HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2025
26. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

276. BGH 3 StR 25/24 – Beschluss vom 27. November 2024

Anfrageverfahren; Handeltreiben mit Cannabis (Tatvollendung bei Inbesitznahme von Cannabissetzlingen); Handeltreiben mit Betäbungsmitteln; zeitliche Geltung von Strafgesetzen (lex mitior; milderes Gesetz); strafrechtliches Bestimmtheitsgebot.

§ 132 Abs. 3 GVG; § 34 KCanG; § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG; § 2 Abs. 3 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Wer Cannabissetzlinge in Besitz nimmt, um ihren Ertrag nach weiterer Aufzucht in einer eingerichteten Plantage gewinnbringend zu verkaufen, verwirklicht den Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis, ohne dass ihre Einpflanzung in der Plantage erforderlich ist.

2. Soweit der Senat in früheren Entscheidungen eine anderslautende Rechtsauffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest. Danach umfasst der Tatbestand des Anbaus von Cannabispflanzen, der das Erzielen pflanzlichen Wachstums durch gärtnerische Bemühungen umfasst, keine Begrenzungsfunktion für denjenigen des Handeltreibens mit Cannabis. Auch anderen Tatbeständen des § 29 Abs. 1 BtMG und des § 34 Abs. 1 KCanG, die ebenfalls Teilakt eines Handeltreibens sein können, kommt eine derartige Sperrwirkung nicht zu.


Entscheidung

274. BGH 3 StR 219/24 – Urteil vom 28. November 2024 (LG Oldenburg)

Abgrenzung zwischen Arzneimittelgesetz (AMG) und dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) bei Ketamin; Verabredung zu einem Verbrechen; Ausschöpfungsrüge; Beweiswürdigung bei (Teil-)Freispruch (revisionsgerichtliche Überprüfung; Vertretbarkeitskontrolle).

§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG; § 1 Abs. 2 Nr. 2 NpSG; § 30 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. Grundsätzlich kann Ketamin dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz oder dem Arzneimittelgesetz unterfallen. So wird von der in der Anlage zum NpSG unter Nummer 6 aufgeführten Stoffgruppe der Arylcyclohexylamine auch Ketamin erfasst. Zudem ist Ketamin in Anlage 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) aufgeführt. Bei der rechtlichen Einordnung ist unter anderem zu beachten, dass die Begründung der Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes mit dem Argument, dieser sei nach der Verkehrsanschauung einzelner Kreise dazu bestimmt, den seelischen Zustand in Form eines Rausches zu beeinflussen, nicht in Betracht kommt, sondern nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei einem Arzneimittel die Beeinflussung der physiologischen Funktionen in einer Zuträglichkeit für die menschliche Gesundheit liegen muss.

2. § 261 StPO verlangt eine erschöpfende Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Auch wenn das Gericht nicht gehalten ist, auf jedes Vorbringen einzugehen und jeden erhobenen Beweis im Urteil zu behandeln, muss es unter Würdigung der dafür und dagegen sprechenden relevanten Beweise und Überlegungen lückenlos darlegen, was für die Bildung seiner Überzeugung maßgebend war. Umstände, welche geeignet sind, die

Entscheidung zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden. Rechtsfehlerfrei ist es aber, wenn sich das Tatgericht mit entsprechenden Beweismitteln auseinandersetzt, daraus jedoch andere Schlüsse zieht als ein Revisionsführer.


Entscheidung

346. BGH 5 StR 134/24 – Beschluss vom 20. Februar 2025 (LG Berlin)

Für den illegalen Handel bestimmtes Ketamin als Arzneimittel; Vorrang des Arzneimittelgesetzes.

§ 2 AMG; § 1 Abs. 2 Nr. 2 NpSG

Bei Ketamin handelt es sich – vorbehaltlich etwaiger stoffspezifischer Besonderheiten – regelmäßig gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a AMG um ein Arzneimittel. Die Vorstellung, dass nur für den medizinisch intendierten Einsatz in der Human- und Tiermedizin nach dem Arzneimittelgesetz zugelassene Ketamin-Präparate dem AMG unterfielen (vgl. BR-Drucks. 403/21, S. 27), dagegen für den illegalen Handel bestimmtes Ketamin ausschließlich dem NpSG, hat keinen Niederschlag im Gesetz gefunden, so dass es bei der gesetzlich angeordneten Vorrangregelung (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 NpSG) verbleibt.


Entscheidung

333. BGH 2 StR 523/24 – Beschluss vom 14. Januar 2025 (LG Erfurt)

Konkurrenzen (Tateinheit: Einfuhr von Cannabis, Handeltreiben mit Cannabis; Tateinheit: Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Betätigungen bezüglich einer einheitlichen Rauschgiftmenge, Bewertungseinheit, Verklammerung); Handeltreiben mit Cannabis (Eigennützigkeit).

§ 52 StGB; § 29a BtMG; § 34 KCanG

1. Die Einfuhr von Cannabis, die dem gewinnbringenden Verkauf dient, geht als unselbständiger Teilakt im Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis auf, auch wenn sich die Einfuhrhandlungen auf eine nicht geringe Menge beziehen.

2. Sämtliche Betätigungen, die sich im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes auf den Vertrieb einer einheitlichen Rauschgiftmenge beziehen, werden vom gesetzlichen Tatbestand in dem pauschalisierenden, verschiedenartige Tätigkeiten umfassenden Begriff des Handeltreibens zu einer Bewertungseinheit und damit zu einer Tat des Handeltreibens verbunden. Diese Tat verklammert die beiden Fälle insgesamt zur Tateinheit.

3. Voraussetzung für die Annahme von Tateinheit durch Klammerwirkung ist, dass die Ausführungshandlungen zweier an sich selbständiger Delikte zwar nicht miteinander, wohl aber mit der Ausführungshandlung eines dritten Tatbestands (teil-)identisch sind und dass zwischen wenigstens einem der beiden an sich selbständigen Delikte und dem sie verbindenden Delikt zumindest annähernde Wertgleichheit besteht oder die verklammernde Tat die schwerste ist.

4. Die Änderung des Konkurrenzverhältnisses berührt den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten regelmäßig nicht. Eine Schuldspruchänderung in der Revisionsinstanz und der Wegfall einer Einzelstrafe führen deshalb nicht zur Aufhebung der Gesamtstrafe, wenn angesichts der Einsatzstrafen auszuschließen ist, dass das Tatgericht eine mildere Gesamtstrafe gebildet hätte.

5. Die für das Handeltreiben erforderliche Eigennützigkeit ist bezogen auf das konkret in Frage stehende Umsatzgeschäft zu beurteilen. Gerade aus diesem muss sich für den Täter ein eigener Vorteil ergeben.


Entscheidung

289. BGH 3 StR 493/23 – Urteil vom 28. November 2024 (LG Duisburg)

Revisionsbeschränkung (konkludente Beschränkung trotz unbeschränkter Anträge); Verhängung einer Jugendstrafe (Einbeziehung von Vorverurteilungen); Grundsatz der Einheitlichkeit der Sanktionsbestimmung im Jugendstrafrecht (Notwendigkeit der Aufhebung der Anordnung von Maßregeln bei Aufhebung des Strafausspruchs).

§ 31 Abs. 2 Satz 1 JGG; § 300 StPO analog; § 344 StPO

Das Tatgericht hat im Rahmen der Verhängung einer Einheitsjugendstrafe bei Einbeziehung früherer Entscheidungen in den Urteilsgründen nicht nur deren Erledigungsstand und die betreffenden Sachverhalte mitzuteilen, sondern grundsätzlich auch die den dortigen Rechtsfolgenentscheidungen zu Grunde liegenden und in den dortigen Urteilsgründen dargelegten wesentlichen tatsächlichen Umstände. Insofern kommt es aber nicht auf deren Bewertung durch das damals erkennende Gericht, sondern auf die von diesem hierzu getroffenen Feststellungen an.


Entscheidung

362. BGH 6 StR 288/24 – Urteil vom 16. Oktober 2024 (LG Potsdam)

Entscheidung bei Gesetzesänderung, Schuldspruchänderung; Meistbegünstigungsprinzip (milderes Gesetz); Betäubungsmittelgesetz, Konsumcannabisgesetz; Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Handeltreiben mit Cannabis (Tateinheit: Überschneidungen der Ausführungshandlungen des Handeltreibens).

§ 2 Abs. 3 StGB; § 354a StPO; § 354 StPO; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG; § 52 StGB

Überschneidungen der Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln führen zur Annahme von Tateinheit. Dafür genügen zwar kein allein subjektiv-motivatorischer Zusammenhang oder die bloße Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die tatbestandlichen Ausführungshandlungen in objektiver Hinsicht derart überschneiden, dass zumindest ein Teil der einheitlichen Handlung zur Erfüllung des einen wie des anderen Tatbestands beziehungsweise zur mehrfachen Verwirklichung desselben Tatbestands gleichermaßen beiträgt.