HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2019
20. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

19. BGH 2 StR 245/17 - Urteil vom 4. Juli 2018 (LG Gießen)

BGHSt; Versuch der Beteiligung (Sich-Bereiterklären zu einem Tötungsverbrechen: Tatbestandsmäßigkeit der Erklärung gegenüber dem Tatopfer; Kundgabe der Bereitschaft zur Begehung des Verbrechens); Tötung auf Verlangen (Abgrenzung zwischen strafloser Beihilfe an Selbsttötung und strafbarer Fremdtötung; Erfordernis eines Tötungsverlangens des Opfers); Mord (Definition: Befriedigung des Geschlechtstriebes).

§ 30 Abs. 2 Var. 1 StGB; § 211 Abs. 2 StGB; § 216 Abs. 1 StGB

1. Wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Tötungsverbrechen kann sich auch derjenige, der die Erklärung gegenüber dem potenziellen Opfer abgibt, jedenfalls dann strafbar machen, wenn die Erklärung in der konkreten Fallkonstellation geeignet ist, eine motivationale Selbstbindung des Täters zu begründen. (BGHSt)

2. Selbsttötungen sind nicht strafbar; wer sich daran beteiligt, wird deshalb auch nicht bestraft. Anders liegt es bei einer Fremdtötung. Für die Abgrenzung zwischen einer straflosen Suizidbeteiligung und einer strafbaren Fremdtötung kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht. Wenn der Sterbewillige bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal behält, tötet er sich selbst, wenn auch gegebenenfalls mit fremder Hilfe. Gibt sich der zu Tötende demgegenüber in die Hand eines anderen, weil er duldend den Tod von diesem entgegennehmen will, so hat der andere die Tatherrschaft. In diesem Fall, in dem ein anderer die Herrschaft über den eigentlich todbringenden Akt innehat, liegt eine strafbare Fremdtötung vor. (Bearbeiter)

3. § 216 Abs. 1 StGB setzt ein Tötungsverlangen voraus, das bereits begrifflich nicht mit einer bloßen Zustimmung des zu Tötenden gleichgesetzt werden kann. Vielmehr ist zur Privilegierung der Tötung eine bestimmende Einflussnahme des Opfers auf den Entschluss des Täters erforderlich. Das Verlangen muss auch nach dem Zweck der Vorschrift, erheblich vermindertes Unrecht und reduzierte Schuld zu privilegieren, für den Täter handlungsleitend wirken. (Bearbeiter)

4. Wer maßgeblich Eigeninteressen verfolgt, befindet sich nicht in einer Konfliktsituation, welche diese Privilegierung rechtfertigt. (Bearbeiter)

5. Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes gemäß § 211 Abs. 2 Var. 2 StGB tötet der Täter, wenn er in der Tötung eines anderen Menschen seine geschlechtliche Befriedigung sucht. (Bearbeiter)

6. Das Sich-Bereiterklären im Sinne von § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB besteht in der Kundgabe der Bereitschaft zur Begehung des Verbrechens gegenüber einer anderen Person, wonach der Erklärende dem Empfänger gegenüber „im Wort steht“ und deshalb nicht mehr uneingeschränkt von seinem Tatentschluss zurückstehen kann. Die Erklärung muss mit gebotener Ernsthaftigkeit erfolgen. (Bearbeiter)


Entscheidung

84. BGH 3 StR 651/17 - Urteil vom 1. August 2018 (LG Bad Kreuznach)

Unbeachtlichkeit des error in persona für den Mittäter (Identifizierung des Tatopfers; Tatplan; notwendiger Bestandteil; Risiko der Verwechslung; Vorhersehbarkeitskriterium); Prüfung von Prozessvoraussetzungen durch das Revisionsgericht (Freibeweisverfahren; Unmöglichkeit der Klärung nach Aktenlage; Strengbeweis; Hauptverhandlung); Zulässigkeit nachteiliger Schlüsse aus dem Teilschweigen des Angeklagten (Selbstbelastungsfreiheit; unbefangener Gebrauch des Schweigerechts; anfängliches Schweigen; Zeitpunkt der Aussage); Konkurrenzen (regelmäßig keine natürliche Handlungseinheit bei Angriffen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen); Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Begriff des Handeltreibens; ernsthafte Kaufverhandlung; ergebnislose Anfragen; gewaltsames Sichverschaffen als Voraussetzung des späteren Weiterverkaufs; Wirkstoffgehalt; Bewertungseinheit bei einheitlichen Verkaufsvorgängen; Tateinheit); Beweiswürdigung bei Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe.

§ 16 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 224 StGB; § 250 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; § 136 StPO; § 206a StPO; § 29 BtMG

1. Der Irrtum des Handelnden über die Person des Angegriffenen (sog. error in persona) ist auch für den Mittäter

(§ 25 Abs. 2 StGB) grundsätzlich unbeachtlich. Das gilt insbesondere dann, wenn die Identifizierung des Tatopfers (hier: bei der gefährlichen Körperverletzung und der versuchten räuberischen Erpressung) notwendiger Bestandteil des Tatplans und somit das Risiko einer Personenverwechslung im Tatplan angelegt ist. Weil Zurechnungsgrundlage der Tatplan ist, ist regelmäßig das Vorhersehbarkeitskriterium nicht heranzuziehen, das in Fällen eines Irrtums des Angestifteten zu beachten ist.

2. Das Revisionsgericht prüft grundsätzlich die Prozessvoraussetzungen selbständig und aufgrund eigener Sachuntersuchung unter Benutzung aller Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren. Anderes gilt jedoch, wenn das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht nach Aktenlage geklärt werden kann, sondern von Tatsachen abhängt, die die angeklagte Tat betreffen. Dies betrifft etwa die Frage, ob ein Handel mit Betäubungsmitteln Teil einer bereits anderweitig abgeurteilten Bewertungseinheit ist. Die Feststellung solcher doppelrelevanten Tatsachen muss dem Strengbeweis in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

3. Aus dem Teilschweigen des Angeklagten darf das Tatgericht jedenfalls dann rechtsfehlerfrei den möglichen Schluss ziehen, dass die Einlassung des Angeklagten nicht zutrifft, wenn dieser zu einem Punkt eines einheitlichen Geschehens keine Angaben macht, obwohl nach den Umständen Äußerungen zu diesem Punkt zu erwarten gewesen wären, andere mögliche Gründe für das Schweigen ausgeschlossen werden können und die gemachten Angaben nicht fragmentarischer Natur sind.

4. Hingegen dürfen aus dem anfänglichen Schweigen des Angeklagten nicht ohne weiteres nachteilige Schlüsse gezogen werden. Denn dem Angeklagten steht es frei, ob er sich zur Sache einlässt (§ 136 Abs. 1 S. 2, § 243 Abs. 5 S. 1 StPO). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung - und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt - nachteilige Schlüsse gezogen werden.

5. Höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen und deren Verletzung sind einer additiven Betrachtungsweise, wie sie etwa der natürlichen Handlungseinheit zugrunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Greift daher der Täter einzelne Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen, so besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss sowie engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs, etwa bei Messerstichen innerhalb weniger Sekunden oder bei einem gegen eine aus der Sicht des Täters nicht individualisierte Personenmehrheit gerichteten Angriff, willkürlich und gekünstelt erschiene.


Entscheidung

12. BGH 1 StR 506/18 - Beschluss vom 21. November 2018 (LG Hechingen)

Verabredung eins Verbrechens (erforderliche Konkretisierung der in Aussicht gestellten Tat).

§ 30 Abs. 2 Alt. 3 StGB

Die Strafbarkeit wegen Verabredung eines Verbrechens setzt nach § 30 Abs. 2 Alt. 3 StGB den Entschluss von mindestens zwei Personen zur Begehung eines bestimmten Verbrechens als Mittäter voraus (vgl. BGH NStZ 2011, 570, 571). Die in Aussicht genommene Tat muss dabei nicht bereits in allen Einzelheiten festgelegt, sie muss aber – ebenso wie dies beim Tatplan für eine mittäterschaftliche Tatbestandsverwirklichung oder beim Anstiftervorsatz der Fall ist – zumindest in ihren wesentlichen Grundzügen konkretisiert sein (vgl. BGH 2007, 697). Eine strafbare Verbrechensverabredung wird danach zwar nicht dadurch ausgeschlossen, dass Zeit, Ort und Modalitäten der Ausführung im Einzelnen noch offen sind (vgl. BGH NStZ 2007, 697). Tatzeit, Tatbeteiligte, Tatobjekt und sonstige Umstände der Tat können indes nicht völlig im Vagen bleiben (vgl. BGH StV 1994, 528), weil sonst die Strafbarkeit zu weit ins Vorfeld der eigentlichen Tat vorverlagert würde. Besondere Anforderungen gelten vor allem dann, wenn es bei der verabredeten Tat um eine Straftat gegen die Person geht.


Entscheidung

11. BGH 1 StR 452/18 - Beschluss vom 24. Oktober 2018 (LG Hechingen)

Rücktritt von der Verabredung eines Verbrechens (ausnahmsweise möglicher Rücktritt durch Nicht-Weiterhandeln).

§ 31 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB

Die Voraussetzungen für den Rücktritt von der Verbrechensverabredung nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 StGB entsprechen denjenigen des § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB; in beiden Fällen wird der Täter straflos, wenn er die Tat freiwillig verhindert. Die Verhinderung setzt zwar in der Regel ein aktives, auf Verhinderung der Tatvollendung abzielendes Verhalten des Täters voraus; bloßes Nicht-Weiterhandeln reicht aber aus, wenn sämtliche Tatbeteiligte dahin übereinkommen, von der Tat (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 StGB) oder von ihrer Vollendung (§ 24 Abs. 2 Satz 1 StGB) abzusehen (vgl. BGHSt 42, 158, 162).


Entscheidung

63. BGH 3 StR 126/18 - Beschluss vom 18. Oktober 2018 (LG Mönchengladbach)

Nichtverhinderung der aktiven Tötungshandlung eines Anderen durch einen Garanten (Abgrenzung von täterschaftlicher Begehung und Beihilfe; innere Haltung zur Begehungstat; wertende Betrachtung; Interesse am abzuwendenden Taterfolg; Täterwille; sich die Tat zu eigen machen; Unterordnung im Willen; Gehilfenwille).

§ 13 StGB; § 25 StGB; § 27 StGB; § 227 StGB

Verhindert ein Garant (§ 13 StGB) die Tötungshandlung eines anderen nicht, kann darin entweder eine täterschaftliche Begehung durch Unterlassen oder eine Beihilfe zur Tat des aktiv Handelnden (hier einer Körperverletzung mit Todesfolge) zu sehen sein. Das hängt davon ab, ob die aufgrund wertender Betrachtung festzustellende innere Haltung des Unterlassenden zur Begehungstat des anderen - insbesondere wegen des Interesses am abzu-

wendenden Taterfolg - als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen ist oder ob seine innere Einstellung davon geprägt ist, dass er sich dem Handelnden - etwa weil er dessen bestimmendem Einfluss besonders unterliegt - im Willen unterordnet und das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg im Sinne bloßen Gehilfenwillens lediglich ablaufen lässt.


Entscheidung

56. BGH 4 StR 397/18 - Beschluss vom 10. Oktober 2018 (LG Detmold)

Versuch (Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch; Korrektur des Rücktrittshorizonts bei versuchten Tötungsdelikten); Vorsatz (bedingter Tötungsvorsatz: Anforderungen an Darlegung und Begründung).

§ 15 StGB; § 22 StGB; § 24 Abs. 1 StGB

1. Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont).

2. Je nach den Umständen des Falles ist – in engen zeitlichen Grenzen – eine Korrektur dieses Rücktrittshorizonts möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt. Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann ausdrücklicher Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch – vom Täter wahrgenommen – zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Tatopfer sei bereits tödlich verletzt. So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, in dem das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen. Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs Erforderliche getan zu haben.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen der Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Jedoch kann insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbstständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist. Denkbar ist daher, dass einem Täter trotz Kenntnis von der das Leben seines Opfers gefährdenden Behandlung – etwa infolge einer psychischen Beeinträchtigung – gleichwohl nicht bewusst ist, dass sein Tun zum Tod des Opfers führen kann oder dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

Entscheidung

39. BGH 2 StR 474/17 - Beschluss vom 15. August 2018 (LG Kassel)

Freiheitsberaubung (Einsperren); Rechtsbeugung (Prüfungsmaßstab; Anwendbarkeit bei Verletzung von Verfahrensrecht); Aussageerpressung (sonstige Gewaltanwendung; seelische Quälen); Verbotene Vernehmungsmethoden (keine Anwendung auf Handlungen, die auf die Abgabe von prozessualen Willenserklärungen gerichtet sind).

§ 239 StGB; § 339 StGB; § 343 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 343 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB

1. Einsperren ist das Festhalten in einem umschlossenen Raum durch äußere Vorrichtungen, so dass der Betroffene objektiv gehindert ist, sich von dem Ort wegzubewegen. An der Unmöglichkeit der Fortbewegung fehlt es, wenn die Fortbewegung nur erschwert wird.

2. Ein seelisches Quälen im Sinne des Tatbestandes der Aussageerpressung ist anzunehmen bei psychischen Peinigungen oder Erniedrigungen, die über die mit der Verstrickung in ein rechtsstaatliches Verfahren für sich genommen regelmäßig verbundene seelische Belastung hinausgehen und geeignet sind, die geistigen und seelischen Widerstandskräfte zu zermürben. Dies ist regelmäßig bei länger andauernden oder ständig sich wiederholenden Peinigungen, aber auch bei einzelnen gravierenden Erniedrigungen, die auf die Widerstandskräfte des Betroffenen massiv einwirken, der Fall. Nach dem Willen des Gesetzgebers genügt damit aber nicht jede seelische Einwirkung auf die Widerstandskräfte zur Verwirklichung des Tatbestands, mag sie auch in dem Bestreben erfolgt sein, die Aussagebereitschaft des Betroffenen zu beeinflussen.

3. § 343 StGB ist zwar kein Erfolgsdelikt, doch können die Reaktionen desjenigen, auf dessen Willensentschließung eingewirkt werden soll, Hinweise dafür geben, ob die in den Blick genommenen Tathandlungen den in § 343 StGB vorausgesetzten Umfang erreicht haben.

4. Rechtsbeugung kann auch durch Verletzung von Verfahrensrecht begangen werden. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung oder jeder Ermessensfehler ist jedoch bereits eine Beugung des Rechts. Erfasst ist nur der Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege, bei dem sich der Amtsträger bewusst in schwerwiegender Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei vom Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an seinen eigenen Maßstäben ausrichtet. Ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, ist auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände zu entscheiden. Bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht kann neben dessen Ausmaß und Schwere insbesondere auch Bedeutung erlangen, welche Folgen dieser für die Partei hatte, inwieweit die Entscheidung materiell rechtskonform blieb und von welchen Motiven sich der Richter leiten ließ.

5. Rechtsbeugung kann danach insbesondere auch bei Verstößen gegen §§ 136, 136a StPO gegeben sein, kommt aber nach Maßgabe der einschränkenden Auslegung des Rechtsbeugungstatbestandes auch bei mit unzulässigen bzw. unlauteren Mitteln erwirktem Rechtsmittelverzicht bzw. auf eine solche Weise abgerungener Einwilligung in eine ambulante Therapie in Betracht.

6. § 136a StPO ist Ausdruck des notwendigen Schutzes der Menschenwürde im Strafverfahren und stellt ein umfassendes Verbot der Beeinflussung der Willensentschließung eines Beschuldigten über das Ob und Wie einer Aussage auf. Die Aufzählung der verbotenen Vernehmungsmethoden ist nicht abschließend. Die Norm erfasst aber von vornherein keine Handlungen, die auf die Abgabe von prozessualen Willenserklärungen, insbesondere auch nicht Rechtsmittelerklärungen gerichtet sind. Insoweit, aber auch hinsichtlich der Einwilligung eines Betroffenen in eine Therapieauflage als prozessuale Erklärung, die nicht der Sachverhaltsaufklärung dient, ist deshalb der Anwendungsbereich des § 136a StPO nicht eröffnet.


Entscheidung

9. BGH 1 StR 422/18 - Beschluss vom 24. Oktober 2018 (LG Traunstein)

Mord aus niedrigen Beweggründen; Tatmehrheit (nacheinander folgender Angriff auf einzelne Menschen, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen: grundsätzliche Annahme von Tatmehrheit, Ausnahmen); Rücktritt vom Versuch (Freiwilligkeit: erforderliche Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters); Täter-Opfer-Ausgleich (erforderlicher kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer: Kommunikation über Verteidiger; erforderliche Feststellungen auch zur Stellung des Opfers zu den Ausgleichsbemühungen).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 46a StGB

1. Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, d.h. in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung können niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.

2. Entbehrt hingegen das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 177 Rn. 10 mwN). Auch die Tötung des Intimpartners, der sich vom Täter abwenden will oder abgewendet hat, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden. Gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 177 Rn. 10 mwN).

3. Der Feststellung, der Täter habe dem Opfer das Lebensrecht abgesprochen, es vernichten wollen und sich damit zur Selbstjustiz aufgeschwungen, kommt für sich allein kein über § 212 StGB hinausgehendes Gewicht zu. Hierdurch wird lediglich die Eigenmächtigkeit der vorsätzlichen Tötung umschrieben, nicht aber, wie es für das Mordmerkmal „aus niedrigen Beweggründen“ erforderlich wäre, ein besonderer Tötungsbeweggrund (vgl. BGH StV 2009, 524 Rn. 27). Der rechtswidrigen Tat nach § 212 StGB wohnt an sich schon ein unerträgliches Missverhältnis inne; daher wäre es, auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG und die absolute Rechtsfolge des § 211 StGB verfehlt, jede vorsätzliche Tötung, für welche sich kein nachvollziehbarer oder naheliegender Grund finden lässt, als Mord aus niedrigen Beweggründen anzusehen (vgl. BGH NStZ 2006, 166 Rn. 20).

4. In Fällen, in denen der Täter einzelne Menschen nacheinander angreift, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen, besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge als eine Tat zusammenzufassen.

5. Etwas anderes gilt dann, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene, es sei denn, es fehlt an dem verbindenden subjektiven Element, weil sich der Täter zu dem Angriff auf das weitere Opfer erst entschlossen hat, nachdem dieses für ihn überraschend hinzugekommen ist, als er bereits mit Tötungsvorsatz auf das erste Opfer einwirkte; der Angriff auf das zweite Opfer beruht dann auf einem selbständigen, aufgrund veränderter Tatsituation gefassten Entschluss, der die Wertung als einheitliches, zusammengehöriges Tun in der Regel nicht zulässt (vgl. BGH NStZ 2005, 262, 263).

6. Hält der Täter die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten, vorausgesetzt, der Täter wurde weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch

seelischen Druck unfähig, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon und zwar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (vgl. BGH StV 2018, 715). Daher sind Feststellungen zum entsprechenden Vorstellungsbild des Angeklagten bei Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung, also im Moment seines Nichtweiterhandelns, zu treffen.

7. Bei der Prüfung eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a StGB muss das Urteil erkennen lassen, welche der Fallgruppen des § 46a StGB angenommen wird. Die vorrangig den Ausgleich immaterieller Tatfolgen betreffende Alternative des § 46a Nr. 1 StGB macht die Milderungsmöglichkeit davon abhängig, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Tatopfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel ernsthaft erstrebt hat. Das erfordert – in beiden Varianten – grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, im Rahmen dessen das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichteten Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Deshalb hat das Tatgericht regelmäßig auch Feststellungen dazu zu treffen, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat. Der kommunikative Prozess setzt keine persönliche Begegnung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa den Verteidiger, genügt (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 304) und wird bei schwerwiegenden Gewalt- insbesondere Sexualdelikten, vielfach als opferschonendes Vorgehen ratsam sein.


Entscheidung

4. BGH 1 StR 196/18 - Beschluss vom 1. August 2018 (LG Ravensburg)

Mord aus niedrigen Beweggründen (Voraussetzungen; hier: Tötung eines Neugeborenen)

§ 211 Abs. 2 StGB

Dass der Täter bei einer vorsätzlichen Tötung auch eigene Interessen verfolgt, ist der Regelfall und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne weiteres die Qualifikation als Mord aus niedrigen Beweggründen (vgl. BGH NStZ 2009, 210).


Entscheidung

66. BGH 3 StR 167/18 - Beschluss vom 30. Oktober 2018 (LG Halle)

Volksverhetzung (Leugnen oder Verherrlichen des Holocausts; böswillige Verächtlichmachung von Personengruppen; Aufrufen zur Gewalt; Äußerungsdelikt; Wiedergabe fremder Äußerungen; Zueigenmachen; öffentlich Zugänglichmachen; Verbreiten; Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens; Indikation durch Bejahung des Leugnens; Begehung über das Internet; Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts; Strafbarkeit nach schweizerischem Recht; Strafrahmenwahl); Konkurrenzverhältnisse bei strafbaren Handlungen im Rahmen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (Tatmehrheit; tatbestandliche Handlungseinheit; Rädelsführerschaft).

§ 130 StGB; § 129 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Die Leugnung des Holocaust nach § 130 Abs. 3 StGB ist ein persönliches Äußerungsdelikt. Die Wiedergabe fremder Äußerungen ist nur dann tatbestandsmäßig, wenn sich der Täter die Äußerung ausdrücklich oder konkludent derart zu eigen macht, dass er selbst leugnet. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittsempfängers, wobei neben dem Wortlaut und dem Kontext der Äußerung auch außerhalb derselben liegende Umstände Bedeutung erlangen. Nicht erkennbar gewordene Umstände, beispielsweise eine weder in der Äußerung selbst noch in den Begleitumständen zum Ausdruck gekommene innere Einstellung des Täters, sind dagegen ohne Belang.

2. Das Tatbestandsmerkmal der Leugnung i.S.v. § 130 Abs. 3 StGB indiziert regelmäßig eine tatbestandsmäßige Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens indiziert (vgl. bereits BVerfG HRRS 2018 Nr. 610).


Entscheidung

23. BGH 2 StR 275/18 - Beschluss vom 25. September 2018 (LG Meiningen)

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (Voraussetzungen der Täterschaft); sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (eigenhändiges Delikt); Anrechnung (Bestimmung des Anrechnungsmaßstabs für eine im Ausland erlittene Freiheitsentziehung).

§ 174 Abs. 1 StGB; § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF

1. § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF ist als eigenhändiges Delikt ausgestaltet. Das Regelbeispiel verwirklicht nur, wer in eigener Person eine der dort beschriebenen sexuellen Handlungen vornimmt. Tatbeteiligte, bei denen diese eigenhändige Verwirklichung nicht vorliegt, können nicht als Mittäter einer Vergewaltigung verurteilt werden.

2. Täter nach § 174 Abs. 1 StGB kann nur sein, wer das Kind selbst körperlich berührt und auch die gemeinschaftliche Begehung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes setzt voraus, dass bei Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mindestens zwei Personen vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der Tatsituation zusammen auf das Tatopfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen.

3. Gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB hat das Gericht den Anrechnungsmaßstab für eine im Ausland erlittene Freiheitsentziehung zu bestimmen. Dies muss auch in der Urteilsformel zum Ausdruck gebracht werden.


Entscheidung

18. BGH 2 StR 153/18 - Beschluss vom 19. September 2018 (LG Stralsund)

Verminderte Schuldfähigkeit (tatrichterliche Würdigung von Sachverständigengutachten); Versuch (fehlgeschlagener Versuch); Rücktritt (Rücktrittshorizont); exhibitionistische Handlungen (Voraussetzungen; Konkurrenzen).

§ 21 StGB; § 22 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 183 Abs. 1 StGB

1. Eine exhibitionistische Handlung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter einem anderen ohne dessen Einverständnis sein entblößtes Glied vorweist, um sich dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion

der anderen Person oder durch Masturbieren sexuell zu erregen, seine Erregung zu steigern oder zu befriedigen. Die Tathandlung liegt in dem Vorzeigen des entblößten Gliedes mit dem Ziel des hierdurch bewirkten sexuellen Lustgewinns. Dient die Handlung dagegen lediglich der Vorbereitung eines anderen Sexualdelikts, ist sie nicht exhibitionistisch.

2. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Tathandlung erkennt, dass mit den bereits eingesetzten oder den ihm sonst zur Verfügung stehenden Mitteln der erstrebte Taterfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann, ohne dass er eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzt.

3. Auch für die Prüfung, ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, ist maßgeblich darauf abzustellen, welche Vorstellung der Täter nach seiner letzten Ausführungshandlung von der Tat hat (sog. Rücktrittshorizont).

4. Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt sich der Tatrichter dem Sachverständigen an, muss er sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen und die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise im Urteil mitteilen.