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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2023
24. Jahrgang
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1. Eine Inlandstat im Sinne der §§ 3, 9 StGB ist nicht allein tatbestandsbezogen zu verstehen, sondern umfasst regelmäßig die im Rahmen desselben Lebensvorgangs verwirklichten Delikte und führt auch für diese zur Anwendung deutschen Strafrechts. (BGHSt)
2. Die Frage, ob nur eine Vernehmung vor dem erkennenden Gericht die nach Sach- und Rechtslage erforderliche Ausschöpfung des Beweismittels gewährleistet oder ob auch eine kommissarische oder audiovisuelle Vernehmung zur Sachaufklärung tauglich ist, hat das Tatgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Dabei kann das Tatgericht aufgrund einer ihm obliegenden Abwägung zu dem Ergebnis kommen, dass die audiovisuelle Vernehmung wegen gewisser Defizite gegenüber einem präsenten Zeugen im Einzelfall für die Wahrheitsfindung wertlos, der Zeuge mithin auch unter Beachtung der Möglichkeiten des § 247a StPO ein ungeeignetes Beweismittel ist. (Bearbeiter)
3. Die strafschärfende Berücksichtigung des Tatmotivs, zivilrechtliche Ansprüche unter Missachtung des Gewaltmonopols des Staates im Wege der Selbstjustiz durchzusetzen, begründet im Rahmen der Geiselnahme gemäß § 239b StGB keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (Bearbeiter).
1. § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB ermöglicht den Rücktritt vom unbeendeten Versuch durch Aufgabe der weiteren Ausführung der Tat. Tat in diesem Sinne ist eine Straftat im Sinne eines materiellrechtlichen Straftatbestandes, das heißt die in den gesetzlichen Straftatbeständen umschriebene tatbestandsmäßige Handlung und der tatbestandsmäßige Erfolg. Dementsprechend beschränkt sich beim unbeendeten Versuch der Entschluss, die weitere Tatausführung aufzugeben, auf die Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale (vgl. BGHSt 39, 221, 230). Erforderlich ist insoweit, dass der Täter von der konkreten Tatbegehung endgültig Abstand genommen hat. Nicht aufgegeben ist die Tat, solange er mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält.
2. Maßgeblich für die endgültige Abstandnahme von der Tat ist das Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung. Bei einem mehraktigen Geschehen, innerhalb dessen der Täter verschiedene Handlungen vornimmt, die auf die Herbeiführung eines strafrechtlich relevanten Erfolges gerichtet sind, kommt es auf das subjektive Vorstellungsbild des Täters nach jedem Einzelakt. Bilden jedoch die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen, so ist für die Bestimmung des Rücktrittshorizonts allein die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich. Hierfür müssen die tatgerichtlichen Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen einen Vorsatzwechsel ausschließen und belegen, dass nach der subjektiven Zielsetzung des Täters ein solches einheitliches Geschehen anzunehmen ist.
Kommt ein Rücktritt vom Versuch in Betracht, sind Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten auch bei Erreichen eines außertatbestandlichen Handlungsziels erforderlich.
1. Sind an einer Deliktserie mehrere Personen beteiligt, kommt es nicht darauf an, wie sich die Taten für andere Tatbeteiligte konkurrenzrechtlich darstellen; vielmehr ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH HRRS 2021 Nr. 1092 m.w.N.). Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten – soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt – als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen.
2. Fehlt es an einer individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben.
1. Schwere körperliche oder seelische Schäden im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB und des § 7 Abs. 1 Nr. 8 VStGB sind solche, die eine gravierende und langanhaltende Beeinträchtigung der Fähigkeit des Mitglieds der geschützten Gruppe zur Folge haben, ein normales und konstruktives Leben zu führen. (BGHSt)
2. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann einen Individualgüter schützenden Tatbestand des allgemeinen Strafrechts konkurrenzrechtlich verdrängen. (BGHSt)
3. Die im Katalog des § 7 Abs. 1 VStGB angeführten Begehungsweisen sind rechtlich nicht lediglich als unselbständige Tatmodalitäten eines Tatbestandes, sondern als eigene Tatbestände zu werten. Werden sie durch eine Handlung verwirklicht, stehen sie grundsätzlich im Verhältnis ungleichartiger Tateinheit zueinander. (BGHSt)
1. § 315c Abs. 1 StGB setzt in allen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der ‒ was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist ‒ die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht.
2. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“. Für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt es daher nicht, dass sich Menschen oder Sachen in enger räumlicher Nähe zum Täterfahrzeug befunden haben. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete – etwa aufgrund überdurchschnittlich guter Reaktion – noch zu retten vermochte.
1. Die Unfähigkeit, einen sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern (§ 177 Abs. 2
Nr. 1 StGB), kann auch auf der altersmäßigen Entwicklung eines Kindes beruhen. Eine Vergewaltigung unter Ausnutzung dieser Lage steht in Idealkonkurrenz mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern. Insoweit stellt sich die Rechtslage seit der Neufassung des § 177 StGB durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 anders dar als bei dem Tatbestand des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen nach § 179 Abs. 1 StGB aF (Abgrenzung von BGHSt 30, 144). (BGHSt)
2. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist es geboten, die tatsächlich verwirklichte Tathandlungsvariante von § 184b StGB im Tenor zum Ausdruck zu bringen und insoweit nicht auf die gesetzliche Überschrift zurückzugreifen. (Bearbeiter)
1. Grundsätzlich stellt der gleichzeitige Besitz mehrerer kinderpornographischer Schriften nur eine Tat dar, selbst wenn diese sich auf verschiedenen Datenträgern befinden. Dies gilt nur dann nicht, wenn selbständige Verschaffenstaten festgestellt sind (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 172, 174 mwN).
2. Durch eine Durchsuchung beim Täter wird das Dauerdelikt des Besitzes kinderpornographischer Schriften nur vorübergehend unterbrochen. Dadurch wird die Einheitlichkeit der Tat nicht unterbrochen.
3. Ein durchgehender Besitz ist jedoch nicht in der Lage, mehrere selbständige Verbreitungstaten zu verklammern. Der Tatbestand des Besitzes bleibt in seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafandrohung zum Ausdruck kommt, hinter demjenigen der Verbreitung zurück. Anders läge der Fall nur, wenn der Besitz der betreffenden kinderpornographischen Schrift in zeitlicher oder quantitativer Hinsicht über den für das Verbreiten erforderlichen Besitz hinausgeht.