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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2018
19. Jahrgang
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Von Richterin am Landgericht Dr. Mirja Feldmann, BMJV Berlin
Bei Strafverfahren besteht das – in letzter Zeit häufiger in den Medien präsente – Problem, dass Prozesse nach einer Vielzahl von Verhandlungstagen und Entstehung von Verfahrenskosten in Millionenhöhe "platzen", d. h. ausgesetzt werden müssen, weil ein Mitglied des Spruchkörpers dauerhaft (Tod, Ruhestand) oder für längere – die Unterbrechungsfristen gem. § 229 StPO überschreitende – Zeit ausfällt. Ein prominentes Beispiel hierfür war der Prozess um das "Aktionsbüro Mittelrhein" vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz[1], der seit August 2012 gegen ursprünglich 23 Angeklagte mit 52 Verteidigern stattgefunden hatte und nach knapp 5 Jahren Verhandlungsdauer schließlich im Mai 2017 wegen Eintritt des Vorsitzenden in den Ruhestand zum Platzen verdammt war.[2] Der mit Blick auf die voraussichtliche längere Dauer ausnahmsweise hinzugezogene Ergänzungsrichter war bereits Anfang 2014 an die Stelle eines wegen Erreichung der Altersgrenze ausgeschiedenen Richters getreten und somit "aufgebraucht". Bekanntheit erlangte auch ein – von äußerst aufwändigen (Gebäude-)Schutzmaßnahmen begleiteter –- Betäubungsmittel-Prozess gegen 11 Angeklagte mit insgesamt 23 Verteidigern am Landgericht Mannheim, bei dem der Vorsitzende Richter nach 66 Verhandlungstagen so langfristig krank wurde, dass auch die besonderen bei Krankheit vorgesehenen Unterbrechungsfristen gem. § 229 Abs. 3 S 1 StPO nicht mehr ausreichten.[3] Die Aufzählung könnte um eine Reihe von Prozessen, die nicht so viel mediales Aufsehen erregt, aber ebenso missliche Konsequenzen zur Folge hatten, ergänzt werden.
Für große Unruhe vor allem an den Gerichten sorgte darüber hinaus das Urteil des 2. Strafsenats des BGH vom 7.11.2016 – 2 StR 9/15[4], wonach der nachgeburtliche Mutterschutz einer Richterin an einem hessischen Landgericht zu einem absoluten Dienstleistungsverbot führe. Finde eine Hauptverhandlung unter Mitwirkung einer Richterin statt, für die dieses Verbot gelte, sei das Gericht gesetzeswidrig besetzt und damit der absolute Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 1 StPO mit der Folge der Aufhebung des Urteils gegeben. Richtigerweise hätte – zumal das Gericht die Richtigkeit seiner Besetzung von Amts wegen zu prüfen hat[5] – auch in diesem Fall trotz faktischer Möglichkeit der Richterin, weiter an der Verhandlung mitzuwirken, wegen des Eintritts eines Verhinderungsfalls aus rechtlichen Gründen der Prozess spätestens mit Beginn des absoluten Beschäftigungsverbotes ausgesetzt und in der Folge neu begonnen werden müssen.
Zu den Verhinderungsfällen, in denen – wie bei Tod oder Krankheit – schon eine faktische Mitwirkungsmöglichkeit nicht mehr gegeben und die Aussetzung mit anschließender Neuverhandlung offensichtlich die einzige Option ist, gesellen sich – wie die Entscheidung des 2. Senats schmerzlich vor Augen geführt hat – diverse Fallkonstellationen, in denen trotz faktischer Mitwirkungsmöglichkeit in rechtlicher Hinsicht ein Mitwirkungshindernis besteht, so dass ebenfalls – wegen sonst gegebenem Besetzungsfehler – nur die Aussetzung des Verfahrens verbleibt. Um die tatsächliche Tragweite des Problems auszuloten, soll zunächst untersucht werden, welche Situationen dies sind.
Tritt ein Richter wegen Erreichens der Altersgrenze (§ 48 Abs. 1, 2 DRiG für Bundesrichter) in den Ruhestand, ist das Richterverhältnis beendet. Er darf nicht mehr am
Verfahren mitwirken, so dass bei weiterer Teilnahme an der Verhandlung ein Besetzungsfehler die Folge wäre.[6] Das Gleiche gilt bei sonstigen Gründen der Beendigung des Richterverhältnisses wie Entlassung gem. §§ 21-23 DRiG, Beendigung des Dienstverhältnisses durch richterliche Entscheidung, Versetzungen gem. § 31 DRiG usw.
Für den Fall des nachgeburtlichen absoluten Beschäftigungsverbotes hat der 2. Strafsenat des BGH, wie dargestellt, entschieden, dass eine dennoch durchgeführte Hauptverhandlung unter Mitwirkung der Richterin, für die das absolute Dienstleistungsverbot gilt, einen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters bedeutet und damit die Besetzungsrüge gem. § 338 Nr. 1 StPO begründet.[7]
Zu beachten ist allerdings, dass das in der Entscheidung herangezogene absolute Dienstleistungsverbot nicht in gleicher Weise für alle Richterinnen im Bundes- bzw. Landesdienst gilt. Denn der Mutterschutz ist in den einschlägigen Verordnungen nicht völlig einheitlich geregelt[8]: Zumeist besteht ein achtwöchiges bzw. bei bestimmten Geburten (Mehrlings-, Frühgeburt) zwölfwöchiges absolutes Beschäftigungsverbot, das sich bei Frühgeburten noch um die nicht in Anspruch genommene Zeit des vorgeburtlichen Mutterschutzes verlängert und daher im Extremfall 18 Wochen betragen kann[9]. Bei Behinderung des Kindes ist das Beschäftigungsverbot nur auf Antrag über 8 Wochen hinaus auf 12 Wochen verlängerbar und daher nur partiell absolut.[10] In Baden-Württemberg kann die Richterin, soweit nicht der absolut zwingende Bereich tangiert ist, den die einschlägige RL 92/85//EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 in Art. 8 Abs. 2 auf 2 Wochen nach Entbindung beschränkt, auf den Schutz verzichten und auf ihr ausdrückliches Verlangen wieder beschäftigt werden[11].
Insoweit gilt nur ein relatives Beschäftigungsverbot, denn die Schwangere kann gem. § 3 Abs. 1 S. 1 MuSchG, auf den etwa § 1 HMuSchEltZVO und § 1 Abs. 1 Nr. 2 MuSchEltZV (Bund) verweisen, beschäftigt werden, wenn sie sich ausdrücklich dazu bereit erklärt. Bei freiwilligem Einsatz der Richterin liegt damit kein Besetzungsfehler des Gerichts vor.
Über die Zulässigkeit der freiwilligen Mitwirkung in Elternzeit befindlicher Richter(innen) an der Hauptverhandlung ist bisher, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden. Grundsätzlich dürfte der Fall hinsichtlich der Frage der Richtigkeit der Besetzung des Gerichts gleich zu behandeln sein wie die Unterbrechung von privatem Urlaub oder dienstlich bedingtem Sonderurlaub, um an einem Fortsetzungstermin zur Wahrung der Unterbrechungsfristen teilnehmen zu können. In diesen Fällen liegt kein Besetzungsfehler vor. Zu unterscheiden davon ist die Frage, ob ein in Elternzeit befindlicher Richter zu einer Teilnahme gezwungen werden kann. Dies ist ausgeschlossen[12], zumal es den Sinn und Zweck der Elternzeit konterkarieren würde.
Bei längerer Krankheit ist trotz sonstiger Abwesenheit ein Erscheinen in der Verhandlung bzw. eine Verlagerung derselben ans Krankenbett grundsätzlich als Möglichkeit zur Vermeidung des Platzen eines Prozesses anerkannt; vor der Erstreckung des Hemmungstatbestandes gem. § 229 Abs. 3 StPO auch auf erkrankte Richter durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004 wurde dies auch in größerem Umfang praktiziert.[13]
Reichen die Hemmungs- bzw. Unterbrechungsmöglichkeiten[14] nicht aus, bietet diese Lösung daher noch immer in einigen Fällen einen das Verfahren rettenden Ausweg; dies gilt natürlich nicht, wenn der Krankheitszustand ein Verhandeln nicht zulässt[15] oder Zweifel an der Fähigkeit, der Verhandlung zu folgen, begründet.
Selbstverständlich zur Unzulässigkeit weiterer Mitwirkung und einer fehlerhaften Besetzung führt ein erfolgreicher Befangenheitsantrag, vgl. § 338 Nr. 3 StPO. Eine faktische weitere Mitwirkung dürfte in diesen Fällen freilich kaum vorkommen.
In der Praxis stellen damit neben Tod und zu Verhandlungsunfähigkeit führender langfristiger Krankheit vor allem das Eintreten in den Ruhestand und – zumal bei steigendem Anteil weiblicher Richter – die Zeit des nachgeburtlichen Mutterschutzes die Hauptproblemfälle dar, die zu einer Aussetzung des Verfahrens zwingen.
De lege lata liegt die einzige Möglichkeit zur Lösung dieses Problems im Hinzuziehen von Ergänzungsrichtern und Ergänzungsschöffen[16]. Doch selbst dies ist im Extremfall – wie das Beispiel aus Koblenz zeigt – keine "nachhaltige" Lösung. Abgesehen davon, dass die Tätigkeit eines Ergänzungsrichters, der zwar grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten wie die aktiven Kammermitglieder hat, aber vor Eintritt des Verhinderungsfalles nicht an Beratungen und Entscheidungen teilnehmen darf[17], durch die betroffenen Richter als eher unbefriedigend empfunden wird, ist der Einsatz schon eines Ergänzungsrichters derzeit die absolute Ausnahme; fast unmöglich ist es unter Ressourcengesichtspunkten, gleich mehrere einzusetzen. Demgegenüber erfolgt der Einsatz eines Ergänzungsschöffen bei einigen großen Wirtschaftsstrafkammern regelmäßig, selbst die Hinzuziehung von mehr als einem kommt in Ausnahmefällen vor. Auch dies ist allerdings mit erheblichen Kosten (Entschädigung) und für die Betroffenen mit großen persönlichen (ggf. auch wirtschaftlichen) Belastungen verbunden.
Da der Einsatz von Ergänzungsrichtern nur in äußerst geringem Umfang möglich und auf Fälle beschränkt ist, in denen eine besondere Verfahrenslänge und/oder die konkrete Gefahr des Ausfalls eines Mitglieds der Richterbank z. B. wegen nahenden Ruhestands oder bei bereits bekannter Schwangerschaft besteht, wird speziell mit Blick auf die – durch die Entscheidung des 2. Senats ins Bewusstsein gerückte – Mutterschutzproblematik befürchtet, dass die Praxis andere, nicht personalintensive Lösungen zur Vermeidung des Platzens von Prozessen suchen wird. Insbesondere sei zu besorgen, dass künftig Richterinnen im gebärfähigen Alter in Strafkammern, insbesondere solchen, wo lange Prozesse die Regel sind (Bsp. Wirtschaftsstrafkammern) nicht mehr eingesetzt werden[18]. Sollte sich dies bewahrheiten, droht vor dem Hintergrund, dass ein Wechsel vom Amtsgericht zum Landgericht bzw. von Zivil- zu Strafsachen in vielen Bundesländern zumindest faktisch nur bis zu einem gewissen, deutlich früheren Zeitpunkt als dem Ende der (angesichts medizinischer Möglichkeiten und veränderter Lebensentwürfe heute enorm langen!) Phase der Gebärfähigkeit möglich und – zumal angesichts eines (zunehmend anerkannten) Bedürfnisses nach höherer Spezialisierung der Richterschaft – wünschenswert ist, sogar ein Totalausschluss von Frauen aus diesem Bereich. Derartiges wäre nicht nur für die Frauen untragbar, deren Berufswunsch gerade der einer Richterin in Strafsachen (am LG oder OLG) ist, sondern auch wegen der damit verbundenen negativen Auswirkungen nach innen – Verlust der Vorzüge von Mixed Teams – und vor allem nach außen: Eine rein oder überwiegend männliche Besetzung der Strafkammern und -senate wäre ein historischer Rückschritt und in vielen Bereichen (Jugendschutz, Sexualdelikte) der Bevölkerung überhaupt nicht vermittelbar.
Der 2. bundesweite Strafkammertag hatte im September 2017 in seiner sog. "Grünen Liste" die "Erweiterung der Unterbrechungsmöglichkeit des § 229 Abs. 3 StPO um Zeiten von mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten für Richterinnen und Schöffinnen" gefordert, flankiert von einer allgemeinen Verlängerung der Unterbrechungsfristen nach § 229 Abs. 1 und 2 StPO auf einen Monat bzw. 6 Wochen. Kurz darauf hat die Justizministerkonferenz im November 2017 mit Blick auf die Entscheidung des 2. Senats mit einstimmigem Beschluss "den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz" gebeten, "zu prüfen, welche gesetzgeberischen Maßnahmen geboten sind – etwa durch Ausweitung des § 229 StPO –, um eine Fortführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen."[19]
Obgleich der Bereich des Mutterschutzes angesichts eines stetigen Anstiegs des Anteils weiblicher Richter und der dargestellten Befürchtungen für deren Einsatz an LGen und OLGen das vordringlich zu lösende Problemfeld darstellen dürfte, erscheint es empfehlenswert, sich bei einer gesetzgeberischen Lösung nicht auf diesen (engen) Bereich zu beschränken. Vielmehr sollten auch andere praxisrelevante Konstellationen in den Blick genommen werden, wozu vor allem der mittels Ausweitung der Unterbrechungsmöglichkeiten nicht lösbare Fall der Kombination von Mutterschutz und Elternzeit zählt. Ganz allgemein erscheinen die Lösungsmöglichkeiten, die das geltende Recht für eintretende Verhinderungsfälle bietet, unzureichend.
Im Folgenden wird ein mehrstufiges Lösungskonzept entworfen. Vor dem Hintergrund, dass vor allem für die Fälle des Mutterschutzes eine baldige Lösung gefordert wird, während für langfristige Verhinderungen geeignete Lösungen nicht ohne tiefere Eingriffe in das bestehende System möglich sind, soll der Lösungsansatz so entwi-
ckelt werden, dass der insbesondere zur Lösung der Probleme um den Mutterschutz konzipierte Teil (zunächst) auch isoliert umgesetzt werden könnte.
Eine Lösung mittels bloßer Erweiterung des § 229 StPO, wie sie etwa der Strafkammertag befürwortet, kann von vorneherein lediglich Fälle nur kürzerer vorübergehender Verhinderung des betroffenen Richters erfassen; nicht geeignet ist sie bei endgültiger Verhinderung (zB Tod, Eintritt in den Ruhestand, Befangenheit), aber auch bei langfristiger (vorübergehender) Verhinderung (zB Mutterschutz mit anschließender Elternzeit; isolierte lange Elternzeit; lange Krankheit) wegen Unvereinbarkeit mit dem Beschleunigungsgrundsatz.
Ein auf der Hand liegender Vorteil dieser Lösung ist, dass die Weiterverhandlung und damit auch die Nutzung der bisherigen Prozess-Ergebnisse gewährleistet werden kann.
Allerdings wird mit einer Verlängerung der Unterbrechungsfristen bzw. Einführung neuer Hemmungstatbestände die Konzentrationsmaxime weiter aufgeweicht. Sie wird traditionell dahingehend verstanden, dass sich Beratung und Entscheidung nach dem Inbegriff der Hauptverhandlung unter dem frischen Eindruck des Prozessverlaufs vollziehen sollen. Da derzeit keine inhaltliche Dokumentation der Beweisaufnahme gewährleistet ist, können diese Grundsätze ihre ihnen zugedachte Wirkung nur entfalten, wenn das Prozessgeschehen noch in der Erinnerung der Richter haftet. Dem entspreche idealtypisch eine umfangmäßig überschaubare, möglichst in einem Zuge durchgeführte Verhandlung.[21] Schon die mit dem JustizmodernisierungsG v. 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) eingeführte Verlängerung der Unterbrechungsfrist auf 3 Wochen stand daher in der Kritik.[22]
Zwar scheint eine Verlängerung der Fristen gem. § 229 StPO auf den ersten Blick mit dem Beschleunigungsgrundsatz zu konfligieren. Insoweit ist aber zu bedenken, dass es alles andere als sicher ist, dass eine – derzeit die einzige Alternative darstellende – Aussetzung mit Neubeginn der schnellere Weg ist. Denn erstens kann gerade bei schon lange dauernden umfangreichen Prozessen die Grund-Organisation einer "Neuauflage" erhebliche Zeit beanspruchen: So müssen neue Termine mit gefragten Sachverständigen und mit häufig "ausgebuchten" Verteidigern gefunden werden, eine Situation, die sich bei einer Vielzahl von Angeklagten verschärft; relativ kurzfristig müssen neue Schöffen bestimmt werden, ein passender Sitzungssaal frei sein, bereits eingeplante Urlaubszeiten berücksichtigt werden.
Zweitens verliert man bei einem Neubeginn naturgemäß dadurch viel Zeit, dass die Beweisaufnahme mit den ihr innewohnenden organisatorischen Schwierigkeiten (erneute Ladung von Zeugen, insb. Auslandszeugen, Terminierung von Videokonferenzen mit dem Ausland; Organisation von Sicherheitsmaßnahmen) wiederholt werden muss. Im Ergebnis bedeutet dies: Auch Aussetzung und Neubeginn stehen in der Gesamtschau mit dem Beschleunigungsgrundsatz in Konflikt, ganz abgesehen von Schwierigkeiten, die gerade aus der Wiederholung herrühren, etwa wenn Zeugen aus keine Rechtshilfe leistenden Ländern angesichts der Erfahrungen in der "1. Auflage" nicht mehr erscheinen wollen.
Vorgesehen werden könnten neue Hemmungstatbestände in Anlehnung an § 229 Abs. 3 StPO, da sie flexiblere Reaktionen auf unerwartete oder in Bezug auf den genauen zeitlichen Eintritt nicht sicher prognostizierbare Ereignisse (zB früher als erwartete Geburt) ermöglichen als eine (techn.) Unterbrechung.
aaa) Absolute Schutzfristen
Die Hemmung sollte wegen des damit verbundenen Dienstleistungsverbotes jedenfalls den Zeitraum des absoluten Mutterschutzes abdecken. Da die Schutzfrist je nach den Umständen (Früh-, Mehrlingsgeburt etc.), zT zudem je nach anwendbarem Landesrecht variiert (s. o.), müsste in einer StPO-Regelung abstrakt auf die Dauer des nachgeburtlichen Mutterschutzes abgestellt werden; eine Anknüpfung an eine bestimmte Zahl von Wochen – zB 8 Wochen – wäre in vielen Fällen nicht zielführend. Eine solche Lösung kann im Einzelfall zu sehr langen Unterbrechungen des Verfahrens führen.
bbb) Zusätzliche Erfassung der Zeiten der Inanspruchnahme von nicht absolutem, insbesondere vorgeburtlichem Mutterschutz
Knüpft man eine Hemmung lediglich an die absoluten Beschäftigungsverbote, entsteht das Problem, dass die Inanspruchnahme vorgeburtlichen Mutterschutzes wegen dessen Verzichtbarkeit nicht davon umfasst ist, dieser aber – je nach Länge – nicht durch die sonstigen gesetzlichen Unterbrechungsmöglichkeiten abgedeckt ist, es sei denn die Schwangere wäre darüber hinaus arbeitsunfähig krank. In diesem Fall griffe die Hemmung gem. § 229 Abs. 3 StPO ein. Selbst dann könnte aber – zumindest ohne gesonderte gesetzliche Regelung – nicht einfach ein neuer Hemmungstatbestand an die Hemmung gem. § 229 Abs. 3 StPO anschließen, mit der Folge, dass die
Schwangere vor der Entbindung nochmals zur Verhandlung erscheinen müsste.
Gegen die Berücksichtigung auch der Inanspruchnahme vorgeburtlichen Mutterschutzes spricht zwar, dass noch längere Verfahrensunterbrechungen entstehen würden: So würde sich etwa die Dauer der Hemmung auch für den Normalfall auf +/-[23] 14 Wochen, bei Mehrlingsgeburten auf +/- 18 Wochen erhöhen. Allerdings streiten dennoch überwiegende Gründe für die Berücksichtigung: Zum einen entstünde bei Nichterfassung ein faktischer Druck auf werdende Mütter, selbst in der Spätphase der Schwangerschaft zur Rettung des Prozesses in der Verhandlung zu erscheinen. Zum anderen ergäben sich Wertungswidersprüche zu dem Fall, dass – wie bei Frühgeburten – der nachgeburtliche faktisch den vorgeburtlichen Mutterschutz mit erfasst (vgl. § 3 Abs. 2 S. 3 MuSchG) und es zu zulässigen Unterbrechungen von 18 Wochen kommen könnte, während man dies bei einer Kombination von vor- und nachgeburtlichem Mutterschutz als zu lang ansähe, obgleich bei einer Normalgeburt selbst bei voller Ausschöpfung des vorgeburtlichen Mutterschutzes die Unterbrechung nur insgesamt ca. 14 Wochen betrüge und damit kürzer als die absolute Schutzfrist bei Frühgeburten wäre.
Im Ergebnis sollte daher ein eventuell zu schaffender Hemmungstatbestand nicht bloß an den absoluten, sondern generell an den (tatsächlich in Anspruch genommenen) Mutterschutz anknüpfen. Dies löst gleichzeitig das bei reiner Anknüpfung an absolute Schutzfristen entstehende Problem, dass auch der nachgeburtliche Mutterschutz teilweise verzichtbar ist.[24]
Bei Nichtinanspruchnahme vorgeburtlichen Mutterschutzes sollte als Beginn der Hemmung (zur Vermeidung von Friktionen mit den Unterbrechungsfristen) der voraussichtliche Tag der Entbindung, wie er sich aus dem ärztlichen Zeugnis oder dem Zeugnis einer Hebamme oder eines Entbindungspflegers ergibt (vgl. § 3 MuSchG), festgelegt werden; im Falle vorzeitiger Entbindung dieser Tag. Entbindet die Frau später als im Zeugnis prognostiziert, so ist dies für den Beginn der Hemmung irrelevant, ihre Dauer müsste sich aber um die Zeit zwischen voraussichtlichem und tatsächlichem Entbindungstermin verlängern, da ein Verhandeln in einem Stadium, in dem jeden Moment mit der Geburt zu rechnen ist, unzumutbar ist. Bei (teilweiser) Inanspruchnahme vorgeburtlichen Mutterschutzes sollte die Hemmung mit Beginn der Schutzfrist bzw. dem Widerruf der Bereitschaft zur Dienstleistung ausgelöst werden.
§ 229 Abs. 3a nF:
Bekommt eine erkennende Richterin ein Kind, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen während der Dauer des nachgeburtlichen Mutterschutzes gehemmt. Diese Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Die Hemmung beginnt mit dem voraussichtlichen Tag der Entbindung, wie er sich aus dem ärztlichen Zeugnis oder dem Zeugnis einer Hebamme oder eines Entbindungspflegers ergibt, bei vorzeitiger Entbindung mit diesem Tag. Entbindet die Frau zu einem späteren als dem in S. 3, 1. HS genannten Zeitpunkt, verlängert sich die Dauer der Hemmung um die Zeit zwischen diesem Zeitpunkt und der tatsächlichen Entbindung.
Erklärt sich die Richterin für die Zeit des vorgeburtlichen Mutterschutzes nicht zur Dienstleistung bereit oder widerruft sie ihre zunächst erklärte Bereitschaft nach dessen Beginn, so beginnt die Hemmung bereits mit dem Einsetzen des vorgeburtlichen Mutterschutzes.
Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.
Nur angeschnitten, aber nicht vertieft werden kann aus Raumgründen die Frage , ob es über den Mutterschutz hinaus weitere Fälle bloß vorübergehender Verhinderung gibt, in denen ein neuer Unterbrechungs- oder Hemmungstatbestand eröffnet werden sollte. Unter familienpolitischen Gesichtspunkten sinnvoll wäre dies vor allem für – insbesondere von Vätern in Anspruch genommene und auch für den Wiedereinstieg der Mutter in den Beruf bedeutende – kürzere Elternzeiten. Überlegenswert wäre dies auch für kürzere dienstlich bedingte Auslandsaufenthalte (z. B. Richterhospitationen). Die zulässige Höchstdauer könnte hier allerdings stärker beschränkt werden; eine den bis zu 18 Wochen langen Mutterschutzfristen entsprechende Ausdehnung wäre nicht geboten. Denn abgesehen davon, dass auch beim Mutterschutz häufig (bei Bereitschaft und Vermögen der Schwangeren vor der Geburt weiter zu arbeiten und Geburt nur eines Kindes) eine achtwöchige (nachgeburtliche) Hemmung ausreichen dürfte, lässt sich die Gewährung längerer Fristen dort mit der Nichtplanbarkeit der auslösenden Ereignisse und den durch sie bedingten Beeinträchtigungen der Betroffenen sowie dem Interesse der Gesellschaft an Nachwuchs und Vereinbarkeit von Beruf und Familie rechtfertigen.
Das Problem des Mutterschutzes wäre mit der Einführung entsprechender neuer Hemmungstatbestände gelöst. Keine Lösung bieten diese jedoch – was in der Diskussion gerne ausgeblendet wird – für Situationen, in denen sich an den Mutterschutz Elternzeit anschließt.
Da endgültige Verhinderungen von erkennenden Richtern –- etwa durch Tod, (frühzeitigen) Eintritt in den Ruhestand, Dienstunfähigkeit, Ausscheiden aus dem Richterverhältnis, aber auch erfolgreiche Ablehnung wegen Befangenheit – aus tatsächlichen oder aber rechtlichen Gründen nicht durch eine bloße Hemmung oder Unterbrechung zu bewältigen sind, bedarf es für diese einer anderen Lösung, möchte man ein Platzen des Prozesses vermeiden.
Gleiches gilt für vorübergehende Verhinderungen von solcher Dauer, die mit dem Beschleunigungsgrundsatz von vorneherein nicht mehr vereinbar ist, wie etwa bei langer Krankheit, die mit der derzeitigen (oder einer modifizierten) Hemmungsmöglichkeit nicht aufgefangen werden kann; längerer Elternzeit bzw. – und dies ist ein wichtiger Fall –- Elternzeit im Anschluss an die Mutterschutzfrist.
Zur Lösung dieser Fälle kommt – sieht man von der zu verwerfenden Möglichkeit eines Weiterverhandelns in geringerer Besetzung ("nachträglich eintretende Besetzungsreduktion") ab (dazu sogleich) – nur die Einführung der Möglichkeit eines Richterwechsels in Betracht.
Abzulehnen ist diese Lösung nicht wegen Verstoßes gegen diverse Vorschriften zur Besetzung (insb. § 76 GVG), die geändert werden könnten, so dass auch kein Problem mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter bestünde, sondern weil nicht unbegrenzt viele Reduktionen der Besetzung zugelassen werden könnten und in bestimmten Fällen eine bestimmte Funktion nicht mehr vertreten wäre (zB Vorsitzender, Schöffen), was in die Grundausgestaltung ("Laienbeteiligung), aber ggf. auch die Qualitätssicherung (etwa durch erfahrene Vorsitzende) eingriffe.
Die mit der eben durchgespielten "Lösung" über eine Besetzungsreduktion einhergehenden Probleme könnten vermieden werden, wenn man den verhinderten Richter durch einen anderen ersetzen würde; diesen neuen Lösungsansatz präsentierte das BMJV erstmals auf dem 2. bundesweiten Strafkammertag im September 2017[25].
aaa) § 226 – Einheitlichkeit der Hauptverhandlung
Wegen der einfachgesetzlichen Regelung des § 226 StPO ist ein Richteraustausch derzeit nur in der Form möglich, dass ein Ergänzungsrichter bzw. –schöffe (§ 192 Abs. 2 und 3 GVG) in das Verfahren eintritt, der die gesamte Hauptverhandlung von Anfang an verfolgt hat. Da es sich bei § 226 StPO lediglich um eine einfachgesetzliche Regelung handelt, erscheint deren zur Eröffnung der Möglichkeit eines Richteraustauschs notwendige Modifikation zunächst als nicht besonders problematisch. Nicht außer Acht gelassen werden darf aber, dass § 226 StPO im Zusammenhang mit weiteren strafprozessualen Grundsätzen steht:
bbb) Zusammenhang mit der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit
Die Motive zur StPO bringen diese Norm (ursprünglich § 189) mit den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit in Verbindung: "Die ununterbrochene Gegenwart der zur Urtheilsfindung berufenen Personen, also der Richter und Schöffen, ist in einem auf dem Grundsatze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit beruhenden Verfahren unerlässlich und darum als ausnahmslose Regel anerkannt."[26]
(1) Mündlichkeit
Der Grundsatz der Mündlichkeit, der vor allem aus §§ 261, 264 StPO hergeleitet wird, hat mehrere Bedeutungen. Formal verlangt er lediglich, dass der der Urteilsfindung dienende Verfahrensstoff mündlich ausgebreitet wird[27]. Darüber hinaus steht er – auch historisch – in engem Zusammenhang mit der Öffentlichkeit; eine schriftliche Verhandlung kann – jedenfalls nach traditioneller Vorstellung[28] – nicht öffentlich kontrolliert werden. Dieser Aspekt wird auch in der Rspr. des EGMR betont, wonach das Recht auf eine öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK ein Recht auf eine mündliche Verhandlung nach sich zieht, es sei denn es liegen außergewöhnliche Umstände vor, die ein Absehen hiervon rechtfertigen[29]. Insofern dient die Mündlichkeit also der Transparenz iS der Verfolgbarkeit des Geschehens für Dritte. Beide Aspekte – mündliche Ausbreitung des Stoffes wie damit erreichte Transparenz – werden durch einen Richterwechsel nicht beeinträchtigt.
(2) Unmittelbarkeit
Die Mündlichkeit steht traditionell aber auch im Zusammenhang mit der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung,[30] d. h., dass sich die Verhandlung unmittelbar vor dem erkennenden Gericht abspielen muss. Dabei geht es um die sog. formelle Unmittelbarkeit oder Unmittelbarkeit der Beweiserhebung[31]. Sie verlangt, dass die Beweise vom Gericht selbst, nicht (auch dies kam historisch vor) einem Dritten erhoben werden müssen, denn dieses muss aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung seine Entscheidung über das Beweisergebnis im Wege der freien Überzeugung treffen, § 261 StPO.[32][33]
(a) Zusammenhang des Unmittelbarkeitsprinzips mit der Unzulässigkeit eines Richterwechsels
Aus dem formellen Unmittelbarkeitsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der freien aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Beweiswürdigung gem. § 261 StPO wird nun gefolgert, dass ein Richterwechsel bei einer einheitlichen Hauptverhandlung nicht zulässig
sei.[34] Diese Aussage ist allerdings schon insofern ungenau formuliert, als ein Eintritt eines Ergänzungsrichters/-schöffen durchaus möglich ist und dieser Eintritt auch einen Wechsel auf der Richterbank darstellt, nämlich auf der Bank der Entscheider; denn der Ergänzungsrichter durfte bis zu seinem Eintritt nicht mitentscheiden.
Der Eintritt als Ergänzungsrichter war von Anfang an als zulässig erachtet worden, vgl. § 194 GVG (1879); § 216 GVG-E (1876) bzw. § 158 GVG-E (1874).[35] Im Gegensatz zur heute vertretenen Auffassung, wonach der Ergänzungsrichter oder –schöffe auch berechtigt ist, Fragen zu stellen, sollte er nach den Motiven zum GVG nur zuhören, nicht jedoch in die Verhandlung eingreifen oder an den Beschlüssen teilnehmen dürfen.[36]
Präziser gefasst, wird damit letztlich nur der Eintritt eines "neuen" Richters, der bis dahin nicht durchgängig in der Hauptverhandlung anwesend war, für ausgeschlossen gehalten.
(b) Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz in diesem Sinne
Zu konstatieren ist allerdings auch, dass die StPO selbst von Anfang an mit den §§ 223, 225 StPO[37], die eine Vernehmung bzw. einen Augenschein durch beauftragte oder ersuchte Richter zulassen, Ausnahmen vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung vorgesehen hat. Das Protokoll wird dann in der Hauptverhandlung verlesen und der Beweis ist somit (unmittelbar) eingeführt. Die Vernehmung wird teilweise sogar als Teil der Hauptverhandlung erachtet.[38]
(c) Konkrete Ausgestaltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im geltenden Recht
Betrachtet man also die bisherige Ausgestaltung des formellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes und seiner Ausnahmen, lässt sich herausarbeiten, dass entscheidend ist, dass der letztlich (mit-)entscheidende Richter die Beweisaufnahme grundsätzlich vollumfänglich miterlebt haben sollte. Dass er an allen Zwischenentscheidungen mitgewirkt hat, ist hingegen nicht notwendig; denn gerade dies ist beim hiervon ausgeschlossenen Ergänzungsschöffen und –richter nicht der Fall. Auch ist nicht zwingend erforderlich, dass er die Möglichkeit hatte, alle Fragen zu stellen, die ihm einfallen. Während dies beim Ergänzungsrichter und –schöffen nach moderner Auffassung theoretisch zwar zulässig ist, macht insbesondere § 223 hiervon eine Ausnahme, wenn etwa zwar ein Fragenkatalog übersandt wird, Nachfragen durch den Beauftragenden/Ersuchenden aber gerade (etwa auf Grund der Vorschriften des ausländischen Rechts) nicht möglich sind. Selbst dann wenn die Anwesenheit von Mitgliedern der Kammer bei der Vernehmung gestattet ist, ist es nicht zwingend, dass alle Mitglieder der Kammer der Vernehmung beiwohnen. Insoweit begeben die nicht anwesenden sich dann ihres Fragerechts; iÜ bestehen die Fragemöglichkeiten je nach dem, nach welchem Recht sich die Vernehmung richtet, auch nur sehr eingeschränkt.[39]
aaa) Prämisse – möglichst weitgehende Systemtreue
Unabhängig davon, ob und inwieweit ein völliger Systemwechsel verfassungsrechtlich und aus Sicht der EMRK zulässig wäre[40], erscheint es vorzugswürdig, zur Lösung des Problems der dauerhaften Verhinderungen de lege ferenda eine Konzeption des Richterwechsels zu wählen, die es ermöglicht, den Unmittelbarkeitsgrundsatz als Grundlage der freien aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Beweiswürdigung im Kern aufrechtzuerhalten und sich so im Wesentlichen im Rahmen des Gebäudes der Verfahrensmaximen des reformierten Strafprozesses zu bewegen, diese Maximen aber unter Rekurs auf moderne Mittel der Technik in angemessener Weise zu flexibilisieren und modern zu interpretieren.
bbb) Anforderungen
Vor diesem Hintergrund sollten folgende Anforderungen an einen Richterwechsel gestellt werden:
Damit der nach einer endgültigen oder dauerhaften Verhinderung eines der erkennenden Richter eintretende neue Richter (Austauschrichter)[41] seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpfen kann, ohne dass im Grundsatz eine erneute Beweisaufnahme notwendig wird, ist es erforderlich, dass er
1. die gesamte vor seinem Eintritt durchgeführte Hauptverhandlung inhaltlich nachverfolgen kann und
2. bis zum Zeitpunkt seines Eintritts in die Lage versetzt wird, an ihr sodann mit gleichem Wissensstand teilzunehmen.
aaa) Erfüllung der Anforderung Nr. 1 –- Nachverfolgung der Hauptverhandlung
Um Anforderung Nr. 1 Genüge zu tun, bedarf es einer Möglichkeit, den Richter möglichst umfassend über das bisherige Geschehen zu informieren. Am Landgericht oder Oberlandesgericht[42] wäre insoweit entweder an die standardmäßige Einführung eines Wortprotokolls, einer
Ton- oder Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung zu denken. Will man das um die Verfahrensmaximen des reformierten Strafprozesses konstruierte Gebäude des Strafverfahrens nicht in seinen Grundlagen völlig erschüttern, sollte die Methode, mit der der neu eintretende Richter sich über den bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung informiert, einer unmittelbaren Teilnahme möglichst nahekommen. Insoweit gibt die Rechtsprechung des BGH zur Mitwirkung eines blinden Richters als Vorsitzender in einem Strafverfahren einen wichtigen Hinweis, wenn dort betont wird, dass dessen Mitwirkung in einer tatrichterlichen Hauptverhandlung den Grundsatz der Unmittelbarkeit berühre, da § 261 StPO verlange, dass das Gericht seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Verhandlung schöpft. Hierzu gehörten nicht nur die zwischen den Verfahrensbeteiligten gesprochenen Worte; vielmehr seien auch visuelle Eindrücke – auch von der Haltung und den Reaktionsweisen der Prozessbeteiligten, vor allem des Angeklagten – von maßgebender Bedeutung.[43] Wegen dieser hohen Relevanz auch visueller Eindrücke insbesondere bei Vernehmungen erscheint die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung die Methode, die den Mangel direkter Anwesenheit des eintretenden Richters in der bisherigen Hauptverhandlung am besten zu kompensieren vermag. Dem Wortprotokoll ist sie zudem schon deswegen überlegen, weil dort nicht einmal die Intonation eingefangen wird; der reinen Tonübertragung, weil dort Schwierigkeiten der Identifizierung der Sprecher entstehen können.
Wählte man die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung als Tool, um nachträglich die Unmittelbarkeit herzustellen, so sollte auch ihre konkrete Ausgestaltung so vorgenommen werden, dass dieser Zweck möglichst gut erfüllt wird:
bbb) Konkrete Ausgestaltung der audiovisuellen Aufzeichnung
(1) Gegenstand der Aufnahme
Mit ihr sollte die gesamte ((nicht-)öffentliche) Verhandlung, insbesondere die Beweisaufnahme in Ton und Bild dokumentiert werden.
Eine Beschränkung auf die Aufzeichnung der Aussagen von Angeklagten, Zeugen und Sachverständigen birgt demgegenüber zu viele (praktische) Probleme. So wäre schon fraglich, inwieweit Erklärungen des Angeklagten oder seines Verteidigers gem. § 257 StPO noch dazu zu rechnen wären; bejahte man – ähnlich wie bei § 247a StPO –- ihre Zugehörigkeit zur Vernehmung, bestünde, wenn die Erklärungen zeitlich nicht direkt im Anschluss erfolgen, die Gefahr von Unvollständigkeiten der Aufnahme, die je nach Umfang einen Richterwechsel gefährden könnten. Ferner führt ein ständiges Ein- und Abschalten der Aufnahme zu einer Mehrbelastung der dafür verantwortlichen Person. Vor allem müsste bei nur partieller Aufzeichnung der eintretende Richter sich die Hauptverhandlung selbst mühsam anhand der Aufnahme und des Protokolls rekonstruieren[44].
(2) Ausrichtung der Kameras
Die Kameras sollten, um einem unmittelbaren Miterleben der Beweisaufnahme möglichst nahe zu kommen, so ausgerichtet sein, dass Zeugen von vorne zu sehen sind, so dass auch Mimik und Gestik eingefangen werden[45]; dies jedenfalls, solange sie sprechen. Insofern bestehen Unterschiede zu einer – in anderen Staaten praktizierten – Aufzeichnung, die auch den Medien zur Verfügung gestellt bzw. von diesen durchgeführt wird.[46]
Zweckmäßig wäre zudem eine Aufzeichnung des Befragenden, da sich anhand von dessen Mimik und Gestik auch Verhaltensweisen des Befragten erklären lassen. Ideal erscheinen Parallelaufnahmen der interagierenden Sprecher, die – wie bei Videokonferenzschaltungen – auf einem Bildschirm mit zwei Fenstern wiedergegeben werden könnten.
Zur Frage, inwieweit weitere Beteiligte, Zuschauer usw. aus der Richterpultperspektive aufgezeichnet werden sollten, nur so viel: Für eine Begrenzung i. o. S. spricht vor allem die Aufwandsminimierung und dass der Fokus auch bei realer Teilnahme an der Verhandlung hauptsächlich auf den sprechenden Personen liegt. Für ein (technisch machbares) umfassenderes Einfangen auch der Reaktionen anderer Verfahrensbeteiligter spricht, dass dies der realen Perspektive am nächsten kommt[47]. Nicht verkannt werden darf allerdings, dass eine solche Aufzeichnung wegen der Möglichkeit wiederholten Abspielens weitgehendere Einblicke als eine Live-Teilnahme erlaubt, da in real time nie alle Beteiligten gleichzeitig erfasst werden können.
(3) Verschieden Tonspuren bei Übersetzung?
Bei konsekutiver Übersetzung besteht kein Problem, da bei Koppelungen mit den Mikrofonen jeweils der Sprecher aufgezeichnet wird – d. h. erst der (ggf. ausländisch sprechende) Verfahrensbeteiligte, dann der Dolmetscher usw. Bei Simultanübersetzung (unter Verwendung von Kabinen und Kopfhörern) finden hingegen Aussage und Übersetzung gleichzeitig statt. Insoweit genügt zumindest für die Ermöglichung eines Richterwechsels[48] die Aufzeichnung der deutschen Übersetzung.
ccc) Erfüllung der Anforderung Nr. 2 – Gleicher Wissensstand bei Eintritt
Im Hinblick darauf sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
(1) Plötzlicher Eintritt des Verhinderungsfalles
Bei einem plötzlichen Eintritt des Verhinderungsfalles (z. B. bei Tod) sollte zunächst zwingend eine Unterbrechung (untechnisch) vorgesehen werden. Denn andernfalls ist es dem eintretenden Richter nicht möglich, sich vor Eintritt auf den aktuellen Stand zu bringen. Dabei sollte es trotz grundsätzlicher Pflicht zur Einarbeitung mittels der audiovisuellen Aufzeichnung zulässig sein, sich, soweit dies effektiver erscheint, anderweitig Kenntnis vom Inhalt der Verhandlung zu verschaffen (zB durch Lektüre verlesener Urkunden). Technisch böte sich die Einführung einer Befugnis zur Hemmung der Unterbrechungsfristen an. Um flexibel auf die Länge der vorangegangen Hauptverhandlung, deren Stoffdichte; umfangreiche Selbstleseverfahren, bestehende Urlaubsplanungen des eintretenden Richters reagieren zu können, sollte gesetzlich – statt einer alternativ denkbaren Staffelung der Hemmungsdauer nach Verhandlungstagen – lediglich die zulässige Höchstdauer bestimmt werden. Diese sollte kongruent zu der oben für den Mutterschutz konzipierten Zeitspanne sein, wobei bei Haftsachen eine möglichst straffe Vorbereitung zu gewährleisten wäre. Die Hemmung sollte mit Rücksicht auf die anderen Verfahrensbeteiligten im Vorhinein per Beschluss festzusetzen sein, Verlängerungen bis zum Erreichen der Höchstdauer aber möglich bleiben.
(2) Vorhersehbarkeit des Verhinderungsfalles
Handelt es sich um einen vorhersehbaren Verhinderungsfall wie etwa den Eintritt in den Ruhestand[49][50], so steht der Termin, ab dem der Richter ausscheidet bereits im Vorhinein punktgenau oder zumindest ungefähr (zB bei Schwangerschaft mit geplanter anschließender Elternzeit) fest. Dadurch könnten sich Besonderheiten für Zeitpunkt des Richterwechsels, Beginn und Art der Vorbereitung ergeben.
(a) Früherer Zeitpunkt des Richterwechsels?
Auch in diesen Fällen darf mit Blick auf Art. 101 S. 2 GG ein Richterwechsel erst dann stattfinden, wenn der Verhinderungsfall tatsächlich eintritt; denn es bleibt stets möglich, dass das Verfahren vorher beendet wird.
(b) Beginn der Einarbeitung schon vor Eintritt des Verhinderungsfalles?
Allerdings eröffnet sich bei vorhersehbarer Verhinderung die Möglichkeit, die Einarbeitung des eintretenden Richters früher beginnen zu lassen[51], mit dem positiven Effekt, dass auf eine – bezüglich Länge und Ob im Ermessen stehende – Hemmung verzichtet bzw. sie sehr kurz bemessen werden könnte.
Was die Art und Weise dieser "Parallel"-Einarbeitung anlangt, so bieten sich 2 Möglichkeiten. Zum einen könnte man den Austauschrichter schon ab dem Zeitpunkt, in dem der spätere Eintritt des Verhinderungsfalls wahrscheinlich ist, zusätzlich zur Einarbeitung per Video wie einen Ergänzungsrichter an der Hauptverhandlung teilnehmen lassen. Zum anderen – und für das Verständnis der Gesamtzusammenhänge möglicherweise besser – könnte man zunächst nur eine Einarbeitung per Videoaufzeichnung und, sollte diese noch vor Eintritt des Verhinderungsfalles vollumfänglich bis zum aktuellen Verhandlungsstand abgeschlossen sein, sodann eine Live-Teilnahme am Prozess zulassen. Gerade bei schon länger andauernden Prozessen oder Haftsachen bietet sich ein vorzeitiger Einarbeitungsbeginn zur Abkürzung bzw. zur Gewährleistung des Ausreichens[52] der Hemmungsfristen an. Trotz des damit verbundenen Risikos, dass der Aufwand sich bei rechtzeitig vor Eintritt des Verhinderungsfalls erfolgter Beendigung des Verfahrens retrospektiv als unnötig erweist, ist dies die gegenüber dem Dauereinsatz eines Ergänzungsrichters ökonomischere Lösung.
(3) Sonderproblem: An die Schwangerschaft anschließende Elternzeit t
(a) Erklärung der Inanspruchnahme von Elternzeit vor Beginn des Mutterschutzes
Erklärt die schwangere Richterin bereits vor Beginn des Mutterschutzes, dass sie direkt eine – bspw. einjährige – Elternzeit hieran anschließen möchte, müsste dies als dauerhafte Verhinderung gewertet werden. Der Richterwechsel könnte dann zu Beginn des Mutterschutzes vollzogen werden, ggf. unter Anordnung einer Hemmungsfrist.
(b) Problem: Ausschöpfung der gesetzlichen Erklärungsfristen
Probleme könnten sich ergeben, wenn die Richterin erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt der Anmeldung des Anspruchs auf Elternzeit (7 Wochen vor Beginn dersel-
ben[53]) und damit während laufenden nachgeburtlichen Mutterschutzes Elternzeit beantragt: Denn, da es vor Beginn des Mutterschutzes so aussah, als würde sie direkt nach Ende des nachgeburtlichen Mutterschutzes ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, wäre bereits eine Hemmung gem. § 229 Abs. 3a E (s. o.) eingetreten, die ggf. (bei Inanspruchnahme des vorgeburtlichen Mutterschutzes) schon ca. 7 oder – etwa bei Mehrlingsgeburten –- insg. ca. 11 Wochen[54] betragen hat. Zwar würde auch unabhängig von der Inanspruchnahme der Elternzeit die Hemmung noch weitere 7 Wochen andauern, so dass es vertretbar erschiene, jedenfalls die insoweit verbleibende Zeit auch zur für einen Richterwechsel notwendigen Einarbeitung zu nutzen und in diesem Umfang eine Koppelung von Mutterschutz-Hemmung und Richterwechsel zuzulassen. Nicht gelöst ist damit jedoch der Fall, dass die für die ursprüngliche Hemmung (wegen Mutterschutzes) verbleibende Zeit nicht zur Einarbeitung ausreicht. Insoweit böte es sich an, zwar eine Folgehemmung auf Grund neuen Anknüpfungstatbestandes (zur Einarbeitung bei Richterwechsel wegen dauerhaften Verhinderungsfalls) zuzulassen, diese aber – um exorbitante mit dem Beschleunigungsgebot nicht mehr vereinbare Hemmungen zu vermeiden – nicht nochmals in voller Länge zu eröffnen, sondern auf das gem. §§ 229 Abs. 3a zulässigen Höchstmaß von 18 Wochen zu beschränken.
Formulierungsbeispiel:
(§ 229 Abs. 3b) Tritt während einer Hemmung der Unterbrechungsfristen gem. Abs. 3a ein Verhinderungsfall ein, der einen Richterwechsel gem. § 226a auslöst, kann der Lauf der Unterbrechungsfristen weiterhin solange gehemmt werden, bis eine Gesamtdauer der Hemmung von 18 Wochen erreicht ist.
Zuletzt stellt sich die Frage, ob die skizzierte Lösungsmöglichkeit der Einführung neuer – mit den Mutterschutzfristen harmonisierter – Hemmungstatbestände sowie eines Richterwechsels mit der Einarbeitung dienender Hemmungsoption erst – wie bei § 229 Abs. 3 StPO – ab einer bestimmten Anzahl von Verhandlungstagen zur Anwendung kommen sollte.
Viel spricht dafür, einen Richterwechsel schon zuzulassen, wenn nach wenigen Verhandlungstagen ein Richter zB wegen Todes, eines schweren Unfalls oder Befangenheit ausscheiden muss. Denn auch dann ist dies – wegen der Konservierung der bisherigen Beweisergebnisse, Vermeidung von Organisationsaufwand usw. – die gegenüber der Aussetzung und Neubeginn vorzugswürdige und vor allem schnellere Variante, zumal die Einarbeitung – zumindest um auf den Stand der Hauptverhandlung zu kommen – bei einer so kurzen bisherigen Verhandlungsdauer schnell zu bewältigen ist, so dass keine lange Hemmung vorgenommen werden muss.[55]
Was den vor allem für den Mutterschutz konzipierten isolierten Hemmungstatbestand (§ 229 Abs. 3a E) anlangt, sind hingegen kaum Konstellationen denkbar, in denen nach bloß kurzer Verfahrensdauer seine Anwendung notwendig würde. Bei Verfahren, für die eine längere Dauer prognostiziert ist, wird eine bekannt schwangere Richterin von vorneherein nicht mehr herangezogen werden. Zieht sich hingegen ein mutmaßlich weit vor Beginn des Mutterschutzes zu beendendes Verfahren überraschend in die Länge, so dürfte auch hier eine Aussetzung und Neuauflage unter Beschleunigungsgesichtspunkten wegen des dafür notwendigen Vorlaufs oft keine Vorteile bringen.
Gleichzeitig drängt sich aber eine weitere Überlegung auf:
Statt bei nur vorübergehender Verhinderung vorrangig die reine Hemmung und nur nachrangig (bei längeren oder im Nachhinein verlängertem Ausfällen) den Richterwechsel vorzusehen, ließe sich eine Lösung suchen, die vom Gedanken, dem Beschleunigungsgrundsatz am besten gerecht zu werden, getragen ist: An Stelle einer Hemmung gem. § 229 Abs. 3a E ließe sich vorschreiben, einen Richterwechsel vorzunehmen, wenn bei einer prognostischen Vergleichsberechnung das Verfahren hierdurch erheblich schneller – zB einen Monat früher – weitergeführt werden kann, etwa weil die zur Einarbeitung idR erforderliche Hemmung verkürzt oder entfallen kann.
Beispiel:
Ausgangspunkt: Eine Richterin wird schwanger, geht in vorgeburtlichen Mutterschutz, bekommt 1 Kind (Normalgeburt) und will direkt nach dem Mutterschutz wieder zurückkehren.
Bsp. 1: Bei einem Prozess, der bereits 60 Tage gedauert hat, ist der Richterwechsel keinesfalls erheblich schneller als eine Hemmung, weil eine Einarbeitung des neuen Richters ebenfalls sehr lange dauern würde und sicher (auch in Anbetracht sonstiger Belastung, Urlaub etc. nicht einen Monat sparen würde).
Bsp. 2: Bei einem Prozess, der erst 10 Tage gedauert hat, ist der Wechsel idR die schnellere Lösung, jedenfalls soweit die Richterin nicht gerade Berichterstatterin war. In letzterem Fall käme es auch auf den Gesamtumfang der Akten, Schwierigkeit der rechtlichen Probleme etc. an.
- Stufe 1 Fälle vorübergehender Verhinderung, insbesondere solche des Mutterschutzes, sollten grundsätzlich mit einer Hemmung von maximal 18 Wochen gelöst werden. Dieses Konzept könnte auf weitere Fälle (zB zweimonatige isolierte Elternzeit, Auslandsaufenthalte) ausgedehnt werden, in denen die Unterbrechung jedoch kürzer ausfallen sollte.
- Stufe 2 Fälle dauerhafter (zB Tod, Ruhestand, Befangenheit) oder sehr langfristiger Verhinderung (Elternzeit über 2 Monate; Mutterschutz mit anschließender Elternzeit, langfristige Krankheit) sollten mit Hilfe eines Richterwechsels gelöst werden. Der Austauschrichter sollte mit Hilfe einer audiovisueller Aufzeichnung die bisherige Hauptverhandlung nachvollziehen, womit eine Quasi-Unmittelbarkeit gewährleistet wäre; dazu wäre jedenfalls in Fällen einer Unvorhersehbarkeit des Verhinderungsfalles eine Hemmung notwendig, die ggf. bis zu 18 Wochen betragen können sollte (Kongruenz mit Stufe 1); bei Vorhersehbarkeit des Verhinderungsfalles (zB Ruhestand) sollte eine provisorische Einarbeitung (zunächst per Video, dann ggf. per Live-Teilnahme wie ein Ergänzungsrichter) möglich und zulässig sein.
- Flexibilisierungklausel: Es sollte – gerade mit Blick auf Haftsachen – die Möglichkeit eröffnet werden, auch dann, wenn eigentlich ein Hemmungstatbestand der Stufe 1 vorliegt, einen Richterwechsel vorzusehen, wenn dies eine deutlich schnellere Fortsetzung erlaubt.
§ 226a StPO
(1) Ist bei Hauptverhandlungen am Landgericht oder Oberlandesgericht einer der erkennenden Berufsrichter an der weiteren Teilnahme der Hauptverhandlung aus einem der folgenden Gründe gehindert
Nr. 1 Tod
Nr. 2 Ruhestand
Nr. 3 sonstige Beendigung des Richterverhältnisses
Nr. 4 Befangenheit
Nr. 5 dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit
Nr. 6 Mutterschutz und anschließende Elternzeit
Nr. 7 Elternzeit von einer zwei Monate überschreitenden Dauer [57]
tritt an seine Stelle ein anderer im Voraus durch den Geschäftsverteilungsplan bestimmter Richter in das laufende Verfahren ein.
(2) Der neue Richter hat vor Aufnahme seiner Tätigkeit als erkennender Richter vom Inhalt des bisherigen Verhandlungsgeschehens Kenntnis zu nehmen und dies zu Protokoll zu erklären. Hierzu soll er sich der audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung bedienen.
(3) Zum Zweck der Kenntnisnahme iSd. Abs. 2 und sonstigen notwendigen Vorbereitung auf die Mitwirkung an dem Verfahren kann der Lauf der in den § 229 Absatz 1 und 2 genannten Fristen für eine Dauer von höchstens 18 Wochen gehemmt werden; die Hemmung beginnt mit dem Tag des Eintritts des Verhinderungsfalles. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.
(4) Zeichnet sich schon vor dem tatsächlichen Eintritt des Verhinderungsfalles dessen Eintreten als wahrscheinlich ab, kann der im Falle des Verhinderungsfalles an die Stelle des ausscheidenden Richters tretende Richter schon mit der Vorbereitung iSd. Abs. 2 beginnen und nach deren Abschluss der Hauptverhandlung, soweit ihm dies möglich ist, noch vor Eintritt des Verhinderungsfalles provisorisch beiwohnen. § 192 Abs. 1 GVG bleibt unberührt.
Die dargestellten Lösungen längerer Unterbrechungsmöglichkeiten sowie vor allem die eines Richteraustauschs wären sehr ressourcenschonend: Erstens bedürfte es am LG und OLG keiner Ergänzungsrichter mehr; das Mitsitzen auf Verdacht (und damit viele Arbeitstage) für den Fall, dass es zu einer Verhinderung kommt, entfiele. Nur bei tatsächlichem (oder sehr wahrscheinlichem[59]) Eintritt einer Verhinderung würde eine "Doppelung" der Arbeit stattfinden, die aber häufig auch weniger Zeit in Anspruch nehmen dürfte als das Mitsitzen in Echtzeit. Denn es müssten nicht unbedingt alle Teile der audiovisuellen Aufzeichnung angesehen werden (Bsp. Urkundenverlesungen, Diskussionen um Termine usw.) und dies könnte deutlich gestraffter – ohne Unterbrechungen, Warten auf Zeugen, Verfahrensbeteiligte etc. – erfolgen. Ein etwaiger Mehraufwand durch ergänzende/nachzuholende Vernehmungen oÄ dürfte sich auf Ausnahmefälle beschränken.
Zweitens würden durch die Vermeidung des Platzens von Prozessen erhebliche Kosten, insbesondere für Pflichtverteidiger, Sicherheitsvorkehrungen, aber auch nichtrichterliches Personal (Urkundsbeamten, Wachtmeister) gespart.
Drittens würden durch die Gefahr des Platzens des Verfahrens heraufbeschworene Anreize zur Prozessverschleppung gesenkt. Das Spielen auf Zeit bei nahender Pensionsgrenze oder Schwangerschaft eines Mitglieds des Spruchkörpers würde ebenso sinnlos wie der Missbrauch von Befangenheitsanträgen, da auch bei dessen Begründetheit das Verfahren – eben mit einem neuen Richter – weiterginge. Es käme kurz gesagt, egal was passiert, immer ein(e) Entscheider(in) nach. Und zuletzt wäre auch dem Opferschutz besser gedient, da mangels Notwendigkeit der Wiederholung der Beweisaufnahme dem Opfer eine erneute Vernehmung erspart würde.
Probleme mit dem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter bereitet der Richterwechsel nicht. Denn der Grundsatz des gesetzlichen Richters fordert lediglich, dass der zur Entscheidung berufene Richter im Voraus abstrakt-generell festgelegt ist[60]. Ist der neu eintretende Richter durch entsprechende Vertretungsregelungen im Geschäftsverteilungsplan bestimmt, ist dem Genüge getan. Selbst die skizzierte Flexibilisierung, die es in gewissen Fällen zulässt, statt einer Hemmung einen Richterwechsel vorzunehmen, verstößt nicht gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters, wenn die Regelung dazu, wann ein Richterwechsel erfolgt, klar und bestimmt ist.
Auch dass nicht auszuschließen ist, dass etwa bei einer Zweier-Besetzung und zweimaligem Austausch der Richter keiner der ursprünglich anwesenden Berufsrichter mehr das Urteil fällt, ist kein Mangel des Lösungskonzepts eines Richteraustauschs, sondern gerade dessen logische Folge. Würde man die Zahl der Wechsel beschränken, würden viele seiner Vorteile wieder entfallen. Zuletzt stellt auch die mit dem Konzept einhergehende fehlende Ausübbarkeit des Fragerechts des neu eintretenden Richters für den Teil der Verhandlung, der bereits verstrichen ist, keinen durchgreifenden Einwand dar; denn bis zu seiner Verhinderung konnte ja der ursprünglich mitsitzende Richter das Fragerecht ausüben, so dass der Fall durch 4 bzw. 5 Richter aufgeklärt wurde. Im Übrigen besteht, sollte aus Sicht des neuen Richters wirklich noch Aufklärungsbedarf bestehen, stets die Möglichkeit, die Beweisaufnahme insoweit zu ergänzen.
Zuletzt soll erörtert werden, ob die oben skizzierten Lösungen auch auf Schöffen angewendet werden könnten und sollten oder es dort bei den bisherigen Mechanismen (Ergänzungsschöffen) verbleiben sollte.
Bei der Frage, in welchem Umfang die bei Richtern auftretenden Verhinderungsfälle auch bei Schöffen bestehen, ist zu beachten, dass es sich beim Schöffenamt um ein Ehrenamt handelt (§ 31 GVG), das in den §§ 28 ff. GVG, ggf. iVm. § 77 GVG sowie vereinzelten Regelungen in den Landesrichtergesetzen eigenen Regelungen unterliegt. Mögliche Gründe für einen dauerhaften Ausfall von Schöffen in einem konkreten Verfahren sind wie bei Berufsrichtern Tod, dauerhafte Krankheit/Verhandlungsunfähigkeit und Befangenheit; daneben kommt eine Amtsenthebung (§ 51 GVG) in Betracht. Das Problem des In-den-Ruhestand-Tretens oder des eigeninitiativen Ausscheidens stellt sich für Schöffen indessen nicht, vgl. § 33 Nr. 2, 50, 77 GVG[61]. Vorübergehende Verhinderungen von Schöffen können durch Krankheit entstehen. Im Gegensatz zu Berufsrichtern bestehen keine Konflikte mit einer etwaigen Elternzeit, da das Schöffenamt ein Ehrenamt ist. Aus dem gleichen Grund gilt auch das vor- und nachgeburtliche Beschäftigungsverbot nicht. Denn weder das MuSchG noch § 46 DRiG iVm. § 79 BBG iVm. § 1 MuSchEltZV iVm. § 3 MuSchG gelten für ehrenamtliche Richter, vgl. § 2 DRiG.
Die Probleme reduzieren sich somit im Bereich der dauerhaften Verhinderung vor allem auf Tod, Befangenheit und dauerhafte Krankheit/Verhandlungsunfähigkeit; im Bereich der vorübergehenden auf Krankheit. Praktisch zum Problem werden kann das Auftreten der hauptberuflich bedingten Notwendigkeit eines längeren Auslandsaufenthalts.
Bei der Konzeption einer Lösung sollte auch hier nach der Art der Verhinderung differenziert werden.
Bei vorübergehender Verhinderung (insbesondere Krankheit) könnte weiter mit den vorhandenen, ggf. etwas weiter auszudehnenden Hemmungsfristen gearbeitet werden. Prüfenswert wäre ein praktisches Bedürfnis nach Erstreckung der Hemmung auf die – eher seltenen – Fälle nach Verfahrensbeginn zu Tage tretender hauptberufsbedingter Notwendigkeit eines Aufenthalts fernab vom Gerichtsort.
Bei sehr lange andauernder bzw. endgültiger Verhinderung stellt sich die Frage, ob diese wie bei den Berufsrichtern über einen Schöffenaustausch unter Zuhilfenahme einer audiovisuellen Aufzeichnung der bisherigen Verhandlung bewältigt werden oder es insoweit beim Ergänzungsschöffeneinsatz bleiben sollte.
Unter Aufwandsgesichtspunkten (Entschädigungen) dürfte ein Schöffenaustausch, weil er nur bei tatsächlichem Eintritt des Verhinderungsfalls zum Tragen kommt, deutlich günstiger sein als das prophylaktische Vorhalten von (mitunter mehreren) Ergänzungsschöffen. Gegen ihn spricht allerdings, dass er häufig eine Hemmung des Verfahrens auslösen müsste[62]. Diese ist bei Berufsrichtern, die intensiver mit dem Verfahren (Vorbereitung von Entscheidungen, Formulierungen derselben usw.) befasst sind, auch unter Beschleunigungsgesichtspunkten zu rechtfertigen; bei Schöffen erscheint dies schwieriger. Bei ihnen spricht vielmehr vor allem der Aspekt der Zumutbarkeit in Verbindung mit dem Beschleunigungsgrundsatz für eine grundsätzlich abweichende Lösung ihres (endgültigen) Ausfalls. Wie das BVerfG in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit der Nichtbeteiligung der Schöffen an Haftfortdauerentscheidungen während der Dauer der Hauptverhandlung ausgeführt hat, resultiert aus der Tatsache, dass das Schöffenamt ein Ehrenamt (§ 31 GVG) ist und der Schöffe seine wirtschaftliche Lebensgrundlage grundsätzlich aus einer anderen Tätig-
keit bezieht, dass die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von Schöffen Grenzen setzt (§ 54 Abs. 1 S. 2 GVG). Die generelle Einbeziehung von Schöffen, die wegen ihrer anderweitigen Berufstätigkeit (anders als Berufsrichter) während Unterbrechungen der Hauptverhandlung häufiger nur schwer erreichbar seien, bei allen Entscheidungen könne zu Verzögerungen führen, die im Widerspruch zu dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen träten.[63] Auch bei einem Schöffenwechsel würde der Beschleunigungsgrundsatz erfordern, die zur Einarbeitung notwendige Hemmung[64] möglichst kurz zu halten. Infolgedessen wäre der Austauschschöffe gehalten, sich in konzentrierter Form mit dem bisherigen Verhandlungsstoff vertraut zu machen[65]. Bei größeren Verfahren mit einer Vielzahl verstrichener Verhandlungstage würde der Aufwand dann jedoch so hoch werden, dass er mit einer normalen Arbeitstätigkeit noch weniger als schon die Belastung durch mehrmals wöchentliche Verhandlungen vereinbar und damit im Regelfall unzumutbar wäre.
Im Ergebnis sollte es daher grundsätzlich in erster Linie – bei voraussichtlich längerer Verfahrensdauer[66] –- beim Einsatz von Ergänzungsschöffen bleiben; in zweiter Linie könnte das Instrument des Richter (Schöffen-)Wechsels für folgende verbleibende Fälle im Wege einer (subsidiären) Ultima-Ratio-Regelung gewählt werden: Bei (plötzlichen) Ausfällen, wenn kein Ergänzungsschöffe vorgesehen war (zB weil der Prozess nicht auf lange Dauer angelegt war); oder wenn bereits alle Ergänzungsschöffen zum Einsatz gekommen sind. Insoweit wäre dann aber zum Schutz vor einer mit der konzentrierten Video-Einarbeitung verbundenen unzumutbaren Belastung eine besonders großzügige Möglichkeit, Schöffen zu entbinden, vorzusehen.[67]
Nr. 1. Für die wenigen denkbaren Fälle einer vorübergehenden kürzeren Verhinderung reichen die geltenden Regelungen, prüfenswert erscheint allenfalls der Bedarf nach einer Erweiterung und ggf. Erstreckung der Hemmungsfristen auf Auslandsaufenthalte im Zusammenhang mit der Haupttätigkeit.
Nr. 2 Bei dauerhafter Verhinderung (Tod, langfristige/dauerhafte Krankheit, Befangenheit, Amtsenthebung gem. § 51 GVG) sollten grundsätzlich weiterhin Ergänzungsschöffen herangezogen werden. Sofern diese im konkreten Fall zahlenmäßig nicht ausreichen bzw. nicht herbeigezogen wurden (wegen erwarteter Kürze des Prozesses etc.; Nichtabsehbarkeit des Verhinderungsfalles), sollte als ultima ratio ein – dem Richterwechsel nachgebildeter – Schöffenwechsel ermöglicht werden.
[1] Az. 12 KLs 2090 Js 29.752/10
[2] Die noch vor Eintritt des Verhinderungsfalles erfolgte Einstellung des Verfahrens wegen überlanger Verfahrensdauer (BeckRS 2017, 114096) hob das OLG Koblenz auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin zu Recht auf, vgl. BeckRS 2017, 134080.
[3] Dazu RNZ vom 24.7.2015.
[4] NJW 2017, 745 = HRRS 2017 Nr. 143.
[5] BGH NJW 2017, 745, 746 = HRRS 2017 Nr. 143.
[6] Vgl. auch LG Koblenz, BeckRS 2017, 114096 Rn. 2; aA BeckOK StPO/Goers GVG § 50 Rn. 3 (Einzelfallentscheidung).
[7] Dogmatisch stößt die Entscheidung in der Literatur weitgehend auf Zustimmung, vgl. Jäger JA 2017, 312; Metz NStZ-RR 2017, 120; Niemöller NStZ 2017, 425; Jahn JuS 2017, 277.
[8] Für Richterinnen gilt nicht das MuSchG direkt, sondern die speziellen Regelungen für Richter(innen), die in die für Bundes- bzw. Landesbeamte geltenden Gesetze verweisen, auf deren Grundlage Verordnungen erlassen worden sind, die häufig, aber nicht immer ins MuSchG (zurück-)verweisen, teilweise aber auch abweichende Regelungen enthalten.
[9] Vgl. etwa Bund: § 46 DRiG iVm. § 79 BBG iVm. § 1 Abs. 1 Nr. 2 MuSchEltZV iVm. § 3 Abs. 2 MuSchG; ebenso § 1 HMuSchEltZVO und die ins MuSchG verweisenden Landesrechte; BW: § 8 LRiStAG iVm. § 76 Nr. 1 LBG iVm. § 34 Abs. 1 S. 3 bwAzUVO; Art. 2 Abs. 1 BayRiG iVm. Art. 88 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayBG iVm. § 4 BayMuttSchV.
[10] Vgl. z. B. Art. 2 Abs. 1 BayRiG iVm. Art. 88 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayBG iVm. § 4 BayMuttSchV; ebenso die Vorschriften, die ins MuSchG verweisen.
[11] S. § 34 Abs. 1 S. 3 bwAzUVO.
[12] Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10. März 2016 – III-3 RVs 19/16 –, juris Rn. 19 zur Frage der Urteilsabsetzung.
[13] Gerade diese äußerst fragwürdige Situation einer Verlagerung der Verhandlung ans Krankenbett war mit Anlass zur Ausweitung der Unterbrechungsfristen durch das StVÄG 1987 (vgl. Drs. 10/1313, S. 25), auch wenn die Krankheitshemmung erst 2004 auf Richter erstreckt wurde.
[14] ZB, wenn die Hauptverhandlung noch keine 10 Tage gedauert hat.
[15] Koma; Benommenheit; aber auch von Verhandlungsteilnahme ausgehende Gesundheitsgefährdung für den Betroffenen oder für andere wegen Ansteckungsgefahr.
[16] Für deren vermehrten Einsatz Jahn JuS 2017, 277, 278.
[17] BVerfG, NJW 1971, 1029, 1030 mwN .
[18] In diese Richtung Lilie-Hutz FD-StrafR 2017, 385517; Metz NStZ-RR 2017, 120; ähnl. Jäger JA 2017, 312, 314.
[19] https://jm.rlp.de/fileadmin/mjv/Jumiko/II.05_Auswirkungen_absolutes_Dienstleitungsverbot_ohne_Abstimmungsergebnis.pdf
[20] Zu den Schöffen s. u. F. II.
[21] Vgl. Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. Rn. 67
[22] So Fleindl JA 2005, 371, 373; Knauer/Wolf NJW 2004, 2932, 2933.
[23] Plus minus, weil die Dauer der vorgeburtlichen Schutzfrist wegen der Möglichkeit einer Verschiebung des prognostizierten Geburtstermins flexibel ist, vgl. § 3 Abs. 1 MuSchG.
[24] ZB bei behinderten Kindern und teilweise nach Landesrecht.
[25] Vgl. den Einführungsvortrag von Frau Abteilungsleiterin Graf-Schlicker.
[26] Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozessordnung, 1. Abt., 1880, S. 183.
[27] Vgl. dazu Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. 59.
[28] Technische Möglichkeiten des Uploads von Dokumenten bestanden nicht.
[29] EGMR v. 19.02.1998 Allan Jacobsson vs Schweden Rz. 46.
[30] Vgl. auch BGH NJW 1988, 1333, 1334.
[31] Vgl. Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren, 1979, S. 122 f.
[32] In Abgrenzung hiervon ist das materielle Unmittelbarkeitsprinzip zu sehen (Vorrang des Personal- vor dem Urkundenbeweis).
[33] Zum Zusammenhang zwischen Unmittelbarkeitsgrundsatz und freier Beweiswürdigung, BGH NJW 1988, 1333, 1334 sowie Geppert (Rn. 31), S. 143 f.
[34] Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. 63.
[35] Zuvor war ein Richterwechsel nach dem Recht der Partikularstaaten möglich.
[36] Hahn, Mat. GVG 1. Band, S. 179.
[37] §§ 186, 188 StPO-E (1874).
[38] Str., vgl. die Nachweise bei MüKo-StPO/Arnoldi § 225 Rn. 2.
[39] Zu verschiedenen Varianten der Durchführung eine solchen Vernehmung im Ausland MüKo-StPO/Arnoldi § 225 Rn. 17-21.
[40] Zu verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Ausgestaltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, Wehowsky StV 2018 (im Erscheinen).
[41] Der bisher nicht anwesend gewesen ist.
[42] Strafsachen am AG sollen hier außer Acht gelassen werden, da dort Prozesse idR nicht so lange dauern, dass – abgesehen von Unglücksfällen – Verhinderungsfälle zum Problem werden; und selbst wenn es zu einem Ausfall kommt, ist der Aufwand einer Neuauflage deutlich geringer.
[43] BGH NJW 1988, 1333, 1334.
[44] Ganz abgesehen von dem Problem, dass derzeit Protokolle häufig erst nach Urteilsverkündung fertig gestellt werden, so dass zum Zeitpunkt des den Richterwechsel auslösenden Ereignisses keines vorhanden wäre.
[45] Zu Fragen der Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten im Zusammenhang mit der audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung Wehowsky StV 2018 (im Erscheinen).
[46] Vgl. dazu näher Feldmann GA 2017, 20 (33).
[47] Zur Bedeutung der Reaktionen anderer auch BGH NJW 1988, 1333 (1334).
[48] Zur Problematik im Rahmen sonstiger Zwecke der audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung Wehowsky StV 2018 (im Erscheinen).
[49] Etwas anderes kann gelten, wenn der Richter unangekündigt einen Antrag auf Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand stellt (vgl. etwa § 48 Abs. 4 und 5 DRiG; § 6 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 bw LRiG (Ruhestand mit 63 bzw. mit 62 bei Schwerbehinderung); denn diesem ist – anders als im Beamtenrecht (§ 52 BBG) – zwingend zum beantragten Zeitpunkt, sonst zum nächstzulässigen zu entsprechen. In der Praxis wird der Richter auch dies einige Zeit vorher ankündigen. Bei einem – eher seltenen – Antrag auf Entlassung gem. § 21 Abs. 2 Nr. 4 DRiG ist der Richter zwar grundsätzlich zum beantragten Zeitpunkt zu entlassen, es gilt über § 46 DRiG aber auch § 33 Abs. 2 S. 3 BBG, wonach der Zeitpunkt der Entlassung bis zur ordnungsgemäßen Beendigung der Dienstgeschäfte, längstens jedoch drei Monate, hinausgeschoben werden kann.
[50] Auch soweit nach den Landesrichtergesetzen Verlängerungsmöglichkeiten über die reguläre Altersgrenze hinaus bestehen (etwa § 6 Abs. 2 bw LRiG; Art. Bay) ist der Ruhestand vorhersehbar, da diese Ansprüche 6 Monate vor Erreichen der Altersgrenze geltend zu machen sind.
[51] So auch Wehowsky StV 2018 (im Erscheinen).
[52] Gerade in extrem langen Prozessen wie dem NSU-Prozess.
[53] Vgl. § 46 DRiG iVm. § 79 BBG iVm. § 1 MuschEltZV iVm. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BEEG für Bundesrichterinnen; für Landesrichterinnen vgl. zB § 7 HMuSchEltZVO iVm. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BEEG; § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BW AzUVO (BW). In Härtefällen kann die Anmeldungsfrist sogar noch weiter verkürzt werden, vgl. § 16 Abs. 2 BEEG; § 41 Abs. 1 S. 3 BW AzUVO.
[54] 6 Wochen plus 5 Wochen der insgesamt 12 Wochen nachgeburtlicher Mutterschutz.
[55] Das Erfordernis und die Länge der Hemmung dürften auch von der Rolle der ausgefallenen Person (zB Berichterstatter, Vorsitzender) abhängen.
[56] Auf eine Skizzierung der oben erwähnten Flexibilisierungsklausel wird an dieser Stelle verzichtet. Sie wäre systematisch entweder bei § 229 oder hier als weiterer Absatz zu verorten.
[57] Sofern auch für die zweimonatige Elternzeit ein Sonderunterbrechungstatbestand ähnlich dem § 229 Abs. 3a eingeführt würde; ansonsten müsste die Regelung entsprechend angepasst werden.
[58] Befürwortend auch Wehowsky, StV 2018 (im Erscheinen).
[59] Bei Einarbeitung vor Eintritt des Verhinderungsfalles, s. o.
[60] Vgl. Jarass/Pieroth, GG Art. 101 Rn. 22 mwN.
[61] Endet die Amtsperiode während eines noch andauernden Verfahrens, so muss der Schöffe weiter mitwirken, vgl. § 50 iVm. § 77 Abs. 1 GVG (vgl. BeckOK StPO/Goers GVG § 50 Rn. 1)
[62] Zu Möglichkeiten der Reduktion der Hemmung s. o.
[63] NJW 1998, 2962, 2963.
[64] S. o.
[65] Durch Ansehen der Aufzeichnung; Lesen eingeführter Dokumente etc.
[66] Nur für diesen Fall sieht § 192 Abs. 3 iVm 2 GVG in seiner geltenden Fassung den Einsatz von Ergänzungsschöffen vor.
[67] Die sich angesichts des hohen Aufwandes, vor allem aber der enormen persönlichen Belastungen für die Schöffen, die mit deren Einsatz in bestimmten Bereichen wie Wirtschaftsstrafsachen einhergehen, aufdrängende Frage, ob dort besser auf eine Laienbeteiligung verzichtet werden sollte, kann hier aus Raumgründen nicht vertieft werden.