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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2019
20. Jahrgang
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1. Zur Verfahrenserleichterung kann das Tatgericht in eng begrenzten Ausnahmefällen dem Angeklagten und/oder seinem Verteidiger nach seinem zurückhaltend auszuübenden Ermessen nach äußerst sorgfältiger Abwägung gestatten, einem Verhandlungsteil fernzubleiben. Dabei muss es vorsichtig vorausschauen, ob tatsächlich auszuschließen ist, dass nicht doch Verfahrensstoff verhandelt wird, der sich – wenn auch nur mittelbar – auf den den beurlaubten Angeklagten betreffenden Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch auswirken kann.
2. Auf den Inbegriff des Hauptverhandlungsteils, welchem der Angeklagte entschuldigt ferngeblieben ist, darf das Urteil gegen diesen nicht gestützt werden (§ 261 StPO). Ergibt sich während der Verhandlung, dass entgegen der Prognose der Inhalt dieses Verhandlungsteils doch den beurlaubten Angeklagten betreffen kann, ist die Verhandlung gegebenenfalls zu unterbrechen; jedenfalls ist dieser Verhandlungsteil zu wiederholen. Ob indes der Angeklagte und sein Verteidiger jenseits des zumindest mittelbaren Betroffenseins sich der Erkenntnis neuer Verteidigungsmöglichkeiten durch den Verhandlungsteil begeben, haben sie zu entscheiden; deswegen sind nach § 231c Satz 1 StPO entsprechende Anträge zwingende Befreiungsvoraussetzungen.
3. Nach diesen Grundsätzen gilt für das ausnahmsweise Fernbleiben des Angeklagten von der Hauptverhandlung Folgendes:
a) Eine Befreiung kommt in der Regel in Betracht, wenn im betreffenden Verhandlungsabschnitt eine andere prozessuale Tat, welche dem beurlaubten Angeklagten nicht zur Last gelegt wird, verhandelt wird. Anders wird es indes liegen, wenn zwischen den verschiedenen Taten ein Zusammenhang besteht und eine für diesen Zusammenhang relevante Tatsache aufgeklärt werden soll. Solches ist etwa bei einem gemeinsamen Grundsachverhalt, insbesondere beim Vorwurf von Bandentaten, anzunehmen.
b) Will das Tatgericht die Überführung des schweigenden oder bestreitenden Angeklagten vornehmlich auf die Belastung durch den Mitangeklagten stützen und vernimmt es zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit von dessen Einlassung und dessen Glaubwürdigkeit Zeugen, ist der abwesende Angeklagte betroffen, auch wenn die Zeugen zu anderen ihm nicht vorgeworfenen Taten aussagen. Allein der Umstand, dass der befreite Angeklagte vollgeständig ist, schließt nicht aus, dass sein Verteidigungsinteresse durch den betreffenden Verfahrensteil berührt sein kann.
4. Wird durch Täuschung i.S.d. § 263 StGB die Auszahlung eines Darlehens erlangt, hat die Bank bereits ihre Hauptleistungspflicht (§ 488 Abs. 1 Satz 1 BGB) erfüllt und die Grundsätze eines Eingehungsbetrugs sind allenfalls bedingt anwendbar. Der Schaden ist - nach allgemeinen Grundsätzen - im Wege einer Saldierung des Auszahlungsbetrags (mit seinem nominellen Geldwert) und des Werts des dadurch erlangten Rückzahlungsanspruchs (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) zu ermitteln (vgl. hierzu näher bereits BGH HRRS 2018 Nr. 1166).
1. Die Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und - gegebenenfalls - deren Kompensation durch den Ausspruch, dass ein bestimmter, regelmäßig kleiner Teil der Strafe als bereits vollstreckt gilt, knüpft bei Aburteilung mehrerer Taten an die Gesamtstrafe an.
2. Der Ausspruch solcher Kompensationen im Urteilstenor schließt die Feststellung des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein. Die Feststellung des Vorliegens einer Verzögerung des Verfahrens im Ganzen muss im Urteilstenor nicht wiederholt werden.
1. Eine Rechtsmittelbeschränkung ist nach den allgemeinen Grundsätzen wirksam, wenn der angefochtene Teil der Entscheidung losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt.
2. Nach den neuen Regelungen der §§ 73 ff. StGB ist zwingend das einzuziehen, was der Täter durch oder für die Tat erlangt hat (§ 73 StGB nF) oder, sofern die Einziehung des erlangten Gegenstands nicht möglich ist, die Einziehung eines Geldbetrags auszusprechen, der dem Wert des Erlangten entspricht (§ 73c StGB nF). Es stellt daher einen Rechtsfehler dar, wenn sich das Tatgericht, das keine Entscheidung nach § 421 StPO getroffen hat, in den Urteilsgründen nicht mit der Frage einer Einziehungsanordnung befasst, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass deren Voraussetzungen gegeben sind.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten ist ausreichend aber auch erforderlich, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt haben, was der Fall ist, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen können. Unerheblich ist dagegen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben und der zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse bei Beuteteilung gemindert wurde. Mehrere Tatbeteiligte, die an denselben Gegenständen Mitverfügungsgewalt erlangt haben, haften als Gesamtschuldner.
4. Die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB sind über die Verweisung in § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafrecht anwendbar.
1. Die Teilaufhebung eines Urteils in Anwendung des § 353 Abs. 2 StPO hat zur Folge, dass der im zweiten Rechtsgang entscheidende Tatrichter an die Feststellungen und Wertungen im Ersturteil gebunden ist, die den von der Aufhebung nicht betroffenen und damit unabänderlich (teilrechtskräftig) gewordenen Entscheidungsteilen zugrunde liegen. Soweit diese Umstände und Wertungen auch für die Neubeurteilung der aufgehobenen Entscheidungsteile von Bedeutung sind, müssen sie der Entscheidung im zweiten Rechtsgang so zugrunde gelegt werden, wie sie im ersten Rechtsgang festgestellt worden sind.
2. Zwar ist für die Anordnung eines Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 StGB kein Raum mehr, wenn die Voraussetzungen für eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB vorliegen. Dies kann aber nur dann gelten, wenn eine insoweit „vorrangige“ vorbehaltlose Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlich noch möglich ist. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen, denen Revisionen des Angeklagten zugrunde lagen, vorbehaltene Anordnungen von Sicherungsverwahrung als nicht beschwerend bestätigt, obgleich die Voraussetzungen für eine vorbehaltlose Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtsfehlerfrei festgestellt waren; eine vorbehaltlose Anordnung von Sicherungsverwahrung aber aufgrund des Schlechterstellungsverbots nicht mehr erfolgen konnte.
3. Die vorbehaltlose Sicherungsverwahrung setzt die sichere Feststellung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB voraus, während § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB die positive Feststellung des Gerichts genügen lässt, dass das Vorliegen eines Hangs und einer daraus folgenden Gefährlichkeit wahrscheinlich ist. Eine Feststellung im Sinne des § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB ist in der Sache aber auch dann getroffen, wenn sich der Tatrichter vom sicheren Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu überzeugen vermag. Denn dieser Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) liegt letztlich auch
nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage zugrunde. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter einen Hang hat und ihm deshalb eine entsprechende Gefährlichkeitsprognose gestellt werden muss, allerdings so hoch, dass deren Vorliegen (Hang) bzw. Richtigkeit (Gefährlichkeitsprognose) deshalb vom Tatrichter für gewiss gehalten wird.
4. Soweit in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Juli 2005 davon die Rede ist, dass § 66a StGB im Fall der sicheren Feststellung der genannten Voraussetzungen keine Anwendung findet, weil das Merkmal „nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar“ nicht erfüllt ist, bezieht sich dies auf § 66a Abs. 1 StGB in der Fassung vom 21. August 2002, der keine weiter gehende positive Bestimmung der materiellen Voraussetzungen für den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung enthielt. Nach der Neufassung von § 66a Abs. 1 StGB kommt diesem Merkmal nur noch die Bedeutung einer Konkurrenzregel zu, die dann zu einer Nichtanwendbarkeit von § 66a Abs. 1 StGB führt, wenn die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB sicher vorliegen und deshalb die Anordnung der primären Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, „die dann vorrangig wäre“.
Gibt es erkennbare Parallelen zwischen dem äußeren Erscheinungsbild des angeklagten Geschehens und einer in festgestellten Vortaten wiederholt zu Tage getretenen gleichartigen Vorgehensweise des Angeklagten, kann es sich aufdrängen, das strafrechtliche Vorleben des Angeklagten im Rahmen der bei der Beweiswürdigung nach § 261 StPO sachlich-rechtlich gebotenen Gesamtwürdigung der Beweise und Indizien zu erörtern. Dagegen ist es weder aufgrund des Zweifelssatzes noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat.
1. Auch wenn sich der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann vom Gericht entgegengenommen und – unnötigerweise – als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, wird der Inhalt der Erklärung nicht im Wege des Urkundenbeweises, sondern als mündliche Äußerung des Angeklagten in die Hauptverhandlung eingeführt.
2. Die wörtliche Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen § 261 StPO.
Allein die Möglichkeit, die aufgrund eines Strafbefehls nach § 453 StPO zu treffenden nachträglichen Entscheidungen gemäß § 462a Abs. 2 StPO bindend an das Wohnsitzgericht abzugeben, setzt die Zuständigkeitskonzentration des § 462a Abs. 4 StPO nicht außer Kraft. Ziel dieser gesetzlichen Regelung ist es, zur Vermeidung von divergierenden Entscheidungen die Zuständigkeit frühzeitig und dauerhaft bei einem Gericht zu konzentrieren. § 462a Abs. 4 StPO ist dabei auch auf den Fall mehrerer selbstständiger Verurteilungen durch dasselbe Gericht anzuwenden.
Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar.
Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehenbleibende Teil in Rechtskraft und ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen. Maßgebend für den Umfang einer Aufhebung ist die Formulierung im Tenor der revisionsgerichtlichen Entscheidung. Dabei kann eine sog. horizontale Teilrechtskraft auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs eintreten, wenn lediglich der Strafausspruch aufgehoben wird. Denn die Aufhebung des Strafausspruchs betrifft lediglich die zur Ahndung der verfahrensgegenständlichen Taten zu verhängenden Strafen, nicht dagegen z. B. die (Nicht-)Anordnung der Einziehung von Taterträgen.
Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist.