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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2018
19. Jahrgang
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1. Der Täter kann für das gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB von ihm geforderte Ingangsetzen einer neuen Kausalkette, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich, oder jedenfalls mitursächlich wird, auch Dritte hinzuziehen. Dass daneben andere, vom Willen des Täters unabhängige Umstände zur Verhinderung der Tatvollendung beitragen, steht einem strafbefreienden Rücktritt ebenso wenig entgegen wie die Möglichkeit, etwas anderes oder mehr zu tun, um die Vollendung der Tat mit größerer Sicherheit zu verhindern.
2. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich sind.
1. Die an dem Fahrzeugkennzeichen angebrachte Prüfplakette beurkundet mit besonderer Beweiskraft im Sinne des § 348 Abs. 1 StGB neben dem Termin der nächsten Hauptuntersuchung auch die Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Durchführung der Hauptuntersuchung. (BGHSt)
2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde im Sinne von § 348 StGB umfasst nur solche Urkunden, die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen (vgl. BGHSt 22, 201, 203). Dabei erfasst auch bei einer öffentlichen Urkunde die Strafbewehrung in § 348 StGB nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen und Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d.h. die volle Beweiswirkung für und gegen jedermann, erstreckt. Welche Angaben dies im Einzelnen sind, ist der Inhaltsbestimmung durch gesetzliche Regelung zu entnehmen (vgl. BGHSt 44, 186). (Bearbeiter)
3. Fehlt es an einer ausdrücklichen Vorschrift, sind die Angaben mittelbar den gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind. Wesentliche Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des öffentlichen Glaubens sind dabei neben dem Beurkundungsinhalt als solchem das Verfahren und die Umstände des Beurkundungsvorgangs sowie die Möglichkeit des die Bescheinigung ausstellenden Amtsträgers, die Richtigkeit der Beurkundung zu überprüfen; auch ist die Anschauung des Rechtsverkehrs zu beachten (vgl. BGHSt 44, 186, 188). (Bearbeiter)
4. Die HU-Prüfplakette stellt in Verbindung mit dem amtlich zugelassenen Kennzeichen und der entsprechenden Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil I eine (zusammengesetzte) öffentliche Urkunde dar. (Bearbeiter)
1. Bei einer Gewerbeanmeldung gemäß § 15 Abs. 1 GewO handelt es sich um die Empfangsbescheinigung der Anzeige, mit der der Gewerbetreibende nach 14 Abs. 1 S. 1 GewO den selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anzuzeigen hat. Diese genießt keinen öffentlichen Glauben und wird daher von § 271 Abs. 2 StGB nicht erfasst.
2. Nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum, der sich der Senat anschließt, bestimmt sich das Verhältnis zwischen dem Bewirken einer falschen Beurkundung (§ 271 Abs. 1 StGB) und dem anschließenden Gebrauch (§ 271 Abs. 2 StGB) der falschen Beurkundung nach denselben Regeln, die für das Verhältnis zwischen dem Herstellen einer unechten Urkunde und dem späteren Gebrauch des Falsifikats im Rahmen der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB gelten.
3. Im Rahmen der Urkundenfälschung entspricht es einhelliger Auffassung, dass der Täter, der eine unechte Urkunde herstellt, um sie zu einer bestimmten Täuschung zu gebrauchen, und sie nachfolgend entsprechend gebraucht, nur eine Straftat der Urkundenfälschung begeht. Maßgebend ist insofern der Täuschungsvorsatz, den der Täter bei der Herstellung der Urkunde hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maß-
geblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (vgl. BGHSt 47, 128, 130). Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr.). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann (vgl. BGH StV 2017, 516 mwN).
1. Eine „große Zahl“ von unechten oder verfälschten Urkunden i.S.d. § 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 StGB setzt eine numerische Mindestanzahl von 25 Urkunden voraus. Denn die Annahme eines besonders schweren Falles der Urkundenfälschung führt zu einer gravierenden Verschärfung des zur Verfügung stehenden Strafrahmens gegenüber demjenigen des Grundtatbestands. Deshalb darf die „große Zahl“ von unechten oder verfälschten Urkunden nicht zu niedrig bestimmt werden.
2. Auch sogenannte Prepaid-Kreditkarten sind taugliche Tatobjekte des § 152b Abs. 4 StGB. Die Vorschrift erfasst Kredit-, Euroscheck- und sonstige Karten (insbesondere aufladbare Geldkarten mit Chip), die es ermöglichen, den Aussteller im Zahlungsverkehr zu einer garantierten Zahlung zu veranlassen, sofern sie durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind und die Karten auch gegenüber anderen als dem Aussteller benutzt werden können. Ob das gegenüber dem Zahlungsempfänger abgegebene Zahlungsversprechen des Kartenausstellers auf einer garantierten Kreditgewährung des Ausstellers gegenüber dem Karteninhaber beruht oder – wie bei Prepaid-Kreditkarten – auf einem durch Einzahlung erlangten Guthaben, ist unerheblich.
1. Das Verwenden einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs „bei der Tat“ liegt in zeitlicher Hinsicht vor, wenn das gefährliche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung der Tat eingesetzt wird.
2. Die Erfüllung der Qualifikation setzt nicht voraus, dass die Waffe oder das gefährliche Werkzeug gerade als Nötigungsmittel eingesetzt wird, es reicht der Einsatz als Werkzeug bei der sexuellen Handlung. Dafür genügt es auch, wenn ein „einheitlicher Vorgang mit Sexualbezug“ vorliegt.
3. Der Senat braucht unter diesen Umständen nicht zu entscheiden, ob nach der Neufassung des § 177 StGB durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 4. November 2016 nicht jegliche Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs im Zeitraum zwischen Versuchsbeginn und Beendigung der Tat auch ohne Nötigungswirkung und sexuellen Bezug ausreicht, die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu erfüllen.
4. Nach den Feststellungen kommt zudem das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals der schweren körperlichen Misshandlung in Betracht. Ausreichend dafür ist es, dass die körperliche Integrität des Opfers „bei der Tat“ in einer Weise verletzt wird, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist.
5. Der Senat neigt unter Aufgabe seiner früher vertretenen Rechtsauffassung dazu, dass gemäß § 404 Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO Prozesszinsen ohne Rücksicht auf § 187 Abs. 1 BGB bereits ab dem Tag geschuldet werden, an dem der Adhäsionsantrag bei Gericht eingeht (so auch der 1. und 3. Strafsenat). Dem steht allerdings Rechtsprechung des 5. Strafsenats entgegen.
Der Senat lässt die Frage offen, ob das Regelbeispiel der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB in der Fassung des 50. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I 2460) – wie noch § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF die eigenhändige Verwirklichung einer der dort aufgeführten Tathandlungen verlangt.
1. Auch der mehrfache selbständige Gebrauch einer unechten Urkunde bildet mit dem Herstellen der unechten Urkunde eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine materiellrechtliche Tat, wenn der mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht. Bringt der Täter die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen an einem Fahrzeug an, um dieses als vermeintlich zugelassen im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, ist ein solcher Gesamtvorsatz naheliegend gegeben.
2. Die Dauerdelikte des § 21 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 6 Abs. 1 PflVG umfassen die gesamte von vornherein auch über eine längere Wegstrecke geplante Fahrt bis zu deren endgültigem Abschluss, ohne dass kurzzeitige Fahrtunterbrechungen zu einer Aufspaltung der einheitlichen Tat führen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Fortsetzung der Fahrt auf einem neu gefassten Willensentschluss des Täters beruht. Dementsprechend beginnt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine neue Dauerstraftat, wenn der Täter nach einem Unfallgeschehen weiterfährt, weil er den Entschluss gefasst hat, sich der Feststellung seiner Unfallbeteiligung durch Flucht zu entziehen.
1. Sowohl das Sichverschaffen als auch das Ankaufen – als Unterfall des Sicherverschaffens – setzen die Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt durch den Hehler.
2. Dementsprechend setzt der Versuch sowohl des Sichverschaffens als auch des Ankaufens ein unmittelbares Ansetzen zur Übernahme eigener Verfügungsgewalt voraus; die bloße Vereinbarung mit dem Vortäter, die Sache abnehmen zu wollen, reicht für den Versuchsbeginn nicht aus.
1. Der Begriff des Verwendens im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch. Er bezieht sich auf den Einsatz des Nötigungsmittels im Grundtatbestand, so dass ein Verwenden immer dann zu bejahen ist, wenn der Täter zur Wegnahme einer fremden beweglichen Sache eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für deren Leib oder Leben gebraucht.
2. Von einer schweren körperlichen Misshandlung im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB ist grundsätzlich bei einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Opfers auszugehen, die mit erheblichen Folgen für die Gesundheit oder erheblichen Schmerzen einhergeht. Diese Voraussetzungen sind bei heftigen Faustschlägen in das Gesicht, in deren Folge das Opfer bewusstlos wird, regelmäßig erfüllt.
1. Beim Zusammentreffen eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB aF mit einer Qualifikation gemäß § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB aF ist die Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Hs. 2 StGB aF grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Allerdings muss der Tatrichter bei Annahme eines solchen minder schweren Falles die Strafuntergrenze des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF beachten, sofern dieser Strafrahmen auch ohne das Vorliegen der Qualifikation gegeben wäre; anderenfalls wäre ein Täter, der neben einem Regelbeispiel einen Qualifikationstatbestand erfüllt, günstiger gestellt als derjenige, der kein qualifizierendes Merkmal verwirklicht.
2. Ein Absehen vom Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 2 S. 1 StGB aF kommt in derartigen Fällen, in denen der Täter durch die Erfüllung des Qualifikationstatbestandes zusätzliches gravierendes Unrecht auf sich geladen hat, nur bei Vorliegen ganz außergewöhnlich mildernder Umstände in Betracht. Dementsprechend sind an die gebotene Gesamtwürdigung besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Tatrichter die Untergrenze des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF unterschreiten will.
3. Die bloße Bezugnahme auf die Erwägungen, die zur Annahme des minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Hs. 2 StGB aF geführt haben, genügt regelmäßig nicht. Vielmehr muss sich das Tatgericht mit dem systematischen Zusammenhang zwischen dem Qualifikationstatbestand, der nur eine sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB aF, nicht aber eine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF voraussetzt, und dem Regelbeispiel auseinandersetzen und zu erkennen geben, dass es bedacht hat, dass in solchen Fällen eine Entkräftung der Regelwirkung nur ausnahmsweise bei ganz außergewöhnlichen Milderungsgründen in Betracht kommt.
1. Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht. Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen dabei über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen und der Vorsatz des Täters sich auch hierauf erstrecken. Das Erfordernis, dass die zugefügten Schmerzen oder Leiden über die typischen Auswirkungen der einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen müssen, ist dabei insbesondere dann von Bedeutung, wenn die einzelnen Körperverletzungshandlungen für sich genommen eher niederschwellig sind und erst deren ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht.
2. Bringt der Täter dem Tatopfer vorsätzlich in enger Folge mehrere schwere Verletzungen bei, die jeweils schon für sich zu länger dauernden und erheblichen Schmerzen führen, sodass die neu zugefügten Schmerzen und Leiden zu noch nicht oder gerade abgeklungenen Schmerzen und Leiden aus früheren Gewalthandlungen hinzutreten oder sich an diese anschließen, ist auch damit ein Quälen gegeben.
1. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Var. 2 StGB liegt vor, wenn ein – auch für sich gesehen ungefährlicher – Gegenstand nach der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Dies ist regelmäßig bei einem Dildo der Fall, wenn er überraschend und kräftig in den After gestoßen wird und hierdurch ganz erhebliche Schmerzen und eine Hautunterblutung am Aftereingang verursacht.
2. Eine schwere körperliche Misshandlung im Sinne des nach § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB ist jede schwere Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens; die körperliche Integrität muss in einer Weise, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, beeinträchtigt sein. Auch wenn die insoweit anzustellenden Anforderungen nicht zu niedrig angesetzt werden dürfen, liegt dieses Merkmal bei einer stundenlangen Quälerei mit Zufügung „thermischer Hautverletzungen“ und erheblicher Schmerzen durch anale Penetration überaus nahe und muss erörtert werden.
Eine ungeladene Schusswaffe bzw. Gas- oder Schreckschusspistole, die vom Täter als Drohmittel zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand einer anderen Person eingesetzt wird, unterfällt (lediglich) dem Tatbestand des schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB, erfüllt aber nicht den Tatbestand des besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.