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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2022
23. Jahrgang
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1. Weder der Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren noch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union führt zu einem Verständnis, wonach ein Härteausgleich wegen Strafen, die von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhängt wurden, zwingend die konkrete Bezifferung der fiktiven Gesamtstrafe bzw. des vorgenommenen Strafabschlags erfordert. (BGHR)
2. Bei der Strafzumessung sind auch solche etwaigen Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, die von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhängt wurden, wenn diesbezüglich in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB erfüllt wären. Hiernach ist bei zeitigen Freiheitsstrafen ein Härteausgleich vorzunehmen, um den sich daraus ergebenden Nachteil auszugleichen, dass bei einer früheren Verurteilung durch ein Gericht eines anderen EU-Mitgliedstaats keine Gesamtstrafe nach § 55 StGB gebildet werden kann. (Bearbeiter)
3. Es steht im Ermessen des Tatgerichts, auf welche Weise es den Härteausgleich vornimmt. Ihm obliegt es, die hierfür maßgeblichen Umstände zu gewichten und die hiernach angemessene Strafe zu bestimmen. Das Revisionsgericht greift nur dann ein, wenn der Umfang des Härteausgleichs nicht mehr ausreichend begründet wurde. Es bleibt dem Tatgericht insbesondere überlassen, ob es zunächst eine „fiktive Gesamtstrafe“ bildet und diese um die vollstreckte Strafe mildert oder ob es den Nachteil unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigt. Erforderlich ist lediglich, dass ein angemessener Härteausgleich vorgenommen wird und dies den Urteilsgründen zu entnehmen ist (weitergehend für ein Bezifferungserfordernis BGH HRRS 2020 Nr. 931). (Bearbeiter)
1. Die Vorschrift des § 73b Abs. 2 StGB dient nach den in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Intentionen des Gesetzgebers dem Zweck, auch die Weiterreichung des Wertes des ursprünglich Erlangten der Vermögensabschöpfung bei dem Drittbegünstigten zu unterwerfen.
2. Die Frage, ob die Wertersatzeinziehung beim Drittbegünstigten nach § 73b Abs. 2 StGB in subjektiver Hinsicht eine Entziehungs- oder Verschleierungsmotivation des Handelnden bei der Übertragung der Vermögensgegenstände erfordert, hat der Bundesgerichtshof nunmehr dahin entschieden, dass die Einziehung nach § 73b Abs. 2 StGB über den Wortlaut der Norm hinaus einen Bereicherungszusammenhang in dem Sinne voraussetzt, dass die Übertragung des Vermögensgegenstands mit der Zielrichtung vorgenommen wurde, den Wertersatz dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen oder die Tat zu verschleiern.
3. Die Einziehung nach § 73b Abs. 2 StGB findet danach ihre Grenzen, wenn ein Zusammenhang mit den ursprünglichen Tatvorteilen nicht mehr erkennbar ist und mit der Transaktion weder das Ziel verfolgt wird, das durch die Tat unmittelbar begünstigte Vermögen des Täters oder eines Dritten dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, noch die Tat zu verschleiern.
1. Dem Tatgericht kommt bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Hat das Gericht die für und gegen eine Aussetzung sprechenden Umstände gesehen und gewürdigt und ist es – namentlich aufgrund seines in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks – zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens nicht größer ist als diejenige neuer Straftaten, so ist dessen Entscheidung grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Bewertung denkbar gewesen. Erforderlich ist aber, dass das Gericht die für und gegen eine Aussetzung sprechenden Umstände vollständig erfasst und würdigt.
2. Für die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung kommt es einzig darauf an, ob ohne Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zu erwarten ist, dass der Täter sich in Zukunft und nicht nur während der Bewährungszeit nicht mehr strafbar machen wird; allgemeines Wohlverhalten wird hierfür nicht verlangt.
3. Dass ein Angeklagter ohne Aufenthaltserlaubnis sich nach Entlassung aus der Haftanstalt ohne eigenes Zutun, gleichsam automatisch (erneut) wegen unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbar macht, kann bei der Kriminalprognose allenfalls untergeordnete Bedeutung zukommen. Demgemäß ist anerkannt, dass die Möglichkeit der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung nicht bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil ein Angeklagter aktuell über keinen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland verfügt und nicht amtlich gemeldet ist (vgl. BGHSt 6, 138 f.).
1. Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (st. Rspr.). 2. Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie der Verlust über die Kontrolle des Konsums haben zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs, deren Fehlen schließt ihn jedoch nicht aus.
3. Der erforderliche symptomatische Zusammenhang besteht auch bei einer Mitursächlichkeit der Intoxikation für die Begehung der Tat.
1. Für die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderliche Gefährlichkeitsprognose sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung; auch lange zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang mit der festgestellten Erkrankung gestanden haben und ihre Ursache nicht in anderen Umständen zu finden sind. Maßgeblich sind insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen.
2. Eine Tat ist erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
3. Straftaten, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, können dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden. Insbesondere Gewalt- und Aggressionsdelikte zählen, soweit es sich nicht um bloße Bagatellen handelt, auch nach der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Fassung des § 63 StGB regelmäßig zu den erheblichen Straftaten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB.
4. Erheblich können insbesondere Taten sein, die Zufallsopfer im öffentlichen Raum treffen und zu erheblichen Einschränkungen in der Lebensführung des Opfers oder sonst schwerwiegenden Folgen führen; denn derartige Taten sind in hohem Maße geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
5. Anders kann es bei einfachen Körperverletzungen im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB liegen, die mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit nur unwesentlich überschreiten. Faustschläge ins Gesicht sind aber in der Regel bereits der mittleren Kriminalität zuzurechnen, insbesondere dann, wenn sie Verletzungen zur Folge haben, die ärztlich versorgt werden müssen. Bei der Prüfung der Erheblichkeit ist auch zu bedenken, dass ein Beschuldigter, der in wahnhafter Verkennung der Realität oder krankheitsbedingter Einschränkung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit handelt, es insbesondere bei Schlägen gegen bzw. in Richtung des Kopfes häufig nicht in der Hand hat, die Folgen seines aggressiven Vorgehens zu steuern, und der Umfang der Verletzungen deshalb häufig vom Zufall abhängt.
6. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, etwa die Bedrohung (§ 241 StGB) oder die Sachbeschädigung (§ 303 StGB), sind nicht ohne Weiteres dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen, soweit sie nicht mit gemeingefährlichen Mitteln begangen werden oder mit aggressiven Übergriffen einhergehen. Erforderlich ist stets eine konkrete Einzelfallprüfung, wobei neben der konkreten Art der drohenden Taten und dem Gewicht der konkret bedrohten Rechtsgüter auch die zu erwartende Häufigkeit und Rückfallfrequenz von Bedeutung sein können.
7. Für die Prognose ist auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen. Dies bedeutet aber nicht, dass in die prognostischen Erwägungen nur Entwicklungen bis zu diesem Zeitpunkt einzustellen wären. Die Gefährlichkeitsprognose muss vielmehr einen längeren Zeitraum in den Blick nehmen. Abzusehende zukünftige Entwicklungen sind zu berücksichtigen und in die prognostischen Überlegungen einzubeziehen. Zwischenzeitlich erzielte Behandlungserfolge und eingetretene Stabilisierungen können daher die Annahme einer die Unterbringung rechtfertigenden Gefährlichkeitsprognose nicht hindern, wenn mit einer Verschlechterung der Verhältnisse und in der Folge mit erneuten rechtswidrigen Taten zu rechnen ist.
Ausländerrechtliche Folgen einer Verurteilung sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich keine bestimmenden Strafmilderungsgründe. Eine andere strafzumessungsrechtliche Bewertung ist nur gerechtfertigt, wenn im Einzelfall zusätzliche Umstände hinzutreten, welche die Beendigung des Aufenthalts im Inland als besondere Härte erscheinen lassen (st. Rspr).
Der Konsum eines Betäubungsmittels zum Zweck der „Selbstmedikation“ physischer oder psychischer Leiden schließt die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nicht aus. Vielmehr kann gerade für das Bestehen eines solchen sprechen, dass der Betroffene die Notwendigkeit einer professionellen Behandlung der psychischen Grunderkrankung offenbar nicht verinnerlicht hat.