Vertrag, zugrunde liegt. Der Vermögensvorteil darf nicht aus einer legalen Einnahmequelle stammen (vgl. BGHSt 64, 234 Rn. 39). Der im Vermögen des Täters als wirtschaftlichen Nutznießers der Tat festgestellte Vorteil muss nach alledem als aus der Tatbeute stammend identifizierbar sein, und zwar in tatsächlicher Hinsicht.


Entscheidung

1091. BGH 1 StR 493/24 – Beschluss vom 26. Juni 2025 (LG Dresden)

Einziehung ersparter Aufwendungen (Erlangen ersparter Steuern nur durch den Steuerschuldner: Begriff des Unternehmers i.S.d. UStG und des GewStG; gesamtschuldnerische Haftung der Ehegatten bei

Zusammenveranlagung); Steuerhinterziehung (Konkurrenzen bei Begehung in mittelbarer Täterschaft).

§ 73 StGB; § 370 Abs. 1 AO; § 2 Abs. 1 UStG; § 5 Abs. 1 Satz 2 GewStG; (§ 26 Abs. 1 Satz 1, § 26b EStG; § 44 Abs. 1 Satz 1 AO§ 52 StGB; § 25 Abs. 1 StGB

1. Ersparte Aufwendungen für die durch den Täter verkürzten Steuern können nur bei der – natürlichen oder juristischen – Person als Tatertrag im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB eingezogen werden, die bereits vor Tatbegehung zur Entrichtung der Steuern verpflichtet war; eine bloße – erst wegen der Tatbegehung entstehende – Haftungsschuld nach § 71 AO ist hierfür nicht ausreichend.

2. Damit ist die Einziehung regelmäßig – aber nicht ausschließlich oder zwingend – gegen den „formellen“ Steuerschuldner zu richten, dem schon begrifflich die Steuerersparnisse zugutekommen. Neben den „formellen“ Steuerschuldnern kommen als Einziehungsbetroffene aber auch sonstige Personen in Betracht, die eigene steuerliche Erklärungspflichten und nachfolgend originär steuerliche Verbindlichkeiten aus eigenem Vermögen zu erfüllen haben und damit von der Steuerersparnis profitieren.


Entscheidung

1074. BGH 1 StR 92/25 – Beschluss vom 10. Juni 2025 (LG Landshut)

Erweiterte Einziehung (Subsidiarität zur Einziehung: keine erweiterte Einziehung, wenn die erlangten Gegenstände einzelnen rechtswidrigen Herkunftstaten zugeordnet werden können).

§ 73a Abs. 1 StGB; § 73 Abs. 1 StGB

Die Anwendung des § 73a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Herkunft der Einziehungsgegenstände aus rechtswidrigen Taten feststeht, aber eine sichere Zuordnung zu konkreten oder zumindest konkretisierbaren einzelnen Taten nach Ausschöpfung aller Beweismittel ausgeschlossen ist. Sofern die betreffenden Gegenstände einzelnen rechtswidrigen Herkunftstaten zugeordnet werden können oder könnten, scheidet eine erweiterte Einziehung von Taterträgen aus. Vielmehr ist dann eine Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB einem (gesonderten) Verfahren wegen dieser anderen Straftaten vorbehalten; § 73a Abs. 1 StGB ist gegenüber § 73 Abs. 1 StGB subsidiär (st. Rspr.).


Entscheidung

1162. BGH 2 StR 484/24 – Beschluss vom 22. Mai 2025 (LG Gera)

Handeltreiben mit Cannabis; Einziehung des Wertes von Taterträgen (Erlangtes Etwas: Erlöse aus Drogengeschäften, Mitverfügungsgewalt, Mittäterschaft, Gesamtschuld, Gebietsaufteilung bei Drogengeschäften; Schätzung: Verkaufspreises, kein ermittelter Weiterverkauf); Strafzumessung (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: wesentlicher Umstand zur Beurteilung der Schwere der Tat und zur Bestimmung des Schuldumfangs, Wirkstoffmenge, Betäubungsmittelart).

§ 2 Abs. 3 StGB; § 46 StGB; § 73c Satz 1 StGB; § 34 KCanG; § 29a BtMG

1. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB knüpft an § 73 Abs. 1 StGB an und setzt voraus, dass der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt hat. Die bloße Feststellung eines mittäterschaftlichen Zusammenwirkens belegt nicht, dass der jeweilige Mittäter Mitverfügungsmacht erlangt hat; eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB kommt nur in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem jeweiligen Mittäter zumindest Mitverfügungsgewalt über den Taterlös zukommen sollte, und er diese auch tatsächlich hatte. Soll der Erlös aus Drogengeschäften abgeschöpft werden, sind daher regelmäßig Feststellungen zur Entgegennahme der Verkaufserlöse oder Provisionen und deren Verbleib erforderlich. Insbesondere in Fällen, in denen ein Angeklagter gemeinsam mit einem Mitangeklagten größere Drogenmengen bestellt, die aber ‒ wie von vornherein abgesprochen ‒ an jeweils eigene Abnehmer verkauft werden sollen, versteht sich eine Mitverfügungsmacht des einen an den vom anderen erlangten Erlösen nicht von selbst und muss daher festgestellt und im Einzelnen belegt werden.

2. Dabei darf das Tatgericht bei Rauschgiftgeschäften davon ausgehen, dass der Verkaufserlös jedenfalls nicht unter dem Einkaufspreis gelegen hat. Bei der Durchführung der Schätzung des Umfangs des Erlangten müssen Einzelheiten soweit geklärt werden, dass eine hinreichend sichere Schätzgrundlage gegeben ist, die im Urteil darzulegen ist.


Entscheidung

1166. BGH 2 StR 557/24 – Urteil vom 4. Juni 2025 (LG Erfurt)

Einziehung des Wertes von Taterträgen (Beweiswürdigung: Verkaufserlöse aus Handel mit Cannabis und Betäubungsmitteln, erhebliche Bargeldreserven, Weiterverkaufsfälle, Möglichkeit der Schätzung; „durch“ die Tat erlangt: Abgrenzung von Mitverfügungsgewalt und transitorischem Besitz, nicht unerhebliche Zeitspanne).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 73c StGB; § 73d Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. „Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er dessen faktischer Verfügungsgewalt unterliegt. Unerheblich ist bei der gebotenen gegenständlichen (tatsächlichen) Betrachtungsweise, ob das Erlangte beim Täter oder Teilnehmer verbleibt oder ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Täter oder Teilnehmer eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später – etwa durch absprachegemäße Weitergabe an einen anderen – aufgegeben hat und der zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse gemindert wurde.

2. Nur dann, wenn der Täter etwas nur kurzfristig und transitorisch durch die Tat erhalten hat, weil er dieses – ohne faktische Verfügungsgewalt hieran erlangt zu haben – weiterzuleiten hatte, hat er den Gegenstand nicht im Sinne von § 73 Abs. 1, § 73c StGB erlangt. Ein bloß transitorischer Besitz liegt aber regelmäßig nicht vor, wenn der Tatbeteiligte den durch die Tat erlangten Gegenstand über eine nicht unerhebliche Zeit unter Ausschluss der anderen Tatbeteiligten in seiner faktischen Verfügungsgewalt hält.