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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2025
26. Jahrgang
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Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) zum 1. Juli 2017 ist der Zweck des § 41 StGB jedenfalls weitestgehend entfallen. Neben einer Einziehungsentscheidung gemäß §§ 73 ff. StGB nF ist im Regelfall für die zusätzliche Verhängung einer Geldstrafe nach § 41 StGB kein Raum mehr.
1. Zwar können konkret-tatsächliche Besonderheiten des Gehilfenbeitrags in die Strafzumessung eingestellt werden, die Strafkammer hat jedoch allein der Beteiligungsform als solcher eine strafmildernde Wirkung beigelegt. Diese war als gesetzlich vertypter Strafmilderungsgrund bereits Anlass für die nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB obligatorisch vorzunehmende Strafrahmenverschiebung, so dass eine erneute – doppelte – abstrakt-rechtliche Wertung allein der Beteiligungsform außer Betracht zu bleiben hatte. Für die Einordnung der Schuld des Gehilfen ist das Gewicht seiner Beihilfehandlung maßgeblich, wenn auch die Schwere der Haupttat mitzuberücksichtigen ist.
2. Mit einer Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden, dass eine verlesene oder im Selbstleseverfahren eingeführte Urkunde unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei, wenn der Nachweis ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung geführt werden kann.
3. § 261 StPO verlangt eine umfassende Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise und verpflichtet das Tatgericht, sein Urteil aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen. Es muss alle wesentlichen Tatsachen und Beweisergebnisse, die dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu entnehmen sind, in einer Gesamtschau würdigen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen beziehungsweise sich die Erörterung aufdrängt. Auch wenn das Gericht nicht gehalten ist, auf jedes Vorbringen einzugehen und jeden erhobenen Beweis im Urteil zu behandeln, muss es unter Würdigung der dafür und dagegen sprechenden relevanten Beweise und Überlegungen lückenlos darlegen, was für die Bildung seiner Überzeugung maßgebend war. Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden.
1. Die Vorschrift des § 46a Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistung des Täters als
friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Dabei bedarf es nicht unbedingt eines persönlichen Kontakts von Täter und Opfer, vielmehr kann zwischen ihnen auch durch Dritte vermittelt werden. Es bedarf indes stets der Feststellung, wie sich das Opfer zu den Ausgleichsbemühungen des Täters verhalten hat, insbesondere dazu, ob es die (zugesagten) Leistungen als „friedensstiftenden Ausgleich“ akzeptiert hat.
2. Zur Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken dürfen bei in Serie begangenen sexuellen Missbrauchstaten an die Individualisierung der einzelnen Taten keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden, da eine Konkretisierung der jeweiligen Straftaten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oft nicht möglich ist. Das Tatgericht muss sich allerdings in objektiv nachvollziehbarer Weise die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist. Entscheidend ist aber nicht, dass eine – möglicherweise auf nicht völlig sicherer Grundlage hochgerechnete – Gesamtzahl festgestellt wird, sondern dass das Gericht von jeder einzelnen individuellen Straftat, die es aburteilt, überzeugt ist. Ist eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten im Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingrenzt und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Missbrauchstaten eines Angeklagten in diesem Zeitraum gründet. Dabei sind grundsätzlich bei Verurteilungen, die den sexuellen Missbrauch von Geschädigten über 14 Jahren betreffen, an die Konkretisierung einzelner Handlungsabläufe größere Anforderungen zu stellen als bei Tatserien zu Lasten von Kindern.
3. Die entsprechende Überzeugungsbildung ist eine Frage der Beweiswürdigung. Das Tatgericht hat sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist oder mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre.
1. Der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB bezieht sich vorrangig auf den Ausgleich immaterieller Folgen einer Straftat. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet.
2. Ein vollständiger Schadensausgleich (im zivilrechtlichen Sinn) ist keine zwingende Voraussetzung für die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB. Aus diesem Grund gibt eine vergleichende Gegenüberstellung von zivilrechtlich geschuldetem Schadensersatz einerseits und angebotener bzw. geleisteter Ausgleichszahlung andererseits zwar eine gewisse Orientierung über das Ausmaß der Bemühungen des Täters, sie erlaubt aber für den Fall, dass die versprochenen bzw. geleisteten Zahlungen hinter den geschuldeten zurückbleiben, nicht ohne nähere Betrachtung den Rückschluss, dass es damit an einer „umfassenden Wiedergutmachung“ fehlt. Dementsprechend ist nicht ausgeschlossen, dass bei einem finanziell schlecht gestellten Täter auch objektiv geringe – ihn aber stark belastende – Ratenzahlungen anerkennenswert sein können. Selbst wenn aufgrund der Vermögenslage des Angeklagten auf absehbare Zeit nicht mit einer auch nur (teilweisen) Zahlung von Schmerzensgeld zu rechnen ist, steht dies der Anwendbarkeit der Vorschrift nicht zwangsläufig entgegen. Eine Wiedergutmachung kann auch dann angenommen werden, wenn ein Opfer dem Täter den Ausgleich in der Weise leichtmacht, dass es an das Maß der Wiedergutmachungsbemühungen keine hohen Anforderungen stellt und schnell zu einer Versöhnung bereit ist.
3. Allerdings darf für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB nicht ausschließlich auf die – selbst einvernehmliche – subjektive Bewertung von Tatopfer und Täter abgestellt werden. Erforderlich ist vielmehr vorrangig die Prüfung, ob die konkret erfolgten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können.
1. Erhält der Täter etwas „für“ seine Tat im Wege der Auszahlung von Arbeitslohn beläuft sich der Wert des Erlangten auf den Bruttolohn. Der Einbehalt von Lohnsteuer durch den Arbeitgeber mindert den Wert des Erlangten nicht. Das folgt daraus, dass die Lohnsteuer erst entsteht,
wenn der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zugeflossen ist (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG).
2. Den eingezogenen Bruttobetrag kann der Täter im Veranlagungszeitraum der Zahlung bzw. Vollstreckung als Werbungskosten gemäß § 9 EStG steuerlich geltend machen. Das Abzugsverbot des § 12 Nr. 4 EStG greift nicht ein, weil es sich bei der Vermögensabschöpfung gemäß §§ 73 ff. StGB nicht um eine Strafe handelt. Selbst wenn der Abzug der Werbungskosten in dem betreffenden Veranlagungszeitraum aufgrund erheblich verminderter Einkünfte zu Verlusten führt, können diese gemäß § 10d EStG zurück- bzw. vorgetragen. Soweit danach absehbar auf Dauer ein nicht mit positiven Einkünften verrechenbarer erheblicher Verlust verbleibt, können etwaige aufgrund vom Einziehungsbetrag nicht abziehbarer, aber bereits abgeführter Lohnsteuer eingetretener Härten im Vollstreckungsverfahren gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO berücksichtigt werden .
3. Dass Härtefälle bei der Einziehung nach der Neuregelung gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO nicht mehr im Erkenntnisverfahren, sondern erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sind, führt auch nicht dazu, dass es sich bei der Tatertragseinziehung gemäß §§ 73 ff. StGB um eine Strafe im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG handelt; hierin liegt vielmehr eine angemessene Kompensation.
4. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) zum 1. Juli 2017 ist der Zweck des § 41 StGB jedenfalls weitestgehend entfallen. Neben einer Einziehungsentscheidung gemäß §§ 73 ff. StGB nF ist im Regelfall für die zusätzliche Verhängung einer Geldstrafe nach § 41 StGB kein Raum mehr.
Einem leugnenden Angeklagten darf grundsätzlich nicht angelastet werden, wenn er die Schuld an der Tat einem anderen zuschiebt. Erst wenn zu der Falschbelastung Umstände hinzukommen, nach denen dieses Verteidigungsverhalten Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung ist, etwa eine Verleumdung, Herabwürdigung oder Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung betrifft, ist eine strafschärfende Berücksichtigung gerechtfertigt.
1. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt voraus, dass der Täter einen Hang aufweist, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, § 64 Satz 1 StGB. Gemäß § 64 Satz 1 2. Halbsatz StGB erfordert ein Hang eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Erforderlich sind insoweit äußere, überprüfbare Veränderungen in mindestens einem der genannten Bereiche der Lebensführung.
2. Eine Anlasstat geht im Sinne des § 64 Satz 1 1. Halbsatz StGB auf den Hang zurück, wenn die bestehende Substanzkonsumstörung, was tatrichterlicher Feststellung bedarf, für das Tatgeschehen „mehr als andere Umstände ausschlaggebend“ ist. Eine Mitursächlichkeit des Hangs für die Anlasstat unterhalb dieser Schwelle reicht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr aus.
3. Nach § 64 Satz 2 StGB bedarf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einer nachvollziehbar dargelegten, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Erwartung, den Angeklagten innerhalb der Fristen nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall zu bewahren und von der Begehung erheblicher hangbedingter Taten abzuhalten. Zu erwarten ist ein Therapieerfolg, wenn für sein Erreichen eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades gegeben ist. Das Gericht hat seine diesbezügliche Überzeugung als Ergebnis einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen darzulegen.
1. In Fällen, in denen eine Einziehung als Tatprodukt nach § 74 Abs. 1 und 3 StGB bzw. des Wertes von Tatprodukten gemäß § 74c Abs. 1 StGB möglich ist, hat die Einziehung nach § 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB grundsätzlich Vorrang vor einer Einziehung gemäß §§ 73, 73c StGB.
2. Die Einziehung nach § 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts. Für die Anordnung gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 74f Abs. 1 StGB. Den Urteilsgründen muss daher grundsätzlich zu entnehmen sein, dass sich das Tatgericht bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen, und welche Gründe für die Ausübung des Ermessens gegeben waren.
3. Eine Maßnahme nach § 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt daher
einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar. Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der neben der Einziehung zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter betreffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen. Mit der Wertersatzeinziehung nach § 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB wird zudem auf das Legalvermögen der Angeklagten zugegriffen. Auch dies begründet – unbeschadet des möglichen Vollstreckungsschutzes nach § 459g Abs. 2 und 5 Satz 1 StPO – grundsätzlich einen im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigenden Umstand.