HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2022
23. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1265. BGH 2 StR 50/21 - Urteil vom 6. Juli 2022 (LG Limburg an der Lahn)

Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (abstraktes Gefährdungsdelikt; Telos: Schutz des freien Wettbewerbs und des Geschäftsherrn; Unrechtsvereinbarung: Gesamtwürdigung; unlautere Bevorzugung: auch bevorzugte Zulassung zu einem internen Auswahlverfahren, Einladung zu einem beschränkten Teilnahmewettbewerb, subjektiviert, keine genaue Vorstellung von der Verletzung eines bestimmten Mitbewerbers in einer konkreten Wettbewerbssituation notwendig, keine Konkretisierung zurzeit der Unrechtsvereinbarung notwendig, sachlicher Gehalt in groben Umrissen erkennbar und festgelegt, Abgrenzung von geschäftsüblichen Maßnahmen zur bloßen „Klimapflege“ oder „sozialadäquaten Zuwendungen“); Beweiswürdigung (beschränkte Revisibilität der Beweiswürdigung; lückenlose Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände: keine isolierte Beurteilung eines Beweisanzeichens, wahres Gewicht von Einzelindizien).

§ 299 StGB; § 261 StPO

1. § 299 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Es schützt den freien Wettbewerb und den Geschäftsherrn. Er bestraft nicht eine bloße Belohnung von bereits ausgeführten Leistungen, sondern nur ein Handeln aufgrund einer ausdrücklich oder konkludent geschlossenen Unrechtsvereinbarung zwischen einem Angestellten oder Beauftragten des Geschäftsherrn und dem Vorteilsgeber

dahin, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung („dafür“) dienen soll.

2. Eine künftige unlautere Bevorzugung in diesem Sinn besteht in einer sachfremden Entscheidung zwischen verschiedenen Wettbewerbern; sie kann auch in einer bevorzugten Zulassung zu einem internen Auswahlverfahren oder in einer Einladung zu einem beschränkten Teilnahmewettbewerb liegen. Zur Annahme einer Unrechtsvereinbarung reicht es aus, wenn die Übereinkunft der Beteiligten darauf zielt, dass der Vorteilsgeber innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereichs oder Kreises von Lebensbeziehungen nach einer gewissen Richtung hin tätig werden soll.

3. Die Bevorzugung ist subjektiviert. Hinreichend ist es, wenn die zum Zweck des Wettbewerbs vorgenommene Vorteilsgewährung nach der Vorstellung der Tatbeteiligten dazu geeignet ist, eine Bevorzugung im Wettbewerb zu veranlassen. Einer genauen Vorstellung von der Verletzung eines bestimmten Mitbewerbers in einer konkreten Wettbewerbssituation bedarf es nicht. Künftige Mitbewerber im Sinne des abstrakten Gefährdungsdelikts sind auch nicht nur diejenigen, die sich im Einzelfall um den Absatz ihrer Leistungen bemühen oder für die Erfüllung von Aufträgen in Aussicht genommen sind, sondern alle Gewerbetreibenden, die Leistungen gleicher oder verwandter Art in den geschäftlichen Verkehr einbringen. Es genügt bereits, dass die Beteiligten zurzeit der Unrechtsvereinbarung mit der Möglichkeit des Wettbewerbs anderer gerechnet haben.

4. Die künftige Bevorzugung muss zurzeit der Unrechtsvereinbarung nicht genau konkretisiert sein. Da dann oft noch keine genaue Vorstellung darüber besteht, wann, bei welcher Gelegenheit und in welcher Weise die Vereinbarung eingelöst werden soll, genügt es, wenn die ins Auge gefasste künftige Bevorzugung nach ihrem sachlichen Gehalt in groben Umrissen erkennbar und festgelegt ist. Erforderlich ist nur eine Konkretisierung der künftigen Gegenleistung für den gewährten Vorteil insoweit, als sie von geschäftsüblichen Maßnahmen zur bloßen „Klimapflege“ oder „sozialadäquaten Zuwendungen“ abgegrenzt und dadurch als rechtswidrige Handlung wegen Verknüpfung mit einem inadäquaten Vorteil bewertet werden kann.

5. Lässt sich eine zwischen den Beteiligten getroffene Unrechtsvereinbarung nach Zeitpunkt und Inhalt nicht im Einzelnen konkretisieren, müssen die Indizien, die für und gegen ihre Existenz sprechen, in einer lückenlosen Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände abgewogen werden.

6. Rechtsfehlerhaft ist es, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat. Danach sind entlastende Angaben eines Angeklagten nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Tatsachenmitteilungen des Angeklagten müssen vielmehr auf ihre Glaubhaftigkeit überprüft werden. An die Bewertung seiner Einlassung sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden.

7. Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtschau vorzunehmen. Ein auf einen feststehenden Kern gestütztes Beweisanzeichen, dessen Bedeutung für sich genommen unklar bleibt, darf nicht nur isoliert beurteilt werden. Beweisanzeichen können in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen. Erst durch die Gesamtwürdigung zusammen mit den weiteren Beweisergebnissen entfalten Einzelindizien ihr wahres Beweisgewicht.


Entscheidung

1190. BGH 1 StR 14/22 - Urteil vom 20. September 2022 (LG Augsburg)

Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (Tateinheit bei mehreren Vorteilsgewährungen aufgrund einer vorangegangenen Unrechtsabrede: Einräumung einer Gesellschafterstellung mit fortlaufenden Ausschüttungsansprüchen; Einziehung: Ausschluss der Einziehung bei Rückgewährung des Vorteils an den Bestechenden); Einziehung (Einziehung beim Täter, wenn Tatvorteile durch eine juristische Person erlangt wurden: Voraussetzungen, Gesamtschuld); Beweiswürdigung (Anforderungen an ein freisprechendes Urteil).

§ 299 Abs. 1 StGB; § 52 StGB; § 73 Abs. 1 StGB; § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB § 73e Abs. 1 StGB; § 426 BGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO

1. Die einzelnen Begehungsweisen des § 299 Abs. 1 StGB werden bei einer Unrechtsvereinbarung nur dann zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit zu einer Tat verbunden, wenn der zu gewährende Vorteil bereits in der Unrechtsvereinbarung exakt bestimmt war, mag er auch in bestimmten Teilleistungen zu erbringen sein, und nicht von Umständen abhängig gemacht wird, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu überblicken sind.

2. In Fällen, in denen die Laufzeit der Vorteilsgewährung offen ist, die Vorteilsgewährung also „open-end“-Charakter trägt, erfüllt hingegen jede einzelne Zahlung erneut den Tatbestand, weil die einzelnen Handlungen der Annahme (beziehungsweise des Forderns oder des Gewährens) dann zu großes, selbständiges Gewicht besitzen, als dass dieses zusammen mit der Unrechtsabrede nur eine Tat bilden könnte. Daneben bleibt die Abrede als selbständige Tat bestehen, denn auch sie hat eigenständiges Gewicht.

3. Liegt der geforderte Vorteil in der Einräumung einer Gesellschafterstellung, an die fortlaufende Gewinn- bzw. Ausschüttungsansprüche geknüpft sind, und wird dem Bestochenen in der Folge diese Rechtsposition eingeräumt, werden das Fordern der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung und die Einräumung der Gesellschafterstellung zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit verknüpft. Die späteren vertragsgemäßen, als solche ernsthaft gewollten Ausschüttungen sind regelmäßig kein selbständiger tatbestandsmäßiger Vorteil, weil die Ausschüttungen in einem solchen Fall lediglich Folge und Ausfluss der eingeräumten Beteiligung an der Gesellschaft sind.

4. Der Bestechende, aus dessen Vermögen die Bestechungsleistung abfließt, ist schon wertungsmäßig kein „Verletzter“ im Sinne des § 73e Abs. 1 StGB, sondern Täter

des Bestechungsgeschehens. Er ist aber auch deshalb nicht „Verletzter“, weil er keinen Anspruch gegen den Bestochenen auf Rückgewähr des gewährten Vorteils hat.

5. Anderes kann gelten, wenn der Bestechende dem Bestochenen den Vorteil aus dem Vermögen eines Dritten zuwendet, beispielsweise aus dem Vermögen einer Gesellschaft, für die er arbeitet und die Vertragspartner des Bestochenen ist oder wird; in einer solchen Konstellation kann die dritte Person, aus deren Vermögen der Vorteil an den Bestochenen abfließt, Verletzter im Sinne des § 73e Abs. 1 StGB sein und bei solch kollusivem Zusammenwirken zu seinen Lasten einen Anspruch auf Rückgewähr gegen den Bestochenen haben.

6. Nach ständiger Rechtsprechung bedarf es zur Begründung einer Einziehungsanordnung gegen den für eine Gesellschaft handelnden Täter einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangte, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz führte. Das kann sich insbesondere daraus ergeben, dass der Täter die Gesellschaft lediglich als formalen Mantel seiner Tat nutzte, insbesondere eine Trennung zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der Gesellschaft nicht vornahm, oder dass der aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wurde (vgl. BGHSt 64, 234 Rn. 26 ff.).In einem solchen Fall haften Gesellschaft und Täter als Gesamtschuldner, und zwar ab dem Zeitpunkt des Geldeingangs auf dem Gesellschaftskonto.


Entscheidung

1283. BGH 2 StR 353/21 - Beschluss vom 22. Juni 2022 (LG Frankfurt am Main)

Gläubigerbegünstigung (Konkurrenzen: lex specialis zur Bankrottstrafbarkeit, Begründung der Sperrwirkung, mitbestrafte Nachtat, Vertiefung der Rechtsgutsverletzung; Gläubiger: Vorliegen, Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, nichtige Ansprüche, Irrtum über privilegierende Tatbestandsumstände, keine Entlastung des Täter von der ihm zurechenbaren Erfolgsverursachung; inkongruente Deckung: Vorliegen, Veranlassung eines Drittschuldners zur Zahlung an einen bestimmten Gläubiger zum Zwecke der Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit, subjektive Tatseite); Ablehnung von Beweisanträgen (Wahrunterstellung: nur Tatsachen, keine Rechtsfragen.

§ 283c StGB; § 283 StGB; § 16 Abs. 2 StGB; § 244 StPO

1. Soweit eine Strafbarkeit wegen Gläubigerbegünstigung nach § 283c Abs. 1 StGB vorliegt, verdrängt und sperrt diese als lex specialis die regelmäßig ebenfalls einschlägige Bankrottstrafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Denn die Strafnorm des § 283c Abs. 1 StGB entfaltet eine privilegierende Sperrwirkung hinsichtlich solcher tatbestandmäßigen Handlungen, die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung zu Gunsten eines Gläubigers begangen werden.

2. Gläubiger im Sinne des § 283c Abs. 1 StGB ist jeder Inhaber eines vermögensrechtlichen Anspruchs gegen den Schuldner. Dies gilt auch für denjenigen, der den Anspruch erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erlangt. Maßgeblich ist die zivilrechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts; bei nichtigen Ansprüchen fehlt die Gläubigereigenschaft.

3. Eine inkongruente Deckung liegt vor, wenn der Gläubiger den Vorteil nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hat. Nicht in der Art besteht der Anspruch vor allem bei Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber. Dies gilt auch, wenn der Schuldner einen Drittschuldner zur Zahlung an einen bestimmten Gläubiger zum Zwecke der Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit veranlasst. Denn es besteht kein Anspruch des Gläubigers, seine Forderung durch einen Dritten erfüllt zu bekommen, da darin im Regelfall eine nicht unerhebliche Abweichung vom vereinbarten Erfüllungsweg liegt.

4. Konstruktiv fingiert § 16 Abs. 2 StGB die Erfüllung des objektiven Privilegierungstatbestandes, um den Täter nicht ungerechtfertigt von der ihm zurechenbaren Erfolgsverursachung zu entlasten.

5. Im Wege der Wahrunterstellung dürfen nach § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO nur Tatsachen, jedoch keine Rechtsfragen als wahr behandelt werden.


Entscheidung

1189. BGH 1 StR 11/22 - Beschluss vom 26. Juli 2022 (LG Darmstadt)

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Bestimmung des gezahlten Schwarzlohns: zulässige Schätzung, keine Berücksichtigung einer verdeckten Gewinnausschüttung als Unternehmerlohn, keine Rückwirkung von Allgemeinverbindlicherklärungen).

§ 266a Abs. 1 StGB; § 261 StPO; § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG; § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV

1. Es ist dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Bestimmung des Beitragsschadens nach § 266a StGB bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer die Höhe des an Arbeitnehmer ausbezahlten Schwarzlohns zu schätzen, soweit zu einer konkreteren Bestimmung – etwa anhand erbrachter Arbeitszeiten und konkreter, branchenüblicher oder tarifvertraglicher Stundenlöhne – keine zuverlässigen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind. Er darf dann eine branchenübliche Lohnquote – und zwar eine Nettolohnquote – des jeweils verfahrensgegenständlichen Gewerbes ermitteln und diese als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung zugrunde legen.

2. Soweit Schätzungsmethoden an eine Lohnquote anknüpfen, schließt diese grundsätzlich nicht den „Unternehmerlohn“ des Betriebsinhabers ein. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betriebsinhaber Einzelunternehmer ist, der unmittelbar Gewinn vereinnahmt, oder Alleingesellschafter (gegebenenfalls über Treuhänder) und (faktischer) Geschäftsführer einer GmbH, der auch ein Geschäftsführergehalt erhält. Steuerrechtlich sind verschleierte Zahlungen einer GmbH an ihren beherrschenden Gesellschafter oder ihm nahestehende Personen bei dem Gesellschafter regelmäßig verdeckte Gewinnausschüttungen, die den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), und beim Gesellschafter nicht zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, sondern zu Einkünften

aus Kapitalvermögen führen. Auch sozialrechtlich ist bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer zwischen Einnahmen aus einer Beschäftigung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) und Einnahmen aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses zu unterscheiden.

3. Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen wirkt strafrechtlich nicht zurück. Dies gilt gleichermaßen für die Allgemeinverbindlicherklärung durch Gesetz und durch den zuständigen Bundesminister). Bis zu der strafrechtlich wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags ist aber eine mögliche Nachwirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten vorangegangenen Tarifvertrags auch strafrechtlich zu beachten.


Entscheidung

1202. BGH 1 StR 470/21 - Urteil vom 28. Juli 2022 (LG Kleve)

Steuerhinterziehung durch das pflichtwidrige Nicht-Verwenden von Steuerzeichen (Hinterziehung von Tabaksteuer; taugliche Täter: Bestimmung nach den Vorschriften des TabStG, keine einschränkende Auslegung anhand der §§ 25 ff. StGB; kein Ausschluss der Strafbarkeit, weil für unerlaubt hergestellte Produkte keine Steuerzeichen erlangt werden können, omissio libera in causa; Konkurrenzverhältnis zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen); Steuerhehlerei (Begriff des Sich-Verschaffens).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO; § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 TabStG; §§ 25 ff. StGB; § 374 Abs. 1 StGB; § 13 StGB

1. Der Täterkreis des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO umfasst nicht nur die berechtigen Bezieher von Steuerzeichen, sondern auch die Steuerschuldner (§ 15 Abs. 4 TabStG).

2. Die weite Fassung des § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 TabStG („jede an der Herstellung beteiligte Person“) ist nicht unter Heranziehen der allgemeinen Grundsätze der §§ 25 ff. StGB einschränkend auszulegen: Die Wertung des Verbrauchsteuerrechts gilt auch für das Steuerstrafrecht; darauf, ob die beteiligten Produktionshelfer unabhängig von verbrauchsteuerrechtlichen Erklärungs- oder Verwendungspflichten eher als Gehilfen (§ 27 StGB) einzuordnen wären, kommt es nicht an. Dies folgt aus der Systematik des Steuerstrafrechts als Blankettstrafrecht. An die allein nach dem Verbrauchsteuerrecht zu klärenden Vorfragen knüpft das Steuerstrafrecht an; die vom Bundesgesetzgeber gewählte Verweisungstechnik der §§ 370 ff. AO i.V.m. den in Bezug genommenen Normen des Steuerrechts ist spezieller als die allgemeinen Vorschriften der §§ 25 ff. StGB und geht daher vor.

3. Einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO steht nicht entgegen, dass der Täter keine Steuerzeichen beziehen kann, ihm also die Erfüllung der gebotenen Handlungspflicht unmöglich ist. Entscheidend ist, dass er sich im Sinne eines Vorverschuldens durch sein Mitwirken am unerlaubten Herstellen in eine Situation bringt, in der er nachfolgend zwingend gegen die Pflicht zur Verwendung von Steuerzeichen verstoßen muss; er kann indes ohne Weiteres seine Mitwirkung unterlassen.


Entscheidung

1195. BGH 1 StR 233/22 - Beschluss vom 22. September 2022 (LG Krefeld)

Steuerhehlerei (Begriff des Sichverschaffens: Versuchsbeginn; Verhältnis von Sich-Verschaffen und Absetzen bzw. Absatzhilfe).

§ 374 Abs. 1 AO; § 22 StGB

1. „Sichverschaffen“ im Sinne des § 374 Abs. 1 AO setzt das Erlangen eigener Verfügungsgewalt voraus. Für den Versuchsbeginn ist, sofern die Parteien nicht vor Ort über das Absatzgeschäft verhandeln und der Veräußerer die Ware sogleich nach der Einigung übergeben kann, zumindest erforderlich, dass sich der Lieferant mit den unversteuerten Gegenständen auf den Weg zum Zwischenhehler begibt.

2. Sowohl das „Absetzen“ als eigenständiges Bemühen um Verwertung der eingeführten oder verbrauchsteuerpflichtigen Ware auf fremde Rechnung als auch die Absatzhilfe (setzen fremdnütziges Verhalten voraus; in diesem Sinne schließen sich „Sichverschaffen“ auf der einen und Absetzen sowie Absatzhilfe auf der anderen Seite gegenseitig aus. Zudem sind die Absatzbemühungen des Zwischenhehlers für diesen straflos und nicht lediglich als mitbestrafte Nachtat einzuordnen.


Entscheidung

1204. BGH 1 StR 479/21 - Beschluss vom 21. September 2022 (LG Kleve)

Steuerhehlerei (Begriff des Sichverschaffens: Erlangen eigener Verfügungsgewalt im eigenen Interesse).

§ 374 Abs. 1 AO

Täterschaftliches „Sichverschaffen“ (§ 374 Abs. 1 Variante 1 AO) setzt das Erlangen eigener Verfügungsgewalt voraus, und zwar im eigenen Interesse. Das „Drittverschaffen“ ist demgegenüber fremdnützig, also zwar ein selbständiger Erwerb, aber zugunsten des Dritten. Es gelten allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nach §§ 25 ff. StGB; maßgeblich ist damit vor allem, ob die Beteiligten selbst Tatherrschaft haben oder den Weisungen eines Dritten unterworfen sind. Der bloße Besitzerwerb an den unversteuerten Tabakwaren oder die bloße Besitzausübung genügt für ein Sichverschaffen nicht.