HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2022
23. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

445. BGH 4 StR 398/21 – Beschluss vom 2. Februar 2022 (LG Hamburg)

Strafzumessung (Rücktrittsprivileg; Vorliegen von vertypten Milderungsgründen: Annahme eines minderschweren Falls, gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, verminderte Schuldfähigkeit).

§ 46 StGB; § 24 StGB; § 315b Abs. 3 StGB; § 21 StGB

1. Das Rücktrittsprivileg bewirkt, dass der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf.

2. Das Vorliegen von vertypten Milderungsgründen kann zur Annahme eines minderschweren Falls führen. Bei einer Verurteilung wegen eines im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangenen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ist daher bei der Erörterung der Frage, ob ein minderschwerer Fall im Sinne des § 315b Abs. 3 2. Fall StGB vorliegt – neben den allgemeinen Milderungsgründen – auch der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB in die Erwägungen einzubeziehen.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

456. BGH 4 StR 491/21 – Beschluss vom 15. Februar 2022 (LG Bielefeld)

Mord (Heimtücke: Arglosigkeit, Erwarten eines Angriffs gegen das Leben, Unterschätzen der Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs).

§ 211 StGB

Ohne Bedeutung für die Frage der Arglosigkeit ist, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Besorgt das Opfer einen gewichtigen Angriff auf seine körperliche Integrität, ist es vielmehr selbst dann nicht arglos, wenn es etwa wegen fehlender Kenntnis von der Bewaffnung des Täters die Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs unterschätzt.


Entscheidung

363. BGH 1 StR 462/21 – Beschluss vom 12. Januar 2022 (LG Ravensburg)

Minder schwerer Fall des Totschlags (Provokation durch das Opfer: erforderliche Gesamtbetrachtung, auch der unmittelbar tatauslösenden Situation).

§ 213 StGB

Ohne eigene Schuld im Sinne des § 213 Alt. 1 StGB handelt ein Täter, wenn er für die Provokation seitens des Tatopfers keine genügende Veranlassung gegeben und selbst zur Verschärfung der Situation nicht beigetragen hat. Hierbei sind im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung alle dafür maßgeblichen Umstände einzubeziehen, wobei nicht allein auf mögliche Konflikte im kriminellen Drogenmilieu abzustellen, sondern vielmehr

auch die unmittelbar tatauslösende Situation in den Blick zu nehmen ist.


Entscheidung

357. BGH 1 StR 424/21 – Beschluss vom 25. Januar 2022 (LG Ulm)

Verbreiten, Öffentlich-Zugänglichmachen und Zugänglichmachen gegenüber Dritten von kinderpornographischen Inhalten (Verklammerung zur Tateinheit bei mehreren Verbreitungshandlungen und gleichzeitigem Besitz darüberhinausgehender kinderpornographischer Inhalte).

§ 184b Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB; § 52 StGB

Der zeitgleiche Besitz von verbreiteten oder öffentlich zugänglich gemachten und darüberhinausgehenden kinderpornografischen Schriften verknüpft den unerlaubten Besitz kinderpornografischer Schriften mit jeder Verbreitungshandlung zu einer einheitlichen Tat. Da es sich bei der Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB um eine dem Verbreiten und öffentlich Zugänglichmachen nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und Var. 2 StGB gleichgestellte Tatbestandsvariante handelt, kann insoweit nichts anderes gelten.


Entscheidung

383. BGH 3 StR 482/21 – Beschluss vom 22. Februar 2022 (LG Duisburg)

Besitz kinderpornographischer Schriften (Verhältnis zum Herstellen; Verjährung; Auffangtatbestand; Dauerdelikt; keine Klammerwirkung).

§ 184b StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Zwar tritt der Besitz kinderpornographischer Schriften als Auffangtatbestand regelmäßig hinter dem Herstellen zurück. Steht jedoch der Verfolgbarkeit des verdrängenden Tatbestands das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen, so lebt der subsidiäre Besitztatbestand wieder auf und der Angeklagte ist aus diesem zu bestrafen.

2. Das Dauerdelikt des Besitzes kinderpornographischer Schriften verklammert mit Blick auf dessen geringeren Unwertgehalt tatmehrheitlich begangene Taten des (schweren) sexuellen Missbrauchs nicht zur Tateinheit.