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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2022
23. Jahrgang
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1. Ein milderes Gesetz im Sinne des § 16 Abs. 2 StGB ist allein eine privilegierende lex specialis. Diese Voraussetzung erfüllt § 184c Abs. 1 StGB im Verhältnis zu § 184b Abs. 1 StGB nicht. (BGHSt)
2. Die auf der Rechtsfolgenseite des § 16 Abs. 2 StGB gewählte Formulierung, dass der Täter wegen vorsätzlicher Begehung „nur“ nach dem milderen Gesetz bestraft werden kann, macht deutlich, dass sich diese Regelung auf Fälle bezieht, in denen der Vorsatz des Täters alle Umstände umfasst, die den Tatbestand des schwereren Deliktes erfüllen, so dass er ohne die zu seiner Begünstigung geschaffene Regelung des § 16 Abs. 2 StGB aus diesem zu bestrafen wäre, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht vollständig vorliegen. Eine solche Konstellation liegt vor, wenn es sich bei dem Tatbestand des „milderen Gesetzes“ um die Privilegierung eines mit höherer Strafe bedrohten Grunddeliktes handelt. Sie ist nicht gegeben, wenn die beiden in Rede stehenden Delikte zueinander im Verhältnis der Alternativität stehen und der festgestellte Sachverhalt in objektiver Hinsicht das schwerere Delikt verwirklicht, während der Täter irrig von Umständen ausgeht, die – lägen sie vor – den Tatbestand des anderen, „milderen“ Delikts erfüllen würden. (Bearbeiter)
3. Nach dem Regelungskonzept des Gesetzgebers hat § 16 Abs. 2 StGB in erster Linie die Funktion, in den bezeichneten Irrtumsfällen die Anwendung des schwereren Tatbestands auszuschließen, um den Täter besser zu stellen, als er ohne die Regelung stehen würde. Dieser Funktion entspricht auch die systematische Stellung der Norm im Gefüge der Irrtumsvorschriften. Denn sowohl der vorstehende § 16 Abs. 1 StGB als auch der nachstehende § 17 StGB sind Vorschriften, die den Täter unter den Voraussetzungen eines Tatsachen- bzw. Rechtsirrtums begünstigen. (Bearbeiter)
4. Die zweite Funktion des § 16 Abs. 2 StGB liegt – gleichsam als Kehrseite – darin, die Bestrafung des Täters wegen Vollendung des milderen Tatbestands zu ermöglichen, obwohl dogmatisch-konstruktiv nur ein Versuch vorliegt, da der Täter ein objektives Merkmal des milderen Tatbestands – nämlich dasjenige, das dessen Anwendung anstelle des schwereren Tatbestands bewirkt – lediglich irrtümlich annimmt. Ungeachtet der Frage, ob § 16 Abs. 2 StGB die Erfüllung des objektiven Tatbestands des milderen Strafgesetzes fingiert, um das „dogmatisch Unmögliche positivgesetzlich möglich zu machen“, oder diese Rechtsfolge aus der „materielle[n] Wertstruktur des Privilegierungsirrtums“ folgt, belegt die strafbegründende Wirkung der Irrtumsregelung ihren Ausnahmecharakter. Dies spricht dafür, sie eng auszulegen und auf Fälle der Privilegierung zu beschränken. (Bearbeiter)
Der 5. Strafsenat gibt die in der Entscheidung zur Manipulation der Organvergabe vertretene Ansicht, der Unterlassungsvorsatz erfordere die Vorstellung, das eigene Tatverhalten werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Taterfolg auslösen, auf die Anfrage des 4. Strafsenates auf.
Wird dieselbe Person durch mehrere Handlungen des Täters verletzt, handelt es sich um eine einheitliche (gefährliche) Körperverletzung, wenn die einzelnen Akte ohne wesentliche Zäsur in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen und mit der Mehrheit der Handlungen das tatbestandliche Unrecht intensiviert wird. Der Grundtatbestand des § 223 StGB tritt dabei hinter § 224 StGB zurück.
1. Der Anwendungsbereich der Variante der unbefugten Verwendung von Daten gemäß § 263a Abs. 1 StGB ist unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Zwecks der Vorschrift durch die Struktur- und Wertgleichheit mit dem Betrugstatbestand bestimmt. Mit § 263a StGB sollte (lediglich) die Strafbarkeitslücke geschlossen werden, die dadurch entstanden war, dass der Tatbestand des Betruges menschliche Entscheidungsprozesse voraussetzt, die beim Einsatz von EDV-Anlagen fehlen. Das Tatbestandsmerkmal „unbefugt” erfordert daher eine betrugsspezifische Auslegung. Unbefugt ist die Verwendung der Daten dann, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte.
2. Ein durch unbefugte Datenverwendung zustande gekommener Personenbeförderungsvertrag bedingt für sich gesehen bereits einen Vermögensschaden – jedenfalls in Form der konkreten Vermögensgefährdung –, sodass es für die Vollendung des Tatbestands keines Fahrt- bzw. Flugantritts bedarf.
3. Ob im Fall der Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt von der Anzahl der Beihilfehandlungen und der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Tatmehrheit nach § 53 StGB ist anzunehmen, wenn mehreren Haupttaten jeweils eigenständige Beihilfehandlungen zuzuordnen sind. Dagegen liegt eine Beihilfe im Sinne des § 52 StGB vor, wenn der Gehilfe mit einer einzigen Unterstützungshandlung zu mehreren Haupttaten eines anderen Hilfe leistet.
1. Ein Rechtsanwalt, der sich zur Weiterleitung bestimmte, ihm in diesem Sinne anvertraute Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt, bewirkt jedenfalls dann einen Vermögensschaden zu Lasten seines Mandanten, wenn er mit diesen Buchgeldern eigene Verbindlichkeiten begleicht, es sei denn, er ist uneingeschränkt dazu bereit und jederzeit fähig, diese Fehlbeträge aus eigenen flüssigen Mitteln auszugleichen und entsprechende Beträge an seinen Mandanten auszukehren (st. Rspr.).
2. Das gilt jedoch nicht, wenn der Rechtsanwalt keine Geldempfangsvollmacht hat, da dann der Zahlung keine Erfüllungswirkung (§ 362 Abs. 2 BGB) zukommt. In diesem Falle leistet der Schuldner an den Rechtsanwalt als Nichtberechtigten auf eigenes Risiko; die Kontoverfügungen des Rechtsanwalts lassen das Vermögen des
Treugebers unbeeinflusst. Anderes gilt aber, wenn der Treugeber das Einziehen der Forderung durch den Rechtsanwalt nachträglich genehmigt (§ 185 Abs. 2 Satz 1 Variante 1, § 362 Abs. 2 BGB).