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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2022
23. Jahrgang
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1. Eine gegen den Straftatbestand der Datenhehlerei und die zugehörige Ausnahme von einem Beschlagnahmeverbot (§ 202d StGB, § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO) gerichtete, auf das Grundrecht der Pressefreiheit gestützte Verfassungsbeschwerde investigativ journalistisch tätiger Beschwerdeführer ist nicht hinreichend begründet, wenn die beispielhaft vorgetragenen Sachverhaltskonstellationen vom Tatbestand der Datenhehlerei eindeutig nicht erfasst sind, so dass den angegriffenen Normen auch keine Einschüchterungswirkung zukommen kann.
2. Die journalistische Veröffentlichung von Informationen, die von sogenannten Whistleblowern aus nicht allgemein zugänglichen Quellen „geleakt“ worden sind und die vielfach mit einer (Ruf-)Schädigung derjenigen einhergeht,
über deren Fehlverhalten berichtet wird, erfüllt den Tatbestand der Datenhehlerei regelmäßig nicht. Handelt es sich bei dem Informanten um einen Mitarbeiter des Betroffenen, der zum Zugriff auf die übermittelten Daten berechtigt ist, sind diese bereits nicht durch eine rechtswidrige Tat erlangt.
3. Zumindest wird es am Vorsatz des Journalisten bezüglich einer rechtswidrigen Vortat fehlen; denn insoweit genügt es nicht, dass eine rechtwidrige Beschaffung der Daten aufgrund ihrer Sensibilität nicht auszuschließen ist. Steht die Aufklärung von Missständen im Vordergrund, so wird außerdem die Absicht einer (Dritt-)Bereicherung ausscheiden. Vor allem wird auf den Sachverhalt der Tatbestandsausschluss nach § 202d Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 2 StGB, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO Anwendung finden.
4. Die Einschätzung zur fehlenden Strafbarkeit deckt sich mit einer Auskunft des Bundesministeriums der Justiz, wonach seit 2018 keine Verfahren nach § 202d StGB Journalisten betreffend bekannt geworden sind.
5. Das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit schützt den gesamten Prozess der Herstellung und Verbreitung analoger und digitaler Presseerzeugnisse und Rundfunksendungen von der Informationsgewinnung bis zur Veröffentlichung und zum Vertrieb der hergestellten Inhalte. Das Grundrecht gewährleistet nicht nur den Schutz vor gezielter staatlicher Einflussnahme auf die inhaltliche und formelle Gestaltung, sondern auch die institutionellen Rahmen- und Funktionsbedingungen der journalistischen Tätigkeit. Hierzu gehört insbesondere auch die grundsätzliche Zugänglichkeit der benötigten Informationen.
1. Eine Entscheidung, mit der eine Auslieferung nach Tschechien zum Zwecke der Strafverfolgung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls für zulässig erklärt wird, verletzt das unionsgrundrechtliche Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“), wenn sie nicht berücksichtigt, dass die Taten, derentwegen die tschechischen Behörden um die Überstellung ersuchen, zu einem erheblichen Teil bereits Gegenstand eines in Deutschland gegen die Verfolgte geführten Ermittlungsverfahrens waren, welches insoweit teilweise nach § 154 Abs. 1 StPO und im Übrigen aufgrund eines Verfolgungshindernisses nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (Hauptsacheentscheidung zur einstweiligen Anordnung vom 28. Juni 2021 [= HRRS 2021 Nr. 737]).
2. Im vollständig unionsrechtlich determinierten Verfahren der Überstellung im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl sind grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern die Unionsgrundrechte maßgeblich. Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet den Grundrechtsschutz in enger Kooperation mit dem EuGH, dem EGMR und den Verfassungs- und Höchstgerichten der anderen Mitgliedstaaten. Es prüft die Entscheidungen der Fachgerichte daraufhin nach, ob diese bei der Anwendung des Unionsrechts den Anforderungen der Grundrechtecharta Genüge getan haben.
3. Das unionsgrundrechtliche Verbot der Doppelbestrafung fordert, dass niemand wegen einer Straftat, derentwegen er in der Europäischen Union bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft wird. Das Verbot garantiert dem Betroffenen, der in einem Vertragsstaat verurteilt worden ist und die Strafe verbüßt hat oder endgültig freigesprochen worden ist, dass er sich in der Europäischen Union frei bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, dass er in einem anderen Vertragsstaat wegen derselben Tat verfolgt wird. Hingegen schützt das Verbot einen Verdächtigen nicht davor, dass er wegen derselben Tat in mehreren Vertragsstaaten aufeinanderfolgenden Ermittlungen ausgesetzt ist.
4. Der Begriff einer rechtskräftigen Verurteilung beziehungsweise eines rechtskräftigen Freispruchs kann nach der Rechtsprechung des EuGH auch staatsanwaltliche Einstellungsentscheidungen betreffen, die das Ermittlungsverfahren endgültig abschließen, soweit diesen eine Sachprüfung vorangegangen ist. Die Beurteilung eines Strafklageverbrauches richtet sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die Entscheidung erlassen hat.
5. Nach deutschem Recht ist der Grundsatz „ne bis in idem“ für das Auslieferungsverfahren aufgrund eines Europäischen Haftbefehls differenzierend ausgestaltet. Neben Auslieferungsverboten nach einer bereits erfolgten Verurteilung und Erledigung der Strafvollstreckung oder einer Verfahrensbeendigung nach § 153a, § 174 oder § 204 StPO hat der Gesetzgeber fakultative Bewilligungshindernisse vor allem für Einstellungen der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2, § 153 Abs. 1 und § 154 Abs. 1 StPO normiert.
6. Die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO bewirkt zwar als solche keinen Strafklageverbrauch, schafft jedoch für den Beschuldigten regelmäßig eine Vertrauensgrundlage. Hat die Staatsanwaltschaft nach rechtskräftiger Verurteilung wegen der Bezugstaten von einer Fortführung des Verfahrens (endgültig) abgesehen, scheidet insoweit auch eine Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls aus.
1. Ein Notrufsystem in den Hafträumen stellt für Gefangene in Notfällen und Gefahrsituationen eine wichtige Möglichkeit der Kommunikation dar, so dass die zügige Bearbeitung eines diesbezüglichen Eilrechtsschutzantrages geboten ist. Eine Strafvollstreckungskammer verletzt das Recht eines Strafgefangenen auf effektiven Rechtsschutz, wenn sie über seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung über einen Zeitraum von mehr als sieben Monaten nicht entscheidet, sondern den Gefangenen lediglich darauf verweist, ein Rechtsschutzbedürfnis sei nicht erkennbar, weil die Justizvollzugsanstalt bereits an der Behebung der Störung arbeite (Hauptsacheentscheidung zur einstweiligen Anordnung vom 9. Februar 2022 [= HRRS 2022 Nr. 248]).
2. Der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen. Wo die Dringlichkeit eines Eilantrages es erfordert, muss das angerufene Gericht die für eine rechtzeitige Entscheidung erforderliche Zügigkeit der Kommunikation sicherstellen. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erfolgen.