HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2019
20. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

337. BGH 5 StR 387/18, Beschluss vom 10. Januar 2019 (HansOLG Hamburg)

BGHSt; Anwendbarkeit des Verschlechterungsverbots im Fall der unterbliebenen Einziehungsentscheidung (grundsätzliche Geltung für alle Rechtsfolgen; ausnahmsweise Durchbrechung bei gesetzlicher Anordnung; selbständige Einziehung; Ermessen der Staatsanwaltschaft; versehentliche Nichtentscheidung).

§ 331 Abs. 1 StPO; § 358 Abs. 2 S. 1 StPO; § 373 Abs. 2 S. 1 StPO; § 76a StGB

1. Das Verbot der Verschlechterung schließt die erstmalige Anordnung der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) auf lediglich vom Angeklagten, von seinem gesetzlichen Vertreter oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel oder Wiederaufnahmeanträge auch dann aus, wenn eine selbständige Einziehung nach § 76a StGB möglich wäre. (BGHSt)

2. Das Verbot der Verschlechterung (§§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 S. 1, 373 Abs. 2 S. 1 StPO) gewährleistet, dass der Angeklagte bei seiner Entscheidung, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel bzw. einem Wiederaufnahmeantrag Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt wird, es könne ihm durch die Einlegung ein Nachteil erwachsen. Es gilt schon nach seinem Wortlaut grundsätzlich für alle Rechtsfolgen und damit auch für Maßnahmen nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, zu denen die Einziehung zählt. Durchbrochen wird es aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen (§ 331 Abs. 2, § 358 Abs. 2 S. 2, § 373 Abs. 2 S. 2 StPO) nur für die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt. (Bearbeiter)

3. Zwar ist die Einziehung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 76a StGB im selbständigen Verfahren gleichfalls zwingend anzuordnen. Jedoch überantwortet § 435 Abs. 1 S. 1 StPO die Antragstellung dem pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft, die namentlich bei geringem Wert oder übermäßigem Aufwand von der Antragstellung absehen kann. (Bearbeiter)


Entscheidung

361. BGH StB 52/18 - Beschluss vom 18. Dezember 2018 (OLG Düsseldorf)

BGHSt; Strafklageverbrauch und prozessualer Tatbegriff bei mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (Verwirklichung weiterer Straftatbestände durch mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt; Gegenstand der Anklage und Urteilsfindung in früherem Verfahren; Maßgeblichkeit des tatsächlichen Geschehens; rechtliche Bewertung; materiellrechtlicher Tatbegriff; Tateinheit; Tatmehrheit; Vertrauensschutz); Eröffnung des Hauptverfahrens.

§ 129a StGB; § 264 Abs. 1 StPO; Art. 103 Abs. 3 GG; § 203 StPO

1. Der Strafklageverbrauch aufgrund einer früheren Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung erstreckt sich nur dann auf mitgliedschaftliche Beteiligungsakte, durch die weitere Straftatbestände verwirklicht wurden, wenn diese in dem früheren Verfahren tatsächlich Gegenstand der Anklage und Urteilsfindung waren. (BGHSt)

2. Ohne Bedeutung ist dabei, ob sie in dem früheren Verfahren rechtlich als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt gewertet wurden oder ob die noch abzuurteilende Tat mit Blick auf die Strafdrohung schwerer wiegt, als die bereits abgeurteilten Delikte (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 292 ff.). (BGHSt)

3. Nach Abschluss eines Verfahrens wird der Umfang der materiellen Rechtskraft und damit die Reichweite des Strafklageverbrauchs dadurch bestimmt, welche Tat im prozessrechtlichen Sinn gemäß § 264 Abs. 1 StPO Gegenstand des Prozesses und der Aburteilung war; das in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte Verbot der Doppelbestrafung geht vom gleichen prozessua-

len Tatbegriff aus. Die Tat im prozessrechtlichen Sinne den geschichtlichen sowie den damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzten Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. (Bearbeiter)

4. Maßgeblich für die Bestimmung des Tatbegriffs ist grundsätzlich das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt. Umfasst werden aber auch alle damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die nach der Auffassung des Lebens eine natürliche Einheit bilden und die in ihren Einzelgeschehnissen, aus denen sie sich zusammensetzen, so eng verknüpft sind, dass eine getrennte Aburteilung zu einer Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens führen würde. (Bearbeiter)

5. Der materiellrechtliche und der prozessuale Tatbegriff stehen nicht völlig beziehungslos nebeneinander. Vielmehr stellt ein durch den Rechtsbegriff der Tateinheit nach § 52 StGB zusammengefasster Sachverhalt in der Regel auch verfahrensrechtlich eine einheitliche prozessuale Tat dar. Umgekehrt liegen im Falle sachlich-rechtlicher Tatmehrheit nach § 53 StGB grundsätzlich auch mehrere Taten im prozessualen Sinne vor. Dabei sind jedoch stets die Besonderheiten der abgeurteilten Delikte ebenso in den Blick zu nehmen, wie der Umstand, dass bei einem weiten Verständnis des prozessualen Tatbegriffs die Kognitionspflicht des zuerst entscheidenden Tatgerichts ausgedehnt und damit dessen Leistungsfähigkeit möglicherweise überschritten wird. (Bearbeiter)

6. Weiter ist bei der Bestimmung der Reichweite des Strafklageverbrauchs auch der Gedanke des Vertrauensschutzes von Bedeutung; dieser besagt indes nur, dass ein Angeklagter etwa in den Fällen der Beschuldigung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung erst dann darauf vertrauen kann, mit seiner rechtskräftigen Aburteilung sei auch eine nicht berücksichtigte, in Tateinheit mit einem Betätigungsakt als Mitglied begangene andere Straftat erledigt, wenn diese in ihrer konkreten Ausgestaltung festgestellt worden ist oder wenigstens Gegenstand von gerichtlichen Feststellungsversuchen war. (Bearbeiter)


Entscheidung

243. BGH 1 StR 444/18 - Urteil vom 19. Dezember 2018 (LG Cottbus)

Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (Beginn der Verjährung: Erlöschen der Beitragspflicht; Darstellung der geschuldeten Beiträge im Urteil).

§ 266a Abs. 1 StGB; § 78a Satz 1 StGB; § 267 Abs. 1 StPO

1. Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verfolgungsverjährung sobald die Tat beendet ist. Nach gefestigter Rechtsprechung tritt bei Taten nach § 266a Abs. 1 StGB als echtem Unterlassungsdelikt Beendigung erst ein, wenn die Beitragspflicht erloschen ist (vgl. BGH wistra 2012, 235 Rn. 4), sei es durch Beitragsentrichtung, sei es durch Wegfall des Beitragsschuldners oder durch das Ausscheiden des Täters aus der Vertreterstellung.

2. Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung, die geschuldeten Beiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2017, 352, 353), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 376). Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (vgl. BGH NStZ 2010, 635 Rn. 4 ff.).


Entscheidung

242. BGH 1 StR 438/18 - Beschluss vom 10. Oktober 2018 (LG Passau)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (erforderliche Beweiswürdigung und Urteilsdarstellungen bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen: nur teilweises Folgen der Aussage des Belastungszeugen; revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

Bei Fallkonstellationen, in denen das Gericht der Aussage des einzigen Belastungszeugen oder der belastenden Einlassung des Mitangeklagten nur teilweise folgt und es in anderen Teilen Zweifel an dessen Darstellung hat oder diese sogar für widerlegt hält, kann den belastenden Angaben dieses einzigen Zeugen oder Mitangeklagten nur dann gefolgt werden, wenn das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 119 mwN); regelmäßig ist dabei zudem zu verlangen, dass es außerhalb der Aussage oder Einlassung Gründe von erheblichem Gewicht gibt, die für die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben sprechen. Diese sind in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGHSt 44, 153, 159).


Entscheidung

265. BGH 2 StR 291/18 - Urteil vom 19. Dezember 2018 (LG Frankfurt am Main)

Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung (Feststellungen rechtskräftiger früherer Verurteilungen); Gegenstand des Urteils (Aufklärungspflicht des Tatrichters); Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit); Urteilsgründe (Anschluss an Beurteilungen von Sachverständigen); Betrug (Vermögensschaden; Gewerbsmäßigkeit).

§ 249 Abs. 1 StPO; § 261 StPO; § 264 Abs. 1 StPO; § 267 Abs. 1 StPO; § 263 Abs. 1 StGB

1. Gegenstand der Urteilsfindung ist nach § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Der Tatrichter ist verpflichtet, diesen Vorgang unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten aufzuklären und abzuurteilen, ohne an die der Anklage oder dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung gebunden zu sein.

2. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt. Für die zur Schadensbestimmung erforderliche Gesamtsaldierung ist bei dem Abschluss eines Leasingvertrages der Geldwert des vom Leasingeber erworbenen Anspruchs auf die vom Leasingnehmer zu leistenden vertraglich vereinbarten Leasingraten unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausfallrisikos zu bewerten und mit dem Geldwert der eingegangenen Verpflichtung durch den Leasinggeber zu vergleichen.

3. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein. Es genügt, dass sie möglich sind. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze

verstößt. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegung einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat.

4. Feststellungen rechtskräftiger früherer Urteile können im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die neue Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden. Der Tatrichter darf diese Feststellungen aber nicht ungeprüft übernehmen. Er kann jedoch nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung bei der Bildung seiner eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung zumindest die Tatsache berücksichtigen, dass die Richter eines anderen Strafverfahrens zu einem bestimmten Beweisergebnis gekommen sind. Beanstandet jedoch ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen, muss er prüfen, ob diese Beanstandungen nach seiner Auffassung geeignet sind, die dort gezogenen Schlüsse zu erschüttern.

5. Wenn sich das Tatgericht darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise im Urteil mitteilen.

6. Liegt die Absicht vor, sich durch eine wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen. Dabei ist es ausreichend, wenn der Täter den inkriminierten Gegenstand zur Deckung eigener Bedürfnisse einsetzt und eigene Aufwendungen erspart.


Entscheidung

362. BGH StB 9/18 - Beschluss vom 5. Oktober 2018 (OLG Frankfurt)

Erledigung der Beschwerde (Wegfall der Beschwer bei durch Vollstreckungsverzicht erledigter Anordnung; Erledigung vor Vollzug der Maßnahme; Gegenstandslosigkeit der Beschwerde; Feststellungsinteresse bei tiefgreifendem Grundrechtseingriff; Erübrigung der Kostenentscheidung bei Erledigung); vorübergehende Unterbringung.

§ 304 StPO; Art. 19 Abs. 4 GG; § 81 StPO

Die Erklärung eines Vollstreckungsverzichts (hier: bezüglich eines Unterbringungsbeschlusses) führt regelmäßig dazu, dass der entsprechende Beschluss auch ohne förmliche Aufhebung tatsächlich keine Wirkung mehr entfaltet. Bei einer solchermaßen erledigten Anordnung entfällt die Beschwer und eine etwaige Beschwerde wird gegenstandslos. Bei einer Erledigung vor der Vollstreckung ist es mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses auch zur Wahrung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht erforderlich, von einer weiterhin zulässigen Beschwerde auszugehen.


Entscheidung

303. BGH 4 StR 410/18 - Beschluss vom 19. Dezember 2018 (LG Oldenburg)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Darlegungsanforderungen bei biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen in Bezug auf DNA-Einzelspuren: allgemein anerkanntes und standardisiertes Verfahren); Ablehnung von Beweisanträgen (Einstellung unter Beweis gestellter Tatsachen in das bisherige Beweisergebnis).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 261 StPO

1. Grundsätzlich hat das Tatgericht in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrunde, wie dies etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses.

2. Nach diesen Grundsätzen muss nach der neueren Rechtsprechung in den in der Praxis vorkommenden Regelfällen der DNA-Vergleichsuntersuchungen, die sich auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden.

3. Lehnt das Gericht einen Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen ab, hat es die unter Beweis gestellten Tatsachen wie eine erwiesene Tatsache in das bisherige Beweisergebnis einzustellen. Die hypothetische Beweiswürdigung darf keine Abstriche an der Beweisbehauptung vornehmen, sie darf diese nicht entgegen ihrem Sinn auslegen.


Entscheidung

346. BGH 5 StR 499/18 - Beschluss vom 10. Januar 2019 (LG Braunschweig)

Umfang der Revision (Auslegung der Erklärungen des Rechtsmittelführers; Berücksichtigung von Rechtskenntnissen; keine Erweiterung der Revision nach Ablauf der Einlegungsfrist).

§ 344 StPO; § 345 StPO

1. Heißt es in der Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft, das Rechtsmittel werde gegen das Urteil „bzgl. aller Angeklagter“ eingelegt, so erstreckt sich die Revision regelmäßig nicht auf eine etwaige Nichtanordnung der Geldbuße gegen eine (in Anklageschrift und Urteil stets als solche bezeichnete) Nebenbeteiligte.

2. Nach Ablauf der Einlegungsfrist kann eine Revision nicht auf eine weitere Verfahrensbeteiligte erweitert werden. Im Interesse der Rechtsklarheit muss sich innerhalb der Einlegungsfrist bereits eindeutig aus der Anfechtungserklärung selbst ergeben, auf welche Beteiligte und welche Entscheidungsteile sich das Rechtsmittel bezieht, da anderenfalls die Anfechtungsfrist unterlaufen würde.


Entscheidung

310. BGH 4 StR 484/18 - Beschluss vom 6. Dezember 2018 (LG Halle)

Ablehnung von Beweisanträgen (Bedeutungslosigkeit einer Indiz- oder Hilfstatsache für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen); Adhäsionsentscheidung (Bestimmtheit des Streitgegenstandes).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO

1. Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, weil sie nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre.

2. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei sie erwiesen, in ihrem vollen Umfang ohne Umdeutung, Einengung oder Verkürzung in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde.

3. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen. Aus ihnen muss sich ergeben, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will.

4. § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO verlangt die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Bei einem unbezifferten Antrag müssen die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Wenn der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht, muss zwar kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber zumindest die Angabe der Größenordnung des begehrten Betrages, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang der Streitgegenstand haben soll.


Entscheidung

285. BGH 2 StR 569/18 - Beschluss vom 8. Januar 2019 (LG Stralsund)

Adhäsionsantrag (Bestimmtheit des Streitgegenstandes).

§ 404 Abs. 1 Satz 2 StPO

§ 404 Abs. 1 Satz 2 StPO verlangt, ebenso wie § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Er steht bei einer Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, dessen Höhe im Ermessen des Gerichts steht, der Zulässigkeit eines unbezifferten Klageantrags nur dann nicht entgegen, wenn der Umfang der beantragten Geldleistung durch Angabe einer Größenordnung eingegrenzt wird. Dadurch soll klargestellt werden, welchen Umfang der Streitgegenstand hat.


Entscheidung

274. BGH 2 StR 487/18 - Beschluss vom 11. Dezember 2018 (LG Aachen)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Maßstab revisionsgerichtlicher Überprüfbarkeit; Anforderungen an die Urteilsgründe in Fällen von „Aussage gegen Aussage“; Bewertung von Lügend des Angeklagten).

§ 261 StPO

1. Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Die Beweiswürdigung ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden.

2. In Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe darüber hinaus erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat. Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben.

3. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. Eine ausufernde oder unreflektierte Wiedergabe kann das Verständnis der Urteilsgründe mitunter sogar so erschweren, dass der Bestand des Urteils dadurch gefährdet sein könnte. Dies gilt auch in Fällen, in denen zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht. Allerdings muss in solchen Fällen der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.

4. Lügen eines Angeklagten lassen sich nur mit Vorsicht als Beweisanzeichen für seine Schuld werten, weil auch ein Unschuldiger vor Gericht Zuflucht zur Lüge nehmen kann und ein solches Verhalten nicht ohne weiteres tragfähige Rückschlüsse darauf gestattet, was sich in Wirklichkeit ereignet hat.