HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2019
20. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

293. BGH 4 StR 168/18 - Beschluss vom 20. November 2018 (LG Freiburg)

BGHSt; Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Vorbehaltsanordnung als Ermessensentscheidung; Verhältnismäßigkeit der Anordnung im Einzelfall).

§ 66a Abs. 2 StGB

1. Neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe kann Sicherungsverwahrung vorbehalten werden. (BGHSt)

2. Die Verhängung vorbehaltener Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs. 2 StGB nF neben lebenslanger Freiheitsstrafe begegnet mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ebenso wie die Verhängung obligatorischer und fakultativer primärer Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe keinen grundsätzlichen Bedenken. (Bearbeiter)

3. Bestehen sonach aus Gründen der Verhältnismäßigkeit keine grundsätzlichen Bedenken, Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe vorzubehalten, sind die möglichen Wirkungen einer kumulativen Anordnung von lebenslanger Freiheitsstrafe und der Maßregel vorbehaltener Sicherungsverwahrung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten jedoch im Rahmen der Ermessensausübung im Einzelfall zu berücksichtigen. (Bearbeiter)

4. Die Anordnung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts. Die Urteilsgründe müssen daher nachvollziehbar erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen von der Ermessenbefugnis Gebrauch gemacht worden ist. (Bearbeiter)

5. In Fällen, in denen vorbehaltene Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe angeordnet wird, muss dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen und tragfähig begründet werden, dass die kumulative Anordnung der Maßregel auch im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. (Bearbeiter)


Entscheidung

240. BGH 1 StR 36/17 - Urteil vom 18. Dezember 2018 (LG Berlin)

BGHR; Verfall (Erlangtes bei durch Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen in Höhe nicht gezahlter Steuern und Anschaffung von Vermögensgegenständen mit dem entsprechenden Geldbetrag).

§ 73 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 StGB aF; § 73a Satz 1 StGB aF

1. Sind durch Steuerhinterziehungen ersparte Aufwendungen in Höhe nicht gezahlter Steuern erlangt, stellen Vermögensgegenstände, die mit dem entsprechenden Geldbetrag angeschafft wurden, keine Surrogate des Erlangten dar. (BGHR)

2. Ersparte Aufwendungen als nichtgegenständliche Vorteile verbrauchen sich bereits mit ihrer Inanspruchnahme und unterliegen von vornherein dem Wertersatzverfall nur in entsprechender Höhe; dies gilt auch in sog. Verschiebungsfällen. (BGH)

3. Der Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB aF erstreckt sich nach seinem Umfang grundsätzlich nur auf das unmittelbar erlangte Etwas. Denn die Abschöpfung muss spiegelbildlich dem Vermögensvorteil entsprechen, den der Täter gerade aus der Tat gezogen hat (vgl. BGHSt 50, 299, 309). Mittelbar – durch die Verwertung der Tatbeute – erlangte Vermögenszuwächse können nur als Surrogat aufgrund einer Anordnung nach § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB aF für verfallen erklärt werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

249. BGH 1 StR 477/18 - Urteil vom 4. Dezember 2018 (LG Nürnberg-Fürth)

Strafzumessung (Revisibilität; Voraussetzungen generalpräventiver Erwägungen; keine Moralisierung).

§ 46 StGB

1. Die strafschärfende Berücksichtigung von Tatzeit und Tatort begegnet durchgreifenden Bedenken, wenn es sich um ambivalente Umstände handelt, die für sich gesehen nichts über die Schuld des Täters besagen. Dies gilt, soweit nicht Besonderheiten des Falles ausnahmsweise eine andere Betrachtung rechtfertigen.

2. Die strafschärfend berücksichtigte Wertung, die Tat sei geeignet, das Rechtsempfinden und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich zu stören, lässt besorgen, dass sich die Strafkammer rechtsfehlerhaft von generalpräventiven Erwägungen zur Verteidigung der Rechtsordnung leiten ließ und damit der erforderliche Bezug zur konkreten Tat und ihren tatsächlichen Bezügen aus dem Blick geraten ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Annahme, die Tat sei geeignet, das Rechtsempfinden und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich zu stören, im Übrigen auch nicht hinreichend belegt ist.

3. Die Herstellung eines Videoclips des Geschädigten kann zulässigerweise zur Strafschärfung herangezogen werden. Die Wertung, dass darin eine Verrohung der Sitten zum Ausdruck komme, der in aller Deutlichkeit Grenzen zu setzen seien, ist jedoch ebenfalls rein generalpräventiv und in seiner Notwendigkeit näher zu belegen.

4. Moralisierende Äußerung haben in der Strafzumessung zu unterbleiben.


Entscheidung

252. BGH 1 StR 508/18 - Beschluss vom 18. Dezember 2018 (LG Weiden)

Härteausgleich (erforderliche Berücksichtigung hypothetisch gesamtstrafenfähiger Verurteilungen in einem anderen Mitgliedsstaat der EU); Urteilsabsetzungsfrist (keine zulässige Fristüberschreitung bei Gründen der gerichtsinternen Organisation).

§ 55 StGB; § 275 Abs. 1 Satz 2, Satz 4 StPO

1. Eine frühere Verurteilung, welche in einem in einem anderen Mitgliedsstaat der EU ergangen ist und bei einer Verurteilung durch ein deutsches Gericht nach § 55 StGB einzubeziehen wäre, ist bei der Strafzumessung im Wege des Härteausgleich zu berücksichtigen. Der Rechtsprechung, nach der bei Verurteilungen in derartigen Konstellationen ein Härteausgleich nicht zu gewähren sein soll, weil für die im Ausland begangenen und abgeurteilten Taten kein Gerichtsstand in Deutschland eröffnet gewesen wäre, so dass eine Aburteilung in einem einzigen Verfahren von vornherein nicht hätte erfolgen können, ist durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 21. September 2017 – C-171/16, Rn. 26) der Boden entzogen. Denn hiernach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass frühere in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in gleichem Maße bei der Strafzumessung berücksichtigt werden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland erfolgte frühere Verurteilungen.

2. Weder eine (auch erhebliche) Belastung der Richter mit anderen Dienstgeschäften noch andere Gründe, die

sich aus der gerichtsinternen Organisation ergeben, stellen – von Ausnahmefällen abgesehen – unvorhersehbare unabwendbare Umstände i.S.d. § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO dar, die eine Fristüberschreitung rechtfertigen können (vgl. BGH NStZ 2008, 55).


Entscheidung

258. BGH 1 StR 600/18 - Beschluss vom 20. Dezember 2018 (LG Heilbronn)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen; symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat: Sexualdelikt).

§ 64 StGB

1. Für die Annahme eines Hangs, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann der Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus. Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen Das Vorliegen eines Hangs setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt.

2. Eine Tat hat dann Symptomcharakter im Sinne des § 64 StGB, wenn sie in dem Hang ihre Wurzel findet, mithin Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, also – zumindest mitursächlich – auf den Hang zurückgeht (st. Rspr.). Typisch sind hierfür Delikte, die der Täter begeht, um in den Besitz von Rauschmitteln oder des für ihre Beschaffung notwendigen Geldes zu kommen (vgl. NStZ-RR 2016, 113, 114). Bei Sexualdelikten, die erfahrungsgemäß nur selten als Anlasstat für eine Unterbringung in Erscheinung treten, ist ein solcher Zusammenhang zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, seine Annahme bedarf jedoch besonderer Anhaltspunkte.


Entscheidung

272. BGH 2 StR 477/17 - Urteil vom 19. Dezember 2018 (LG Aachen)

Doppelverwertungsverbot (strafschärfende Berücksichtigung der Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges).

§ 46 Abs. 3 StGB; § 250 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 StGB

Die Regelung des minder schweren Falles in § 250 Abs. 3 StGB differenziert nicht zwischen den Qualifikationstatbeständen der Absätze 1 und 2, deren jeweiliger Unrechtsgrad in einer deutlich abgestuften Mindeststrafandrohung zum Ausdruck kommt. Zwar darf im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB ein minder schwerer Fall nicht schon deshalb abgelehnt werden, weil gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ein gefährliches Werkzeug verwendet wurde, innerhalb des Strafrahmens des § 250 Abs. 3 StGB kann dieser Umstand aber zu Lasten des Täters verwertet werden.


Entscheidung

275. BGH 2 StR 488/18 - Beschluss vom 16. Januar 2019 (LG Meiningen)

Grundsätze der Strafzumessung (Umstand polizeilicher Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts als mildernder Strafzumessungsgrund).

§ 29a Abs. 1 StGB; § 46 StGB

Der Umstand polizeilicher Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts mit der Folge, dass eine tatsächliche Gefahr der Übernahme durch den Abnehmer und eines tatsächlichen In-Verkehr-Gelangens nicht besteht, ist ein bestimmender Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten, dem neben der Sicherstellung der Drogen als solcher eigenes Gewicht zukommt.


Entscheidung

296. BGH 4 StR 297/18 - Beschluss vom 8. November 2018 (LG Dortmund)

Erweiterte Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Einverständnis des Angeklagten mit formloser Einziehung).

§ 73a StGB

Der Umstand, dass sich der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe mit einer formlosen Einziehung des Geldbetrages einverstanden erklärt und damit wirksam auf dessen Rückgabe verzichtet hat, zwingt für sich genommen nicht zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung, auch wenn dieser damit nur noch deklaratorische Bedeutung zukommt.