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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2019
20. Jahrgang
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Von wiss. Mitarbeiter Dr. Markus Abraham, Hamburg
Verwertung und Schutz von Daten sind allgegenwärtiges Thema. Besondere Brisanz gewinnt die Frage im Vollzug, wo in einem privatheitswidrigen Setting regelmäßig höchstpersönliche Daten produziert werden und diese Daten auf ein komplementäres Interesse seitens der beobachtenden Bewacher treffen. Die folgende verfassungsgerichtliche Entscheidung betrifft eine solche Thematik, nämlich die Verwertung einer autobiographischen Textdatei zu prognostischen Zwecken im Maßregelvollzug.
Der Beschwerdeführer hatte im Zustand der Schuldunfähigkeit seine beiden Kinder ums Leben gebracht und ist daher auf Anordnung des Landgerichts Lübeck in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht (§ 63 StGB). Von der Klinik wurde ihm ein Computer zur Verfügung gestellt, den er täglich eine Stunde lang nutzen durfte. Darauf verfasste er einen Text, in dem er sich "mit seinem bisherigen Leben und den von ihn begangenen Taten" auseinandersetzte. Da die Klinik auf dem Computer einen Mechanismus eingerichtet hatte, der sämtliche Nutzerdateien nach 24 Stunden automatisch löschte, speicherte der Beschwerdeführer den Text in einem von der Löschung ausgenommenen Systemordner des Rechners. Der Text wurde entdeckt, ausgedruckt, zur Krankenakte genommen sowie einem externen Sachverständigen zugesandt.[1]
Als man den Beschwerdeführer vier Tage später über das Auffinden des Textes und die Aufnahme in die Akte informierte, erwirkte er zunächst mittels einer einstweiligen Anordnung die Entfernung des Textes aus der Krankenakte (um dadurch eine Verwertung des Textes für eine anstehende Begutachtung zu verhindern), dann in der Hauptsache die Verpflichtung der Klinik, die von ihr erlangten Exemplare des Textes zu vernichten.[2]
Gegen diesen Beschluss des Landgerichts Lübeck legte die Klinik Rechtsbeschwerde ein. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht folgte der Argumentation der Klinik: Die Nutzung der Datei stelle eine rechtmäßige Datenverarbeitung dar, da sie den Schutz von Belangen des Allgemeinwohls sowie Einzelner vor erheblichen Nachteilen bezwecke (§ 13 Abs. 3 Nr. 2 LSDG-SH a.F.[3]). Würde man die Verwertung des Textes unterlassen, könnte dies die Ziele des Maßregelvollzugs gefährden, zumal der Inhalt für die Therapie des Beschwerdeführers besonders wertvoll sei. Die Schwere der Anlasstaten gäbe dem Interesse an einem "funktionablen Maßregelvollzug" Vorrang vor den Interessen des Beschwerdeführers, der hier noch dazu durch die Abspeicherung des Textes im Systemordner des Klinikrechners – anders als bei einem Tagebuch – den Gewahrsam der Klinik selbst herbeigeführt habe.[4]
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat nun die 2. Kammer des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts als offensichtlich begründet angesehen, den Beschluss des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen:[5] Dass das OLG die landesgesetzlichen Eingriffsgrundlagen (§ 13 Abs. 3 Nr. 2 bzw. § 11 Abs. 3 LDSG-SH a.F.) dahingehend auslegt, dass es für die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung im Maßregelvollzug ausreicht, wenn sie in abstrakter Weise den Schutz der Allgemeinheit bezweckt, etwa indem sie die Therapie- und Prognosechancen erhöht, verkenne die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts zwar alleine nicht.[6] Allerdings müsse dann das Persönlichkeitsrecht auf der Rechtsfolgenseite hinreichend Beachtung finden, was vorliegend misslungen sei.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis zur informationellen Selbstbestimmung, also die freie Entscheidung des Einzelnen darüber, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte
offenbart werden. Wird in diese informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, so richtet sich die Rechtfertigung des Eingriffs nach der etablierten Sphärentheorie danach, inwiefern der Eingriffsadressat durch sein Verhalten die persönliche Sphäre seiner Mitmenschen berührt. Dabei ist ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung (Kernbereich) anzuerkennen, in den Eingriffe stets unzulässig sind. Ist hingegen lediglich die Privat- oder Geheimsphäre betroffen, kann ein Eingriff durch überwiegendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt werden.[7]
Zwar beanstandet die Kammer, dass das OLG die Zuordnung zum Kernbereich nicht hinreichend geprüft habe (dazu sogleich), lässt dies jedoch offen, da es hier selbst bei Zuordnung zur Geheimsphäre, angesichts der Intensität des Eingriffs am überwiegenden Interesse der Allgemeinheit fehle. Denn auf der Seite des Beschwerdeführers handle es sich um einen Grundrechtseingriff von hoher Intensität: Erstens sei die Aufnahme des autobiographischen Textes in die Krankenakte und die Weitergabe an einen externen Gutachter von erheblichem Eingriffsgewicht. Zweitens sei die autobiographische Innenbefassung nicht bloß diagnostisch wertvoll, sondern eben auch besonders schutzwürdig. Drittens hätten Aufnahme und Weitergabe der Daten in unnötiger Heimlichkeit stattgefunden, was den Rechtsschutz des Beschwerdeführers verkürzt und erschwert, mithin die Eingriffsintensität gesteigert habe.[8]
Die Belange des Allgemeinwohls und anderer einzelner auf der anderen Seite mögen zwar im Grunde einschlägig sein, ihre Betroffenheit werde jedoch nicht hinreichend konkret festgestellt. Würde statt einer konkreten auf den Einzelfall bezogenen Darlegung eine "allenfalls mittelbare Begünstigung abstrakter Belange des Allgemeinwohls" genügen, würden die Allgemeininteressen in aller Regel das allgemeine Persönlichkeitsrecht übertrumpfen. Und dies verkenne dann doch Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts.[9]
Der Aufhebungsbeschluss überzeugt im Ergebnis. Interessant und beachtenswert ist jedoch weniger die letztliche tragende Begründung, sondern vielmehr die offengelassene Überlegung, ob die Textdatei des Beschwerdeführers nicht sogar dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist. Die Kammer äußert erhebliche Bedenken dahingehend, dass das Schleswig-Holsteinische OLG die Zuordnungsfrage nicht ernstlich geprüft hat. Der Text enthalte "die – verfassungsrechtlich besonders geschützte – Innenansicht des Beschwerdeführers auf sein Leben und die Umstände, die zu seiner Erkrankung und die dadurch ausgelöste schwerwiegende Lebenskrise führten".[10] Das OLG hatte sich diesbezüglich darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer nach Angabe des Sachverständigen im Rahmen des mit diesem geführten Gesprächs mit der Verwertung bei Gutachtenerstellung einverstanden erklärt habe, was darauf schließen lasse, dass er den Text nicht mit "letzter Konsequenz" vor dem Zugriff anderer sichern wollte, es insofern am für eine Zuordnung zum Kernbereich erforderlichen Geheimhaltungswillen mangele.[11] Die Kammer des Bundesverfassungsgerichts weist hier überzeugend darauf hin, dass die Zustimmung hier selbst als Indiz zweifelhaft ist, zumal sie erst zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der Beschwerdeführer erkannt hatte, dass der Inhalt der Aufzeichnungen – entgegen der von ihm erwirkten einstweiligen Verfügung[12] – dem Gutachter bereits bekannt geworden war.[13]
Was würde eine solche ernstliche Prüfung nun ergeben? Vorab ist zu bedenken, dass die Frage, ob eine Äußerung dem Kernbereich zuzuordnen ist, von der Frage, welche Daten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen werden dürfen, zu trennen ist. Die Kernbereichszugehörigkeit ist also von der Befugnis zur Sichtung der Daten abzuschichten. Eine solche Sichtung ist allein schon aus Überlegungen des Missbrauchs (etwa die Betitelung eines Anschlagsplans als "Tagebuch"[14]), so auch das Bundesverfassungsgericht[15], nicht zu beanstanden.[16]
Ob nun ein Sachverhalt dem Kernbereich zuzurechnen ist, hängt nach dem Bundesverfassungsgericht "neben dem subjektiven Willen des Betroffenen zur Geheimhaltung, auch davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt".[17] Zum einen muss die betroffene Person also die Informationen als geheime betrachten. Wichtige Indizien dafür dürften Maßnahmen sein, die erreichen sollen, dass die Äußerung nur von ihr (bzw. Personen des höchstpersönlichen Vertrauens) wahrgenommen werden kann.[18] Neben diesem Geheim-
haltungswillen muss es sich zum anderen dem Inhalt nach um Äußerungen handeln, durch die "innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck"[19] kommen. Begrenzt wird der Schutz der Höchstpersönlichkeit vom Bundesverfassungsgericht dabei – nach der obigen Formel – durch den Sozialbezug einer Äußerung, also ihrer Relevanz für die Interessensphäre anderer.[20] Die in der Formulierung angedeutete Vorstellung eines intrinsisch sozialbezogenen Inhalts (Inhalt, der "aus sich heraus die Sphäre anderer […]berührt") erscheint jedoch fragwürdig: Denn sämtliche Äußerungsinhalte lassen sich bei entsprechender Kontextualisierung als sozialbezogene rekonstruieren.[21] Das Merkmal der Sphärenberührung scheint daher bei genauerem Hinsehen wohl eher als Platzhalter für die Strafverfolgungs- bzw. Präventionsinteressen der Allgemeinheit zu stehen:[22] Ab einer gewissen Intensität des Sozialbezugs soll das Geheimhaltungsinteresse auch bei höchstpersönlichen Äußerungen überspielt werden dürfen. Bekannt ist eine solche Einschränkung im Strafprozessrecht, wo Äußerungen, die unmittelbaren Bezug zu konkreten vergangenen oder künftigen deliktischen Handlungen aufweisen, vom Kernbereich ausgenommen sind.[23]
Diese Herausnahme einer Äußerung aus dem Kernbereich qua Deliktsbezug, die auch von der hiesigen Entscheidung herausgestellt wird, lässt sich ganz generell kritisieren.[24] Doch selbst, wenn man diese Herausnahme im Grundsatz anerkennt, dürfte sie entsprechend der Andeutung des Bundesverfassungsgerichts[25] hier ausscheiden, was sich folgendermaßen ausbuchstabieren lässt: Soweit sich die Selbstreflexion auf die Hintergründe der früheren Taten bezieht, fehlt es bereits am unmittelbaren Bezug zu einer konkreten Tat. Soweit es aber um das Tatgeschehen als solches geht, entfällt – im Kontrast zur strafprozessualen Verwertungsfrage – der relevante Sozialbezug. Denn die Äußerungen über die begangene Tat berühren die Belange der Gemeinschaft jedenfalls nicht mehr: die Wahrheit wurde bereits rechtskräftig ermittelt, der staatliche Sanktionsanspruch bereits durchgesetzt.[26] Eine Herausnahme aus dem Kernbereich ist aus repressiver Sicht nicht angezeigt.[27]
Etwas anderes könnte sich aus präventiver Sicht ergeben. Zwar formuliert auch das Verfassungsgericht die Ausnahme aus dem Kernbereich sowohl vergangenheits- als auch zukunftsbezogen ("Angaben über die Planung bevorstehender oder Berichte über begangene Straftaten"[28]).[29] Doch fehlt es vorliegend an der Planung konkreter deliktischer Handlungen. Als letzter Weg für die Herausnahme aus dem Kernbereich bliebe – unter Lockerung des Erfordernisses eines "unmittelbaren Bezug[s]zu konkreten strafbaren Handlungen"[30] – das Argument, dass die Aufzeichnungen deswegen die Belange der Gemeinschaft berühren, weil sich aus den dargelegten Hintergründen über die frühere Tat ein Mehr an Kenntnis über die Persönlichkeitsstruktur ergäbe, was wiederum für die prognostische Begutachtung unabdingbar ist. Das überzeugt jedoch nicht. Zunächst spricht gegen eine solche Kernbereichsausnahme, dass für eine Gutachtenerstellung stets andere Prognosemittel zur Verfügung stehen, die Verwertung des Textes also nicht "zwingend erforderlich" ist.[31] Des Weiteren steht der Herausnahme das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, hier insbesondere in Gestalt seines Interesses auf Reintegrati-
on[32] entgegen, das auch im Maßregelvollzug Geltung beansprucht[33]. Dies wird deutlich, wenn man die Funktion therapeutischen Schreibens, also die Methode der Auseinandersetzung mit den begangenen Taten im Wege schriftlicher Verarbeitung,[34] mit einbezieht: Denn würde man der Argumentation der Klinik folgen, müsste die mit einer Maßregel belegte Person ganz generell[35] damit rechnen, dass private Aufzeichnungen bei entsprechender, tendenziell kaum vorauszusagender Abwägung beschlagnahmt und für die Gefahrprognose verwertet werden dürften.[36] Das wiederum würde wohl zur Hemmung solcher reflektierender Praktiken führen, und wäre so geeignet, den Anspruch auf Reintegration nicht unerheblich zu beeinträchtigen. Auch wenn eine solche Hemmung unterbliebe, so erschiene dann das Überlassen von Schreibgeräten beinahe als treuwidriges Verhalten – der hiesige Fall belegt das eindrücklich: Während der auf dem Computer installierte Löschungsmechanismus Vertraulichkeit und Privatheit suggeriert, wird die sodann angefertigte Auseinandersetzung mit der Tat heimlich abgeschöpft und für Prognosezwecke ausgeschlachtet.
Zusammengefasst: aus repressiver Sicht wäre, wenn überhaupt, für den konkret deliktsbezogenen Teil eine Kernbereichsausnahme vorstellbar. Sie scheidet hier jedoch aus, da Gemeinschaftsbelange nicht mehr betroffen sind. Aus präventiver Perspektive scheitert die Kernbereichsausnahme am Fehlen eines konkreten künftigen Deliktsbezugs. In Hinblick auf die prognostische Verwertung droht die Annahme, Gemeinschaftsbelange seien hinreichend berührt, das Persönlichkeitsrecht in Gestalt des Reintegrationsinteresses auszuhöhlen.
Damit wären die Aufzeichnungen dem Kernbereich zuzuordnen und somit einer Abwägung gar nicht zugänglich. Das Bundesverfassungsgericht lässt, wie gesehen, dagegen die Frage der Kernbereichszuordnung offen und gelangt erst im Wege der Abwägung aufgrund der besonders hohen Eingriffsintensität und fehlenden Substantiiertheit konkreter Schutzinteressen der Allgemeinheit zu einem Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Auch wenn dies wohl als verfassungsgerichtliche Zurückhaltung gegenüber der fachgerichtlichen Rechtsprechung gewertet werden kann, wäre hier eine klarere Schutzlinie für die selbstreflektierte Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich wünschenswert gewesen, eine Schutzlinie, die nicht erst von der besonderen Eingriffsschwere im Einzelfall, wie hier etwa der Verheimlichung der Datenverwertung, abhängig gemacht werden sollte.
Neben der Thematik der Kernbereichszuordnung wirft die Frage nach Sichtung und Verwertung von autobiographischen Aufzeichnungen weitere aktuelle datenrechtliche Fragen auf, auf die ich kurz hinweisen möchte.
1. Da ist zum einen die Frage nach dem "Eigentum" an den Daten. Die Anstalt hatte damit argumentiert, dass es sich hier nicht um eine Beschlagnahme nach § 9 MVollzG[37] handele, zumal der Beschwerdeführer die Daten auf dem Klinikrechner abspeicherte, der Klinik gleichsam "in den Briefkasten geworfen hat".[38] Dem ist zu entgegnen, dass das "Eigentum" (besser: die Verfügungsbefugnis) an den Daten überzeugenderweise nicht akzessorisch zum Eigentum am Speichermedium zu bestimmen ist, sondern sich vielmehr nach dem Skripturakt richtet.[39]
2. Noch wichtiger erscheint die nach der Aufhebungsentscheidung eingetretene datenschutzrechtliche Gesetzesänderung.[40] So wurde das hier relevante Schleswig-Holsteinische Landesdatenschutzgesetz nach der Aufhebungsentscheidung geändert, um die Vorgaben der europäischen Datenschutzgrundverordnung[41] sowie der – für den straf- und sicherheitsrechtlichen Bereich – einschlägigen Richtlinie[42] umzusetzen. Interessant ist hier zum einen, dass die Richtlinie und entsprechend das Umsetzungsgesetz[43] die erhöhte Schutzwürdigkeit des Kernbereichs, anders als etwa das Berliner Justizvollzugsdatenschutzgesetz[44], nicht explizit behandeln: Zwar wird hier zwischen "personenbezogenen" und "besondere Kategorien personenbezogener Daten" unterschieden, wobei die letzteren besonderen Schutz genießen sollen.[45] Hierunter fallen einer Enumeration zufolge diverse Datengruppen,
doch die Qualifikationen[46] vermögen auf das Szenario des Kernbereichs nicht recht zu passen – die erhöhte Schutzstufe wäre hier jedoch offensichtlich angebracht.
3. Zum anderen weist die neue Regelung auf Anforderungen hin, die zur Umsetzung eines hinreichenden Datenschutzes notwendig sind, nämlich die Einrichtung von prozeduralen Maßnahmen – die Rede ist von "geeigneten Garantien"[47]. Es erschiene also angezeigt, wie anderenorts verfassungsgerichtlich angemahnt[48], ein Schutzkonzept zu entwickeln, wonach etwa die Sichtung der Daten mit Blick auf mögliche Kernbereichsrelevanz nicht von eben denjenigen Akteuren durchgeführt wird, die unmittelbar für die in Frage stehende Datenverarbeitung verantwortlich sind. Für den hiesigen Fall hieße dies konkret: diejenige Person, die die Kernbereichsprüfung vornimmt, dürfte mit der behandelnden Ärztin oder dem Sachverständigen nicht personenidentisch sein.[49]
Die vorliegende Entscheidung betont im Ergebnis zutreffend, dass die Schutzwürdigkeit höchstpersönlicher Daten nicht im Maßregelvollzug endet. Statt die Lösung jedoch in der besonderen Schwere des Einzelfalls zu suchen, wäre angesichts des verfassungsrechtlich garantierten Interesses auf Reintegration eine ausdrückliche Zurechnung zum Kernbereich und der Hinweis auf die Notwendigkeit wünschenswert gewesen, auch im Straf- und Maßregelvollzug geeignete Schutzmechanismen bei der Sichtung der Daten zu entwickeln.
[1] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 3.
[2] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 5 ff.
[3] Landesdatenschutzgesetz Schleswig-Holstein, das vom 27. Januar 2012 bis zum 24. Mai 2018 galt. S. dazu unten IV. 2.
[4] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 17.
[5] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 22.
[6] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 33.
[7] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 26 ff., insbesondere in Rekurs auf BVerfGE 80, 367, 374 f.
[8] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 41 ff.
[9] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 44.
[10] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 38.
[11] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 39 u. 17. Die Formel der "letzten Konsequenz" verwendet die Kammer des Bundesverfassungsgerichts.
[12] Der entsprechende Beschluss des Landgerichts Lübeck habe, so die Angabe der Klinik, sie nach einer fehlgeschlagenen Übermittlung erst nach dem Gespräch mit dem Sachverständigen erreicht, BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 8.
[13] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 39.
[14] So das Beispiel bei Buermeyer HRRS 2007, 329, 337.
[15] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 35.
[16] Dies erfordert dann allerdings entsprechende Sicherungsmechanismen, s. IV. 3.
[17] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 27 mit Rekurs auf BVerfGE 80, 367, 374 (Tagebuch).
[18] Zimmermann GA 2013, 162, 165 nennt dies "berechtigte Vertraulichkeitserwartung". Interessant wäre hier, wie mit naiven Sicherungsvorkehrungen umzugehen wäre. Um den Schutz nicht auszuhebeln, dürften die Anforderungen jedenfalls nicht hoch sein.
[19] BVerfGE 109, 279, 313 (Großer Lauschangriff).
[20] Zimmermann GA 2013, 162, 165 spricht zu Recht vom Element der Geheimwürdigkeit.
[21] Überzeugend Ernst / Sturm HRRS 2012, 374, 378 f.
[22] S. mwN. Ernst / Sturm HRRS 2012, 374, 379, auch zur methodischen Schwierigkeit, eine Interessensabwägung für die Frage nach der Zugehörigkeit zum absolut geschützten Kernbereich als relevant zu betrachten.
[23] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 28; bereits BVerfGE 80, 367, 374 f. (Tagebuch); BVerfGE 109, 279, 319 (Großer Lauschangriff). Der BGH wiederum will eine Ausnahme für Selbstgespräche anerkennen, die aufgrund der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes und der Gedankenähnlichkeit dann doch dem Kernbereich zuzuordnen seien, vgl. insbesondere BGH 2 StR 509/10 (=HRRS 2012, Nr. 268), Urteil vom 22. Dezember 2011, Rn. 15 ff. Zimmermann GA 2013, 162 ff. kritisiert dies als mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben unvereinbare Judikatur.
[24] S. etwa Jahn NStZ 2000, 383, 384 (= Anm. zu BGH, Beschl. v. 13. Oktober 1999 – 2 BJs 112/97-2 – StB 10 u. 11/99); Jahn / Geck JZ 2012, 563, 565 f.: Es wäre auch eine gesellschaftliche Wertung denkbar, dass innerste Gedanken nie zugänglich sein sollen. Zimmermann GA 2013, 162, 167 argumentiert hingegen für die Herausnahme aus dem Kernbereich: "Ordnungsgemäß erhobene Informationen über Straftaten müssen die Gesellschaft interessieren dürfen." Der Zweck der Kernbereichsüberlegung, nämlich gegenüber öffentlicher Beschämung zu schützen, greife bei strafrechtlich relevanten, höchstpersönlichen Daten nicht: die strafrechtliche Missbilligung sei dort gerade gesellschaftlich gewollt. Ob dafür die Aufdeckung von höchstpersönlichen Daten als ordnungsgemäß beurteilt werden sollte, bleibt dabei allerdings offen.
[25] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 37 f.
[26] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 37.
[27] Etwas anderes könnte sich womöglich bei entsprechender Konstellation für eine Wiederaufnahme ergeben.
[28] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 28 (so bereits BVerfGE 80, 367, 375).
[29] Für einen Gleichlauf von repressiver und präventiver Verwertung (zum Selbstgespräch im Strafprozess) Ellbogen NStZ 2006, 179, 180.
[30] BVerfGE 80, 367, 375 (Tagebuch). Die Lockerung erschiene allerdings mit Blick auf die sicherheitsrechtliche Semantik nicht undenkbar. Dazu passt die hiesige Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Verwertung zu präventiven Zwecken, so diese hinreichend konkretisiert sind, durchaus möglich wäre – so jedenfalls ließe sich BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 44 lesen.
[31] So bereits das LG Lübeck gegen das entsprechende Vorbringen der Klinik, Rn. 10. Zum Umgang mit einem sich weigernden obvervandus vgl. – für die Frage der Feststellung der Störung zum Tatzeitpunkt – Lindeman / van Toor R&P 33 (2015), 145 ff. (=Anm. zu EGMR, Entscheidung vom 3. März 2015 – 73560/12 (Constancia vs. Niederlande). Zu den Verhältnismäßigkeitsanforderungen an die Fortdauerentscheidung des reformierten § 67d Abs. 6 StGB s. Baur/Querengässer MschKrim 100 (2017), 313, 315 f.
[32] Vgl. BVerfGE 35, 202, 236 (Lebach).
[33] Zuletzt dezidiert BVerfGE 130, 372, 390 f.
[34] Für die Abschirmung des "schriftlichen Selbstgesprächs" vor strafprozessualer Verwendung in dem Sinne des Schreibens mit "therapeutischer Intention" s. Mitsch , NJW 2012, 1486, 1488.
[35] Ganz unabhängig von der Frage der Abspeicherung auf einem Klinikrechner.
[36] Vgl. auch das Votum der unterlegenen vier Richter in BVerfGE 80, 367, 382 (Tagebuch), freilich zur Verwertung im Strafverfahren: "Ließe man die bloße Möglichkeit, Erkenntnisse über die Persönlichkeitsstruktur des Tatverdächtigen zu gewinnen, ausreichen, um privaten Aufzeichnungen im Strafverfahren den absoluten Schutz zu versagen, so wäre die Unterscheidung zwischen Kernbereich und Abwägungsbereich für das Strafverfahren praktisch aufgehoben."
[37] Schleswig-Holsteinisches Maßregelvollzugsgesetz vom 19. Januar 2000, GVOBl. 2000, S. 114.
[38] BVerfG 2 BvR 883/17 (= HRRS 2018 Nr. 465), Beschluss vom 18. April 2018, Rn. 12.
[39] Vgl. etwa Hoeren MMR 2013, 486, 487 m.w.N.
[40] Nach der wohl auch die Neuverhandlung zu entscheiden sein dürfte, handelt es sich im Grunde um einen Verpflichtungsantrag. Für die Beurteilung nach alter Rechtslage könnte man den Revisionscharakter der Rechtsbeschwerde gem. § 116 StVollzG stark machen. Die Auslegungsdifferenz in der Sache lässt sich jedenfalls auch ins neue Gesetz übertragen. Wenn man die Daten als sensibel (" besondere Kategorien personenbezogener Daten") einstuft, müsste die Verarbeitung jedoch "zur Aufgabenerfüllung zwingend erforderlich" sein, vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 1 LSDG-SH n.F.
[41] Verordnung (EU) 2016/679, ABl. L 119, S. 1 ff.
[42] Richtlinie (EU) 2016/680, ABl. L 199, S. 89 ff.
[43] Für Schleswig-Holstein: Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten vom 2. Mai 2018, GVOBl. 2018, 162.
[44] s. § 25 Abs. 2 i. V.m . § 23 Abs. 4 JVollzDSG-Bln, GVBl. 2011, 287, das bereits seit dem 1. Juli 2011 für den Strafvollzug und die Sicherungsverwahrung gilt.
[45] Art. 10 Richtlinie (EU) 2016/680 (Fn. 42); § 21 Nr. 14 LSDG-SH (Fn. 43).
[46] Art. 10 Richtlinie (EU) 2016/680 (Fn. 42): "Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder sexuellen Orientierung (..)." Siehe zur Auslegung zum entsprechenden Artikel der DS-GVO Albers / Veit in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 26. Edition 1.5.2018, Art. 9 DS-GVO, Rn. 16 ff.
[47] Art. 10 Richtlinie (EU) 2016/680 (Fn. 42). Eine Aufzählung geeigneter Garantien findet sich bei § 29 der Richtlinie; s.a. § 24 Abs. 2 S. 2 LSDG-SH (Fn. 43).
[48] S. BVerfGE 120, 274, 338 f. (Online-Durchsuchung), wobei der Verfahrensschutz bei BVerfG NJW 2016, 1781, 1795 noch konkreter wird: "Sichtung durch eine unabhängige Stelle[…], die kernbereichsrelevante Informationen vor ihrer Kenntnisnahme und Nutzung durch das Bundeskriminalamt herausfiltert" (Rn. 220).
[49] S. schon – hinsichtlich der strafprozessualen Verwertung – Jahn NStZ 2000, 383, 384, der dort für die Sichtung den Richtervorbehalt gem. § 100 Abs. 3 S. 1 StPO analog vorschlägt.