HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2021
22. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

611. BGH 3 StR 474/19 - Urteil vom 30. März 2021 (LG Stuttgart)

BGHSt; Ausfuhr von Kriegswaffen ohne Genehmigung (durch falsche amtliche Endverbleibserklärungen erschlichene Genehmigung; Auslegung der Genehmigung; Verwaltungsakzessorietät; präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt; Tatbestandsausschluss; Rechtswidrigkeit); Einziehung von Taterträgen (erlangtes Etwas; Abzugsverbot; Drittbegünstigter; Handeln für einen anderen; Gutgläubigkeit; juristische Person; Organwalter; Entreicherung; Härtefall; Bruttoprinzip; Unmittelbarkeit des Dritterwerbs).

§ 22a Abs. 1 KrWaffKG; § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB; § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Erteilte Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz sind nicht deshalb strafrechtlich unbeachtlich, weil sie durch die Vorlage falscher amtlicher Endverbleibserklärungen erschlichen wurden. (BGHSt)

2. Der Einziehung von Taterträgen bei einer juristischen Person gemäß § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nF steht nicht entgegen, dass deren Organwalter bei Erlangung des Vorteils gutgläubig waren. (BGHSt)

3. Das bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten zu beachtende Abzugsverbot (§ 73d Abs. 1 Satz 2 StGB nF) gilt auch für einen gutgläubigen Drittbegünstigten. (BGHSt)

4. Der Anwendungsbereich des Abzugsverbots nach § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB umfasst die Aufwendungen eines Drittbegünstigten, so dass das Abzugsverbot nicht etwa von vornherein auf Aufwendungen des Täters oder Teilnehmers beschränkt ist. (Bearbeiter)

5. Im Zuge der Neuregelung des Rechts der Einziehung von Taterträgen hat der Gesetzgeber die Härtevorschrift des § 73c StGB a.F. bewusst gestrichen. Während er dem Sonderfall der Entreicherung beim gutgläubigen Drittbegünstigten nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. durch die Schaffung des § 73e Abs. 2 StGB Rechnung getragen hat, können die Härten, die von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. erfasst wurden, nach der Gesetzesänderung im Hauptverfahren keine Berücksichtigung mehr finden. Damit wollte der Gesetzgeber ersichtlich auch den gutgläubigen bereicherten Dritten auf die Vollstreckungsvorschrift des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO verweisen, sollte das Bruttoprinzip im Einzelfall zu unverhältnismäßigen Härten führen. (Bearbeiter)

6. Im alten Recht der Einziehung von Taterträgen war eine ausdrückliche Erörterung der Härtefallklausel (§ 73c Abs. 1 Satz 2 StGB a.F.) im Urteil nur erforderlich, wenn naheliegende Anhaltspunkte für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen gegeben waren. Für § 73e Abs. 2 StGB, der für den Drittbegünstigten an die Stelle des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. getreten ist, gilt insoweit nichts anderes. (Bearbeiter)

7. Mit dem Tatbestandsmerkmal „für“ in § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB wollte der Gesetzgeber in Anlehnung an § 817 Satz 2 BGB sicherstellen, dass (nur) das, was in ein verbotenes Geschäft investiert wurde, unwiederbringlich verloren sein soll. Daraus folgt, dass die Handlung oder das Geschäft, das unmittelbar zur Vermögensmehrung führt, selbst verboten sein muss. Gleichzeitig enthält das Tatbestandsmerkmal nach dem Willen des Gesetzgebers eine subjektive Komponente, weshalb nur solche Aufwendungen dem Abzugsverbot unterliegen, die willentlich und bewusst für das verbotene Geschäft eingesetzt wurden. (Bearbeiter)

8. Ein Handeln für einen anderen i.S.d. 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt eine Organstellung der handelnden natürlichen Personen nicht voraus. Ist der „andere“ eine Organisation, genügt es vielmehr, dass der Täter dieser angehört und in ihrem Interesse tätig wird. Damit sind auch Angestellte eines Betriebes erfasst, soweit sie sich faktisch im Interesse der drittbegünstigten juristischen Person betätigen. (Bearbeiter)

9. Durch die Tat im Sinne des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist der Vorteil etwa dann erlangt, wenn sie darauf zielte, dem Geschäftsherrn als Drittbegünstigtem einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Auf die Unmittelbarkeit des Dritterwerbs kommt es nicht an. Vielmehr ergibt sich der Bereicherungszusammenhang aus dem betrieblichen Zurechnungsverhältnis. (Bearbeiter)


Entscheidung

591. BGH 6 StR 137/21 - Beschluss vom 4. Mai 2021 (LG Stade)

Subventionsbetrug bei sogenannten Corona-Soforthilfen (Subvention; Subventionserheblichkeit: präzise Verweisung, anzukreuzende Wissenserklärung, Klarheit über maßgebende Tatsachen und Angaben).

§ 264 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 8 Satz 1, Abs. 9 Nr. 1 StGB

1. Bei den sogenannten Corona-Soforthilfen kann es sich um Subventionen gemäß § 264 Abs. 8 Satz 1 StGB handeln, die als sogenannte verlorene Zuschüsse ohne eine marktmäßige Gegenleistung von den Ländern aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht Betrieben und Unternehmen gewährt werden und jedenfalls auch der Förderung der Wirtschaft dienen.

2. Sinn und Zweck des Merkmals der Subventionserheblichkeit (§ 264 Abs. 9 StGB) ist es, angesichts der zahlreichen Normativbegriffe des Subventionsrechts sicherzustellen, dass sowohl die Vergabevoraussetzungen für den Subventionsempfänger als auch etwaige Täuschungshandlungen für den Subventionsgeber und die Strafverfolgungsorgane möglichst klar erkennbar sind.

3. Pauschale oder lediglich formelhafte Bezeichnungen für die Subventionserheblichkeit durch den Subventionsgeber reichen nicht aus; vielmehr muss die Subventionserheblichkeit klar und unmissverständlich auf den konkreten Fall bezogen dargelegt werden.

4. Die Bezeichnung der subventionserheblichen Tatsachen erfordert keine wörtliche Wiederholung, sondern kann sich auch aus einer präzisen Verweisung ergeben. Werden nur einige und zudem fast ausschließlich erhebliche Tatsachen abgefragt, wird die umfangreiche Verweisung nicht zu einem grundsätzlich unzulässigen pauschalen oder lediglich formelhaften Hinweis, vor allem wenn sie sich nur auf im Antragsformular selbst enthaltene Angaben bezieht.

5. Einer wirksamen Bezeichnung der subventionserheblichen Tatsachen durch den Subventionsgeber steht auch nicht entgegen, wenn diese ausschließlich in einer vom Subventionsempfänger anzukreuzenden Wissenserklärung aufgeführt werden. Dies führt nicht dazu, dass der Subventionsnehmer selbst über die Subventionserheblichkeit der Tatsache entscheidet. Vielmehr handelt es sich um eine nach Sinn und Zweck zulässige Gestaltungsmöglichkeit, welche die Kenntnisnahme des Subventionsnehmers nachweist.

6. Auch der Hinweis, dass „alle in diesem Antrag (inklusive dieser Erklärung) anzugebenden Tatsachen subventionserheblich im Sinne von § 264 StGB sind“, kann den Anforderungen des § 264 Abs. 9 Nr. 1 Variante 2 StGB genügen, wenn es nicht dem Antragsteller bzw. Subventionsnehmer überlassen wird, sich Klarheit über die maßgebenden Tatsachen und Angaben zu verschaffen.


Entscheidung

533. BGH 1 StR 242/20 - Beschluss vom 25. März 2021 (LG Verden)

Steuerhinterziehung (keine strafbare Hinterziehung von Kirchensteuer); Einziehung (keine gleichzeitige Einziehung von erlangten Bestechungsgeldern und darauf anfallender hinterzogener Steuer).

§ 370 Abs. 1 AO; § 1 Abs. 1 AO; § 73 StGB; § 299 Abs. 1 StGB

1. Die durch Einreichung einer unvollständigen Einkommensteuererklärung neben der Verkürzung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zugleich bewirkte Verkürzung von Kirchensteuer stellt keine Steuerhinterziehung dar.

2. Ob mit Blick auf die verkürzte Kirchensteuer eine Strafbarkeit wegen tateinheitlich verwirklichten Betruges (§ 263 StGB) vorliegt, ist bisher nicht entschieden.


Entscheidung

529. BGH 1 StR 60/21 - Beschluss vom 6. April 2021 (LG Darmstadt)

Steuerhinterziehung (Hinterziehung von Festsetzungssteuern durch Unterlassen: erforderliche Feststellungen zum Abschluss der Veranlagungsarbeiten beim zuständigen Finanzamt im Großen und Ganzen).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Bei Veranlagungssteuern wie der Körperschaft- und Gewerbesteuer ist die Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) vollendet, wenn aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben zu niedrige Festsetzungen vorgenommen werden. Im Fall der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) ist die Tat in dem Zeitpunkt vollendet, in dem ein Schätzungsbescheid mit zu niedrigen Festsetzungen bekannt gegeben wird oder wenn zuvor die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen werden.


Entscheidung

581. BGH 6 StR 67/21 - Beschluss vom 21. April 2021 (LG Magdeburg)

Insolvenzverschleppung durch faktischen Geschäftsführer (keine Abweichung von bisheriger Rechtsprechung).

Art. 103 Abs. 2 GG; § 154 Abs. 4 InsO

Der Senat sieht keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit der Insolvenzverschleppung au den sog. faktischen Geschäftsführer abzuweichen.


Entscheidung

604. BGH 3 StR 19/21 - Beschluss vom 23. März 2021 (LG Aurich)

Abgabe von Betäubungsmitteln (Abgrenzung zum Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch).

§ 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG

Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist jede Gewahrsamsübertragung an eine andere Person zur freien Verfügung. An einer solchen fehlt es, wenn das Betäubungsmittel zum sofortigen Gebrauch an Ort und Stelle hingegeben wird; in dieser Konstellation liegt vielmehr die Tatbestandsvariante des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch gem. § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG vor.