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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2018
19. Jahrgang
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1. Art. 325 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die ein möglicherweise zur Einstellung des Strafverfahrens führendes Verfahren wie das in den Art. 368 und 369 des Nakazatelno protsesualen kodeks (Strafprozessordnung) geregelte vorsieht, entgegensteht, soweit eine solche Regelung für Verfahren gilt, die wegen des Verdachts von schweren Betrügereien oder sonstigen schwerwiegenden rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union im Bereich der Zölle eingeleitet wurden. Es obliegt dem nationalen Gericht, Art. 325 Abs. 1 AEUV volle
Wirksamkeit zu verschaffen, indem es diese Regelung erforderlichenfalls unangewendet lässt, zugleich aber darauf achtet, dass die Grundrechte der Beschuldigten gewahrt bleiben. (EuGH)
2. Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass der Verteidigung erst nach Einreichung der Anklageschrift bei Gericht detaillierte Informationen über den Tatvorwurf erteilt werden, aber bevor das Gericht mit der inhaltlichen Prüfung des Tatvorwurfs beginnt und bevor die Verhandlung vor ihm aufgenommen wird, oder sogar nach Beginn der Verhandlung, aber vor dem Eintritt in die abschließende Beratung, falls die erteilten Informationen später geändert werden, vorausgesetzt, dass das Gericht alles Erforderliche unternimmt, um die Verteidigungsrechte und die Fairness des Verfahrens zu wahren.
Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht sich vergewissern muss, dass die Verteidigung tatsächlich die Möglichkeit zur Einsicht in die Verfahrensakte erhält, wobei diese Akteneinsicht gegebenenfalls nach Einreichung der Anklageschrift bei Gericht erfolgen kann, aber bevor das Gericht mit der inhaltlichen Prüfung des Tatvorwurfs beginnt und bevor die Verhandlung vor ihm aufgenommen wird, oder sogar nach Beginn der Verhandlung, aber vor dem Eintritt in die abschließende Beratung, falls im gerichtlichen Verfahren neue Beweise zu den Akten genommen werden, vorausgesetzt, dass das Gericht alles Erforderliche unternimmt, um die Verteidigungsrechte und die Fairness des Verfahrens zu wahren. (EuGH)
3. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs ist dahin auszulegen, dass er weder einer nationalen Regelung entgegensteht, die das nationale Gericht verpflichtet, einen von zwei beschuldigten Personen beauftragten Rechtsbeistand gegen deren Willen auszuschließen, wenn die Interessen dieser Personen in Konflikt stehen, noch das Gericht daran hindert, diesen Personen die Beauftragung eines neuen Rechtsbeistands zu gestatten oder gegebenenfalls zwei Pflichtverteidiger anstelle des ersten Rechtsbeistands zu bestellen. (EuGH) 4. Aus dem Wortlaut und dem Aufbau von Art. 267 AEUV folgt, dass das Vorabentscheidungsverfahren voraussetzt, dass beim nationalen Gericht tatsächlich ein Verfahren anhängig ist, in dessen Rahmen es eine Entscheidung erlassen muss, bei der das Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs berücksichtigt werden kann. Dass ist nicht (mehr) der Fall, wenn ein Beschuldigter zwischenzeitlich verstirbt. Unter diesen Umständen ist auf die vorgelegten Fragen nicht zu antworten. (Bearbeiter)
5. Um den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, sind die Mitgliedstaaten nach Art. 325 AEUV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Beschluss 2007/436/EG, Euratom verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die tatsächliche und vollständige Erhebung der Zölle sicherzustellen, was voraussetzt, dass Zollkontrollen ordnungsgemäß erfolgen können. (Bearbeiter)
6. Die Mitgliedstaaten können zwar frei wählen, welche Sanktionen sie anwenden. Sie müssen jedoch dafür sorgen, dass schwere Betrügereien oder sonstige schwerwiegende rechtswidrige Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union im Bereich der Zölle mit wirksamen und abschreckenden Strafen geahndet werden. (Bearbeiter)
7. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass die strafverfahrensrechtlichen Regelungen eine wirksame Ahndung der durch solche Machenschaften verwirklichten Straftaten ermöglichen. Es steht den nationalen Gerichten zwar frei, nationale Standards für den Schutz der Grundrechte anzuwenden. Dies steht aber unter anderem unter der Bedingung, dass dadurch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt werden. (Bearbeiter)
8. Folgende strafprozessuale Regelungen sind geeignet, die Wirksamkeit der Strafverfolgung zu beeinträchtigen und die Ahndung von schweren Betrügereien oder sonstigen schwerwiegenden rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu verhindern, was im Widerspruch zu Art. 325 Abs. 1 AEUV steht:
Das nationale Gericht muss auf Antrag des Beschuldigten das Strafverfahren einstellen, wenn die Staatsanwaltschaft nach Ablauf einer Frist von zwei Jahren – zuzüglich Fristen von dreieinhalb Monaten bzw. einem Monat – die Ermittlungen nicht abgeschlossen und gegebenenfalls die schriftlichen Tatvorwürfe nicht verfasst und der Verteidigung nicht offengelegt, der Verteidigung keinen Zugang zur Verfahrensakte gewährt und dem Gericht keine Anklageschrift vorgelegt hat oder in diesem Rahmen Verstöße gegen wesentliche Verfahrensregeln im Sinne des nationalen Rechts begangen hat, die sie innerhalb der genannten Fristen nicht behoben hat.
Das nationale Gericht verfügt über keine Möglichkeit, je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Komplexität des Verfahrens und des Verhaltens der Beteiligten, die vorgesehenen Fristen zu verlängern.
Das nationale Gericht darf die Sache nicht inhaltlich prüfen und die etwaigen im Ermittlungsverfahren begangenen Verstöße gegen wesentliche Verfahrensregeln selbst beheben, selbst wenn die schädliche Wirkung dieser Verletzung der Verteidigungsrechte durch geeignete Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren beseitigt werden könnte.
Von der Verteidigung geschaffene Hindernisse für die ordnungsgemäße Offenlegung der schriftlichen Tatvorwürfe und der Ermittlungsakte – einschließlich einer etwaigen Verzögerungstaktik der Verteidigung – hindern nicht den Ablauf der Fristen von dreieinhalb bzw. einem
Monat, über die die Staatsanwaltschaft verfügt, um die Ermittlungen abzuschließen und Anklage zu erheben, so dass diese Hindernisse zur Einstellung des Strafverfahrens führen können, wonach jede Fortführung der Strafverfolgung und jede neue Strafverfolgung ausgeschlossen ist. (Bearbeiter)
9. Die Durchführung von Art. 325 Abs. 1 AEUV ist als Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta anzusehen. (Bearbeiter)
10. Es obliegt zuvörderst dem nationalen Gesetzgeber, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Verpflichtungen aus Art. 325 AEUV nachzukommen. (Bearbeiter)
11. Auch nationale Gerichte müssen die volle Wirksamkeit der Verpflichtungen aus Art. 325 AEUV gewährleisten, indem sie entgegenstehende nationale Regelungen so weit wie möglich im Licht dieser Vorschrift in seiner Auslegung durch den Gerichtshof auslegen oder sie erforderlichenfalls unangewendet lassen. Sollten mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, um die genannten Verpflichtungen zu erfüllen, obliegt es dem nationalen Gericht, zu entscheiden, welche dieser Maßnahmen es anwendet. Dabei ist darauf zu achten, dass die Grundrechte, die den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens nach der GRC zustehen, gewahrt werden. (Bearbeiter)
12. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nicht nach Maßgabe einer präzisen, abstrakt festgelegten Obergrenze zu bestimmen. Sie ist vielmehr anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache, etwa der auf dem Spiel stehenden Interessen und der Komplexität der Angelegenheit oder auch des Verhaltens der zuständigen Behörden und der Verfahrensbeteiligten, zu beurteilen, wobei eine solche Komplexität oder eine Verzögerungstaktik der Verteidigung als Rechtfertigung für eine auf den ersten Anschein überlange Dauer dienen kann. (Bearbeiter)
13. Art. 6, 7 RL 2012/13/EU gewährleisten die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte und die Fairness des Verfahrens. Dieses Ziel erfordert, dass die beschuldigte Person detaillierte Informationen über den Tatvorwurf und Einsicht in die Verfahrensakte rechtzeitig erhält. Die Informationserteilung hat spätestens dann zu erfolgen und die Akteneinsicht ist spätestens dann zu gewähren, wenn die Verhandlung über die Begründetheit des Tatvorwurfs vor dem für die Entscheidung hierüber zuständigen Gericht tatsächlich beginnt. (Bearbeiter)
14. RL 2012/13 spricht nicht dagegen, dass das Gericht die erforderlichen Maßnahmen zur Behebung eines Verstoßes ergreift, soweit dabei die Verteidigungsrechte und das Recht auf ein faires Verfahren gewahrt bleiben. (Bearbeiter)
15. Das nationale Gericht ist verpflichtet, einen angemessenen Ausgleich herzustellen zwischen einerseits der Wahrung der Verteidigungsrechte und andererseits der Notwendigkeit, die Effektivität der Strafverfolgung und die Ahndung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass das Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen wird, wobei gegebenenfalls zu berücksichtigen ist, dass die Verteidigung den geordneten Ablauf des Verfahrens gezielt behindert. (Bearbeiter)
16. Art. 48 Abs. 2 GRC entspricht Art. 6 Abs. 3 EMRK und hat nach Art. 52 Abs. 3 GRC dieselbe Bedeutung und dieselbe Tragweite. (Bearbeiter)
17. Das Recht auf Zugang zu einem Verteidiger räumt dem Betroffenen zwar die Möglichkeit ein, auf einen Verteidiger seiner Wahl zurückzugreifen. Diese Möglichkeit besteht aber nicht absolut. Sie kann also gewissen Einschränkungen unterworfen werden, vorausgesetzt, dass diese gesetzlich vorgesehen sind, einem im Allgemeininteresse stehenden Ziel dienen und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Ziel stehen. (Bearbeiter)
1. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung auszurichten, schädlichen Auswirkungen insbesondere eines langjährigen Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und die Tüchtigkeit des Inhaftierten für ein Leben in Freiheit zu erhalten und zu festigen. Dies gilt auch bei der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
2. Der Wiedereingliederung dienen unter anderem die Vorschriften über Vollzugslockerungen beziehungsweise vollzugsöffnende Maßnahmen. Auch wenn bei einem Strafgefangenen noch keine konkrete Entlassungsperspektive besteht, können zumindest Lockerungen in Form von Ausführungen verfassungsrechtlich geboten sein.
3. Die Versagung von Lockungen darf daher nicht auf lediglich abstrakte Wertungen gestützt werden. Vielmehr sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung konkrete Anhaltspunkte darzulegen, die geeignet sind, eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu begründen. Dabei ist die bei einer Ausführung oder Außenarbeit vorgesehene Begleitung durch Justizvollzugsbedienstete regelmäßig geeignet, einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr wirksam zu begegnen.
4. Hat ein Strafgefangener bereits beanstandungsfrei Ausführungen und Außenarbeitseinsätze wahrgenommen und wird er hierfür von der Vollzugsanstalt auch weiter-
hin als geeignet angesehen, so verletzt die Versagung erneuter Lockerungen das Resozialisierungsgebot, wenn sie sich (lediglich) darauf stützt, dass der Gefangene die Verlegung in eine gesonderte Diagnose- und Prognosestation verweigert. Denn Vollzugslockerungen sind keine Behandlungsmaßnahmen, deren Gewährung von der vorherigen Erstellung eines Behandlungskonzepts abhängig gemacht werden kann.
5. Sieht das Rechtsbeschwerdegericht von einer Begründung seiner Entscheidung ab, so ist dies mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nur vereinbar, wenn dadurch die gesetzlich eröffnete Beschwerdemöglichkeit nicht leer läuft. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung bestehen, etwa weil die Entscheidung offenkundig von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
1. Die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist wegen der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung nur ausnahmsweise zulässig, wenn die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung den Freiheitsanspruch des Beschuldigten überwiegen. Bei der Abwägung ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen.
2. Die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte müssen alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit die notwendigen Ermittlungen abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Im Falle der Entscheidungsreife ist über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und anschließend im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen.
3. Allein die Schwere der Straftat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag jedenfalls bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen die Fortdauer einer ohnehin bereits lang andauernden Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen.
4. Anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse kann eine nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts die Haftfortdauer niemals rechtfertigen. Dies gilt selbst dann, wenn die Überlastung auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Die Justizverwaltung ist insoweit verfassungsrechtlich verpflichtet, die Gerichte in einer Weise mit Personal auszustatten, die eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung erlaubt.
5. Haftfortdauerentscheidungen unterliegen von Verfassungs wegen einer erhöhten Begründungstiefe und erfordern regelmäßig schlüssige und nachvollziehbare Ausführungen zum Fortbestehen der Voraussetzungen der Untersuchungshaft, zur Abwägung zwischen Freiheitsgrundrecht und Strafverfolgungsinteresse sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit.
6. Befindet sich der Angeklagte bei Beginn der Hauptverhandlung bereits über ein Jahr in Untersuchungshaft, so ist das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt, wenn trotz einer bereits bekannten Überlastungssituation der zuständigen Strafkammer erst zwei Monate nach Anklageerhebung eine Entlastungskammer errichtet wird, welche ohne tragfähigen Grund erst nach knapp fünf weiteren Monaten das Hauptverfahren eröffnet.
7. Eine Verhandlungsdichte von durchschnittlich weniger als einem Sitzungstag pro Woche genügt den Beschleunigungsanforderungen auch dann nicht, wenn dieselbe Strafkammer parallel zu der Haftsache ein weiteres Strafverfahren verhandelt, welches zwar sachlich mit der Haftsache zusammenhängt, jedoch gerade nicht mit dieser verbunden worden ist. Eine verfahrensübergreifende Betrachtung rechtfertigt die verzögerte Durchführung der Hauptverhandlung nicht.
1. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG in der Fassung des Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes, wonach für vor dem 3. Juli 2016 begangene Straftaten nach dem Wertpapierhandelsgesetz keine „Ahndungslücke“ bestanden hat (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 5 StR 532/16 –
[= HRRS 2017 Nr. 190]), verstößt nicht gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG.
2. § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG a. F., welcher Verstöße gegen die Marktmissbrauchsverordnung (MAR) durch Marktmanipulationen entgegen Art. 15 der Verordnung sanktioniert, erlaubt auch die Ahndung vor dem 3. Juli 2016 begangener Verstöße, wenngleich die in Bezug genommene Vorschrift am 2. Juli 2016 zwar bereits in Kraft getreten, europarechtlich allerdings noch nicht anwendbar war. Eine Strafbarkeitslücke für Altfälle (§ 2 Abs. 3 StGB) besteht nicht (Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2018 – 2 BvR 463/17 – [= HRRS 2018 Nr. 463]).
1. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts - einschließlich der Unterbringung eines nicht oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus.
2. Bei der Entscheidung über die Fortdauer einer Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung zu tragen, dass das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die mögliche Gefährdung der Allgemeinheit zur Dauer des erlittenen Freiheitsentzugs in Beziehung zu setzen.
3. Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist hinreichend zu konkretisieren; Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten sind zu bestimmen. Abzustellen ist dabei auf das frühere Verhalten des Untergebrachten, die von ihm bislang begangenen Taten und die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände.
4. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.
5. Eine Gefahrprognose genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, wenn der Fortdauerbeschluss lediglich die entsprechenden Ausführungen in der gutachterlichen Stellungnahme der Maßregelvollzugsklinik wiedergibt, ohne dass erkennbar wird, welche Straftaten aus Sicht der Strafvollstreckungskammer mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
6. Die von einem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist nicht hinreichend konkretisiert, wenn lediglich die „fortbestehende hohe Gefahr weiterer erheblicher Sexualstraftaten“ festgestellt wird, ohne dass dargelegt wird, welche Handlungen innerhalb der Bandbreite der in den §§ 174 ff. StGB geregelten Straftaten, deren Strafrahmen von Geldstrafe bis zu lebenslanger Freiheitstrafe reicht, im Einzelnen zu erwarten sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn der herangezogene Sachverständige eine deutlich höhere Gefahr von „Hands-off“-Übergriffen im Vergleich zu „Hands-on“-Delikten angenommen hat.
7. Eine Fortdauerentscheidung genügt im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit nicht den Darlegungsanforderungen, wenn unerörtert bleibt, dass die Dauer der bereits seit über 20 Jahren vollzogenen Unterbringung die zugleich verhängte Jugendstrafe um ein Vielfaches überstiegt und dass der zur Tatzeit 19 Jahre alte Betroffene mehr als die Hälfte seines Lebens im Maßregelvollzug verbracht hat. Nichts anderes gilt, wenn die Strafvollstreckungskammer sich weder zu dem Behandlungsverlauf in seiner Gesamtheit noch zu den verbleibenden Therapieaussichten äußert.
8. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch zu erörtern, inwieweit etwaigen Gefahren durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden kann. Entsprechende Ausführungen sind insbesondere dann erforderlich, wenn sowohl der herangezogene Sachverständige als auch die Vollzugseinrichtung die Perspektive einer Unterbringung in einer betreuten Wohneinrichtung aufgezeigt haben.