HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2019
20. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

304. BGH 4 StR 432/18 - Urteil vom 31. Januar 2019 (LG Münster)

Vorsatz (bedingter Tötungsvorsatz; Gefährdungs- und Tötungsvorsatz); besonders schwere Brandstiftung (subjektiver Tatbestand).

§ 15 StGB; § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB

1. Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen, in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar. Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat.

2. Gefährdungsvorsatz und Schädigungsvorsatz haben zwar unterschiedliche Bezugspunkte. Da die Gefahr begrifflich aber nichts anderes beschreibt als die naheliegende Möglichkeit einer Schädigung, bleibt beim Vorliegen eines auf die Gefahr des Todes bezogenen Vorsatzes kein Raum mehr für die Verneinung des kognitiven Elements eines bedingten Tötungsvorsatzes. Denn derjenige, der die Gefahrenlage für das Leben anderer erkennt und sich mit ihr abfindet, weiß um die Möglichkeit des Eintritts eines tödlichen Erfolgs.

3. Die Strafbarkeit wegen besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter hinsichtlich des Eintritts der konkreten Todesgefahr vorsätzlich handelt. Erforderlich ist, dass der Täter die für die konkrete Todesgefahr maßgeblichen Umstände in ihrer gefahrbegründenden Bedeutung erkennt und sich im Sinne eines bedingten Vorsatzes mit dem Eintritt der Gefahrenlage zumindest abfindet.


Entscheidung

308. BGH 4 StR 465/18 - Beschluss vom 16. Januar 2019 (LG Magdeburg)

Mittäterschaft (objektiver Tatbeitrag); Konkurrenzen (Deliktsserie unter Beteiligung mehrerer Personen).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB

1. Für Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB ist über einen gemeinsamen Tatentschluss hinaus erforderlich, dass der Tatbeteiligte einen die Tatbestandserfüllung fördernden objektiven Tatbeitrag erbringt. Dieser Tatbeitrag, der keine Mitwirkung am eigentlichen Tatgeschehen erfordert, sondern auch durch eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung geleistet werden kann, muss sich so in die Tat einfügen, dass er als Teil der Handlung des anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint.

2. Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten – soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt – als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mitttäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben.


Entscheidung

268. BGH 2 StR 48/17 - Beschluss vom 11. Dezember 2018 (LG Gera)

Diebstahl (subjektiver Tatbestand: Veränderung des Vorsatzes hinsichtlich des Tatobjektes; Vorsatzwechsel).

§ 242 StGB

Wenn sich der Diebstahlsvorsatz im Rahmen einer einheitlichen Tat hinsichtlich des Tatobjekts verengt, erwei-

tert oder sonst ändert, ist der Tatbestand insgesamt nur einmal erfüllt. So liegt bei der Wegnahme mehrerer Sachen eines oder verschiedener Eigentümer während der Tatausführung regelmäßig ein einheitlicher Diebstahl vor; dasselbe gilt, wenn nur eine Sache weggenommen und die Wegnahme weiterer Sachen versucht wird.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

297. BGH 4 StR 311/18 - Beschluss vom 10. Oktober 2018 (LG Dortmund)

BGHSt; sexuelle Nötigung (kein Finalzusammenhang zwischen Gewaltanwendung und Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung erforderlich; Gewalt gegenüber dem Opfer: maßgeblicher Zeitpunkt, subjektiver Tatbestand, Ausnutzung andauernder Gewaltanwendungen); Geldstrafe (Erforderlichkeit der Festsetzung der Tagessatzhöhe bei Einbeziehung in eine Gesamtfreiheitsstrafe).

§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB; § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB

1. Der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB setzt keinen Finalzusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und der Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung voraus. Tatbestandsmäßig sind Gewaltanwendungen ab Versuchsbeginn der Tat nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB bis zu deren Beendigung. (BGHSt)

2. Für die von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB vorausgesetzte Gewalt „gegenüber dem Opfer“ ist der Zeitpunkt der Tat nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB maßgeblich, da § 177 Abs. 5 StGB eine Qualifikation zu den Grundtatbeständen des § 177 Abs. 1 und 2 StGB darstellt. Insofern kann § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB, der auf die Opfereigenschaft Bezug nimmt, nicht anders ausgelegt werden als die Vorschrift des § 177 Abs. 8 StGB, die ausdrücklich auf den Tatbegriff zurückgreift („bei der Tat“). (Bearbeiter)

3. Daraus folgt, dass die Gewaltqualifikation ab dem Zeitpunkt des Versuchsbeginns des sexuellen Übergriffs eingreifen kann, wobei der Versuchsbeginn auch mit der Gewaltanwendung zeitlich zusammenfallen kann, etwa wenn diese zur unmittelbaren Erzwingung einer sexuellen Handlung erfolgt. Des Weiteren sind Gewaltanwendungen bis zum Zeitpunkt der Beendigung des sexuellen Übergriffs tatbestandsrelevant für § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB. (Bearbeiter)

4. In subjektiver Hinsicht reicht es aus, dass der Vorsatz des Täters auf eine Gewaltanwendung während des sexuellen Übergriffs gerichtet ist, er also bewusst gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet. Ein teilweise geforderter „inhaltlich-motivatorischer Zusammenhang“ zwischen dem sexuellen Übergriff und der Gewalt ist dem Tatbestand nicht zu entnehmen; ein solches zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal ließe sich zudem schon aufgrund der Vielzahl möglicher Fallgestaltungen und Zwecksetzungen kaum näher konkretisieren. (Bearbeiter)

5. Das bloße Nutzbarmachen einer durch eine bereits abgeschlossene Gewaltanwendung geschaffenen Situation ist schon begrifflich keine „Anwendung“ von Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB. (Bearbeiter)

6. Das Einsperren in einem Raum stellt eine Gewaltanwendung im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB dar. Das Aufrechterhalten einer solchermaßen geschaffenen Lage – im Gegensatz zur bloßen Ausnutzung einer aus anderen Gründen erfolgten und abgeschlossenen Gewaltwirkung – stellt jedenfalls dann eine tatbestandsmäßige Gewaltanwendung dar, wenn ein enger räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Einsperren und der sexuellen Handlung besteht. (Bearbeiter)

7. Die Festsetzung der Tagessatzhöhe (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB), die neben der Bemessung der Tagessatzzahl einen selbständigen Strafzumessungsvorgang darstellt, ist auch dann erforderlich, wenn die Einzelgeldstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen wird. Unterbleibt eine solche Festsetzung, so zwingt dieser sachlich-rechtliche Fehler das Revisionsgericht in der Regel zur Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht zur Festsetzung der Tagessatzhöhe. (Bearbeiter)


Entscheidung

263. BGH 2 StR 281/18 - Beschluss vom 31. Oktober 2018 (LG Frankfurt am Main)

BGHSt; Hehlerei (Definitionen: Sich-Verschaffen, Absetzen; Absatzhilfe: Erfordernis eines Absatzerfolges, Abgrenzung von straflosen Vorbereitungshandlungen und Versuchsbeginn); Konkurrenzen (versuchte gewerbsmäßige Hehlerei und Geldwäsche).

§ 22 StGB; § 259 Abs. 1 StGB; § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 261 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB

1. Eine Verurteilung wegen vollendeter Hehlerei in Form der Absatzhilfe setzt die Feststellung eines Absatzerfolgs voraus. (BGHSt)

2. Für die Beurteilung des Versuchsbeginns ist bei der Hehlerei in der Variante der Absatzhilfe auf das unmittelbare Ansetzen des Absatzhelfers abzustellen. (BGHSt)

3. Zum Verhältnis zwischen versuchter gewerbsmäßiger Hehlerei und Geldwäsche. (BGHSt)

4. Sich-Verschaffen ist die Herstellung eigener Herrschaftsgewalt über die Sache im Einverständnis mit dem

Vortäter. Der Hehler muss die Sache zur eigenen Verfügungsgewalt erlangen und zwar in dem Sinn, dass er über diese als eigene oder zu eigenen Zwecken verfügen kann und dies auch will. Bei einer Mitverfügungsbefugnis von Vortäter und Erwerber ist der Tatbestand des § 259 Abs. 1 StGB nur gegeben, wenn der Erwerber unabhängig vom Willen des Vortäters über die Sache verfügen kann. (Bearbeiter)

5. Ein „Absetzen“ im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB setzt die im Einvernehmen mit dem Vortäter, im Übrigen aber eine selbständig vorgenommene wirtschaftliche Verwertung einer bemakelten Sache durch ihre rechtsgeschäftliche Weitergabe an gut- oder bösgläubige Dritte gegen Entgelt voraus. (Bearbeiter)

6. Für das maßgebende unmittelbare Ansetzen des Absatzhelfers gilt im Einzelnen: Absatzhilfe erfasst jede vom Absatzwillen getragene vorbereitende, ausführende oder helfende Tätigkeit, die geeignet ist, den Vortäter bei der wirtschaftlichen Verwertung der bemakelten Sache zu unterstützen. Daher beginnt die Strafbarkeit wegen versuchter Absatzhilfe, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, mit der er nach seiner Vorstellung unmittelbar zu einer Förderung der straflosen Absatztat des Vortäters ansetzt. Angesichts der Vielzahl der denkbaren Sachverhaltsgestaltungen, die dem Begriff des Hilfeleistens unterfallen, bedarf das Kriterium der Unmittelbarkeit dabei regelmäßig einer wertenden Konkretisierung im Einzelfall. Dabei können etwa die Dichte des Tatplans oder der Grad der Rechtsgutgefährdung, mithin die Nähe zur vorgestellten Absatzhandlung, die aus Sicht des Täters durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird, für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium von Bedeutung sein. (Bearbeiter)

7. Nach diesen Maßstäben ist ein unmittelbares Ansetzen jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich die Tathandlung in einen bereits festgelegten Absatzplan fördernd einfügt und aus Sicht des Vortäters den Beginn des Absatzvorgangs darstellt. (Bearbeiter)

8. Wirkt der Hehler beim Absatz von Beute mit, die aus mehreren Vortaten stammt, handelt es sich nur um eine Tat, wenn es keine hinreichenden konkreten Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Absatzhilfe ihrerseits in mehrere Taten aufzuteilen wäre. Zudem kommt die Annahme von Tateinheit in Betracht, wenn mehrere Tatbestandsverwirklichungen dergestalt objektiv zusammentreffen, dass die Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch sind. Ob im Einzelfall eine die Annahme einer Tat im Rechtssinne tragende Teilidentität der Ausführungshandlungen gegeben ist, richtet sich nach dem materiellen Recht. Für den Bereich des Versuchs ist dabei die Vorstellung des Täters von der Tat nach seinem konkreten Tatplan maßgeblich. (Bearbeiter)

9. Für das Konkurrenzverhältnis zwischen der versuchten gewerbsmäßigen Hehlerei und der durch die gleiche Tathandlung bewirkten Geldwäsche ist Tateinheit anzunehmen. (Bearbeiter)


Entscheidung

360. BGH StB 34/18, Beschluss vom 29. November 2018 - StB 34/18 (OLG Düsseldorf)

BGHSt; Offenbaren von Staatsgeheimnissen (schwerer Nachteil für die äußere Sicherheit; konkrete Gefahr; Frage tatsächlicher, nicht rechtlicher Natur; Gesamtschau aller Umstände; auf feststehenden Tatsachen beruhende Wahrscheinlichkeit; einer fremden Macht zugänglichwerden; Tatsachen in der Person des Handelnden; Zuverlässigkeit; sonstige Umstände; keine feindlichen Aktivitäten der fremden Macht erforderlich; subjektiver Tatbestand; bedingter Vorsatz; Staatsgeheimnis); Sichverschaffen eines Staatsgeheimnisses zum Zweck seiner Offenbarung (Auskundschaften; subjektiver Tatbestand; Offenbarungsabsicht).

§ 95 Abs. 1 StGB; § 96 Abs. 2 StGB; § 93 StGB

1. Zum Begriff der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. (BGHSt)

2. Die Tathandlung des § 95 Abs. 1 StGB muss zur Folge haben, dass die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird. Es muss folglich der Zustand einer konkreten Gefahr erreicht werden, in dem der Eintritt eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr fernliegt. (Bearbeiter)

3. Ob im Einzelfall ein schwerer Nachteil droht, ist in erster Linie eine Frage tatsächlicher, nicht rechtlicher Natur. Die Abgrenzung zwischen lediglich abstrakter Möglichkeit und einer solchen Wahrscheinlichkeit, mit der aus gegebener Sachlage nach menschlicher Erfahrung und den Gesetzen der Verursachungslehre ein schädigender Erfolg zu erwarten ist, ist dabei im Einzelfall aufgrund tatrichterlicher Würdigung vorzunehmen, wobei die maßgeblichen Umstände für die Besorgnis des Schadenseintritts unterschiedliches Gewicht haben können. (Bearbeiter)

4. Bei dem hier in Rede stehenden, ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützenden und sprachlich weit gefassten Tatbestandsmerkmal ist die Feststellung der konkreten Rechtsgutgefährdung besonders schwierig und von sicherheitspolitischen Einschätzungen und Bewertungen abhängig. Mit dem Gelangenlassen eines Staatsgeheimnisses an einen Unbefugten wird zwar nach aller Erfahrung häufig eine mögliche Gefährdung des Staatswohls verbunden sein; diese Feststellung allein genügt jedoch nicht. Vielmehr erfordert die Annahme einer konkreten Gefährdung die auf Tatsachen beruhende Wahrscheinlichkeit, das Staatsgeheimnis werde dadurch unmittelbar oder mittelbar einer fremden Macht zugänglich werden, vor der es zum Wohle der Bundesrepublik geheim gehalten werden muss. (Bearbeiter)

5. Die entsprechenden Tatsachen müssen positiv festgestellt werden; sie können schon in der Person des Unbefugten, aber auch außerhalb seines Persönlichkeitsbereichs liegen. Es reicht auch aus, dass sonstige Umstände vorliegen, die bei normalem Ablauf der Geschehnisse mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass eine fremde

Regierung von dem Staatsgeheimnis Kenntnis erlangen werde. Nicht erforderlich ist die Prüfung, ob die fremde Macht zur Zeit des Offenbarens feindselige Aktivitäten plante und die Nutzung des durch den Verrat erlangten Vorteils unmittelbar bevorstand; vielmehr genügt die Feststellung der verbesserten Möglichkeiten der fremden Macht. (Bearbeiter)

6. Der Gefahreintritt kann in der Gesamtschau der Umstände insbesondere dann zu verneinen sein, wenn der unbefugte Empfänger im Einzelfall die volle Gewähr dafür bietet, dass er von dem Geheimnis keinen die äußere Sicherheit beeinträchtigenden Gebrauch machen werde; eine solche Gewähr kommt etwa bei besonderer beruflicher Verschwiegenheitspflicht und persönlicher Zuverlässigkeit in Betracht. Daraus kann jedoch nicht umgekehrt der Schluss gezogen werden, dass bereits immer dann, wenn eine solche Gewähr nicht festgestellt werden kann, eine konkrete Gefährdung anzunehmen sei. (Bearbeiter)


Entscheidung

300. BGH 4 StR 371/18 – Beschluss vom 6. Dezember 2018 (LG Siegen)

BGHSt; Brandstiftung (Begriffsdefinition: Warenvorräte, Warenlager; bedingter Brandstiftungsvorsatz; Feststellung des Brandstiftungsvorsatzes als innerer Tatsache bei leugnendem Angeklagten).

§ 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB

1. Zum Begriff der Warenvorräte und des Warenlagers im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Fortführung von BGH, Urteil vom 22. März 2018 – 5 StR 603/17). (BGHSt)

2. Unter Warenvorräten im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 3 Alternative 2 StGB ist eine größere Menge von körperlichen Gegenständen zu verstehen, die nicht zum Eigenverbrauch, sondern typischerweise zum gewerblichen Umsatz bestimmt. Nach der Neufassung der Vorschrift kommt es weder auf den Ort der Lagerung an noch ist der Begriff der Warenvorräte einengend dahin auszulegen, dass er nur Warenbestände erfasst, die für einen noch unbestimmten Kundenkreis für ungewisse Zeit vorrätig gehalten werden. Eine solche einengende Auslegung ist weder durch den Wortlaut der Norm noch unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte sowie ihres Schutzzwecks geboten. (Bearbeiter)

3. Dem Begriff des Warenlagers im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB unterfällt daher jede mobile oder stationäre Lagerstätte, die zur Lagerung nicht ganz unerheblicher Warenmengen geeignet und bestimmt ist; auf ihre konkrete Beschaffenheit kommt es nicht an. Neben Räumlichkeiten können daher auch größere Behältnisse, Container oder die verfahrensgegenständlichen Lkw-Wechselbrücken als „Warenlager“ angesehen werden, wenn sie zur Aufnahme größerer Warenvorräte geeignet und bestimmt sind. (Bearbeiter)

4. Bedingter Brandstiftungsvorsatz liegt vor, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in einer Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung entweder billigend in Kauf nimmt oder sich wenigstens mit ihr abfindet, wobei Gleichgültigkeit genügt. (Bearbeiter)

5. Bei einem leugnenden Angeklagten können innere Tatsachen wie seine Vorstellungen über die möglichen Folgen seines Handelns und deren Billigung regelmäßig durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen festgestellt werden. Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Frage, ob der Täter mit Brandstiftungsvorsatz gehandelt hat, ist der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein Tatobjekt in Brand gerät. Maßgebend ist insoweit aber stets eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände. (Bearbeiter)


Entscheidung

292. BGH 4 StR 58/18 - Beschluss vom 19. Dezember 2018 (LG Magdeburg)

Bestechung (Konkurrenzen bei mehreren Vorteilsgewährungen bzw. Deliktsserien).

§ 334 StGB

1. Mehrere Vorteilsgewährungen stehen in der Regel zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn die Annahme des Vorteils auf eine Unrechtsvereinbarung zurückgeht, die den zu leistenden Vorteil genau festlegt, mag er auch in bestimmten Teilleistungen zu erbringen sein. Dann liegt eine tatbestandliche Handlungseinheit vor, sofern nicht die Vorteilsgewährung „open-end"-Charakter trägt und der versprochene Vorteil von der künftigen Entwicklung abhängen soll.

2. Ob mehrere Fälle einer Deliktserie tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, ist bei jedem der Mittäter gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur jeweils diese fördernden Tatbeitrag, sind ihm diese Taten als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Verlaufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als einheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben.


Entscheidung

344. BGH 5 StR 479/18 - Urteil vom 23. Januar 2019 (LG Dresden)

Betrug (Vermögensschaden; keine Kompensation der Kaufpreiszahlung durch faktische Ermöglichung einer unrechtmäßigen Nutzung; erforderliche Feststellungen zum Irrtum bei massenhaften und gleichförmigen Betrugshandlungen); Erbringen von Finanzdienstleistungen ohne Erlaubnis (paysafe-Codes; E-Geld; Zahlungsmittel); unerlaubtes Vervielfältigen eines Computerprogramms; Benutzung von mit einer eingetragenen Marke identischen Zeichen im geschäftlichen Verkehr; Aufklärungshilfe.

§ 263 StGB; § 261 StGB; § 46b StGB; § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG; § 143 MarkenG; § 106 UrhG

Wer täuschungsbedingt ein Computerprogramm erwirbt, dessen Nutzung rechtlich verboten ist, ist regelmäßig in Höhe des vollen Kaufpreises geschädigt. Denn der bloß faktischen Ermöglichung einer unrechtmäßigen Nutzung kommt bei wirtschaftlicher Betrachtung kein die Kaufpreiszahlung kompensierender Gegenwert zu. Unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus ein etwaiges Risiko, vom Nutzungsberechtigten auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden, einen Vermögensschaden begründen kann, muss hier nicht entschieden werden.


Entscheidung

335. BGH 3 StR 627/17 - Beschluss vom 26. Juli 2018 (LG Krefeld)

Geldwäsche (subjektiver Tatbestand; Vorsatz hinsichtlich des Herrührens aus einer Vortat; laienhafte Erfassung der rechtlichen Bewertung; Irrtum; Vorsatz bzgl. mehrerer Vortaten; untauglicher Versuch; inländischer Erfolgsort; Handlungsort; abstraktes Gefährdungsdelikt; konkretes Gefährdungsdelikt; sukzessive Mittäterschaft; Zurechnung des Tatortes; Begehung der Vortat im Ausland; Bestechungsdelikte als Vortat).

§ 261 StGB; § 7 StGB; § 9 StGB; § 299 StGB; § 331 StGB; § 333 StGB; § 335a StGB

1. Der Vorsatz des Täters eines Delikts nach § 261 StGB muss sich auch darauf erstrecken, dass der Gegenstand, auf den sich die Tathandlung bezieht, aus einer Katalogtat herrührt. Insoweit reicht es aus, wenn der Täter Umstände kennt oder sich vorstellt, aus denen sich in groben Zügen bei rechtlich richtiger Bewertung, die er nur laienhaft erfasst haben muss, eine Katalogtat als Vortat ergibt. Der Vorsatz muss weder den konkreten Vortäter noch die genauen Umstände der Vortat umfassen. Ein Irrtum ist nur dann vorsatzausschließend im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, wenn sich der Täter einen Sachverhalt vorstellt, der keine Katalogtat darstellt. Stellt sich der Täter Umstände im Sinne einer anderen Katalogtat als der wirklich begangenen vor, so steht dies seinem Vorsatz nicht entgegen.

2. Hält der Täter verschiedene Vortaten für möglich, reicht es aus, wenn darunter zumindest eine taugliche Katalogtat der Geldwäsche ist. Rührt der Gegenstand, auf den sich ein derartiger Vorsatz bezieht, tatsächlich nicht aus einer Katalogtat her, führt dies nicht zur Straflosigkeit dessen, der im Übrigen alle weiteren Tatbestandsmerkmale des § 261 Abs. 1 oder 2 StGB erfüllt. Er macht sich vielmehr eines untauglichen Versuchs der Geldwäsche nach § 261 Abs. 3, § 23 Abs. 3 StGB schuldig.

3. Die als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestalteten Tatbestandsvarianten des Verschleierungstatbestandes nach § 261 Abs. 1 Var. 1 und 2 StGB sowie diejenigen des Isolierungstatbestandes gemäß § 261 Abs. 2 StGB weisen keinen inländischen Erfolgsort im Sinne von § 9 Abs. 1 Var. 3 oder 4 StGB auf (für abstrakte Gefährdungsdelikte allgemein vgl. BGH HRRS 2014 Nr. 1113). Ein solcher Erfolgsort kann hingegen bei dem Vereitelungstatbestand des § 261 Abs. 1 Var. 3 StGB sowie bei dem Gefährdungstatbestand des § 261 Abs. 1 Var. 4 StGB im Inland begründet sein, weil es sich bei diesen Tatbestandsvarianten um ein Erfolgsdelikt bzw. um ein konkretes Gefährdungsdelikt handelt.

4. Ist die Katalogvortat im Ausland begangen, können aus ihr herrührende Gegenstände gemäß § 261 Abs. 8 StGB nur dann taugliche Bezugsobjekte der Geldwäsche sein, wenn die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist. Handelt es sich bei den Vortaten um die als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestalteten Bestechungs- bzw. Bestechlichkeitsdelikte, kann der Tatort nicht durch einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg begründet

werden. Allein der Sitz eines bestechenden Unternehmens in den europäischen Staaten begründet daher ebenso wenig einen Tatort wie der Eintritt einer wettbewerbswidrigen Besserstellung. Tatort kann hier vielmehr nur der Handlungsort sein, an dem die auf die Unrechtsvereinbarung abzielende Erklärung abgegeben oder angenommen oder an dem der Vorteil gefordert, angeboten, versprochen, gewährt oder angenommen wird.


Entscheidung

334. BGH 3 StR 626/17 - Beschluss vom 26. Juli 2018 (LG Krefeld)

Geldwäsche (subjektiver Tatbestand; Vorsatz hinsichtlich des Herrührens aus einer Vortat; laienhafte Erfassung der rechtlichen Bewertung; Irrtum; Vorsatz bzgl. mehrerer Vortaten; untauglicher Versuch; Bestechungsdelikte als Vortat; abstraktes Gefährdungsdelikt; Erfolgsort; Isolierungstatbestand als Auffangtatbestand).

§ 261 StGB; § 299 StGB; § 331 StGB; § 335a StGB; § 9 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Der Vorsatz des Täters eines Delikts nach § 261 StGB muss sich auch darauf erstrecken, dass der Gegenstand, auf den sich die Tathandlung bezieht, aus einer Katalogtat herrührt. Insoweit reicht es aus, wenn der Täter Umstände kennt oder sich vorstellt, aus denen sich in groben Zügen bei rechtlich richtiger Bewertung, die er nur laienhaft erfasst haben muss, eine Katalogtat als Vortat ergibt. Der Vorsatz muss weder den konkreten Vortäter noch die genauen Umstände der Vortat umfassen. Ein Irrtum ist nur dann vorsatzausschließend im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, wenn sich der Täter einen Sachverhalt vorstellt, der keine Katalogtat darstellt. Stellt sich der Täter Umstände im Sinne einer anderen Katalogtat als der wirklich begangenen vor, so steht dies seinem Vorsatz nicht entgegen.

2. Hält der Täter verschiedene Vortaten für möglich, reicht es aus, wenn darunter zumindest eine taugliche Katalogtat der Geldwäsche ist. Rührt der Gegenstand, auf den sich ein derartiger Vorsatz bezieht, tatsächlich nicht aus einer Katalogtat her, führt dies nicht zur Straflosigkeit dessen, der im Übrigen alle weiteren Tatbestandsmerkmale des § 261 Abs. 1 oder 2 StGB erfüllt. Er macht sich vielmehr eines untauglichen Versuchs der Geldwäsche nach § 261 Abs. 3, § 23 Abs. 3 StGB schuldig.

3. Ist die Katalogvortat im Ausland begangen, können aus ihr herrührende Gegenstände gemäß § 261 Abs. 8 StGB nur dann taugliche Bezugsobjekte der Geldwäsche sein, wenn die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist. Handelt es sich bei den Vortaten um die als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestalteten Bestechungs- bzw. Bestechlichkeitsdelikte, kann der Tatort nicht durch einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg begründet werden. Allein der Sitz eines bestechenden Unternehmens in den europäischen Staaten begründet daher ebenso wenig einen Tatort wie der Eintritt einer wettbewerbswidrigen Besserstellung. Tatort kann hier vielmehr nur der Handlungsort sein, an dem die auf die Unrechtsvereinbarung abzielende Erklärung abgegeben oder angenommen oder an dem der Vorteil gefordert, angeboten, versprochen, gewährt oder angenommen wird.


Entscheidung

262. BGH 2 StR 254/18 - Beschluss vom 27. November 2018 (LG Aachen)

(Versuchter) Raub (erzwungene Preisgabe eines Beuteversteckes); Konkurrenzen (versuchter schwerer Raub, erpresserischer Menschenraub, gefährliche Körperverletzung).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 239a StGB; § 223 StGB; § 224 StGB § 249 StGB

1. Bei der erzwungenen Preisgabe des Versteckes einer noch wegzunehmenden Beute handelt es sich um einen (versuchten) Raub.

2. Zwischen dem versuchten schweren Raub, dem erpresserischen Menschenraub und der gefährlichen Körperverletzung besteht Tateinheit.


Entscheidung

319. BGH 4 StR 593/18 - Beschluss vom 29. Januar 2019 (LG Neuruppin)

Urkundenfälschung (ausländische Kennzeichen an PKW).

§ 267 StGB; § 261 StPO

Die Eigenschaft von an Fahrzeugen angebrachten Kennzeichen als (zusammengesetzte) Urkunde im Sinne des § 267 StGB, versteht sich, zumal bei ausländischen Kennzeichen, nicht von selbst. Das Urteil muss sich zu deren konkreter Beschaffenheit verhalten.


Entscheidung

350. BGH 5 StR 577/18 - Beschluss vom 11. Dezember 2018 (LG Dresden)

Keine Zueignungsabsicht bei Wegnahme eines Mobiltelefons in der Absicht, dort gespeicherte Daten/Bilder zu löschen; keine sukzessive Mittäterschaft nach Beendigung einer gefährlichen Körperverletzung.

§ 242 StGB; § 249 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 223 StGB; § 224 StGB

Wer ein Mobiltelefon lediglich in der Absicht wegnimmt, dort abgespeicherte Bilder zu löschen, verwirklicht regelmäßig nicht die Aneignungskomponente der Zueignungsabsicht i.S.d. §§ 242, 249 StGB. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn der Täter das Mobiltelefon – wenn auch nur vorübergehend – über die für die Löschung der Bilder benötigte Zeit hinaus behalten will.


Entscheidung

264. BGH 2 StR 288/18 - Beschluss vom 9. Januar 2019 (LG Hanau)

Raub (Wegnahme; Gewahrsam).

§ 249 Abs. 1 StGB

Eine Wegnahme i.S.d. § 249 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass fremder Gewahrsam gebrochen und neuer, eigener begründet wird. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ob und wer Gewahrsam an einer Sache hat, beurteilt sich nach den Umständen des einzelnen Falles und den Anschauungen des täglichen Lebens.


Entscheidung

328. BGH 3 StR 427/18 - Beschluss vom 18. Dezember 2018 (LG Lüneburg)

Sexueller Missbrauch von Kindern (Vornahme von sexuellen Handlungen vor einem Kind; einschränkende Auslegung; Vergewaltigung der Mutter vor den Augen des Kindes); Vergewaltigung (strafschärfende Berücksichtigung des bis zum Samenerguss vollzogenen ungeschützten Geschlechtsverkehrs bei Tatbegehung aus einer intimen Beziehung heraus). 

§ 176 StGB; § 177 StGB

Der Senat hält daran fest, dass eine Strafbarkeit wegen der Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind (§ 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB) jedenfalls in bestimmten Situationen erfordert, dass der Täter das Kind in der Weise in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn gerade die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Kind von Bedeutung ist. Er hat jedoch – hier nicht entscheidungserhebliche – Zweifel, ob dem auch für eine Konstellation zu folgen wäre, in der das Kind Zeuge einer Vergewaltigung der Mutter wird (vgl. bereits BGH HRRS 2013 Nr. 3). Denn in solchen Fällen erscheint es fraglich, ob die einschränkende Auslegung des Tatbestandes mit dem Schutzzweck des § 176 StGB vereinbar ist, der als abstraktes Gefährdungsdelikt die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern schützen soll.