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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2021
22. Jahrgang
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1. Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist mithin zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen.
2. In den Urteilsgründen bedarf es einer konkretisierenden Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung des Betroffenen in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit auswirkte. Diese Darlegungsanforderungen hat der Tatrichter grundsätzlich auch dann zu beachten, wenn der Angeklagte eine Exploration abgelehnt hat.
3. Eine möglicherweise nur erheblich verminderte Fähigkeit zur Unrechtseinsicht genügt für die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht, weil eine solche strafrechtlich erst dann von Bedeutung ist, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat.
Die erweiterte Einziehung von Taterträgen nach § 73a Abs. 1 StGB ist gegenüber einer Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB subsidiär und daher erst dann anzuordnen, wenn das Tatgericht nach Ausschöpfung sämtlicher prozessual zulässiger Mittel von der deliktischen Herkunft der erlangten Gegenstände überzeugt ist, sich aber zugleich außerstande sieht, diese Gegenstände eindeutig den abgeurteilten oder anderen rechtswidrigen Taten zuzurechnen.
1. Nicht anders als bei der Einziehung von durch Straftaten erlangten Vermögensgegenständen und Rechten setzt das Abschöpfen ersparter Aufwendungen voraus, dass der Tatbeteiligte über diese Ersparnisse tatsächlich ver-
fügen kann; diese Vermögensvorteile müssen sich messbar in seinem Vermögen niederschlagen (st. Rspr). Dies erfordert folglich eine schon vorher bestehende eigene Zahlungsverbindlichkeit.
2. Damit ist die Einziehung bei der Steuerhinterziehung regelmäßig, aber nicht zwingend gegen den Steuerschuldner (§ 37 Abs. 1 AO) zu richten, dem schon begrifflich die Steuerersparnisse zugutekommen. Die Steuerschuldnerschaft ohne die Möglichkeit, die Steuerersparnis im eigenen Vermögen zu realisieren und in diesem Sinne über diese tatsächlich zu verfügen, genügt indes nicht zur Einziehung (vgl. BGHSt 64, 146). Neben den ?formellen? Steuerschuldnern kommen als Einziehungsbetroffene auch sonstige Personen in Betracht, die eigene steuerliche Erklärungspflichten und nachfolgend originär steuerliche Verbindlichkeiten aus eigenem Vermögen zu erfüllen haben und damit von der Steuerersparnis profitieren.
3. Nach diesen Maßstäben begegnet die Einziehung im Hinblick auf die durch verkürzte Lohnsteuer ersparten Aufwendungen gegen Arbeitgeber keinen Bedenken. Insoweit gilt im Hinblick auf die Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG) nichts anderes als für die Abschöpfung des Wertes der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge (§ 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Die Ersparnis schlägt sich zunächst im Vermögen des Arbeitgebers nieder. Zwar ist die anzumeldende, einzubehaltende und dann abzuführende Lohnsteuer arbeitsvertrags- und einkommensteuerrechtlich dem Arbeitnehmer zuzuordnen; dies ändert aber nichts am Bestehen einer eigenen Entrichtungsschuld des Arbeitgebers.
1. Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines Zustands künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begeht. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln.
2. Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung gegenüber geschultem Personal sind nicht ohne Weiteres mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen gleichzusetzen.
1. Auslieferungshaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ist im Maßstab von 1:1 auf die Strafe anzurechnen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die einen anderen Maßstab erforderlich erscheinen lassen. Mit Blick auf die Überprüfbarkeit eines erhöhten Anrechnungsmaßstabs bedarf dieser regelmäßig einer Begründung anhand der Umstände des konkreten Falles.
2. Zur Abfassung von Urteilsgründen hat der Bundesgerichtshof bereits oft darauf hingewiesen, dass die Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen. Dies gilt gleichermaßen für die Beweiswürdigung. Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis nur so weit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist. Eine schrittweise Angabe von Belegen für jede einzelne Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein, ist entbehrlich und lenkt eher von den wesentlichen Aspekten ab.
3. Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Ob der Täter nach diesen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Vorsatzelemente in jedem Einzelfall umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.
4. Die Prüfung, ob Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivlage und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände, insbesondere die konkrete Angriffsweise, mit in Betracht zieht.
5. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die dem Täter bekannte Gefährlichkeit der Tathandlung einen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar. Sie ist aber nicht allein maßgeblich; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an. Das gilt besonders, wenn die eigentlich tödliche Tathandlung möglicherweise von einem anderen Täter ausgeführt wurde.
6. Ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsverbrechen setzt voraus, dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist. Für die Annahme eines mittäterschaftlich begangenen Tötungsdelikts reicht es deshalb nicht aus, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschlossen haben, durch das ein Mensch zu Tode kommt.
7. Hat einer von mehreren Tatbeteiligten bei einem Raub mit Todesfolge den qualifizierenden Erfolg verursacht, so sind die übrigen nach § 251 StGB strafbar, wenn sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf die Gewalthandlungen erstreckt, durch welche der qualifizierende Erfolg herbeigeführt worden ist, und wenn auch ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist. Ein Beteiligter haftet somit nach § 251 StGB als Mittäter nur für die Folgen derjenigen Handlungen des den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Täters, die er in seine Vorstellungen von dem Tatgeschehen einbezogen hatte.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist nur zulässig, wenn eine Bestrafung wegen der rechtswidrigen Tat allein an der mangelnden Schuldfähigkeit des Täters scheitert, nicht jedoch, wenn er mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten ist. Das Tatgericht muss zu dem insoweit maßgeblichen Vorstellungsbild des Angeklagten nach dem jeweiligen Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont) Feststellungen treffen.
1. Bei der Darstellung seiner Strafzumessungsentscheidung im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte ist weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.).
2. Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt jedoch vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat.
3. Die (Gesamt-)Menge der Betäubungsmittel, die der Täter in seinem Besitz hat, ist ebenso wie die Art und Gefährlichkeit eines Rauschgifts sowie dessen Qualität sowohl für den Unrechtsgehalt der Tat als auch für die Schuld des Täters von besonderer Bedeutung und stellt regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar.
Eine als voll verbüßt geltende Freiheitsstrafe kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Gleichermaßen verhält es sich, wenn die Strafe im Urteilszeitpunkt aufgrund einer Kompensationsentscheidung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollständig vollstreckt gilt.
Der Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs steht nicht von vornherein entgegen, dass es sich bei dem begangenen Delikt um ein schwerwiegendes Sexualdelikt handelt.
1. Im Rahmen der Anwendung von § 31 BtMG ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass es hierfür nicht auf die Motive der Offenbarung durch den Täter ankommt. Weder Angst vor Bestrafung noch Offenbarung auf Zureden oder Drängen eines Vernehmenden schließen die Anwendbarkeit grundsätzlich aus. Das Motiv der Offenbarung muss nicht ethisch anerkennenswert sein; entscheidend ist der Aufklärungserfolg.
2. Diese Grundsätze gelten auch, soweit nicht § 31 BtMG, sondern lediglich § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB Anwendung findet, weil die zeitliche Grenze zur Offenbarung in § 31 BtMG überschritten worden ist.
3. Nicht notwendig und insoweit unschädlich ist es, wenn ein Angeklagter mit der Preisgabe von für die Strafverfolgung bedeutsamen Erkenntnissen nicht gleichzeitig auch die Verhinderung weiterer Straftaten erstrebt.
4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder eine Suchterkrankung strafmildernd ins Gewicht fallen. Ihr Fehlen darf regelmäßig nicht strafschärfend berücksichtigt werden.
Intervalle der Abstinenz hindern die Annahme eines Hangs nicht ohne Weiteres (st. Rspr.).
Rechtsprechung Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH: III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht