HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2023
24. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Das Hawala-Finanzsystem als kriminelle Vereinigung

Besprechung von BGH HRRS 2021 Nr. 927

Von Wiss. Mit. Jakob Ebbinghaus, HU Berlin[*]

In seinem Beschluss vom 2.6.2021 hat der BGH die Strafbarkeit eines Hawala-Geldeinsammlers nach § 129 I S. 1 Var. 2, II StGB bejaht. Ein Zusammenschluss, der Transaktionen über das Hawala-System abwickle, sei eine Vereinigung iSd § 129 I, II StGB, die auf die Begehung von Straftaten gem. § 129 I S. 1 StGB ausgerichtet ist, bestehend in dem wiederholten Verstoß gegen § 63 I Nr. 4 ZAG iVm §§ 10 I S. 1, 1 S. 2 Nr. 6 ZAG, da Zahlungsdienst-

leistungen ohne die erforderliche staatliche (BaFin) Genehmigung erbracht wurden. Die Annahme einer Strafbarkeit aus § 129 I, II StGB ist allerdings nach der hier vertretenen Auffassung sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis abzulehnen.

Eingangs wird kurz erläutert, was ein Hawala-System ist (I.) und weshalb eine Strafbarkeit nach dem ZAG von h.L. und BGH angenommen wird (II.). Fraglich ist jedoch, ob eine Strafbarkeit nach § 129 StGB gegeben ist (III.). Bei dieser Frage wird der Schwerpunkt liegen. Es wird sich zeigen, dass der BGH den Tatbestand des § 129 StGB an zwei entscheidenden Stellen aushöhlt und so Abgrenzungsprobleme schafft, die vermieden werden sollten. Zum Schluss wird ein kurzes Fazit gezogen (IV.)

I. Ein Hawala System ist ein vertrauensbasiertes System mittelalterlichen Ursprungs zur Abwicklung von (auch grenzüberschreitenden) Zahlungen,[1] welches sich seit jeher durch eine staatsferne Struktur auszeichnet.[2] Der Ablauf soll anhand eines (vereinfachten) Beispiels veranschaulicht werden:

Person A lebt in Land 1 und möchte gerne eine Zahlung an Person B in Land 2 tätigen. Dafür wendet A sich an die in Land 1 lebende T1, die eine Kontaktperson im Hawala System ist (auch "Hawaladar"[3]). A übergibt T1 das Geld in der Währung des Landes 1 und nennt ihr das der B ebenfalls bekannte Passwort. T1 wendet sich an den Hawaladar T2, welcher im Land 2 lebt und teilt ihm mit, den Betrag (abzüglich Provisionen,[4] üblicherweise iHv. 0,5-5%[5]) an B in der Währung von Land 2 auszuzahlen, welcher sich gegenüber T2 durch Nennung eines Passworts authentifiziert.[6] Der Ausgleich zwischen T1 und T2 findet entweder durch Verrechnung gegenüberstehender Forderungen aus Hawala Transaktionen statt, oder, da es sich bei den Hawaladaren oftmals um Geschäftsleute handelt, durch Lieferung von Waren.[7]

Dieses Beispiel ist vereinfacht, in der Regel werden deutlich mehr Mittelsmänner tätig, bevor der Betrag beim Ziel-Hawaladar verbucht wird. Das Hawala System stellt also keinen vollständigen Ersatz für ein Zahlungsdienstesystem dar, vielmehr ist es auf ein solches zum Teil angewiesen, um die zwischen den Beteiligten angefallenen Forderungen zu verrechnen. Es agiert im Schatten des (mehr oder weniger) legalen Finanzsystems.

II. Das gewerbsmäßige Anbieten von Zahlungsdiensten (§ 1 I S. 2 Nr. 6 ZAG), hier in Form von Finanztransfergeschäften, steht gem. § 10 I S. 1 ZAG unter einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Wird die Erlaubnis nicht eingeholt, stellt erst das Erbringen von Zahlungsdiensten gem. § 63 I 4. Var. 1 ZAG eine Straftat (bis zu 5 Jahren Freiheitstrafe o. Geldstrafe) dar.[8] Grund für die Strafandrohung aus § 63 I Nr. 4 ZAG iVm §§ 10 I S. 1, 1 S. 2 Nr. 6 ZAG ist die Sicherstellung der staatlichen Aufsicht. Diese soll dem Kundenschutz[9] dienen und die Finanzierung von terroristischen Organisationen oder der organisierten Kriminalität austrocknen[10].

Gem. 10 I S. 1 ZAG muss, wer Zahlungsdienste gewerbsmäßig (Alt.1) erbringen will, ohne Zahlungsdienstleister iSd § 1 I S. 1 Nr. 2-5 ZAG zu sein, eine schriftliche Genehmigung der BaFin einholen. Die BaFin-Genehmigung lag in dem Fall des BGH nicht vor (wäre auch aufgrund der dem Hawala-System immanenten Intransparenz nicht erteilt worden).[11] Vorliegend sind Zahlungsdienste in Form von Finanztransfergeschäften einschlägig. Der Begriff des Finanztransfergeschäfts ist in § 1 I S. 2 Nr. 6 ZAG legaldefiniert. Dieser Tatbestand hat dabei einen Auffangcharakter gegenüber § 1 I S. 2 Nr. 1-5 ZAG.[12] Der hier einschlägige § 1 I S. 2 Nr. 6 ZAG findet bereits Anwendung, wenn A dem B einen Geldbetrag übermittelt und die Übermittlung durch C als Dienstleistung erbracht wird, ohne dabei kontengebunden (§ 1 XVII ZAG) zu erfolgen.[13] Ein genaues Nachzeichnen der Subsumtion geht an dieser Stelle zu weit. Festzuhalten ist, dass es bei dem Finanztransfergeschäft nicht erforderlich ist, dass der konkrete Betrag

tatsächlich vom Empfänger in Empfang genommen werden muss (also das physische Bargeld den Empfänger erreicht), vielmehr erfolgt eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, nach der ein Finanztransfer auch durch Aufrechnung mit anderen Forderungen erfolgen kann.[14] Transaktionen im Hawala System stellen daher Finanztransfergeschäfte iSd. § 1 S. 2 Nr. 6 ZAG dar,[15] Finanztransfergeschäfte sind Zahlungsdienste.

Diese Zahlungsdienste müssten auch gewerbsmäßig erbracht werden. Dies ist dann der Fall, "wenn sie auf eine gewisse Dauer angelegt sind und mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden".[16] Das LG subsumierte, dass es dem Angeklagten sowie dem Netzwerk auf die Erwirtschaftung von Profiten ankam und der Angeklagte allein aus dem Grund tätig war, sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen und deshalb eine Gewerbsmäßigkeit bejaht werden konnte.[17] Dies wurde auch vom BGH in Hinblick auf eine Strafbarkeit nach § 63 I Nr. 4 ZAG iVm §§ 10 I S. 1, 1 S. 2 Nr. 6 ZAG nicht beanstandet.[18] Nimmt man hier, mit LG und BGH, eine Gewinnerzielungsabsicht des Zusammenschlusses an, erscheint es naheliegend, dass das gemeinsam verfolgte Interesse der Beteiligten darin besteht, sich selbst finanziell zu bereichern. Der BGH sah dies allerdings iRd Prüfung des § 129 I, II StGB anders (s. III.)

III. Fraglich ist allerdings, ob eine Beteiligung als Geldbote zusätzlich von § 129 I S. 1 Var. 2, II StGB als Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erfasst ist. Dafür muss zunächst geklärt werden, ob ein Verstoß gegen § 63 I Nr. 4 ZAG denkbar ist, ohne dass gleichzeitig nach der Rspr des BGH auch ein Verstoß gegen §§ 129 I, II StGB vorliegt.[19] Dies kann bejaht werden: Denn auch wenn kaum vorstellbar ist, dass Finanztransaktionen im Hawala-System mit nur zwei Beteiligten durchgeführt werden[20], so erfasst § 63 I Nr. 4 ZAG auch Finanztransfergeschäfte in Gestalt der Entgegennahme und Weiterleitung von Geldern auf ausländische Konten im Rahmen vom Handel mit Kryptowährungen[21]. In dieser Konstellation ist es gut vorstellbar, dass für eine Strafbarkeit aus § 129 I, II StGB nicht genügend Personen beteiligt sind oder die Organisationsstruktur den Anforderungen des § 129 I, II StGB nicht entspricht.

Ob hier eine kriminelle Vereinigung iSd § 129 I, II StGB vorliegt, kann aber durchaus bezweifelt werden. Eine Vereinigung ist nach der 2017 eingeführten Legaldefinition ein auf längere Dauer angelegter von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten Interesses. Sofern Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten (die im Höchstmaß mit min. 2 Jahren Freiheitsstrafe verfolgt werden) gerichtet ist, wird die Mitgliedschaft gem. § 129 I S. 1 Alt. 2 StGB mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe bestraft.

Der Zusammenschluss besteht nach den Feststellungen des LG aus mehr als 2 Personen, die sich auf längere Dauer zusammengeschlossen haben, um Straftaten (Verstoß gegen ZAG, s. II.) zu begehen. Auch das organisatorische Element iSd § 129 II StGB liegt vor: Es gab verschiedene WhatsApp Chats und -Gruppen, über welche die Abholung von Geldern koordiniert wurde, sowie eine differenzierte Aufgabenverteilung (Geldeinsammler, Buchhalter, Händler).[22] Anders als das LG sah der BGH in dem Erhalt des Hawala Systems den gemeinsam verfolgten Zweck. Jener gemeinsam verfolgte Zweck (Willenselement) ist dabei der Kern des Vereinigungsbegriffes, welcher eine gegenseitige Kooperationsverpflichtung, einschließlich dem Erbringen eigener Beiträge, zur Erreichung des erstrebten Ziels umfasst.[23] Auf Grundlage dieses Merkmales erfolgt die Abgrenzung zu dem zum Teil strafschärfenden, aber nie strafbegründenden Merkmal der "Bande": Täter in einer Bande verfolgen Partikularinteressen, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung ein übergeordnetes gemeinsames Interesse, dem sich der Einzelne unterordnet.[24] Dem BGH ist zuzustimmen, dass eine Abgrenzung allein über das organisatorische Element nicht möglich ist.[25] Denn auch die Bande weist ein organisatorisches Element auf (vgl. auch § 98a I Nr. 6 StPO: "von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert"). Demgegenüber hat der Gesetzgeber mit der Legaldefinition des Vereinigungsbegriffes gerade eine Absenkung des Erfordernisses des Organisationsgrades bezweckt, sodass auch ein nur rudimentärer Organisationsgrad der Bejahung einer Strafbarkeit aus § 129 I, II StGB nicht im Wege stehen soll.[26] Folglich kommt als maßgebliches Abgrenzungskriterium nur das gemeinsam verfolgte Interesse iSd § 129 II StGB in Betracht.

Umstritten ist aber, ob auch die wirtschaftliche Bereicherung der am Zusammenschluss Beteiligten als gemeinsam verfolgtes Interesse iSd § 129 II StGB ausreicht. Das LG

bejahte dies,[27] der BGH verneinte[28] es. Für die Begründung verweist der BGH in seiner Entscheidung auf ein anderes Urteil[29], welches am gleichen Tag veröffentlicht wurde. Diese Begründung, die erkennbar als Orientierungshilfe für die zuständigen Gerichte formuliert wurde, verdient eine genauere Betrachtung.

In diesem am gleichen Tag erschienenen Urteil wird zunächst festgestellt, dass die Absicht, Straftaten zu begehen, nicht als gemeinsam verfolgter Zweck (= Interesse) iSd § 129 II StGB ausreicht, denn andernfalls käme dem gesonderten Tatbestandsmerkmal aus § 129 I StGB, wonach die Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet ist, keine gesonderte Bedeutung zu, das Tatbestandsmerkmal würde verschleifen.[30] Hier kann man dem BGH (noch) nicht widersprechen.

Anschließend wird auf den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck eingegangen, der in einer vollständigen Umsetzung der Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses 2009/841/JI bestehe.[31] Dafür sprechen der Name des Änderungsgesetzes und die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung sowie die Begründung des Referentenentwurfes durch das Justizministerium.
Diese Deutung des BGH kann m.E. jedoch etwas unter Rückgriff auf Äußerungen im Rahmen der Parlamentsdebatte relativiert werden, wonach die Änderung nicht im Widerspruch mit "wesentlichen Grundgedanken des Gesamtgefüges des Strafrechts für die Behandlung mehrerer zusammenwirkender Personen, wie Vereinigungen, Gruppen, Banden oder die Beteiligungsform der Mittäterschaft"[32] stehen soll.

Das gemeinsam verfolgte Interesse wird vom BGH durch den Grundsatz beschränkt, dass ein gemeinsames Gewinnstreben im Sinne einer wirtschaftlichen Bereicherung der Beteiligten nicht ausreiche.[33] Über diese Einschränkung soll die Abgrenzung zur (wirtschaftskriminellen) Bande erfolgen[34].

Näher wird ausgeführt, wie das gemeinsam verfolgte Interesse festzustellen ist: Im Wege einer Gesamtwürdigung. Hier erfolgt die erste Aushöhlung des Tatbestandes: Ein gemeinsam verfolgtes Interesse setze eine Struktur voraus, in der sich das Interesse bilden könne.[35] Da die Anforderungen an den Organisationsgrad durch die Neufassung 2017 des § 129 StGB abgesenkt wurden, spräche eine ausdifferenzierte Organisationsstruktur dafür, dass über eine individuelle Vorteilsgewinnung hinausgehende Ziele verfolgt werden.[36] Diese Beweiserleichterung soll dabei auch auf wirtschaftlich agierende Zusammenschlüsse Anwendung finden. Nur bei Organisationen, die auch legal am Markt operieren, könne eine ausdifferenzierte Organisationsstruktur nicht zur Herleitung des gemeinsam verfolgten Zwecks herangezogen werden, da hier die Organisationsstruktur auch legalen Zwecken dienen kann.[37] Die ausdifferenzierte Organisationsstruktur muss also ausschließlich illegalen Zwecken dienen, um Grundlage für die Feststellung des gemeinsam verfolgten Interesses zu sein. Neben dem Organisationselement nennt der BGH als weitere Indizien "eine festgelegte einheitliche Willensbildung, eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln, die Anzahl der Mitglieder, ein von den konkreten Personen losgelöster Bestand, eine etwaige Gemeinschaftskasse, die Beanspruchung quasistaatlicher Autorität und die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure".[38]

Dass der BGH damit eine Verschleifung des Tatbestandsmerkmals betreibt, da es nach seiner Vorstellung angenommen werden kann, wenn andere Tatbestandsmerkmale (z.T.: besonders stark ausgeprägt) vorliegen, ist ein naheliegender Vorwurf.[39] Soweit dabei auf das Vorliegen von anderen Tatbestandsmerkmalen (wie die Existenz des Zusammenschlusses unabhängig von dem Bestand der Mitglieder) abgestellt wird, ohne dass eine qualitative Steigerung des Merkmals denkbar wäre, ist m.E. eine Verschleifung zu bejahen. Ein Zusammenschluss besteht entweder unabhängig von der Zusammensetzung der Mitglieder, wie es der Tatbestand erfordert, oder gar nicht. Hinsichtlich qualitativ steigerbare Merkmale (Grad der Organisation) ist zu differenzieren: Es ist durchaus zulässig, (objektive) Tatsachen zur Bestimmung von zwei verschiedenen Tatbestandsmerkmalen heranzuziehen, eine unzulässige Verschleifung wäre es nur, wenn bei dem Vorliegen des einen Tatbestandsmerkmales unmittelbar auf das Bestehen des anderen Tatbestandsmerkmales geschlossen werden kann.[40] Hinsichtlich des Merkmals der Organisationsstruktur kann das noch verneint werden, schließlich genügt das Vorliegen des Organisationselementes allein noch nicht, es muss vielmehr besonders stark ausgeprägt vorliegen. Ob eine Abgrenzung zwischen stark ausdifferenzierter Organisationsstruktur und weniger stark ausdifferenzierter Organisationsstruktur gelingt, bleibt abzuwarten. Dass dies in einer für den Normadressaten vorhersehbarer Weise gelingt, darf aber bezweifelt werden.

Doch ist es mit dieser Beweiserleichterung schon jetzt möglich, den vorher aufgestellten Grundsatz (dass ein gemeinsames Gewinnstreben im Sinne einer wirtschaftlichen Bereicherung der Beteiligten kein gemeinsam verfolgtes Interesse darstellt) auszuhöhlen. Denn sofern der Zusammenschluss einen ausgeprägten Organisationsgrad aufweist und nicht auch legal am Markt tätig ist, kann der

BGH dies zur Bejahung eines gemeinsam verfolgten Interesses heranziehen und damit eine kriminelle Vereinigung annehmen, auch wenn es sich um einen wirtschaftskriminellen Zusammenschluss handelt und nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz nur ein gemeinsames Streben nach wirtschaftlichem Gewinn der Beteiligten vorliegt.

Die zweite Aushöhlung des Tatbestandes wirkt zirkulär: Der BGH führt aus, dass das gemeinsam verfolgte Interesse grundsätzlich auch in dem eigenständigen Fortbestand der Organisation liegen könne[41] (welche als Vereinigung iSd § 129 StGB ja erst durch ein gemeinsam verfolgtes Interesse zustande kommt: Die Vereinigung bestünde also, wenn die Beteiligten das gemeinsame Interesse verfolgen, die Vereinigung bestehen zu lassen.). Dabei lässt sich der BGH durchaus so verstehen, dass es ausreicht, wenn es den Beteiligten darauf ankommt, dass der Zusammenschluss bestehen bleibt (um sich weiterhin zu bereichern, aber vor letzterem werden die Augen schnell verschlossen).

Beweiserleichterung und gemeinsame Interesse an dem Fortbestand der Organisation führen dazu, dass von dem aufgestellten Grundsatz (gemeinsames Gewinnstreben der Beteiligten reicht nicht für ein gemeinsames Interesse iSd § 129 II StGB aus), der die Abgrenzung zur Bande ermöglichen soll, nichts mehr übrig bleibt. Denn auch bei einer Bande, die sich bspw. zur Begehung von Diebstählen zusammengeschlossen hat, ist es naheliegend, dass die Beteiligten ein Interesse daran haben, das die Bande fortbesteht, um sich aus den Früchten der Taten zu bereichern.

Wie ist aber die Anwendung dieser Leitlinien in der Hawala-Entscheidung zu bewerten? Dass der BGH in dem Erhalt des Hawala Systems das übergeordnete gemeinsam verfolgte Interesse iSv § 129 II StGB sah, ist kein Zirkelschluss: Denn von dem international tätigen Hawala Netzwerk bzw. System, das länderübergreifend Zahlungen abwickelt, trennen BGH und LG den konkreten Zusammenschluss, welcher Hawala Transaktionen in Teilen Deutschlands abwickelt.[42] Es entspricht dabei der Rspr des BGH, dass auch solche Teile von international tätigen Zusammenschlüssen, eine inländische Vereinigung iSd § 129 StGB darstellen können, insbesondere dann, wenn der Teil alle Voraussetzungen des § 129 StGB erfüllt.[43] Auf die zweite Aushöhlung wird somit verwiesen; sie wird aber vom BGH hier nicht angewandt. Die erste Aushöhlung des Tatbestandes (durch die Beweiserleichterung) genügt. Denn im Rahmen der Prüfung des § 129 I, II StGB führte das LG detailliert aus, wie die Organisationsstrukturen des Zusammenschlusses aussahen, um das organisatorische Element der Vereinigung bejahen zu können. Von diesen Strukturen nimmt der BGH an, dass sie einem gemeinsam verfolgten Zweck dienen. Somit folgte der BGH dem LG ausdrücklich nicht,[44] als es meinte, dass der gemeinsame Zweck[45] iSd § 129 II StGB in der Bereicherung der Beteiligten aus den im Rahmen der Transaktionen anfallenden Gebühren des Hawala Systems läge[46], obwohl eine Gewerbsmäßigkeit nach § 10 I ZAG (s. II.) angenommen wurde, für die eine Gewinnerzielungsabsicht erforderlich ist. Auch wenn eine Gewinnerzielungsabsicht (wie für die Gewerbsmäßigkeit erforderlich) nicht immer mit einer Bereicherungsabsicht im strafrechtlichen Sinne gleichzusetzen ist, so kann dies im vorliegenden Fall jedoch erfolgen. Hätte der BGH jedoch konsequenterweise den gemeinsam verfolgten Zweck in der wirtschaftlichen Bereicherung der Beteiligten angenommen, so wäre § 129 StGB nicht einschlägig.[47]

IV. Mit der Hawala Entscheidung zeigt der BGH, dass er den Grundsatz, der eine Abgrenzung des § 129 StGB zum Merkmal der "Bande" gewährleisten soll, aufgegeben hat. Es ist widersprüchlich, bei dem das Hawala System betreibenden Zusammenschluss einerseits eine Gewerbsmäßigkeit (und damit auch eine Gewinnerzielungsabsicht) zu bejahen, um zu einer Strafbarkeit aus § 63 I Nr. 4 ZAG iVm §§ 10 I S. 1, 1 S. 2 Nr. 6 ZAG zu gelangen, andererseits das gemeinsam verfolgte Interesse nicht in der wirtschaftlichen Bereicherung der Beteiligten zu sehen, um zu einer Strafbarkeit aus § 129 StGB zu gelangen, ist widersprüchlich. Eine derartige Dichotomie des Zusammenschlusses ist mit der Konzeption des § 129 StGB unvereinbar. Deshalb erscheint es konsequenter, mit dem LG die Verfolgung der wirtschaftlichen Bereicherung der Beteiligten anzunehmen. Doch verdient der BGH Zustimmung, wenn er meint, dass nach der Auffassung des LG eine Abgrenzung zur Bande nicht mehr möglich wäre. Und indem der BGH hier eine Strafbarkeit aus § 129 StGB angenommen hat, ist dies auch tatsächlich unmöglich geworden. Deshalb ist es begrüßenswert, dass der BGH in seiner jüngsten Entscheidung für die Annahme des gemeinsam verfolgten Interesses auch auf altruistische Motive der Beteiligten abstellte,[48] auch wenn die hier dargestellte und kritisierte Auslegung des § 129 StGB nicht aufgegeben wurde.


[*] Jakob Ebbinghaus ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, ausländisches Strafrecht und Strafrechtstheorie von Prof. Dr. Greco (LL.M.) an der Humboldt Universität zu Berlin.

[1] https://www.faz.net/aktuell/finanzen/illegale-finanzgeschaefte-mit-hawala-16606994.html ?; dagegen Eggers/van Cleve NZWiSt 2020, 426: "umschreibt ein bargeldloses auf Vertrauen basierendes Zahlungssystem ohne urkundliche Sicherung": hawal bedeute "Wechsel" und/oder "Transfer", Eggers, van Cleve aaO, Fn.10; Erste Nationale Risikoanalyse, Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung 2018/2019, 47.

[2] Eggers/van Cleve NZWiSt 2020, 426; Taheri, Das Hawala System, BKR 2020, 133, 134; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestag, WD 4 – 3000 – 154/19 S. 4, auffindbar über die Website des dt. Bundestages unter WD 7 – 188/19.

[3] Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestag, WD 4 – 3000 – 154/19 S. 4.

[4] LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 22; Eggers, van Cleve NZWiSt 2020, 426; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestag, WD 4 – 3000 – 154/19 S. 4.

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] BGH NStZ 2022, 35, 38, 39 = HRRS 2021 Nr. 927; so auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestag, WD 7 – 3000 – 188/19 S. 4, welcher aber bei den in Frage kommenden strafrechtlichen Bestimmungen § 129 StGB nicht erwähnte, obwohl § 129 II StGB bereits in Kraft getreten war.

[9] BGH NStZ-RR 2021, 388 = HRRS 2021 Nr. 930; besonders betont aktuell von BGH HRRS 2022 Nr. 905 Rn. 16; aA: Taheri BKR 2020, 133, 135.

[10] Vgl. BGH NStZ-RR 2021, 388= HRRS 2021 Nr. 930: IS-Finanzierung über Hawala Banking; Taheri BKR 2020, 133, 135; ferner: https://www.faz.net/aktuell/finanzen/illegale-finanzgeschaefte-mit-hawala-16606994.html? iVa 9/11 Commission p. 171, 498, 504; Erste Nationale Risikoanalyse, Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung 2018/2019, 47: "Im Bereich des islamistischen Terrorismus finden informelle Finanztransfersysteme (etwa Hawala) weiterhin großen Einsatz.".

[11] LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 28.

[12] Schäfer/Omlor/Mimberg/Mimberg ZAG § 1 Rn. 119.

[13] Schäfer/Omlor/Mimberg/Mimberg ZAG § 1 Rn. 119, 129 f., 132: was aber nicht heißt, dass im Rahmen des Transfers nicht Zahlungskonten zum Einsatz kommen dürfen, es darf bloß kein Zahlungskonto "auf den Namen des Zahlers oder des Zahlungsempfängers eingerichtet" worden sein; diese Negativ-Bedingung ist bei einer Hawala Transaktion erfüllt.

[14] Schäfer/Omlor/Mimberg/Mimberg ZAG § 1 Rn. 139, 140, so auch LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 29, 112.

[15] So auch LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 109 ff.

[16] LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 123; Schwennicke/Auerbach/Schwennicke ZAG § 10 Rn. 10 iVa. Schwennicke/Auerbach/Schwennicke KWG § 1 Rn. 6.

[17] LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 125.

[18] BGH NStZ 2022, 35, 37 (Rn. 16) = HRRS 2021 Nr. 927.

[19] Andernfalls könnte der Unrechtsgehalt des § 129 I, II StGB im § 63 I Nr. 4 ZAG aufgehen, sodass ersterer nicht anzuwenden wäre, was eine Beschränkung der strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse nach sich ziehen würde.

[20] Dahingehend war das Bsp. unter I. eine Vereinfachung.

[21] Schäfer/Omlor/Mimberg/Weiß ZAG § 63 Rn. 53.

[22] LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 141 ff., BGH stimmte dem zu.

[23] SK-StGB/Stein/Greco (2019) § 129 StGB Rn. 11 ff., zustimmend ebenfalls zur neuen Gesetzeslage Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages WD 7 – 3000 – 069/18 S. 6 iVa. BGH NJW 2005, 80,81; BGH NStZ 2022, 35, 36; Kinzig NJW 2021, 2813; 2817. Der BGH verwendet ‚Zweck‘ und ‚Interesse‘ z.T. synonymhaft.

[24] BGH NStZ 2022, 159 = HRRS 2021 Nr. 1230; SK-StGB/Stein/Greco (2019) § 129 StGB Rn. 15; LK-StGB/Krauß § 129 StGB Rn. 40.

[25] BGH wistra 2021, 441, 444; aA: Sinn/Iden/Pörtner ZIS 2021, 435.

[26] BT DS 18/11275 S. 10.

[27] LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 132, 135.

[28] BGH NStZ 2022, 35, 36 = HRRS 2021 Nr. 927.

[29] BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21 –, juris, Rn. 21 ff. = BGH NJW 2021, 2813, 2814 = HRRS 2021 Nr. 795.

[30] BGH NJW 2021, 2813, 2815= HRRS 2021 Nr. 795.

[31] BGH NJW 2021, 2813, 2815= HRRS 2021 Nr. 795.

[32] Bähr-Losse BuTa 18. Wahlperiode 221. Sitzung 8.3.2017, S. 22354, in der Rede vom 1.6.17 (S. 24266 f.) aber nicht mehr erwähnt.

[33] BGH NJW 2021, 2813, 2815f. = HRRS 2021 Nr. 795.

[34] Martin, in: Kriminalistik 2018, 269, 271; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 3 StR 277/09 = BGHSt 54, 216-236, Rn. 44 = HRRS 2010 Nr. 71; iVa BGHSt 46, 321, 329 f. (= BGH GSSt 1/00); Greier jurisPR-StrafR 19/2021 Anm. 1.

[35] BGH NJW 2021, 2813, 2816 = HRRS 2021 Nr. 795.

[36] BGH NJW 2021, 2813, 2815 = HRRS 2021 Nr. 795.

[37] BGH NJW 2021, 2813, 2815 = HRRS 2021 Nr. 795; krit.: SK-StGB/Stein/Greco § 129 StGB Rn. 22.

[38] BGH NJW 2021 2813, 2816 = HRRS 2021 Nr. 795.

[39] Der bereits von anderen erhoben wurde, vgl. Eggers wistra 2021, 441, 448.

[40] Vgl. Krell ZStW 126 (2014), 902, 910.

[41] BGH NJW 2021, 2813, 2816 = HRRS 2021 Nr. 795.

[42] BGH NStZ 2022, 35, 36 Rn .7 (= HRRS 2021 Nr. 927): "[…]der das Hawala System betreibenden Organisation[…]"; dazu passt auch BGH HRRS 2022 Nr. 905 (hatte auch ein das Hawala-System betreibende Organisation zum Gegenstand, welche aber nicht inländisch war, Rn. 20), anders: Nestler/Schiffner Anm. zu BGH NStZ 2022, 35, 38, nach denen der BGH nicht zwischen der konkreten Organisation und dem Hawala System unterschied, vielmehr der Fortbestand der Organisation selbst der gemeinsam verfolgte Zweck darstelle.

[43] Problem. nur bei streng hierarchisch organisierten Strukturen, vgl. zu § 129a StGB BGHSt 56, 28; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz § 129 StGB Rn. 25.

[44] Vgl. BGH NStZ 2022, 35, 37, Rn. 10 = HRRS 2021 Nr. 927.

[45] Eigentlich: gemeinsam verfolgtes Interesse.

[46] LG Mannheim, 22 KLs 540 Js 6574/20 BeckRS 2020, 50512, Rn. 135.

[47] In der neusten Entscheidung (BGH 3 StR 403/20 = HRRS 2022 Nr. 905) zur Hawala-Problematik wird richtigerweise in Rn. 15 auch auf die altruistischen Motive der Geldeinsammler verwiesen, die ihren Landsleuten eine Möglichkeit verschaffen wollten, Transaktionien zu tätigen.

[48] BGH HRRS 2022 Nr. 905 Rn. 15.