HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2018
19. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

862. BGH 4 StR 569/17 – Beschluss vom 6. Juni 2018 (LG Landau in der Pfalz)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (Voraussetzung: Beendigung der Tat im materiellrechtlichen Sinne beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln);; Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Bitcoins als erlangte Vermögensvorteile; faktische Verfügungsmöglichkeit durch Kenntnis des privaten

Schlüssels keine Verfallsvoraussetzung); Verfall des Wertersatzes (Behandlung von Wertveränderungen); Bestimmung des Wertes des Erlangten (alte Fassung: Subsidiarität).

§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 73 aF StGB; § 73a Satz 1 aF StGB; § 73d StGB aF; §§ 29 ff. BtMG

1. Für die Bestimmung des Wertersatzverfallsbetrages nach § 73a Satz 1 StGB aF sind Wertsteigerungen des Erlangten ab dem Zeitpunkt, zu welchem die Voraussetzungen des Wertersatzverfalls eingetreten sind, unbeachtlich. (BGHSt)

2. Eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt voraus, dass die einzubeziehende Tat im Zeitpunkt der Vorverurteilung im materiellrechtlichen Sinne beendet ist. Da das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne der §§ 29 ff. BtMG erst beendet ist, wenn diese an den Abnehmer gelangt sind und die Gegenleistung erbracht ist, kommt es für die Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB insoweit nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt des Betäubungsmittelerwerbs, sondern auch auf etwaige nachfolgende Handelsakte an. (Bearbeiter)

3. Bitcoins als erlangte Vermögensvorteile unterliegen dem Verfall, so dass hieran auch die Anordnung des Wertersatzverfalls anknüpfen kann. (Bearbeiter)

4. Bei der Anordnung des Verfalls beziehungsweise des Verfalls des Wertersatzes nach §§ 73, 73a StGB aF muss die Tat, für die oder aus der etwas erlangt worden ist, von der Anklage umfasst und Gegenstand der Verurteilung. Eine Anordnung des Verfalls bzw. des Wertersatzverfalls nach für Erlöse aus nicht zur Aburteilung gelangten Straftaten ist unzulässig; insoweit kommt – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – nur der erweiterte Verfall nach § 73d StGB aF in Betracht. (Bearbeiter)

5. Die Vorschrift des § 73d StGB aF ist gegenüber §§ 73, 73a StGB aF subsidiär. Eine Anwendung des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB aF ist daher erst dann möglich, wenn nach Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73a StGB aF erfüllt sind. Dies hindert es, in dem Verfahren wegen einer Anlasstat, die auf § 73d StGB aF verweist, Gegenstände dem erweiterten Verfall zu unterwerfen, die der Angeklagte aus anderen, von der Anklageschrift nicht erfassten, aber zumindest möglicherweise konkretisierbaren Straftaten erlangt hat; denn diese Taten können und müssen zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens gemacht werden, in dem die Voraussetzungen der vorrangig anwendbaren §§ 73, 73a StGB zu prüfen sind. (Bearbeiter)

6. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es auf die Möglichkeit der Anordnung eines unmittelbaren Verfalls von Bitcoins nach § 73 StGB aF ohne Auswirkung ist, ob den Ermittlungsbehörden der private Schlüssel für das Wallet bekannt ist. Die Erlangung der faktischen Verfügungsgewalt über die Bitcoins setzt zwar die Kenntnis des privaten Schlüssels voraus; die mit einer Nichtkenntnis verbundenen tatsächlichen Hindernisse betreffen aber allein die Vollstreckung der Verfallsentscheidung und lassen die Anordnung des Verfalls unberührt. (Bearbeiter)


Entscheidung

897. BGH 4 StR 144/18 – Beschluss vom 6. Juni 2018 (LG Passau)

BGHSt; Täter-Opfer-Ausgleich (Hinterbliebene sind nicht „Verletzte“).

§ 46a Nr. 1 StGB

Bei einem vollendeten Tötungsdelikt sind die Hinterbliebenen nicht „Verletzte“ im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB. (BGHSt)


Entscheidung

803. BGH 5 StR 645/17 – Urteil vom 18. Juli 2018 (LG Hamburg)

Einziehung von Taterträgen (aus der Tat erlangter Vermögenswert; tatsächliches Herrschaftsverhältnis; ungehinderter Zugriff; Mitverfügungsgewalt; Mittäterschaft; Abrede über die Beuteteilung); Einziehung von im Eigentum Dritter stehender Gegenstände (Gefahr der Verwendung bei der Begehung von Straftaten).

§ 73 StGB; § 73c StGB; § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F.

1. Ein Vermögenswert ist im Rechtssinne aus der Tat erlangt (vgl. § 73 Abs. 1 StGB), wenn er dem Beteiligten unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen können.

2. Faktische Mitverfügungsgewalt kann jedenfalls bei dem vor Ort anwesenden, Teile der Beute in den Händen haltenden Mittäter auch dann vorliegen, wenn sich diese in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegelt. Denn damit „verfügt“ der Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit diesen Teile des gemeinsam Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet. Unerheblich ist dabei, in welchem Umfang der Beteiligte eine unmittelbar durch die Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später wieder aufgibt.


Entscheidung

833. BGH 2 StR 117/18 – Beschluss vom 3. Juli 2018 (LG Bonn)

Einziehung des Wertes von Taterträgen (keine Einziehung des Wertes eines Veräußerungssurrogates, das nicht mehr vorhanden ist).

§ 73c StGB

Eine Einziehung des Werts eines Veräußerungssurrogats, das nicht mehr vorhanden ist und daher nicht eingezogen werden kann, sieht das Gesetz nicht vor. § 73c StGB bezieht sich, wie sich aus Satz 2 der Vorschrift ergibt, nicht auf die Einziehung des Werts von Surrogaten, sondern allein auf die Einziehung des Werts des zunächst durch die Tat Erlangten. Erst recht kann nicht zusätzlich zur Einziehung des (vollen) Werts des zunächst Erlangten die Einziehung des Werts eines nicht mehr vorhan-

denen Surrogats angeordnet werden. Durch eine solche Kumulation sowohl des Wertes des zunächst Erlangten als auch des Surrogatwerts würde mehr abgeschöpft, als dem Vermögen des Täters zugeflossen ist. Dies ließe sich mit Sinn und Zweck der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, die keine Nebenstrafe darstellt, nicht vereinbaren.


Entscheidung

923. BGH 1 StR 599/17 – Beschluss vom 4. Juli 2018 (LG Mannheim)

Härtefallausgleich bei ansonsten gesamtstrafenfähigen ausländischen Verurteilungen.

§ 55 StGB

Ausländische Strafen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit zwar nicht gesamtstrafenfähig (vgl. BGH StV 2015, 353); liegen aber ansonsten die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung vor, muss der Tatrichter sie im Rahmen der Strafzumessung über den Gesichtspunkt des Härteausgleichs oder des Gesamtstrafübels zugunsten des Angeklagten berücksichtigen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Aburteilung der Straftaten auch in Deutschland möglich gewesen wäre, weil entweder der Täter Deutscher war oder die Tat sich gegen ein international geschütztes Rechtsgut richtet (st. Rspr.).


Entscheidung

837. BGH 2 StR 224/18 – Beschluss vom 10. Juli 2018 (LG Darmstadt)

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung der Begehung weiterer Straftaten trotz anhängigen Ermittlungsverfahrens).

§ 46 StGB

Zwar kann dem Umstand, dass ein Angeklagter trotz eines gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahrens weitere Straftaten begeht, Indizwirkung für seine fehlende Rechtstreue beigemessen werden. Der notwendige Rückschluss auf die Täterpersönlichkeit ist jedoch erst dann eröffnet, wenn der Angeklagte im Zeitpunkt der weiteren Taten Kenntnis von den gegen ihn laufenden Ermittlungen hatte.


Entscheidung

938. BGH 3 StR 174/18 – Urteil vom 26. Juli 2018 (LG Düsseldorf)

Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten als Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (gesetzliche Neuregelung; mittlere Kriminalität; Eignung zur Störung von Rechtsfrieden und Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung; Vermögensdelikte; Körperverletzungen; mehr als unwesentliche Überschreitung der tatbestandlichen Erheblichkeitsschwelle).

§ 63 StGB

1. Grundsätzlich sind nur solche Taten als erheblich i.S.d. § 63 S. 1 StGB anzusehen, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden empfindlich bzw. schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, und damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind.

2. Einfache Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB, die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit lediglich unwesentlich überschreiten (z. B. einfache Ohrfeige, Ziehen an den Haaren, Stoß gegen die Brust oder Kniff ins Gesäß), erfüllen das Merkmal der Erheblichkeit i.S.d. § 63 S. 1 StGB grundsätzlich nicht.

3. Nicht erforderlich ist hingegen zur Begründung der Erheblichkeit, dass Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch „schwer“ geschädigt werden. Faustschläge ins Gesicht sind daher in der Regel bereits mittlerer Kriminalität zuzurechnen, insbesondere wenn sie Platzwunden zur Folge haben, die ärztlich versorgt werden müssen. Dasselbe gilt für den Einsatz von CS-Gas oder Pfefferspray, sofern dieser bei den Betroffenen zu Schmerzen führt, die einige Minuten bis hin zu mehreren Stunden anhalten.

4. Mit der geltenden Fassung des § 63 StGB wollte der Gesetzgeber bei Vermögensdelikten im weitesten Sinne die Schwelle für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gegenüber dem vorherigen Rechtszustand anheben. Bei Taten, die gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtet sind, insbesondere bei Körperverletzungsdelikten, beschränkte sich das Ziel der Neuregelung hingegen darauf, die in der Rechtsprechung bereits angelegte, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in zunehmendem Maße Bedeutung beimessende Entwicklung aufzugreifen und zu verstetigen (vgl. bereits BGH HRRS 2016 Nr. 987).


Entscheidung

834. BGH 2 StR 121/18 – Beschluss vom 23. Mai 2018 (LG Köln)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Feststellung des Defektzustandes; Gefährlichkeitsprognose: Straftat von erheblicher Bedeutung, Einzelfallbetrachtung).

§ 63 Satz 1 StGB

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 Satz 1 StGB setzt die Feststellung voraus, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose zu tragen, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde in Folge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.

2. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 63 Satz 1 StGB liegt vor, wenn diese mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheits-

strafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind daher nicht ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen. Zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte sind, soweit es sich nicht um bloße Bagatellen handelt, regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen.

3. Generell ist auf die konkreten Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen, wobei neben der konkreten Art der drohenden Taten und dem Gewicht der jeweils bedrohten Rechtsgüter auch die zu erwartende Häufigkeit und Rückfallfrequenz von Bedeutung sein können. Das heißt, dass neben einer rein qualitativen Bewertung ergänzend auch eine quantitative Betrachtung anzustellen ist. Je höher die zu erwartende Rückfallfrequenz ist, desto eher kommen, in Grenzen, auch Abstriche bei der auf die einzelne Tat bezogenen schweren Verletzungsfolgen in Betracht, wobei maßgeblich ist, inwieweit sich aus der Art der konkret drohenden Taten und der zu erwartenden Rückfallfrequenz insgesamt eine schwere Störung des Rechtsfriedens ergibt. Die erforderliche Prognose ist dabei auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln.


Entscheidung

814. BGH 1 StR 132/18 – Beschluss vom 13. Juni 2018 (LG Würzburg)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (eingeschränktes Ermessen des Tatrichters: Absehen von der Anordnung bei fehlenden Sprachkenntnissen; symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Tat auch bei bereits früher begangenen Taten zum Bestreiten der Lebensbedürfnisse bei kriminalitätsfördernder Wirkung der Sucht).

§ 64 StGB

1. Für die Bejahung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Tat im Sinne des § 64 StGB ist es ausreichend, dass der Hang – gegebenenfalls neben anderen Umständen – mit dazu beigetragen hat, dass der Täter die Tat begangen hat. Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar oder mittelbar über den Erlös aus der Verwertung der Beute auch der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum dient (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 173 mwN).

2. Ein symptomatischer Zusammenhang besteht auch, wenn durch die Veräußerung der Beute Mittel für ihren Lebensunterhalt und den Erwerb von Betäubungsmitteln beschafft und vor und nach den Taten Betäubungsmittel zur Leistungssteigerung konsumiert hat, mögen die Straftaten auch auf der Grundlage einer schon früher infolge allgemeiner charakterlicher Mängel verfestigten kriminellen Neigung verübt worden sein, die Lebensbedürfnisse mit Mitteln aus Eigentumsdelikten zu bestreiten. Auch in einem solchen Fall haben die Straftaten ihren spezifischen Ursprung in der Sucht, weil die Drogenabhängigkeit zu einer beträchtlichen Ausweitung des mit kriminellen Mitteln befriedigten finanziellen Bedarfs führt, Zahl, Umfang und kriminelle Intensität der vom drogenabhängigen Täter begangenen und von ihm zu befürchtenden Straftaten mitbestimmt und somit von wesentlichem Einfluss jedenfalls auf das Ausmaß der gegenwärtigen und zukünftigen Gefährlichkeit eines solchen Täters ist. Wird die kriminalitätsfördernde Wirkung der Sucht durch eine erfolgreiche Behandlung beseitigt, so ist auch die Tätergefährlichkeit vermindert (vgl. BGH NStZ 2000, 25, 26).

3. Die in eine Soll-Vorschrift umgestaltete Regelung räumt dem Tatrichter zwar grundsätzlich die Möglichkeit ein, von einer Unterbringung abzusehen; § 64 StGB ist damit aber keine Ermessensvorschrift im engeren Sinne geworden (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 307). Das Absehen von einer Maßregelanordnung kommt vielmehr nur in Ausnahmefällen in Betracht. Geben die Feststellungen jedoch Anlass, die Unterbringung nach § 64 StGB unter dem Gesichtspunkt fehlender Kenntnisse der deutschen Sprache nicht anzuordnen, hat der Tatrichter die für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände im Urteil für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen (vgl. BGH StV 2014, 545).

4. Auch nach der Umgestaltung von § 64 StGB zur Soll-Vorschrift durch die Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 (BGBl. I 1327) – mit der der Gesetzgeber auch die Schonung der Behandlungskapazitäten beabsichtigte, die durch weniger geeignete Personen blockiert würden (vgl. BGH StV 2008, 138) – soll es im Grundsatz dabei verbleiben, dass die fehlende Beherrschung der deutschen Sprache nicht ohne Weiteres allein ein Grund für einen Verzicht auf die Unterbringung eines Ausländers sein kann (vgl. BGH StV 2014, 545).

5. Zwar muss nicht gegen jeden der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm absehbar nur schwer möglich sein wird, eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet werden (vgl. BGH NStZ 2009, 204, 205). Vielmehr wird bei weitgehender Sprachunkundigkeit die Annahme fehlender Erfolgsaussicht nahe liegen. Deshalb sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfs ein Absehen von der Maßregelanordnung insbesondere bei ausreisepflichtigen Ausländern ermöglicht werden, bei denen infolge erheblicher sprachlicher Verständigungsprobleme eine erfolgversprechende Therapie kaum vorstellbar ist. Hingegen genügt es regelmäßig für eine erfolgversprechende Maßregelanordnung, wenn der Betreffende zumindest über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 241, 242).


Entscheidung

766. BGH 3 StR 115/18 – Beschluss vom 28. Mai 2018 (LG Krefeld)

Verhältnis von Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und stationärer Therapie unter Zurückstellung der Strafvollstreckung (kein Wahlrecht; Prüfung der Möglichkeit eines Weckens der Therapiebereitschaft während der stationären Therapie; Behandlungsaussicht).

§ 64 StGB; § 35 BtMG

Lehnt ein Angeklagter eine Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB zwar ab, strebt er aber gleichwohl eine stationäre Therapie unter Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG an, so hat das Tatgericht im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 64 zu

erörtern, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Bereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung i.S.d. § 64 StGB während der Therapie geweckt werden kann. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB geht der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG vor; ein „Wahlrecht“ des Angeklagten besteht insoweit nicht


Entscheidung

759. BGH 3 StR 14/18 – Beschluss vom 20. Februar 2018 (LG Wuppertal)

Rechtsfehlerhaftes Absehen von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Voraussetzungen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang zum Konsum von Betäubungsmitteln und einer Anlasstat; bestimmender Auslöser; Delikte zur Beschaffung von Rauschmitteln oder Geld).

§ 64 StGB

Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat i.S.d. § 64 StGB setzt nicht voraus, dass der Hang die alleinige Ursache oder „bestimmender Auslöser“ für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat. Typisch für Taten mit einem derartigen Symptomcharakter sind Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen.


Entscheidung

788. BGH 5 StR 72/18 – Urteil vom 18. Juli 2018 (LG Bremen)

Gewichtung der Anlasstat bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Erheblichkeitsschwelle; Verbrechen; äußeres Erscheinungsbild; Wahrnehmung als lediglich harmlos oder belästigend; geringfügige Beeinträchtigung des Tatopfers); Gefährlichkeitsprognose; Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung wegen Zusammenhang zwischen Aussetzungsentscheidung und angestrebtem Maßregelausspruch.

§ 63 StGB; § 344 StPO

Die Erheblichkeit der Anlasstat kann sich ohne Weiteres bereits aus dem Deliktstypus ergeben, so dass die Erheblichkeitsschwelle bei Verwirklichung eines Verbrechenstatbestandes regelmäßig überschritten ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise etwa dann, wenn ein begangenes Verbrechen aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes von der Allgemeinheit als eher harmlos oder als nur belästigend wahrgenommen wird und überdies nur zu geringfügigen Beeinträchtigungen des Tatopfers geführt hat.


Entscheidung

895. BGH 4 StR 136/18 – Beschluss vom 14. August 2018 (LG Magdeburg)

Grundsätze der Strafzumessung (Versuch, sich durch Spurenbeseitigung der Strafverfolgung zu entziehen).

§ 46 StGB

Der Versuch, sich selbst (durch Spurenbeseitigung) der Strafverfolgung zu entziehen, ist zwar „als solcher“ kein zulässiger Strafschärfungsgrund. Anders ist es aber, wenn der Täter dadurch neues Unrecht schafft, also mit der Spurenbeseitigung eine weitere Straftat begeht.


Entscheidung

760. BGH 3 StR 26/18 – Beschluss vom 12. Juni 2018 (LG Hannover)

Gesamtschuldnerische Haftung von Mittätern bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen (faktische oder wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt; Anwesenheit am Tatort; dem Tatplan entsprechende gemeinschaftliche Tatausführung).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 73 StGB; § 73c StGB

Haben Mittäter einer Straftat unmittelbar aus der Tat etwas erlangt, so haften sie bei Einziehung des Wertes von Taterträgen als Gesamtschuldner, wenn sie in irgendeiner Phase des Tatablaufs, d. h. zumindest zeitweise bei oder nach der Tat, eine faktische oder wirtschaftliche (Mit-)Verfügungsgewalt innegehabt haben. Dies ist bei einer dem gemeinsamen Tatplan entsprechenden gemeinschaftlichen Tatausführung und beiderseitigen Anwesenheit am Tatort regelmäßig der Fall.


Entscheidung

885. BGH 2 StR 553/17 – Beschluss vom 18. Juli 2018 (LG Schwerin)

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Erlangung eines Vermögenswertes; Anforderungen bei mehreren Tatbeteiligten).

§ 73 Abs. 1 StGB

Ein Vermögenswert ist durch die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB, wenn er in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar aufgrund der Verwirklichung des Tatbestands in die eigene tatsächliche Verfügungsgewalt des Täters oder Teilnehmers übergegangen ist. Bei mehreren Tatbeteiligten genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische Mitverfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand erlangt haben; ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese Mitverfügungsgewalt später wieder aufgegeben bzw. der aus der Tat zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse wieder gemindert wird, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haften mehrere Tatbeteiligte, die an demselben Gegenstand Mitverfügungsgewalt erlangt haben, bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen als Gesamtschuldner, um ihnen einerseits den Wert des durch die Tat Erlangten zu entziehen, andererseits aber auch zu verhindern, dass dies mehrfach geschieht. Der Ausspruch über die Haftung als Gesamtschuldner ist bei der Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in den Urteilstenor aufzunehmen.


Entscheidung

774. BGH 3 StR 245/18 – Beschluss vom 24. Juli 2018 (LG Osnabrück)

Darstellungsmangel in den Urteilsgründen zum Gesamtstrafenbeschluss (fehlende Mitteilung der Rechtskraftdaten von Vorverurteilungen; frühere Verurteilung; letztmalige Prüfung der tatsächlichen Feststellungen; Berufung).

§ 55 Abs. 1 StGB

Nach § 55 Abs. 1 S. 2 StGB kommt es für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung auf dasjenige Urteil in dem früheren Verfahren an, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Das ist jede Entscheidung zur Schuld- und Straffrage, namentlich auch ein Berufungsurteil, wenn

wenigstens noch über einen Teil des Strafausspruchs zu befinden war.


Entscheidung

933. BGH 3 StR 104/18 – Beschluss vom 7. August 2018 (LG Osnabrück)

Regelmäßig keine parallele Anordnung von Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung (Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen; Festsetzung einer isolierten Sperrfrist; Erstreckung des Verbots auf fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge; Herausnahme von bestimmten Arten von Kraftfahrzeugen).

§ 44 StGB; § 69 StGB; § 69a StGB;

Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung bzw. Festsetzung einer isolierten Sperrfrist schließen einander regelmäßig aus. Denn das Fahrverbot nach § 44 StGB setzt voraus, dass sich der Täter gerade nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 StGB erwiesen hat. Deshalb kommt ein Fahrverbot neben einer Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Festsetzung einer isolierten Sperrfrist nur in Betracht, wenn das Gericht dem Täter auch das Fahren mit gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 FeV fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen verbieten oder nach § 69a Abs. 2 StGB bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen will.