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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2022
23. Jahrgang
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Bei einer Beteiligung mehrerer an der Tat, kann durch die Aufgabe von Vorbereitungshandlungen eine Bestrafung wegen Beteiligung an der (versuchten oder vollendeten) Tat allenfalls dann vermieden werden, wenn bis zu diesem Zeitpunkt noch kein fortwirkender oder noch wirksam werdender Tatbeitrag erbracht ist (vgl. BGHSt 28, 346, 348 = „Rücktritt“ vor dem Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung). Hat ein Angeklagter dagegen auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tatbestandsverwirklichung fördernde Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen erbracht, hat er insbesondere den in der Mitverabredung der Tat liegenden psychischen, die Tatgenossen bestärkenden Tatbeitrag geleistet, verlieren diese Tatbeiträge nicht dadurch ihre Bedeutung, dass er sich noch im Stadium der Vorbereitung entschließt, an der tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung nun doch nicht teilzunehmen. Das innere Lossagen eines Tatbeteiligten von der Tat ist wirkungslos.
1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer
den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen. Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes.
2. Bei einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung, die insbesondere anzunehmen ist, wenn der Täter aus kurzer Distanz auf das Tatopfer mit einer scharfen Waffe schießt, liegt es wegen der besonders gesteigerten Lebensgefährlichkeit solchen Tuns regelmäßig nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und er einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf nimmt.
3. Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist danach nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldigem Erkennen seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt.
Das Erreichen eines außertatbestandlichen Handlungsziels und die damit verbundene vom Täter erkannte Nutzlosigkeit der Tatfortsetzung führt weder zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs noch wird dadurch die Freiwilligkeit eines Rücktritts vom Versuch ausgeschlossen (st. Rspr., siehe zuletzt BGH HRRS 2019 Nr. 824).
1. Bei der Steuerungsfähigkeit geht es um die Fähigkeit, entsprechend der Unrechtseinsicht zu handeln, also um Hemmungsvermögen, Willenssteuerung und Entscheidungssteuerung, nicht aber um exekutive Handlungskontrolle. Entscheidend kommt es auf die motivationale Steuerungsfähigkeit an, also die Fähigkeit, das eigene Handeln auch bei starken Wünschen und Bedürfnissen normgerecht zu kontrollieren und die Ausführung normwidriger Motivationen zu hemmen. Steuerungsfähigkeit darf nicht mit zweckrationalem Verhalten verwechselt werden. Denn auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden.
2. Die Frage, ob und gegebenenfalls welche psychische Störung beim Angeklagten vorliegt, muss in der Regel – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – in einem ersten Schritt beantwortet werden. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob diese tatsächlich festgestellte Störung rechtlich unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Erst auf dieser Grundlage kann in einem dritten Schritt geprüft werden, ob sich eine von § 20 StGB erfasste Störung auch im Sinne des § 21 StGB erheblich auf die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung ausgewirkt hat.
1. Ausreichend für das heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein ist, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführt oder bestärkt.
2. Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat.
3. Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt. Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontanität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit.
4. Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Frage, die nur in eingeschränktem Maß der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich ist.
5. Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrig-
en Gesinnung des Täters sind. Entscheidungserheblich sind demnach die Gründe, die den Täter in Wut oder Verzweiflung versetzt oder ihn zur Tötung aus Hass oder Eifersucht gebracht haben. Anzustellen ist eine Gesamtbetrachtung, die sowohl die näheren Umstände der Tat sowie deren Entstehungsgeschichte als auch die Persönlichkeit des Täters und dessen Beziehung zum Opfer einschließt.
Der Entschluss zu einem Überraschungsangriff setzt nicht zwingend voraus, dass der Täter plant, sich die Ahnungs- und Schutzlosigkeit des Tatopfers für den Angriff zunutze zu machen. Vielmehr ist die Vorstellung, einen plötzlichen und deshalb möglichst wirkungsvollen ersten Angriff führen zu müssen, um jede Gegenwehr des Angegriffenen von vornherein zu unterbinden, ohne Weiteres auch mit der Annahme des Täters in Einklang zu bringen, sich andernfalls möglicherweise in eine Auseinandersetzung mit dem zur Abwehr bereiten Tatopfer begeben zu müssen.
1. Der Strafzweck der §§ 176, 176 a.F. StGB liegt in dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes. Die strafschärfende Berücksichtigung dieses Strafzwecks verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot.
2. Zwar dürfen bei Delikten des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern solche Tatfolgen beim Opfer als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfend gewertet werden, die über die tatbestandlich vorausgesetzte abstrakte Gefährdung des Kindeswohls hinausgehen. Dies setzt aber voraus, dass die Folgewirkungen der Tat konkret festgestellt sind. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen gestützte Strafzumessung ist indes unzulässig.
1. § 176a Abs. 2 StGB aF ist eine Qualifikation des § 176 Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Eine Verurteilung nach dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 StGB aF setzt voraus, dass der Täter das Kind körperlich berührt; es handelt sich um ein eigenhändiges Delikt.
2. Nach dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 2 StGB aF wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. Zwar genügt für ein Bestimmen nach § 176 Abs. 2 StGB aF, dass der Täter durch sein unmittelbares, nicht notwendigerweise eigenhändiges Einwirken auf das Kind die Vornahme der sexuellen Handlung mitverursacht hat. Dies kommt zum Beispiel schon bei einer am Beginn des Geschehens erfolgenden Mitteilung an den Geschädigten in Betracht, von ihm Bilder machen zu wollen, oder bei geäußerten Vorgaben für die sexuellen Handlungen, die zumindest konkludent auch eine an den Geschädigten gerichtete Aufforderung enthalten.
3. Gemäß § 176 Abs. 2 Nr. 2 StGB aF wird eine Tat im Sinne des § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aF zum schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes qualifiziert, wenn sie von mehreren gemeinschaftlich begangen ist. Eine gemeinschaftliche Tatbegehung liegt vor, wenn bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aF mindestens zwei Personen vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der konkreten Tatsituation zusammen auf das Opfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. Hierbei ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sich von den Tätern zumindest der eine nach § 176 Abs. 1 und der andere nach § 176 Abs. 2 StGB aF strafbar gemacht hat.
Der Begriff der sexuellen Handlung im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB kann bereits unter Heranziehung ausschließlich objektiver Kriterien bestimmt werden, wenn die Tätigkeit objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Darüber hinaus können äußerlich ambivalente Handlungen dann als sexuelle Handlungen eingeordnet werden, wenn diese zwar für sich betrachtet nicht ohne Weiteres sexualbezogen sind, wohl aber aus der Sicht eines objektiven Betrachters, der alle Umstände des Einzelfalls, also auch die Zielrichtung des Täters, kennt, eine solche sexuelle Intention erkennen lassen.
Fälscht ein Täter mehrere Urkunden und macht von ihnen sodann in einem Akt Gebrauch, liegt Tateinheit vor. Denn eine durch eine Fälschung einer Urkunde bereits vollendete Straftat wird durch das Gebrauchmachen der Fälschung erst beendet. Dieselbe Handlung im Sinne von § 52 StGB liegt daher auch vor, wenn das gleichzeitige Gebrauchmachen von mehreren gefälschten Urkunden zwei ursprünglich rechtlich selbständige vollendete Handlungen beendet.