HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2018
19. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

597. BGH 5 StR 108/18 - Beschluss vom 8. Mai 2018 (LG Berlin)

Versuchsbeginn beim schweren Bandendiebstahl (unmittelbares Ansetzen durch Klingeln an der Wohnungstür des potenziellen Opfers; wesentliche Zwischenakte); Verabredung zum Verbrechen; Verhinderung eines Schöffen wegen Erholungsurlaub (Unzumutbarkeit der Dienstleistung; berufliche Gründe; Prüfungsumfang; Willkür).

§ 336 StPO; § 54 GVG; § 22 StGB; § 30 Abs. 2 StGB; § 244a StGB

1. Ist der Tatplan darauf gerichtet, nach dem Eindringen in eine Wohnung diese nach stehlenswerten Gegenständen zu durchsuchen, um diese dann vom abgelenkten Wohnungsinhaber unbemerkt wegzunehmen, begründet das Klingeln an der Wohnungstür regelmäßig noch kein unmittelbares Ansetzen zum Versuch (§ 22 StGB). Vielmehr bilden das erforderliche Betreten der Wohnung und das Ablenken des Wohnungsinhabers noch wesentliche Zwischenakte, die der Annahme des Versuchsbeginns entgegenstehen. Eine andere Bewertung kann angezeigt sein, wenn der Wohnungsinhaber unmittelbar nach dem erwarteten Türöffnen mit Raubgewalt genötigt werden soll.

2. Der BGH überprüft die Entbindung von Schöffen lediglich am Maßstab der Willkür (vgl. BGH HRRS 2015 Nr. 891). Während berufliche Gründe insoweit nur ausnahmsweise die Verhinderung eines Schöffen rechtfertigen können, ist der auf anberaumte Sitzungstage fallende und mit Ortsabwesenheit einhergehende Erholungsurlaub eines Schöffen ein Umstand, der regelmäßig zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt. Bei der antragsgemäßen Entbindung eines Schöffen aufgrund eines von diesem angezeigten Urlaubs liegt deshalb Willkür in aller Regel fern. Macht der Schöffe einen derartigen Verhinderungsgrund geltend, darf der Vorsitzende sich mit seiner Erklärung begnügen, wenn er sie für glaubhaft und weitere Nachforschungen für überflüssig hält.


Entscheidung

576. BGH 3 StR 130/18 - Beschluss vom 15. Mai 2018 (LG Hannover)

Beteiligung am Begehungsdelikt durch Unterlassen (Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe; innere Haltung zur Tat; Interesse am Taterfolg; Unterordnung im Willen; Tatherrschaft; wertende Gesamtbetrachtung; Vergleichbarkeit mit Abgrenzung beim Begehungsdelikt); Garantenpflicht aus Ingerenz bei sog. Folgetaten (Beteiligung an vorausgehender Tat; Schaffung einer naheliegenden Gefahr des Erfolgseintritts; anders geartete Folgetaten; versuchte räuberische Erpressung nach mittäterschaftlich begangenem Betrug).

§ 13 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; § 263 StGB

1. Für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe durch Unterlassen gelten vergleichbare Maßstäbe wie beim positiven Tun. Entscheidend für die Abgrenzung ist die innere Haltung des Unterlassenden zur Tat bzw. dessen Tatherrschaft. War seine aufgrund einer wertenden Betrachtung festzustellende innere Haltung - insbesondere wegen des Interesses am Taterfolg - als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen, so liegt die Annahme von Mittäterschaft nahe. War sie dagegen davon geprägt, dass er sich dem Handelnden, etwa weil er dessen bestimmenden Einfluss unterlag, im Willen unterordnete, und ließ er das Geschehen ohne innere Beteiligung lediglich ablaufen, spricht dies für eine bloße Beteiligung als Gehilfe.

2. Eine Garantenstellung wegen Ingerenz mit Blick auf sog. „Folgetaten“ wird nicht schon ohne weiteres dadurch begründet, dass der potenzielle Garant an der Begehung von vorausgegangenen (hier: als Mittäter) beteiligt war. Erforderlich ist vielmehr, dass das Vorverhalten zu einer Gefahrenerhöhung im Sinne einer naheliegenden Gefahr des Erfolgseintritts führt. Das ist bei anders gearteten Folgetaten - hier einer versuchten räuberischen Erpressung nach einem Betrug - regelmäßig nicht der Fall.


Entscheidung

565. BGH 2 StR 428/17 - Urteil vom 25. April 2018 (LG Frankfurt am Main)

Vorsatz (Maßstab des bedingten Tötungsvorsatzes; richterliche Würdigung äußerst gefährlicher Gewalthandlungen; richterliche Würdigung ambivalenter Beweisanzeichen).

§ 15 StGB

1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen. Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes. Hinsichtlich des Willenselements sind neben der konkre-

ten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche umfassende Gesamtbetrachtung einzubeziehen.

2. Bei einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung, die insbesondere anzunehmen ist, wenn der Täter auf das Tatopfer mit einer scharfen Schusswaffe schießt, liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und dass er, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Dies enthebt den Tatrichter indes nicht von der Verpflichtung, die subjektive Tatseite unter Berücksichtigung aller für und gegen sie sprechenden Umstände sorgfältig zu prüfen.

3. Zwar kann eine Alkoholisierung geeignet sein, die Hemmschwelle für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen, und damit zu einem Umstand werden, der für die billigende Inkaufnahme eines Todeserfolgs spricht. Eine alkoholische Beeinflussung des Täters zur Tatzeit kann aber durchaus auch dazu führen, dass dieser das in seinem Tun enthaltene Risiko einer Tötung falsch einschätzt. Erweist sich damit ein Beweisanzeichen ambivalent, ist eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, vom Revisionsgericht hinzunehmen.


Entscheidung

568. BGH 2 StR 559/17 - Beschluss vom 7. März 2018 (LG Erfurt)

Täterschaft (Mittäterschaft: Maßstab); Anrechnung (Anrechnungsmaßstab für eine in der Sache erlittene Freiheitsentziehung).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB

1. Bei der Beteiligung mehrerer Personen ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert zwar nicht zwingend eine eigene Mitwirkung am Kerngeschehen; ausreichen kann auch eine die Tatbestandsverwirklichung fördernde Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist auf Grund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein.

2. Gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB hat das Gericht den Anrechnungsmaßstab für eine in dieser Sache erlittene Freiheitsentziehung zu bestimmen. Dies muss auch in der Urteilsformel zum Ausdruck gebracht werden.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

550. BGH 1 StR 467/17 - Beschluss vom 20. Februar 2018 (LG Mannheim)

Erpressung (Begriff der Drohung: konkludente Drohung durch Ausnutzung eines bereits zugefügten Übels; Vermögensnachteil durch Abgabe eines Schuldscheins); Hehlerei (Hehlerei durch Betrug gegenüber dem Vortäter: Konkurrenzverhältnis zum Betrug).

§ 253 Abs. 1 StGB; § 780 BGB; § 259 Abs. 1 StGB; § 263 Abs. 1 StGB

1. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch die Abgabe eines schriftlichen Anerkenntnisses einer nicht bestehenden Verbindlichkeit (Schuldschein) bereits ein Vermögensnachteil im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB begründet werden (vgl. BGHSt 34, 394, 395). Dies setzt allerdings eindeutige Feststellungen des Tatgerichts voraus, dass das Tatopfer tatsächlich eine nicht bestehende Verbindlichkeit schriftlich anerkannt hat.

2. Eine Drohung ist die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Sie kann auch konkludent erfolgen (vgl. BGH NJW 1984, 1632). Dem Grunde nach kann auch die Ausnutzung eines bereits zugefügten Übels von dritter Seite eine konkludente Drohung enthalten. Empfindlich ist ein angedrohtes Übel allerdings nur dann, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil so erheblich ist, dass seine Ankündigung den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens motivieren kann (vgl. BGH NJW 2014, 401, 403 Rn. 51).

3. Bei einer Hehlerei liegt gegenüber einem durch die gleiche Handlung begangenen Betrug weder ein Fall der Spezialität, der Subsidiarität noch ein solcher der Konsumtion vor.


Entscheidung

577. BGH 3 StR 148/18 - Beschluss vom 3. Mai 2018 (LG Stade)

Aneignungskomponente bei der Absicht rechtswidriger Zueignung (Diebstahl; Raub; Sachsubstanz; Sachwert; körperlich oder wirtschaftliche; Einverleibung in das Vermögen; Verwendung als Druckmittel für die Durchsetzung von Schulden); Bereicherungsabsicht bei Er-

langung einer als Pfand zur Durchsetzung nicht bestehender Forderungen verwendeten Sache (Erpressung; Betrug).

§ 242 StGB; § 249 StGB; § 253 StGB; § 263 StGB

1. Für die Aneignungskomponente des Zueignungsbegriffs (§§ 242, 249 StGB) genügt, dass der Täter die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder den Dritten haben und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem des Dritten „einverleiben“ bzw. zuführen will. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Täter oder der Dritte die Sache auf Dauer behalten soll oder will. Wer eine Sache wegnimmt, um sie als Druckmittel für die Durchsetzung von Schulden einzusetzen, strebt daher eine Aneignung in diesem Sinne regelmäßig nicht an.

2. Derjenige, der die Herausgabe einer Sache als Pfand zur Sicherung einer nicht existenten Forderung erzwingt, erlangt durch den Besitz unmittelbar einen dem Besitzverlust stoffgleichen vermögenswerten Vorteil und verwirklicht somit in der Regel das subjektive Merkmal der Bereicherungsabsicht i.S.d. §§ 253, 263 StGB. Anders liegen demgegenüber Fälle, in denen ein Anspruch tatsächlich besteht oder der Täter von seinem Bestehen ausgeht.


Entscheidung

574. BGH 4 StR 624/17 - Beschluss vom 26. April 2018 (LG Essen)

Brandstiftung (teilweise Zerstörung eines Gebäudes).

§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Ein Gebäude ist teilweise zerstört, wenn es für eine nicht unbeträchtliche Zeit wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, wenn ein für die ganze Sache zwecknötiger Teil unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, gänzlich vernichtet werden. Dafür genügen brandbedingte Schäden in Kellerräumen eines Wohnhauses, wenn diese wegen der Beeinträchtigungen für einen gewissen Zeitraum nicht ihrer sonstigen Bestimmung entsprechend verwendet werden können. Ob ein Zerstörungserfolg vorliegt, muss der Tatrichter nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten Nutzungszwecke beurteilen. Er hat objektiv anhand des Maßstabs eines „verständigen Wohnungsinhabers“ zu bewerten, ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder -aufhebung für eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung ausreicht. Der Zeitraum muss beträchtlich sein; wenige Stunden oder ein Tag reichen nicht.


Entscheidung

594. BGH 3 StR 658/17 - Beschluss vom 3. Mai 2018 (LG Trier)

Körperlich schwere Misshandlung bei der besonders schweren Vergewaltigung (hohe Anforderungen; Verhältnis zur schweren Körperverletzung und zur rohen Misshandlung; gravierende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität und des körperlichen Wohlbefindens; erhebliche Schmerzen).

§ 177 Abs. 4 StGB aF; § 177 Abs. 8 StGB nF

Da § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB aF (§ 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB nF) einerseits die zu verhängende Mindeststrafe im Vergleich zu § 177 Abs. 1 StGB aF wie zu § 177 Abs. 2 StGB aF in beträchtlichem Umfang erhöht, andererseits nach der gesetzlichen Unrechtsbewertung mit der Verursachung einer tatbedingten konkreten Todesgefahr im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b StGB aF auf einer Stufe steht, dürfen die insoweit zu stellenden Anforderungen nicht zu niedrig angesetzt werden. Die körperliche Integrität bzw. das körperliche Wohlbefinden des Opfers müssen in gravierender, mit erheblichen Schmerzen verbundenen Weise beeinträchtigt sein. Ein Erfolg im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB muss zwar nicht eintreten, eine rohe Misshandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB reicht aber nicht aus.