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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2020
21. Jahrgang
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1. Zur Berücksichtigung von an sich gesamtstrafenfähigen EU-ausländischen Strafen bei Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. (BGHSt)
2. Bei der Strafzumessung sind etwaige Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, die von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhängt wurden, wenn diesbezüglich in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB erfüllt wären. (Bearbeiter)
3. Grundsätzlich erscheint es geboten, diesem Rechtsgedanken auch dann Rechnung zu tragen, wenn eine im Ausland und eine im Inland begangene Straftat jedenfalls vom zeitlichen Ablauf her gleichzeitig hätten abgeurteilt werden können. Für die Frage der Berücksichtigung EU-ausländischer Verurteilungen kann es nicht darauf ankommen, ob für die im Ausland begangenen und abgeurteilten Taten auch ein Gerichtsstand in Deutschland eröffnet gewesen wäre. (Bearbeiter)
4. Im Hinblick auf die Art und Weise des zu gewährenden Nachteilsausgleichs gilt im Falle der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafen, dass die sich aus der fehlenden Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung ergebende Härte jedenfalls auf der Strafvollstreckungsebene zu berücksichtigen ist. Wenn eine besondere Schuldschwere festgestellt wurde, ist dabei je nach Vollstreckungsreihenfolge wie folgt zu unterscheiden. (Bearbeiter)
5. Soweit zunächst die ausländische und im Anschluss daran die deutsche Strafe – in Deutschland – vollstreckt werden, ist der Nachteil bei der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über die Verlängerung der Mindestverbüßungsdauer nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB auszugleichen. (Bearbeiter)
6. Wird dagegen zuerst die deutsche Strafe – in Deutschland – vollstreckt und soll sodann die ausländische Strafe im Wege der Vollstreckungshilfe vollstreckt werden, bietet sich eine Berücksichtigung im Rahmen der Entscheidung gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nur an, wenn in diesem Zeitpunkt die eintretende Härte bereits konkret und sicher absehbar ist. Andernfalls kommt jedoch eine Anpassung der ausländischen Strafe im Rahmen des Exequaturverfahrens ebenfalls nicht in Betracht. Dem Nachteil kann daher nur im Vollstreckungshilfeverfahren dadurch begegnet werden, dass eine Vollstreckungsübernahme der ausländischen Strafe gegebe-
nenfalls wegen Unverhältnismäßigkeit oder Widerspruchs zum Ordre public abgelehnt wird. (Bearbeiter)
7. Soll die ausländische Strafe nach Auslieferung im EU-Ausland vollstreckt werden, bedarf es einer Berücksichtigung im Rahmen der Entscheidung über die Bewilligung der Auslieferung nicht, da sämtliche EU-Mitgliedstaaten an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gebunden sind und daher ihrerseits einen entsprechenden Nachteilsausgleich sicherzustellen haben. Hierauf kann grundsätzlich – abgesehen von außergewöhnlichen Umständen – vertraut werden, soweit dem europäischen Grundkonsens über eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung Rechnung getragen ist. (Bearbeiter)
8. Gleiches gilt schließlich, sofern die deutsche Strafe im Wege der Vollstreckungshilfe im Ausland vollstreckt wird. Die sich aus der fehlenden Möglichkeit einer Einbeziehung der ausländischen Strafen nach § 55 StGB ergebende Härte ist dann durch den vollstreckenden Staat zu berücksichtigen. Zudem können die entsprechenden Überlegungen bei der Frage, ob dieser Vollstreckungsweg überhaupt zu wählen ist, in den Blick genommen werden. (Bearbeiter)
1. Die Vorschrift des § 60 StGB hat Ausnahmecharakter. Sie zielt auf Fälle, bei denen Tat und Schuld durch die Folgen, die den Täter mit seiner Tat getroffen haben, als hinreichend kompensiert erscheinen, so dass das Strafbedürfnis entfällt. § 60 S. 1 StGB setzt voraus, dass die Funktion der Strafe allein durch den Schuldspruch erfüllt wird, weil der Täter sich selbst derart schwer geschädigt hat, dass es zum einen einer weitergehenden Einwirkung auf ihn nicht bedarf und zum anderen der Allgemeinheit das Absehen von Strafe als Ausdruck humaner Strafrechtspflege so verständlich erscheint, dass sie diese Rechtsfolge nicht als Infragestellung notwendigen und sinnvollen Rechtsgüterschutzes empfindet.
2. Verfehlt wäre die Strafe, wenn ihr unter keinem ihrer Leitgesichtspunkte eine sinnvolle Funktion zukäme. Die Annahme, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, muss sich, wie das Merkmal „offensichtlich“ zeigt, unmittelbar aufdrängen Ein Vorgehen nach § 60 StGB macht dabei eine Gesamtabwägung aller strafzumessungsrelevanten Umstände erforderlich. Anwendbar ist die Vorschrift nur dann, wenn das Verfehltsein von Strafe so ins Auge springt, dass dieses Ergebnis der Abwägung jedem ernsthaften Zweifel entrückt ist.
3. Auch mittelbare Folgen der Tat vermögen die Anwendung des § 60 StGB zu rechtfertigen; hierzu können durch die Strafverfolgung bewirkte außergewöhnliche Beeinträchtigungen zählen. Die an diese Beeinträchtigungen zu stellenden Anforderungen sind – dem Ausnahmecharakter der Vorschrift entsprechend – streng.
Eine positive Legalprognose i.S.d. § 57 StGB setzt nicht notwendig voraus, dass der Strafgefangene sein strafbares Verhalten vollumfänglich einräumt. Als negativer prognoserelevanter Faktor kommt das Leugnen einer Tat aber durchaus abhängig von sonstigen Umständen in Betracht. Dem persönlichen Eindruck, den das Erstgericht bei der Anhörung von dem Strafgefangenen gewonnen hat, kommt insoweit regelmäßig eine hohe Bedeutung zu.
1. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden. Andernfalls wäre er gezwungen seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Sicherungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken. Wenn der Angeklagte ihm zur Last gelegte Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten.
2. Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers oder eines Dritten sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht.
1. Die Aufdeckung einer Katalogtat nach § 46b Abs. 1 StGB, § 100a Abs. 2 StPO hat zur Folge, dass die fakultative Strafmilderung des § 46b Abs. 2 StGB sämtliche abgeurteilten Anlasstaten erfasst, die mit der Katalogtat in Zusammenhang stehen. Dieses Zusammenhangerfor-
dernis ist eng auszulegen, setzt jedoch nicht voraus, dass die Taten Teil derselben prozessualen Tat sind. Ein Zusammenhang wird angenommen, wenn die eigene und die offenbarte Tat Teil eines kriminellen Gesamtgeschehens sind. Erforderlich ist ein innerer oder inhaltlicher Bezug zwischen den beiden Taten.
2. Ein rein zeitliches und örtliches Zusammentreffen der Taten reicht ebenso wenig, wie die bloße Identität der Tatbeteiligten. Je nach konkreter Fallgestaltung, insbesondere bei enger zeitlicher Abfolge und Beteiligung derselben Täter, kann jedoch der erforderliche Zusammenhang angenommen werden.
1. Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden.
2. Allein der Umstand mittäterschaftlichen Handelns besagt noch nichts über das Maß der Tatschuld des einzelnen Beteiligten.
3. Eine suchtbedingte Abhängigkeit kann auch dann die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB begründen, wenn sie nicht den Schweregrad einer seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB erreicht.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begeht, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein (§ 62 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
2. Allein die gesicherte Diagnose einer paranoiden Schizophrenie mit Auffälligkeiten im tatgegenständlichen Zeitfenster – der Beschuldigte stand während des Brandes nach außen scheinbar völlig unbeteiligt und abwesend am Rande des Geschehens ? vermag die erforderlichen tatsachenfundierten Feststellungen zu den Auswirkungen seelischer Störungen auf die Begehung der Anlasstat nicht zu ersetzen.
3. Die Gefahrenprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens sowie der von ihm begangenen Anlasstat zu treffen. Bei der insofern vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung. Dabei darf das Gericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose Schlüsse aus anhängig gewesenen Verfahren nur dann ziehen, wenn es die diesen Verfahren zugrundeliegenden Taten für erwiesen hält; dies muss nachprüfbar dargelegt werden. Als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist es anzusehen, wenn ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat.
4. Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeit, durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.
1. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 66b StGB aF, § 275a StPO aF, dass es einer Fortsetzung des Verfahrens entgegensteht und damit ein Verfahrenshindernis vorliegt, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung erst dann stellt, wenn der Verurteilte die Strafe aus der Anlassverurteilung bereits vollständig verbüßt hat.
2. Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, der sich die Literatur weitgehend angeschlossen hat, gibt es keinen Anlass. Insbesondere ist sie auf Fälle übertragbar, in denen die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung als Maßregel im Jugendstrafrecht in Rede steht. Denn die jeweils auszugleichenden Interessen der Allgemeinheit und des Verurteilten liegen gleich wie im Erwachsenenstrafrecht.
1. Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB ist es dem Tatgericht grundsätzlich gestattet, bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen.
2. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender und therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus.
Zwar ist die Strafzumessung in einer früherer, durch das Revisionsgericht aufgehobenen Entscheidung kein Maßstab für die Bemessung der Strafe in dem neuen Urteil. Hält jedoch der neu entscheidende Strafrichter eine gleich hohe Strafe wie im früheren Urteil für erforderlich, so hat er dies eingehend zu begründen.
Intervalle der Abstinenz stehen dem Vorliegen eines Hanges nicht entgegen.
1. Die Anrechnung gemäß § 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 2 StGB setzt voraus, dass die im Ausland erfahrene Freiheitsentziehung aus Anlass derjenigen Tat erfolgt ist, die Gegenstand des deutschen Strafverfahrens ist oder gewesen ist (sog. Grundsatz der Verfahrenseinheit). So liegt es regelmäßig bei der Auslieferungshaft. Bei im Ausland erlittener Abschiebehaft kommt es – über den Wortlaut von § 450a StPO hinaus – auf den Einzelfall an. Sie ist dann anrechenbar, wenn sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung des Verurteilten, der sich in Abschiebehaft befand, gegenüber solchen ergibt, die Auslieferungshaft durchlebt haben.
2. Eine im Ausland erlittene Abschiebehaft ist regelmäßig anzurechnen, wenn sie durch die Tat infolge der internationalen Fahndung durch die deutschen Behörden veranlasst gewesen ist. Ist die Auslieferungshaft dagegen nicht auf das deutsche Strafverfahren, sondern auf andere Umstände zurückzuführen, besteht für eine Anrechnung kein sachlicher Grund. Dann gilt, dass der Angeklagte durch die Anrechnung der ausländischen Haft nicht besser stehen soll, als er gestanden hätte, wenn das gesamte Tatgeschehen im Inland abgeurteilt worden wäre.
1. Der Rechtsbegriff des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bezeichnet einen eingeschliffenen inneren Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Ein Hang liegt bei demjenigen vor, der dauerhaft zur Begehung von Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.).
2. Hangtäter ist auch derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Das Vorliegen eines solchen Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen.