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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2022
23. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Bernd Hecker, Tübingen[*]
Dem Urteil des 4. Strafsenats des BGH v. 9.12.2021 liegt eine Fallkonstellation zugrunde, die bei wortlautgetreuer und dem Normzweck[1] entsprechender Gesetzesanwendung eigentlich als klarer Fall eines von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfassten gefährlichen (Außen-)Eingriffs in den Straßenverkehr eingestuft werden müsste. Doch dieser Anschein trügt, wie man bei der Lektüre der Urteilsgründe feststellen muss. Seinem Wortlaut nach ist § 315b Abs. 1 StGB erfüllt, wenn der Täter (1) eine Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 bis 3 begeht, die (2) eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt und sich (3) zu einer über die latente Verkehrsgefährlichkeit hinausreichenden konkreten Gefahr für eines der im objektiven Tatbestand bezeichneten Schutzobjekte verdichtet hat. Jedoch verlangt der 4. Strafsenat zusätzlich die Feststellung, dass die Tathandlung zu einer konkreten "verkehrsspezifischen" Gefahr geführt hat. Diese Tatbestandsrestriktion, die ihren Ausgangspunkt in dem Grundsatzurteil des BGH v. 4.12.2002[2] findet, verdient Kritik und Widerspruch.
Der Angeklagte warf von einer Brücke aus 14 teilweise scharfkantige Schottersteine von unterschiedlicher Größe zwischen 3x3 cm bis 4x7 cm und einem Gesamtgewicht von etwa 470?g auf einen mit einer Geschwindigkeit von ca. 70–80 km/h fahrenden Pkw. Die Steine trafen das Dach des Pkw und verursachten dort einen Sachschaden von etwa 4.800 EUR. Ansonsten blieb der Steinwurf ohne weitere Folgen. Die mit dem Aufprall verbundenen Geräusche veranlassten den erschrockenen Fahrer nicht zu einem unkontrollierten Fahrmanöver. Nach den zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen nahm der Angeklagte den Tod, die Verletzung oder eine Gefährdung der
Fahrzeuginsassen nicht billigend in Kauf. Den am Fahrzeugdach eingetretenen Sachschaden billigte er hingegen. Das LG Verden verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.[3] Die hiergegen zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft verwarf der 4. Strafsenat, soweit beanstandet wurde, dass das LG die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i. V. m. § 315 Abs. 3 Nr. 1?Buchst. a StGB verneint hatte. Im Übrigen hob der 4. Strafsenat das Urteil zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurück.
Nach Auffassung des 4. Strafsenats scheidet bereits die Vollendung des Grundtatbestands des § 315?b Abs. 1 Nr. 3 StGB aus.[4] Den tatrichterlichen Feststellungen lasse sich nicht entnehmen, dass es als Folge des Abwurfs der Steine zum Eintritt einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr gekommen ist. Zwar habe der Angeklagte die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet. Da der Fahrzeugführer seinen Pkw aber unbeeinträchtigt weiterführen konnte, sei es nicht zu einem "Beinaheunfall" gekommen, also zu einer kritischen Verkehrssituation, bei welcher das Ausbleiben eines Schadens nur noch vom Zufall abhängt bzw. bei der ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass "das gerade noch einmal gut gegangen ist".[5] Soweit das Fallenlassen der Steine unmittelbar zu einem Sachschaden geführt hat, ergebe sich aus den getroffenen Feststellungen nicht, dass dieser Verletzungserfolg zumindest auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte, d. h. auf die Dynamik des fahrenden Kraftfahrzeugs zurückzuführen ist.
Selbst eine möglicherweise festzustellende Absicht des A, durch den Abwurf der Steine Schäden am Dach des unter der Brücke durchfahrenden Fahrzeugs zu verursachen, sei nicht geeignet, den Qualifikationstatbestand des § 315b Abs. 3 StGB i. V. m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB zu verwirklichen.[6] Hierzu müsse der Nachweis geführt werden, dass es dem Täter darauf angekommen sei, einen Unglücksfall herbeizuführen und zwar gerade dadurch, dass sich die von ihm verursachte konkrete Gefahr verwirklicht. Eine mögliche Absicht des Angeklagten, durch den Abwurf der Steine lediglich das Dach des passierenden Fahrzeugs zu beschädigen, genüge diesen Anforderungen nicht.[7] Denn das Vorstellungsbild des Angeklagten sei nicht auf die Verwirklichung einer verkehrsspezifischen Gefahr gerichtet gewesen und unterscheide sich damit nicht von einer Sachbeschädigung eines abgestellten Fahrzeugs. Den getroffenen Feststellungen lasse sich noch nicht einmal eine bedingt vorsätzliche Herbeiführung eines Unfalls entnehmen. Auch sei es dem Angeklagten nicht darauf angekommen, die Frontscheibe des Pkw zu beschädigen, wo sich beim Aufprall der Steine die Dynamik des Straßenverkehrs ausgewirkt hätte.[8]
Allenfalls komme eine Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 2 StGB) in Betracht, wenn sich feststellen lässt, dass der Tatentschluss des Angeklagten zumindest auch darauf gerichtet war, die Windschutzscheibe des Fahrzeugs oder dessen Front zu treffen oder ihm die Trefferfläche gleichgültig war, sich mithin nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten jedenfalls auch die Fahrzeugdynamik in einem i. S. d. § 315b StGB bedeutenden Schadenseintritt auswirken konnte.[9]
Zu Recht haben weder das LG noch der 4. Strafsenat eine Strafbarkeit nach § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht gezogen. Zwar hat der Angeklagte durch den Steinwurf das Dach des unter der Brücke durchfahrenden Fahrzeugs beschädigt. Der Eintritt einer konkreten Gefahr für eine "fremde Sache von bedeutendem Wert"[10] kann aber nicht etwa bereits deshalb angenommen werden, weil am Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von 4.800 EUR entstanden ist. Denn die Tathandlung des § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB muss dem Eintritt eines hierdurch bewirkten konkreten Gefährdungserfolgs vorausgehen. Die bloße Beschädigung eines Fahrzeugs ohne hierdurch verursachte weitere Folgen erfüllt als solche nicht den objektiven Tatbestand des § 315b I Nr. 1 StGB.[11]
Bei dem Steinwurf auf das fahrende Kfz des Geschädigten handelt es sich jedoch – wovon auch der 4. Strafsenat zutreffend ausgeht – um einen dem Tathandlungserfolg des § 315b Abs. 1 Nr. 1 (Beschädigung eines Fahrzeugs) vorgelagerten, von dem Auffangtatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfassten "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff"[12] , der generell geeignet ist, die Sicherheit des
öffentlichen Straßenverkehrs zu beeinträchtigen.[13] Eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen ist nicht eingetreten, denn der Führer des getroffenen Fahrzeugs ist trotz des Schreckmoments nicht etwa in die akute Gefahr des Schleuderns und/oder eines unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn geraten. Jedoch lässt sich aus dem Befund, dass das Fahrzeugdach beschädigt wurde, ableiten, dass der im Steinewerfen zu sehende gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr sich bereits zu einer konkreten Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert[14] verdichtet hat. Denn die Verletzung eines Schutzobjekts lässt zwingend den Schluss auf das Vorliegen einer vorangegangenen konkreten Gefährdung des Schutzobjekts zu.[15] Seinem Wortlaut nach ist der objektive Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt jedoch seit der Grundsatzentscheidung des BGH v. 4.12.2002,[16] dass sich bei einem Außeneingriff in der eingetretenen konkreten Gefahr zugleich eine verkehrsspezifische Gefahr realisieren muss, also eine solche, die auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Dies soll nicht der Fall sein, wenn die aus der Tathandlung resultierende Gefahr in keiner inneren Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs steht. Das Herabschütten von Lackfarbe auf das Dach von zwei unter einer Autobahnbrücke durchfahrende Lkw soll demnach nicht zur Annahme einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB führen, da sich in dem hierdurch eingetretenen Sachschaden keine verkehrsspezifische Gefahr realisiere.[17]
Ebenso kein Anwendungsfall des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB soll nach der Rechtsprechung des BGH gegeben sein, wenn der Täter Schüsse auf ein fahrendes Kfz abgibt, die dort einschlagenden Projektile aber nicht zu einer Beeinträchtigung des Fahrverhaltens oder der Fahrsicherheit des betroffenen Fahrers führen und der Schaden am Fahrzeug ausschließlich auf der durch die auftreffenden Projektile freigesetzten Kräfte beruht.[18] Der Schlag auf den Kopf eines fahrenden Radfahrers soll nicht von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst sein, wenn sich der geschlagene Radfahrer auf seinem Fahrrad halten konnte (kein "Beinaheunfall") und sich nicht feststellen lässt, dass die erlittene Kopfverletzung auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist.[19] In dem Fall des Wurfs eines Bolzenschneiders in die Windschutzscheibe eines Eisverkaufswagens hielt es der BGH für fernliegend, dass die mit dem Eingriff unmittelbar einhergehende Beschädigung der Windschutzscheibe und Gefährdung der körperlichen Integrität des Fahrzeugführers in einem relevanten Zusammenhang mit der Eigendynamik des gerade erst langsam anfahrenden Wagens standen und lehnte daher eine Strafbarkeit gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB mangels Eintritts einer verkehrsspezifischen Gefahr ab.[20]
Der 4. Strafsenat greift in seinem Urteil v. 9.12.2021 diesen auf die Grundsatzentscheidung des BGH v. 4.12.2002 zurückgehenden restriktiven Gefahrbegriff des § 315b Abs. 1 StGB auf und verneint auf dieser Wertungsbasis folgerichtig bereits die Verwirklichung des Grunddelikts. Außerdem überträgt er diese Auslegungsmaxime – ebenfalls nur folgerichtig – auf das in § 315b Abs. 3 StGB i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB normierte Absichtsmerkmal, indem er verlangt, dass die auf Herbeiführung eines Unfalls abzielende Vorstellung des Täters auf die Verwirklichung einer von ihm herbeigeführten verkehrsspezifischen konkreten Gefahr gerichtet sein muss. Der angeklagte Steinewerfer ist daher nur wegen Sachbeschädigung strafbar, wenn die für eine Strafbarkeit wegen versuchter Tat gem. §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Dazu müsste dem Angeklagten nachgewiesen werden, dass sein Tatentschluss beim Herabwerfen der Steine die Verwirklichung eines Geschehensablauf – die Beschädigung der Windschutzscheibe oder Fahrzeugfront – umfasste, bei dem sich die Fahrzeugdynamik in einem i. S. d. § 315b StGB bedeutenden Schadenseintritt auswirken konnte.
In der Sache vermag die vom BGH seit dem 4.12.2002 in ständiger Rechtsprechung praktizierte und vom 4. Strafsenat fortgeführte restriktive Auslegung des Gefahrmerkmals nicht zu überzeugen. Die mit dem Kriterium der "verkehrsspezifischen" konkreten Gefahr vorgenommene Tatbestandsreduktion beschneidet den Anwendungsbereich des § 315b Abs. 1 StGB in einer den Schutzzweck der Norm konterkarierenden Weise und sendet bei evident gemeingefährlichen Taten wie der Schussabgabe auf fahrende Kfz,[21] dem Schlagen eines Fahrradfahrers[22] oder – wie hier – Steinwürfen auf unter einer Brücke durchfahrende Kfz ein kriminalpolitisch befremdliches Signal aus.[23]
Auf der Grundlage der BGH-Judikatur wird die Strafbarkeit eines Steinewerfers wegen einer Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB an das reine Zufallsereignis geknüpft, an welcher Stelle ein fahrendes Fahrzeug getroffen wird. Wird lediglich das Fahrzeugdach getroffen (sogar durch massive Steine), dann wirkt sich allein die Wucht der Steine auf das Schutzobjekt aus, was dann mangels Realisierung einer
"verkehrsspezifischen" Gefahr zum Ausschluss des objektiven Tatbestands führen soll. Entsprechendes gilt bei einem seitlichen Auftreffen des Wurfobjekts. Aber selbst wenn die Fahrzeugfront getroffen wird, ist nicht immer von einer "verkehrsspezifischen" Gefahr und damit von einer Tatbestandserfüllung auszugehen, falls sich – wie im Fall des Wurfs eines Bolzenschneiders in die Windschutzscheibe eines langsam fahrenden Fahrzeugs[24] – nicht feststellen lässt, dass die hierdurch physikalisch auf das Fahrzeug einwirkende Kraft in einem relevanten Zusammenhang mit der Eigendynamik des Fahrzeugs stand.
Die von dieser Judikatur ausgehenden Verwerfungen setzen sich auf der Ebene des subjektiven Tatbestands fort. In zwei Fällen, in denen der Täter mit Tötungsvorsatz auf den Fahrer schoss und dabei auch die Konsequenz eines "führerlosen" Kfz billigend in Kauf nahm, genügten dem BGH die tatrichterlich getroffenen Feststellungen noch nicht einmal für die Annahme eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.[25] Im Fall des Wurfs eines Bolzenschneiders in die Windschutzscheibe eines langsam fahrenden Eiswagens hielt es der BGH für wenig wahrscheinlich, dass ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die eine Versuchsstrafbarkeit des Angeklagten im Hinblick auf eine Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB tragen könnten.[26]
Ein Autobahn-Steinewerfer, der sich unwiderlegt dahingehend einlässt, er habe doch – wenn überhaupt – nur das Dach eines vorbeifahrenden Pkw treffen wollen, aber nicht daran gedacht, dass der Stein auch in die Fahrzeugfront einschlagen könnte, kann nicht wegen versuchter Tat nach §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB bestraft werden. Falls er die Windschutzscheibe getroffen und beschädigt hat, haftet er nur wegen einer Fahrlässigkeitstat gem. § 315b Abs. 4 StGB in Tateinheit mit § 303 Abs. 1 StGB oder – falls kein Stein das Fahrzeug getroffen hat – nur wegen versuchter Sachbeschädigung, obwohl die Gemeingefährlichkeit seiner die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs beeinträchtigenden Handlung offensichtlich ist.
Um dem berechtigten Anliegen des BGH Rechnung zu tragen, bloße Sachbeschädigungen, die sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignen, aus dem Anwendungsbereich des § 315b Abs. 1 StGB auszuschließen, bedarf es nicht des Rückgriffs auf den diffusen und reine Zufallsergebnisse produzierenden Gradmesser des "Wirkens von Fortbewegungskräften".[27] Denn bereits das Erfordernis einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit sorgt dafür, dass Sachbeschädigungshandlungen, von denen keine Verkehrsgefährdung ausgeht, vom Anwendungsbereich des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgeklammert werden. Zu denken ist etwa an den lediglich von § 303 Abs. 1 StGB erfassten Fall des Steinewerfens auf ein geparktes Fahrzeug.
Geht man richtigerweise davon aus, dass sich die Gemeingefährlichkeit des von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfassten gefährlichen Außeneingriffs in der Herbeiführung einer konkreten Gefährdung oder Verletzung fremder Individualrechtsgüter indiziell ausprägt,[28] so ist der Angeklagte im hier interessierenden Fall wegen einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB zu bestrafen. Denn die von dem Steinewerfen auf ein fahrendes Fahrzeug ausgehende Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit hat sich – wie der eingetretene und vom Angeklagten billigend in Kauf genommenen Schaden am getroffenen Fahrzeugdach belegt – zu einer konkreten Gefahr für eine fremde Sache von bedeutendem Wert verdichtet. Den Qualifikationstatbestand des § 315b Abs. 3 StGB i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB hat der Angeklagte auf der Grundlage der tatrichterlich getroffenen Feststellungen nicht erfüllt, ohne dass es hierbei auf das vom 4. Strafsenat als Bezugspunkt des "Unglücksfalls" herangezogene Kriterium der "verkehrsspezifischen" Gefahr ankommt. Denn es ließ sich nur feststellen, dass der Angeklagte die Herbeiführung eines Sachschadens billigend in Kauf genommen hat. Die Verwirklichung des Absichtsmerkmals setzt jedoch den Nachweis voraus, dass es dem Steinewerfer im Sinne von dolus directus 1. Grades gerade darauf angekommen ist, eine i. S. d. § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB erhebliche Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert in Gestalt eines Sachschadens herbeizuführen.[29]
[*] Der Verfasser ist Inhaber der Professur für Deutsches und Europäisches Strafrecht, Strafprozessrecht sowie Umwelt- und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Tübingen.
[1] BGH NJW 2015, 500 (501) = HRRS 2015 Nr. 102, Rn. 11; König, in: LK-StGB, 13. Aufl. (2021), § 315b Rn. 3 und § 315 Rn. 3 ff. (primär Schutz der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs); a. A. Pegel, in: MüKoStGB, 3. Aufl. (2019), § 315b Rn. 1 (primär, aber nicht ausschließlich Schutz von Individualrechtsgütern); wiederum a. A. Hecker, in: Schönke/Schröder 30. Aufl. (2019), § 315b Rn. 1; Zieschang, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 315b Rn. 7 (gleichrangiger Schutz der Verkehrssicherheit und Individualrechtsgüter).
[2] BGHSt 48, 119 (124 f.).
[3] LG Verden BeckRS 2020, 52931.
[4] HRRS 2022 Nr. 126, Rn. 23-25.
[5] Vgl. hierzu BGH NJW 1995, 3131 (3132); BGH HRRS 2017, Nr. 706 (Rz. 6); BGH NStZ-RR 2019, 343 (344); Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 315c Rn. 33; König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 63; Rengier, Strafrecht BT II, 22. Aufl. (2021), § 44 Rn. 10 ff.
[6] HRRS 2022 Nr. 126, Rn. 15-18.
[7] HRRS 2022 Nr. 126, Rn. 19.
[8] HRRS 2022 Nr. 126, Rn. 20.
[9] HRRS 2022 Nr. 126, Rn. 26.
[10] Wertuntergrenze bei 750 Euro: BGH NStZ 2013, 167 = HRRS 2013 Nr. 220; BGH BeckRS 2017, 110004 (Rz. 3); König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 82; für Wertuntergrenze bei 1300 Euro: OLG Jena StV 2009, 194; Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 315c Rn. 31; Rengier, Strafrecht BT II (Fn. 5), § 44 Rn. 21.
[11] BGH NStZ 1995, 31; BGH NJW 1996, 329; BGH StV 2012, 217; Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 315b Rn. 3; König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 26; Rengier, Strafrecht II (Fn. 5), § 45 Rn. 5, 10.
[12] BGHSt 48, 119 ff.; BGH NStZ 2003, 206; BGH NStZ 2010, 572 = HRRS 2010 Nr. 440; Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 315b Rn. 9; König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 40; Rengier, Strafrecht BT II (Fn. 5), § 45 Rn. 10, 24 f.
[13] Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 315b Rn. 3; König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 58 ff.
[14] Vgl. hierzu die Nachw. in Fn. 10.
[15] König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 64 u. § 315 Rn. 57; Rengier, Strafrecht BT II (Fn. 5), § 44 Rn. 10.
[16] BGHSt 48, 119 (124 f.) mit zust. Anm. Berz/Saal NZV 2003, 198?f. und krit. Anm. König JR 2003, 255?f.; vgl. hierzu Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 315b Rn. 14; König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 40, 63a.
[17] BGHSt 48, 119 (124 f.); zu Recht abl. König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 63a.
[18] BGH NStZ 2009, 100 = HRRS 2008 Nr. 1112; BGH NStZ-RR 2015, 352 = HRRS 2015 Nr. 1086; BGH NStZ-RR 2017, 356 = HRRS 2017 Nr. 1087; zust. Obermann NStZ 2009, 539 ff.; Pegel, in: MüKoStGB (Fn. 1), § 315b Rn. 53; zu Recht abl. König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 63a u. § 315 Rn. 97d.
[19] BGH HRRS 2021 Nr. 1162 (Rz. 7).
[20] BGH NStZ 2021, 743 = HRRS 2021 Nr. 223.
[21] Vgl. hierzu die Nachw. in Fn. 18.
[22] Vgl. hierzu den Nachw. in Fn. 19.
[23] Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden nur König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 63a u. § 315 Rn. 97d.
[24] Vgl. hierzu den Nachweis in Fn. 20.
[25] BGH NStZ-RR 2015, 352 = HRRS 2015 Nr. 1086; BGH NStZ-RR 2017, 356 (357) = HRRS 2017 Nr. 1087; krit. hierzu König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315b Rn. 84.
[26] BGH NStZ 2021, 743 = HRRS 2021 Nr. 223.
[27] Vgl. hierzu auch den Hinweis von Krumm, NJW 2022, 412, wonach in der Praxis bereits kleinste Formulierungsungenauigkeiten im Rahmen der tatrichterlichen Feststellungen Schwierigkeiten verursachen, die die Abgrenzung zwischen einer konkreten Gefahr und einer "verkehrsspezifischen" Gefahr nicht mehr ausreichend ermöglichen.
[28] Zutr. König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315 Rn. 97d.
[29] BGH NJW 1996, 329 (330); OLG München NJW 2005, 3794; Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 315b Rn. 17; König, in: LK-StGB (Fn. 1), § 315 Rn. 113.