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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 323

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 371/24, Urteil v. 20.11.2024, HRRS 2025 Nr. 323


BGH 2 StR 371/24 - Urteil vom 20. November 2024 (LG Kassel)

Revisionsbeschränkung (Maßregeln; Anordnung des Vorwegvollzugs); Strafzumessung (Täter-Opfer-Ausgleich: Darstellungsanforderungen, Anerkenntnis einer Adhäsionsforderung, Verhalten des Opfers, kommunikativer Prozess).

§ 46a Nr. 1 StGB; § 67 StGB; § 352 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB bezieht sich vorrangig auf den Ausgleich immaterieller Folgen einer Straftat. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet.

2. Ein vollständiger Schadensausgleich (im zivilrechtlichen Sinn) ist keine zwingende Voraussetzung für die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB. Aus diesem Grund gibt eine vergleichende Gegenüberstellung von zivilrechtlich geschuldetem Schadensersatz einerseits und angebotener bzw. geleisteter Ausgleichszahlung andererseits zwar eine gewisse Orientierung über das Ausmaß der Bemühungen des Täters, sie erlaubt aber für den Fall, dass die versprochenen bzw. geleisteten Zahlungen hinter den geschuldeten zurückbleiben, nicht ohne nähere Betrachtung den Rückschluss, dass es damit an einer „umfassenden Wiedergutmachung“ fehlt. Dementsprechend ist nicht ausgeschlossen, dass bei einem finanziell schlecht gestellten Täter auch objektiv geringe - ihn aber stark belastende - Ratenzahlungen anerkennenswert sein können. Selbst wenn aufgrund der Vermögenslage des Angeklagten auf absehbare Zeit nicht mit einer auch nur (teilweisen) Zahlung von Schmerzensgeld zu rechnen ist, steht dies der Anwendbarkeit der Vorschrift nicht zwangsläufig entgegen. Eine Wiedergutmachung kann auch dann angenommen werden, wenn ein Opfer dem Täter den Ausgleich in der Weise leichtmacht, dass es an das Maß der Wiedergutmachungsbemühungen keine hohen Anforderungen stellt und schnell zu einer Versöhnung bereit ist.

3. Allerdings darf für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB nicht ausschließlich auf die - selbst einvernehmliche - subjektive Bewertung von Tatopfer und Täter abgestellt werden. Erforderlich ist vielmehr vorrangig die Prüfung, ob die konkret erfolgten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. März 2024 aufgehoben

a) mit den zugrundeliegenden Feststellungen im Ausspruch über aa) die Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe, bb) die Gesamtstrafe,

b) hinsichtlich der Anordnung zur Dauer des Vorwegvollzugs.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Totschlages in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit dem vorsätzlichen unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tatmehrheit mit dem vorsätzlichen unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe“ zu einer Gesamtfreiheitstrafe von vier Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass acht Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu vollziehen sind. Zudem hat es den Angeklagten auf sein Anerkenntnis verurteilt, „an den Adhäsionskläger Klaus G. ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 8.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.02.2024 zu zahlen“, und festgestellt, dass „der zuerkannte Schmerzensgeldanspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt“. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten und auf „die Strafzumessung beschränkt[en]“ Rechtsmittel die Zumessung der Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe und den „Strafausspruch“. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt auch zur Aufhebung der Anordnung über die Dauer des Vorwegvollzugs.

I.

Das Landgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Belang, im Fall II.2 der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. In der ersten Hälfte des Juli 2023 entwickelte sich bei dem an einer Alkohol- und Opiatabhängigkeit sowie einer Abhängigkeit von Sedativen, jeweils in schwerer Ausprägung, leidenden Angeklagten ein schmerzhafter Abszess im Genitalbereich von bedenklicher Größe. Auf intensives Drängen seiner Freunde M. und K., sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen, verabredete der Angeklagte mit M., dass M. ihn am 18. Juli 2023 in ein Krankenhaus begleite.

Über diesen Tag konsumierte der Angeklagte erhebliche Mengen an Alkohol, Heroin, Benzodiazepinen und Methadon, was auf der Grundlage einer akuten Mischintoxikation zu einem mittelschweren Rausch führte. Er verzögerte gegenüber dem anwesenden M. mehrfach den Aufbruch ins Krankenhaus, indem er weitere hochprozentige Alkoholika trank oder Lorazepam einnahm. Während der Nacht geriet er hierüber in einem Telefonat mit K. in Streit, der mitteilte, ihn zukünftig nicht mehr zu unterstützen. Der Angeklagte begab sich um 1.30 Uhr gemeinsam mit M. auf den Innenhof, um dort Gegenstände an sich zu nehmen, die K. zuvor für ihn verwahrt und auf seine Aufforderung nunmehr dort abgelegt hatte. Dabei nahm er seine mit fünf Patronen geladene Schusswaffe mit, um K. Angst zu machen, falls man aufeinanderträfe.

Auf dem Innenhof steckte er die abgelegten Gegenstände ein, ohne auf K. zu treffen. Auf dem Rückweg in seine Wohnung war der Angeklagte mittlerweile in höchstem Maße erregt und aufgrund seiner intoxikationsbedingten Enthemmung sowie einer seelischen Überforderung nicht mehr in der Lage, seine Emotion auf ein erträgliches Maß herabzuregulieren. Er betrat laut schimpfend das Wohnhaus. Während M. auf dem Weg in die Wohnung des Angeklagten im ersten Obergeschoss war, trat der Geschädigte G., der als vormals Suchtmittelabhängiger den Angeklagten in der Vergangenheit ebenfalls unterstützt hatte, aus seiner Wohnung im Hochparterre und bat den Angeklagten in ruhigem Ton leiser zu sein.

Der Angeklagte, dessen Blutalkoholkonzentration zu diesem Zeitpunkt bei maximal 2,69 Promille lag, trat wortlos bedrohlich an G. heran und drängte diesen zurück in dessen Wohnung. G. stieß den Angeklagten aus seiner Wohnung. Er drehte sich um, um sich in seine Wohnung zurückzuziehen und die Tür zu schließen. Zeitgleich holte der Angeklagte aufgrund eines spontanen Entschlusses die Schusswaffe aus seiner Umhängetasche hervor und lud sie durch. G. erfasste das klickende Geräusch und bemühte sich, schnell in seine Wohnung zu gelangen und die Tür zu schließen. Der Angeklagte setzte ihm nach und stemmte sich mit seinem Gewicht gegen das bereits fast geschlossene Türblatt; G. hielt von innen dagegen.

Der Angeklagte führte mit der linken Hand die Schusswaffe um die zu diesem Zeitpunkt noch spaltbreit geöffnete Tür. Er zielte, ohne G. sehen zu können, dahin, wo sich nach seiner Vorstellung dessen Kopf befand, und betätigte, um seine negativen Emotionen zu kompensieren und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und Kontrolle zu erlangen, den Abzug der Schusswaffe. Dabei nahm er einen Kopftreffer und den Tod von G. billigend in Kauf. Das Projektil traf G. im Bereich der rechten Schulter, woraufhin dieser laut aufschrie. Der Angeklagte erkannte, dass er G. verletzt hatte; er ging davon aus, dass es möglich sei, dass dieser an seiner Verletzung versterben werde.

G. versuchte, die Wohnungstür zu schließen, die allerdings nicht vollständig ins Schloss fiel. Er zog sich in seine Wohnung zurück. Der Angeklagte versuchte indes nicht länger, ihm zu folgen, sondern begab sich mit der Waffe in seine eigene Wohnung im ersten Obergeschoss.

Die Schussverletzung des Geschädigten blieb nur oberflächlich. Sie war zwar potentiell, aber nicht konkret lebensbedrohlich. Der Geschädigte musste kurzzeitig im Krankenhaus behandelt werden. Die Schmerzen und ein Hämatom hielten circa vier Wochen an. Er hat eine Narbe zurückbehalten, die zeitweise juckt, wetterfühlig ist und bei der Bewegung spannt. Er ist vorsichtiger und misstrauischer geworden und weniger bereit, Suchtkranken und ehemaligen Suchtkranken beizustehen, was er auf die Tat zurückführt und als belastend empfindet.

2. Die Strafkammer hat für die Zumessung der Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe den Strafrahmen des Totschlags aus § 212 Abs. 1 StGB dreifach gemildert. Neben den Strafrahmenverschiebungen aufgrund des Versuchs (§ 23 Abs. 2 StGB) und der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) hat sie eine dritte Milderung auf einen Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB gestützt. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Der Geschädigte nahm in der Hauptverhandlung vom 19. Februar 2024 einen handschriftlichen Brief des Angeklagten entgegen, in dem dieser um Verzeihung für das Geschehene bat und erklärte, den Geschädigten als Vorbild anzusehen. Das Angebot des Angeklagten, den Brief in der Hauptverhandlung zu verlesen, lehnte der Geschädigte ab und stellte gleichzeitig klar, dass er den Angeklagten nicht als Freund betrachte. Später ließ der Geschädigte über seinen Bevollmächtigten erklären, dass es ihm nicht um eine Bestrafung des Angeklagten gehe, er vielmehr wünsche, dass diesem geholfen werde. Am letzten Hauptverhandlungstag erkannte der mittellose Angeklagte die Adhäsionsanträge des Nebenklägers an.

II.

Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Das Rechtsmittel ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 8. Mai 2024 - 5 StR 545/23, Rn. 15) dahin auszulegen, dass die Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe angegriffen werden sollen. Diese Beschränkung ist grundsätzlich möglich. Sie ist hier überwiegend wirksam.

a) Der Senat kann den Strafausspruch getrennt vom Schuldspruch überprüfen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 2 StR 258/15, Rn. 12 ff.). Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat die Strafkammer bei der Strafzumessung weder strafschärfend noch mildernd berücksichtigt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).

b) Allerdings ist die Rechtsmittelbeschränkung unwirksam, soweit diese auch die Anordnung des Vorwegvollzugs (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) von der Prüfung ausnimmt, weil für diese Anordnung die Höhe der beanstandeten Gesamtfreiheitsstrafe maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2024 - 3 StR 467/23, Rn. 6). Die für eine Beschränkung auf die Anordnung der Dauer des Vorwegvollzugs tragfähige Begründung der Erfolgsaussicht der Maßregel (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. November 2023 - 4 StR 347/23, Rn. 4) gewährleisten die Urteilsgründe.

2. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe, der Gesamtstrafe sowie der Anordnung zur Dauer des Vorwegvollzugs.

a) Die Annahme des Landgerichts, die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs im Fall II.2 der Urteilsgründe seien erfüllt, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Auf die weiteren Angriffe der Revisionsführerin kommt es nicht mehr an.

aa) Das Landgericht hat zunächst zutreffend gesehen, dass der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB sich vorrangig auf den Ausgleich immaterieller Folgen einer Straftat bezieht und hier zur Anwendung kommen kann. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. Oktober 2019 - 2 StR 468/18, Rn. 7). Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 - 2 StR 412/19, Rn. 8 mwN).

Ein vollständiger Schadensausgleich (im zivilrechtlichen Sinn) ist keine zwingende Voraussetzung für die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB. Aus diesem Grund gibt eine vergleichende Gegenüberstellung von zivilrechtlich geschuldetem Schadensersatz einerseits und angebotener bzw. geleisteter Ausgleichszahlung andererseits zwar eine gewisse Orientierung über das Ausmaß der Bemühungen des Täters, sie erlaubt aber für den Fall, dass die versprochenen bzw. geleisteten Zahlungen hinter den geschuldeten zurückbleiben, nicht ohne nähere Betrachtung den Rückschluss, dass es damit an einer „umfassenden Wiedergutmachung“ fehlt. Dementsprechend ist nicht ausgeschlossen, dass bei einem finanziell schlecht gestellten Täter auch objektiv geringe - ihn aber stark belastende - Ratenzahlungen anerkennenswert sein können (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2021 - 5 StR 498/20, Rn. 20). Selbst wenn aufgrund der Vermögenslage des Angeklagten auf absehbare Zeit nicht mit einer auch nur (teilweisen) Zahlung von Schmerzensgeld zu rechnen ist, steht dies der Anwendbarkeit der Vorschrift nicht zwangsläufig entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 - 2 StR 307/15, Rn. 19; Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 174/16, Rn. 15). Eine Wiedergutmachung kann auch dann angenommen werden, wenn ein Opfer dem Täter den Ausgleich in der Weise leichtmacht, dass es an das Maß der Wiedergutmachungsbemühungen keine hohen Anforderungen stellt und schnell zu einer Versöhnung bereit ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2001 - 3 StR 41/01, StV 2001, 457, vom 24. November 2021 - 2 StR 337/21, Rn. 9).

Allerdings darf für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB nicht ausschließlich auf die - selbst einvernehmliche - subjektive Bewertung von Tatopfer und Täter abgestellt werden. Erforderlich ist vielmehr vorrangig die Prüfung, ob die konkret erfolgten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können (vgl. BGH, Urteile vom 22. Mai 2019 - 2 StR 203/18, NStZ-RR 2019, 369, 370; vom 15. Januar 2020 - 2 StR 412/19, BGHR StGB § 46a Abs. 1 Ausgleich 13, und vom 10. Oktober 2024 ‒ 4 StR 173/24, Rn. 28). Dies folgt schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittene Schädigung ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2005 - 1 StR 287/05, NStZ 2006, 275, 276, und vom 25. Juli 2024 - 1 StR 471/23, Rn. 16).

bb) Hieran gemessen hat die Strafkammer im Ausgangspunkt zutreffend gesehen, dass die nur teilgeständige Einlassung des Angeklagten der Übernahme der Verantwortung und damit der Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht entgegensteht (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 23. Dezember 2015 - 2 StR 307/15, Rn. 20 mwN, und vom 9. Oktober 2019 - 2 StR 468/18, Rn. 12). Die wahrheitswidrige Behauptung des Angeklagten, der Geschädigte habe ihn vor der Tat „angepflaumt“, hindert die Verantwortungsübernahme nicht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. August 2010 - 1 StR 393/10, Rn. 10).

Die Strafkammer hat indes keine hinreichenden Anstrengungen des Angeklagten festgestellt, die die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs rechtfertigen könnten. Allein das Anerkenntnis der Adhäsionsforderung am letzten Hauptverhandlungstag genügt dafür nicht. Die Urteilsgründe erläutern auch nicht, warum das Anerkenntnis des Angeklagten bei Anlegung eines objektivierenden Maßstabs (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 - 4 StR 139/20, Rn. 8 mwN) hier als ausreichende Leistung anzusehen ist, die geeignet erscheint, die Folgen der Tat zumindest zum überwiegenden Teil wiedergutzumachen. Den erforderlichen objektivierenden Maßstab zur Bewertung der „bewirkten“ Leistung hat die Strafkammer verfehlt, wenn sie ausführt, der Angeklagte habe sich „mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bestmöglich bemüht“ und der Geschädigte kein Interesse „mehr an der Bestrafung, sondern vielmehr an der Behandlung des Angeklagten“.

Unabhängig davon fehlt es an konkreten tatrichterlichen Feststellungen, wie sich das Opfer zu den „Anstrengungen“ des Täters gestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 - 4 StR 139/20, Rn. 6 mwN). Nach den Urteilsgründen bleibt offen, ob der Nebenkläger, der am letzten Hauptverhandlungstag nicht persönlich anwesend war, vor seiner übermittelten Aussage überhaupt von dem Anerkenntnis des Angeklagten erfahren hat. Den Urteilsgründen kann auch nicht entnommen werden, ob der Nebenkläger das prozessuale Anerkenntnis der Adhäsionsforderung als „friedensstiftenden Ausgleich“ (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02, NJW 2002, 3264, 3265; vom 26. April 2012 - 4 StR 51/12, Rn. 16, und vom 29. April 2015 - 2 StR 405/14, Rn. 21) akzeptiert hat. Solche Feststellungen sind aber regelmäßig erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 - 2 StR 307/15, Rn. 21 mwN). Es versteht sich auch keineswegs von selbst, dass der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch unter Leidensdruck stehende Nebenkläger einen weitgehend wertlosen Titel als friedensstiftenden Ausgleich angesehen hat.

Daneben fehlt die Darstellung eines kommunikativen Prozesses. Allein die Entgegennahme eines Entschuldigungsbriefes, „um ihn später lesen zu können“, leitet einen solchen vielleicht ein, bewirkt ihn aber noch nicht. Vielmehr legt die Ablehnung einer Verlesung den Schluss nahe, dass der Nebenkläger, der den Angeklagten nicht als seinen Freund bezeichnete, an einem kommunikativen Prozess mit dem Angeklagten gerade nicht interessiert war. Die durch seinen Bevollmächtigten übermittelte Antwort, eine Bestrafung des Angeklagten sei für ihn nicht von Interesse, lässt offen, wie er zur Tat des Angeklagten und dessen Entschuldigung steht. Insbesondere kann seine Mitteilung Ausdruck seiner sehr humanitären Lebenseinstellung sein, da er bereits zuvor als vormaliger Suchtkranker anderen Suchtkranken zur Seite stand. Angesichts dessen reicht es nicht, wenn die Strafkammer, den „stattgehabten kommunikativen Prozess […] auch angesichts der Schwere der Verletzungshandlung und der vergleichsweise nicht besonders schwerwiegenden Tatfolgen als hinreichend“ ansieht.

b) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs abgelehnt und ihrer Strafzumessung einen höheren Strafrahmen zugrunde gelegt hätte. Der Wegfall der Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe, die zugleich die Einsatzstrafe ist, führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Dies entzieht der Berechnung des Vorwegvollzugs die Grundlage und bedingt die Aufhebung seiner Anordnung.

3. Die auf den Umfang der Urteilsanfechtung beschränkte (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 301 Rn. 1 mwN) Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 301 StPO).

4. Das Urteil bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Während die Feststellungen zur Anordnung der Dauer des Vorwegvollzugs, mithin auch die zur erwartenden Therapiedauer von zwei Jahren, Bestand haben (§ 353 Abs. 2 StPO), hebt der Senat die Feststellungen zur Strafzumessung im Fall II.2 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafe insgesamt auf, um der Strafkammer insoweit eine umfassende Neubewertung zu ermöglichen (vgl. zum Umfang der Prüfung BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 ‒ 4 StR 610/19, Rn. 6). Dabei wird das Tatgericht indes zu beachten haben, dass die der Strafzumessung im Fall II.1 der Urteilsgründe zugrundeliegenden Feststellungen bindend sind.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 323

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede