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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2018
19. Jahrgang
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1. Die zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung führende Verletzung des Beschleunigungsgebotes gebietet eine Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK fordert eine Erledigung des Strafverfahrens in angemessener Zeit; wird das hieraus folgende Beschleunigungsgebot verletzt, ist eine Kompensation angezeigt. Aber nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung führt zu einer derartigen Verletzung des Beschleunigungsgebots. Dies gilt auch für besondere Verfahrensvorgänge, die das Gesetz vorsieht, wie das Verfahren zum Divergenzausgleich gemäß § 132 GVG. Zur Annahme einer Kompensationsbedürftigkeit im Einzelfall bei der Prüfung der ungleichartigen Wahlfeststellung.
2. Der Umfang der zur Kompensation erforderlichen Vollstreckungsanrechnung ist nicht mit dem Umfang der Verfahrensverzögerung gleichzusetzen, sondern sie hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der verhängten (Gesamt-) Strafe zu betragen.
3. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst anzuwenden hat, wenn es nach abgeschlossener Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag. Er fordert nicht, dass auch dann zwingend von der einem Angeklagten günstigsten Fallgestaltung auszugehen ist, wenn hierfür keine konkreten Anhaltspunkte bestehen.
4. Eine Postpendenzfeststellung ist nur möglich, wenn feststeht, dass der Angeklagte faktisch alle Tatbestandsmerkmale der Hehlerei erfüllt, also auch, dass er das Hehlgut von einem anderen als dem Täter der Vortat erlangt hat, und nur offenbleibt, ob er selbst an der Vor-
tat beteiligt war. Ist aber eine Begehung der Vortat durch die Angeklagten als Allein- oder Mittäter, gegebenenfalls neben Dritten, nicht auszuschließen, kommt eine Postpendenzfeststellung nicht in Betracht.
5. Die Annahme, dass Diebstahl und Hehlerei rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind und deshalb Gegenstand einer gesetzesalternativen Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage sein können, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt. Danach ist auch eine Wahlfeststellung zwischen gewerbsmäßig begangenem Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei zulässig.
6. Das zusätzliche Vorliegen einer Verhaltensweise, welche die Voraussetzungen eines Regelbeispiels des § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllt, dem bei der Hehlerei kein rechtsethisch und psychologisch vergleichbares Merkmal gegenübersteht, steht einer gesetzesalternativen Verurteilung mit Blick auf die vergleichbaren Grundkonstellationen nicht im Wege.
7. Der Teilfreispruch erstreckt sich auch auf die jeweils nicht begründete Alternative der Anklagevorwürfe. Wenn verschiedene Taten im prozessualen Sinn zum Gegenstand zweier Anklagen gemacht werden, wovon nur eine begründet, aber die jeweils andere unbegründet ist, wird nämlich auch zur Klarstellung der Reichweite des Strafklageverbrauchs ein Teilfreispruch hinsichtlich des überschießenden Teils erforderlich.
8. Bei der Ermittlung des mildesten Gesetzes in der Wahlfeststellungssituation ist kein abstrakter Strafrahmenvergleich vorzunehmen. Vielmehr hat der Tatrichter auf der Grundlage der Sachverhaltsalternativen jeweils zu erörtern, welche Strafe er für angemessen gehalten hätte, wenn zweifelsfrei die eine oder die andere Handlung nachgewiesen wäre, um hiernach die niedrigere der hypothetisch in Frage kommenden Strafen zu verhängen.
Der Inhalt der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung gehört nicht zu den den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und muss deshalb in der Revisionsrechtfertigung auch nicht vorgetragen werden. Den Inhalt der Sacheinlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung festzustellen – in welcher Form auch immer diese erfolgt ist – ist Sache des Tatrichters, der dafür bestimmte Ort sind die Urteilsgründe.
1. Steht ein Sachverhalt fest, der die Verurteilung wegen einer auf den Diebstahl folgenden „Nachtat“ in jedem Fall rechtfertigt, während lediglich ungewiss ist, ob der Angeklagte (auch) an den jeweiligen Vortaten beteiligt war, geht eine Verurteilung auf eindeutiger Grundlage im Wege der Postpendenz unter Anwendung des Zweifelssatzes einer gesetzesalternativen Wahlfeststellung vor.
2. Auf die Postpendenzfeststellung finden die Grundsätze der Wahlfeststellung Anwendung, bei der die Strafe dem Gesetz entnommen werden muss, das die – aufgrund konkreter Betrachtung zu ermittelnde – mildeste Strafe zulässt.
1. Die einer Vereinfachung des Ablehnungsverfahrens dienende Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet, wenn keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und die Beteiligung des abgelehnten Richters lediglich auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (vgl. BVerfG NJW 2005, 3410). Die Anwendung des § 26a StPO darf daher nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit zum „Richter in eigener Sache“ wird.
2. In Fällen, in denen die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig zu beantworten ist, liegt es daher nahe, das Regelverfahren nach § 27 StPO zu wählen, um jeden Anschein einer solchen Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden; denn auf Fälle „offensichtlicher Unbegründetheit“ des Ablehnungsgesuchs darf das vereinfachte Ablehnungsverfahren wegen des sonst vorliegenden Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausgedehnt werden. Nur bei einer solch strengen Beachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26a StPO gerät diese Ausnahmeregelung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt (vgl. BVerfG NJW 2005, 3410).
3. Dass die abgelehnten Richter zum Beleg der Prozessverschleppungsabsicht das eigene Verhalten im Rahmen des Prozessgeschehens bei der Entscheidung nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO darstellen müssen, macht sie indes noch nicht zu Richtern in eigener Sache (vgl. BGH wistra 2009, 446). Hingegen darf der abgelehnte Richter über diese formale Prüfung hinaus nicht an einer näheren inhaltlichen Untersuchung der Ablehnungsgründe auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlichen Unbegründetheit mitwirken und sich auf diese Weise zum Richter in eigener Sache machen. Dabei muss die Auslegung des Ablehnungsgesuchs darauf ausgerichtet sein, es seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten (vgl. BVerfG NJW 2005, 3410).
§ 252 StPO verbietet über seinen Wortlaut hinaus auch die Vernehmung von Personen, die bei der früheren Vernehmung eines Zeugnisverweigerungsberechtigten – der sich nunmehr auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft – zugegen waren (hier: Verwandte des Vernommenen).
Die Strafverfolgungsbehörden haben einen Zeugen erst dann als Beschuldigten zu behandeln, wenn sich der Verdacht gegen ihn so verdichtet hat, dass der Zeuge ernstlich als Täter der untersuchten Straftat in Betracht kommt. Die Grenzen des den Strafverfolgungsbehörden eingeräumten Beurteilungsspielraums sind erst dann überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts nicht von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird und auf diese Weise die Beschuldigtenrechte umgangen werden.
1. Die prozessuale Handlungsfähigkeit setzt bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung voraus, dass der Beschuldigte die Tragweite seiner Erklärung erkennt. Der Beschuldigte muss sich in einem Zustand geistiger Freiheit und Klarheit befinden, in dem er seine Interessen vernünftig abwägen und wahrnehmen kann. Eine etwaige Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Beschuldigten schließt seine prozessuale Handlungsfähigkeit nicht zwingend aus. Die Annahme einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung kommt erst in Betracht, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er bei Abgabe der Erklärung nicht in der Lage war, Bedeutung und Tragweite der Rechtsmittelrücknahme zu erfassen. Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit gehen hierbei zu Lasten des Beschuldigten.
2. Eine wirksame Rücknahmeerklärung ist nach ihrem Eingang bei Gericht unwiderruflich und unanfechtbar geworden.
3. Eine von dem Beschuldigten (hilfsweise) erneut eingelegte Revision ist unzulässig, da eine wirksame Rücknahmeerklärung regelmäßig den Verzicht auf die Wiederholung des Rechtsmittels enthält.
1. Eine sachlich-rechtlich fehlerfreie Beweiswürdigung zum Tötungseventualvorsatz bei objektiv erkennbar lebensgefährlichen Handlungen – hier Anzünden eines bewohnten Hauses – erfordert die widerspruchsfreie Auseinandersetzung mit dem Wissenselement einerseits und dem Willenselement andererseits. Der Verweis auf die „psychische Situation eines voll schuldfähigen Angeklagten ist insoweit ohne weitere Ausführungen nicht geeignet, bei an sich bejahtem Wissenselement die Verneinung des Willenselements zu begründen.
2. Ein Gebäude ist in Brand gesetzt i.S.d. §§ 306, 306a StGB, wenn es so vom Feuer erfasst ist, dass es selbständig ohne Fortwirken des Zündstoffs weiterbrennt, wobei es erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass sich der Brand auf Teile des Gebäudes ausbreiten kann, die für dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung sind. Es genügt daher nicht, wenn solche Gebäudeteile lediglich teilweise verbrannt oder angekohlt werden, ohne dass dadurch ein Fortbrennen aus eigener Kraft ermöglicht wird.
1. Eine Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung kommt nur bei einem offensichtlichen Verkündungsversehen in Betracht (vgl. BGHSt 25, 333, 336). Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 119, 120).
2. Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches Verkündungsversehen kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten – auch ohne Berichtigung – klar zu Tage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist. Es muss darüber hinaus eindeutig und zweifelsfrei erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Hinsichtlich der Frage einer möglichen Berichtigung der mündlich verkündeten Urteilsformel kann insoweit auch die mündliche Urteilsbegründung Berücksichtigung finden. In Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die – anders als die schriftlichen Urteilsgründe – bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, ist
bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten (vgl. BGHSt 3, 245, 247).
Der Umstand, dass es sich bei einem anhängigen Verfahren um ein reines Sicherungsverfahren, bei einem anderen geführten Verfahren jedoch um ein Strafverfahren handelt, steht der Verfahrensverbindung nicht entgegen.
Zwar existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass einem Zeugen nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht geglaubt werden darf. Jedoch müssen die Urteilsgründe dann erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat; wird dem Zeugen hinsichtlich weiterer Taten nicht gefolgt oder handelt es sich gar um bewusst falsche Angaben, so muss das Tatgericht zudem jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben.