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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2018
19. Jahrgang
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Die Vorschriften der Strafprozessordnung enthalten für die Beteiligten des Revisionsverfahrens wenig konkrete handlungsleitende Vorgaben. Unter welchen Voraussetzungen etwa eine Verfahrensrüge ordnungsgemäß erhoben ist (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO), ein Urteil auf einem Gesetzesverstoß beruht (§ 337 Abs. 1 StPO) oder aber die tatrichterliche Beweisführung (§ 261 StPO) mit der Revision angegriffen werden kann, lässt sich den gesetzlichen Vorschriften nicht einmal ansatzweise entnehmen. Revisionsrecht ist richterrechtlich und kasuistisch, teilweise geradezu textbausteinförmig,[2] geprägt. Nur schlaglichtartig ein Blick auf einige Fragestellungen, die der aktuellen BGH-Rechtsprechung entnommen sind und belegen, wie schnell der Rechtsanwender revisionsrechtlich ins Schwimmen geraten kann:
Diese Beispiele mögen genügen. Sie illustrieren ausreichend die Notwendigkeit, zur Beantwortung derartiger Fragestellungen auf Kommentierungen des Revisionsrechts zurückgreifen zu können, die den revisionsrechtlichen Rechtsanwender nicht in Stich lassen, also Praxisnähe mit revisionsdogmatischer Tiefe verbinden. Die von Wolfgang Frisch und Wolfgang Wohlers nunmehr in 5. Auflage vorgelegte Kommentierung der §§ 333 – 358 StPO[10] erfüllt einmal mehr diese Erwartungen in herausragender Weise. Das kann im Rahmen einer Rezension nur annäherungsweise nachgezeichnet werden, indem – orientiert an den einleitend angerissenen, für die revisionsrechtliche Praxis bedeutsamen Problemstellungen – Schlaglichter auf die Kommentierung geworfen werden, die aber hinreichend verdeutlichen, mit welch großem intellektuellen Gewinn man sie zu Rate zieht.
1. Frisch wendet sich in einem Vorspann nicht nur der Geschichte des Revisionsverfahrens – z.B. dem Niedergang der Verfahrensrüge (vor § 333, Rn. 11, 11a) – und etwaigen Reformbemühungen (aaO Rn. 21 ff.) zu, sondern setzt sich mit der von ihm mit Recht als durchaus praktisch relevant angesehenen (aaO Rn. 15) Frage nach dem Zweck des Revisionsverfahrens auseinander. Überzeugend wendet er sich gegen Ansätze, die den Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit aus dem Revisionsverfahren vertreiben (aaO Rn. 16 f.) oder aber die Entwicklungen hin zur sog. erweiterten Revision rückgängig machen wollen (aaO Rn. 18 ff.). Letzteres mag selbstverständlich erscheinen, bedarf aber heutzutage offenbar der ausdrücklichen Betonung mit Blick auf abwegige kriminalpolitische Bestrebungen aus Kreisen der Strafjustiz – etwa des sog. Strafkammertages –, die u.a. auf die Eliminierung der allgemeinen Sachrüge zielen.[11]
2. Angesichts der – nach meiner Beobachtung – regional durchaus unterschiedlichen Nutzung des Rechtsmittels der Springrevision und der immer noch anzutreffenden Überlegung von Verteidigern, man könne durch ein Hin- und Herwechseln zwischen den Rechtsmitteln bzw. die unbestimmte Anfechtung des Urteils der Strafjustiz ein Schnäppchen schlagen, kommt den hierauf bezogenen detaillierten Ausführungen Frischs (§ 335, Rn. 6 ff.) erhebliche praktische Relevanz zu, insbesondere soweit er auch die beschränkten Möglichkeiten der Wiedereinsetzung (aaO Rn. 16 f.) und die von § 335 Abs. 3 StPO geregelte Konkurrenz verschiedener Rechtsmittel abhandelt (aaO Rn. 18 ff.).
3. Die Kommentierung der Vorschrift des § 337 Abs. 1 StPO ist regelmäßig der Ort, an dem neben der Problematik des Beruhenszusammenhangs die Grundfragen revisionsgerichtlicher Kontrolldichte abgehandelt werden.[12]
a) Frisch (§ 337, Rn. 2) beharrt darauf, dass der Begriff der Gesetzesverletzung den "Schlüsselbegriff der Revision" bildet und legt dies und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die revisionsrechtliche Überprüfbarkeit tatrichterlicher Entscheidungen detailliert dar (aaO Rn. 3 ff.). Nüchtern konstatiert er die sich hieraus ergebenden Restriktionen hinsichtlich der Angreifbarkeit tatsächlicher Feststellungen (aaO Rn. 7), differenziert zwischen Gesetzesverletzung und Rechtsfrage (aaO Rn. 11 ff.) und betont in diesem Zusammenhang auch den Stellenwert, der der Darstellungsrüge zukommt, mit der Erwägungen eines Tatrichters begegnet werden kann, die nicht die Überprüfung gestatten, ob er von einem zutreffenden Gesetzesverständnis ausgegangen ist (aaO Rn. 13 – 15). Konsequenterweise verwirft er die sog. Leistungstheorie bzw. einen sich als teleologisch begreifenden
Ansatz zur Bestimmung des revisionsrechtlichen Zugriffsbereichs (aaO Rn. 19 ff.). Unter der Überschrift "Formen der Revision und Arten der Revisionsgründe" wendet er sich zuerst (aaO Rn. 22 ff:) der manchmal durchaus heiklen und mit Blick auf § 344 Abs. 2 StPO enorm praxisrelevanten Abgrenzung zwischen Sach- und Verfahrensrüge zu und spricht hierbei die Problematik aus den Urteilsgründen selbst erkennbarer Verfahrensmängel an (aaO Rn. 24 a.E.), ein Fragenkreis, dem er sich später vertiefend zuwendet (aaO Rn. 62 ff.). Anschließend nimmt er die Unterscheidung von absoluten und relativen Revisionsgründen in den Blick (aaO Rn. 25 f.). Die Frage der Relativierung absoluter Revisionsgründe wird zu Beginn der Kommentierung des § 338 StPO (Rn. 3) vertieft, wobei Frisch eine gewisse Sympathie für den Ansatz der Rechtsprechung erkennen läßt, in Fällen des denklogischen Ausschlusses des Beruhens einen absoluten Revisionsgrund nicht durchgreifen zu lassen (aaO Rn. 3 a.E.). Zurück zur Kommentierung des § 337 StPO: Frisch (§ 337, Rn. 27 i.V.m. Rn. 39 ff.) wendet sich bei der Auslegung des Begriffs der Gesetzesverletzung der Frage zu, ob und in welchem Umfang Soll- und Ordnungsvorschriften als einschränkende revisionsrechtliche Kategorien anzuerkennen sind, und plädiert für eine differenzierende Sichtweise (aaO Rn. 44; vgl. auch zur Frage der Beschwer einschließlich der Rechtskreistheorie aaO. Rn. 92 ff.).
b) Von besonderer praktischer Relevanz sind – wie bereits angedeutet – die Ausführungen zur Abgrenzung verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher Vorschriften. (aaO Rn. 61 ff.). Das gilt insbesondere für Bemühungen der Rechtsprechung die Zuordnung zu einer dieser beiden Kategorien – wie etwa beim Verstoß gegen das Verzögerungsverbot (aaO Rn. 66a) geschehen – zu ändern. Frisch nimmt auch die speziellen Probleme des Verständigungsgesetzes in den Blick (aaO Rn. 66b) und wendet sich der unter diesem Blickwinkel nicht unproblematischen Zuordnung der beweiswürdigenden Wertung des Aussageverhaltens etwa von zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen zu (aaO Rn. 67).
c) Er (aaO Rn. 70 ff.) untersucht ausführlich die Beweisstation bei der Prüfung verfahrensrechtlicher Beanstandungen und relativiert die Annahme der Rechtsprechung, eine erfolgreiche Verfahrensrüge setze immer den vollständigen Nachweis des Vorliegens ihrer tatsächlichen Voraussetzungen voraus (aaO Rn. 75 f.), die ernsthafte und nicht ausräumbare Möglichkeit eines Verfahrensverstoßes müsse vielmehr ausreichen (aaO Rn. 76).
d) Unter der Überschrift "Unzulässigkeit der Wiederholung (Rekonstruktion) der tatrichterlichen Beweisaufnahme" widmet sich Frisch (aaO Rn. 77 ff.) einer der zentralen Fragen des Revisionsrechts: Greift das Argument der Rechtsprechung, es widerstreite der Ordnung des Revisionsverfahrens, könnte in ihm der inhaltliche Gang der tatrichterlichen Beweisaufnahme rekonstruiert werden?[13] Diese Problematik wird bei Rügen der Verletzung der §§ 244 Abs. 2, 261 StPO virulent (aaO Rn. 78). Frisch wendet sich gegen eine Verabsolutierung des Rekonstruktionsverbots und hält es deshalb für nicht angängig, vom Revisionsgericht zu verlangen, von ihm ohne weiteres erkennbare, für die Prüfung der Berechtigung einer Verfahrensbeanstandung wesentliche Beweisergebnisse unberücksichtigt zu lassen, da sich dies mit dem Grund des Rekonstruktionsverbots, der strukturellen Beweisnot des Revisionsgerichts bei der Nachzeichnung des inhaltlichen Ganges der Beweisaufnahme vor dem Tatrichter (a.a.O. Rn. 79), nicht begründen lasse und deshalb auf eine mit dem Zweck der Revision unvereinbare Bindung der Revisionsgerichte hinauslaufe (aaO Rn. 80). Das buchstabiert Frisch detailliert anhand der einschlägigen Fallgruppen – unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten bei Videoaufzeichnungen (aaO Rn. 82a) – durch (aaO Rn. 81 – 86; vgl. auch aaO Rn. 103 ff.) und erklärt der sog. Alternativrüge eine Absage (aaO Rn. 86). Tiefschürfend setzt er sich mit der auch aus seiner Sicht (aaO Rn. 117) nicht endgültig geklärten Frage auseinander, ob revisionsgerichtliche Selbstbeschränkungen durch Zubilligung von tatrichterlichen Beurteilungsspielräumen bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe akzeptabel sind (aaO. Rn. 109 ff.).[14]
e) Im Anschluss präsentiert Frisch umfassend die Revisibilität einerseits der tatrichterlichen Beweisführung (aaO Rn. 118 ff.) unter Einbeziehung typischer Tatrichtern unterlaufender Mängel (aaO Rn. 121 ff.) sowie andererseits der Rechtsfolgenentscheidung (aaO Rn. 147 ff.). Wie nicht zuletzt wegen seiner einschlägigen Dissertation[15] zu erwarten, werden die strafzumessungsrechtlichen Fragen umfassend, ja handbuchähnlich abgehandelt. Diese Ausführungen stellen eine wahre Fundgrube für jeden dar, der sich im Rahmen einer revisionsrechtlichen Fallbearbeitung mit Fragen der Revisibilität der Strafzumessung zu befassen hat.
f) Ein weiterer Höhepunkt dieser Kommentierung schließt sich mit der Klärung des Begriffs des Beruhens[16] an, der der Rechtsprechung die Möglichkeit vermittelt, letztlich einzelfall- und ergebnisorientiert über den Erfolg einer Revision befinden zu können. Frisch entwickelt das Grundverständnis dieses revisionsrechtlichen Mechanismus (aaO Rn. 186 ff.) und handelt die bei der Prüfung von Verfahrensrügen (aaO Rn. 190 ff.) und sachlich-rechtlichen Beanstandungen (aaO Rn. 199 ff.) deshalb zu beachtenden Gesichtspunkte umfassend ab. Im Ausgangspunkt (aaO Rn. 186 f., 190) ist demnach – hier bezogen auf Verfahrensrügen – danach zu fragen, "ob das Urteil möglicherweise fehlerhaft ist, weil es bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschrift möglicherweise anders ausgefallen wäre" (aaO. Rn. 190). Das legt er im Einzelnen dar und wendet sich ausführlich der aktuellen Problematik der Beruhensprüfung bei Verstößen gegen die Vorschriften des Verständigungsgesetzes[17] zu (aaO Rn. 197a – e). Den Streit zwischen BGH und BVerfG
zeichnet er minutiös nach und formuliert die Kritik an der (letztlich auch durch den Gesetzgeber verursachten) Rechtsprechung des BVerfG mit Recht dahingehend, dass es "das System der Revisionsgründe durcheinanderbringt, indem es Verfahrensfehler, die das Gesetz nicht als absolut anerkennt, durch eine Veränderung des herkömmlich (aus guten Gründen) anders konzipierten Beruhensbegriffs zu quasi absoluten Revisionsgründen macht" (aaO Rn. 197e). Die Auflistung der offenen Fragen schließt Frisch mit der Feststellung, die Rechtsprechung werde nicht immer dem Grundsatz gerecht, den Beruhenszusaammenhang dann zu bejahen, wenn nicht völlig klar sei, dass eine gegenteilige Einschätzung auf "Verfahrenswiederholungen in Fällen wirklich irrelevanter Gesetzesverletzungen" hinauslaufe (aaO Rn. 198).
g) Erschöpfend wird die Problematik des Verlustes, des Verzichts und der Verwirkung von Verfahrensrügen (aaO Rn. 205 ff.) abgehandelt. Der gelegentlich anzutreffenden Euphorie über ein durch § 238 Abs. 2 StPO vermitteltes Präklusionsregimes[18] erliegt Frisch (aaO Rn. 216 f.) – auch mit Bezug auf die sog. Widerspruchslösung (aaO Rn. 218 f.) – nicht. Abschließend wird ausführlich und mit guten Gründen zurückhaltend die Möglichkeit einer Verwirkung von Verfahrensrügen angesprochen (aaO Rn. 220 ff.).
h) Ob und inwieweit zum Beruhen i.S.d. § 344 Abs, 2 S. 2 StPO Vortragspflichten des Beschwerdeführers bestehen oder derartiger Vortrag verfahrenstaktisch sinnvoll ist, erörtert Frisch im Rahmen seiner Erläuterung dieser Vorschrift (§ 344, Rn. 67 ff.) und würdigt hierbei die z.B. im Kontext des Verständigungsgesetzes zu verzeichnenden Bemühungen der Rechtsprechung, insoweit Darstellungserfordernisse zu etablieren (aaO Rn. 67a).
4. Umfassend greift Frisch auf den Seiten 238 – 376 sämtliche mit der Anwendung des § 338 StPO verbundenen Fragen auf. Nur exemplarisch soll auf die umfassenden Ausführungen zu Verfahrensfehlern verwiesen werden, die den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) betreffen. Die auch in letzter Zeit hierzu gehäuft ergangenen revisionsgerichtlichen Entscheidungen werden von ihm berücksichtigt.[19] Dabei wird zu § 338 Nr. 1 StPO (§ 338, Rn 9 ff.) die Kasuistik besonders ausführlich aufgefächert, während dies bei § 338 Nr. 3 StPO (aaO Rn. 74 ff.) nicht der Fall ist. Abschließend wird jeweils auf die Rügeanforderungen hingewiesen (aaO Rn. 67 ff., 81). Instruktiv sind auch die Erläuterungen zu dem in der Praxis (Stichwort "Verhinderungsvermerk") nicht vollständig durchdrungenen Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO (aaO Rn. 146 ff.). Hinsichtlich des eigenartigen Revisionsgrundes des § 338 Nr. 8 StPO folgt Frisch im Wesentlichen der eher restriktiven Sicht der Rechtsprechung (aaO Rn. 152 ff.).
5. Die weiteren Kommentierungen Frischs befassen sich mit dem Ablauf des Revisionsverfahrens. Das betrifft etwa die bei der Revisionseinlegung zu beachtenden Formen und Fristen sowie die Reparaturmöglichkeiten bei Nichtbeachtung dieser Vorgaben (§§ 341 f.) StPO. Wem in der revisionspraktischen Tätigkeit derartige Fragen unterkommen, wird von Frisch umfassend bedient wie auch hinsichtlich der Parallelprobleme bei der der Verletzung der Frist- und Formerfordernisse der Revisionsbegründung (§§ 345 f. StPO).
6. Einer weiteren Zentralnorm es Revisionsverfahrens wendet sich Frisch auf den Seiten 416 – 470 zu: § 344 SPO, der Vorschrift über die inhaltlichen Anforderungen, denen eine Revisionsbegründung zu genügen hat. Einleitend widmet sich Frisch dem Begriff der Revisionsanträge (§ 344, Rn. 3 ff.) und legt im Anschluss die Grundsätze für die Beschränkbarkeit der Revision (aaO Rn. 8 ff.) dar. Hinsichtlich der Sachrüge hält Frisch es nur in Extremfällen für denkbar, dass sie näher ausführende Erwägungen zu deren (nachträglicher) Unzulässigkeit führen können (aaO Rn. 78), wie es gelegentlich in der Rechtsprechung (etwa des OLG Hamm) immer noch großzügiger angenommen wird. Herzstück der Kommentierung ist die Auslegung des § 344 Abs. 2 S. 2 SPO (aaO Rn. 44 ff.). Frisch folgt dabei im Ausgangspunkt seiner Kommentierung durchaus der Rechtsprechung, und zwar einschließlich der von ihr etablierten Notwendigkeit, die Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge erkennen zu lassen (aaO Rn. 44 ff.). Er legt im Einzelnen mit Blick auf die verschiedenen Dimensionen einer Verfahrensrüge die hieraus folgenden Anforderungen an den Rügevortrag dar (aaO Rn. 48 ff.). Abschließend unterwirft Frisch diese Rechtsprechung – etwa bezogen auf die Mitteilung sog. Negativtatsachen – einer durchaus kritischen Betrachtung und moniert den auch auf das Fehlen eines überzeugenden Konzepts (aaO Rn. 62) zurückgehenden Zufallscharakter mancher revisionsgerichtlicher Abgrenzung (aaO Rn. 61 ff.).
7. Wohlers kommentiert im Anschluss mit den §§ 349 ff. StPO die Vorschriften über den Gang des Revisionsverfahrens nach Abgabe von Revisionsbegründung und Revisionsgegenerklärung (§ 347 StPO).[20] Damit obliegt ihm auch die Erläuterung des Beschlussverwerfungsverfahrens (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO), dem die Mehrzahl der Angeklagtenrevisionen zugeführt wird. Dessen Kernproblem sieht Wohlers mit Recht darin, "dass sich der Gesetzgeber zu keiner Zeit Rechenschaft über die Funktion abgegeben hat, die eine mündliche Verhandlung im Revisionsverfahren sinnvollerweise haben kann", so dass der "Rechtsanwender (…) vor dem Problem steht, entweder an einer wortlautgetreuen Auslegung festzuhalten, die zu wenig sinnvollen Ergebnissen führt, oder aber die Norm berichtigend auszulegen" (§ 349, Rn. 13). Skeptisch zeigt sich Wohlers auch gegenüber dem im BGH bei der Beschlussberatung praktizierten sog. Vier-Augen-Prinzip, sieht aber "das eigentliche Gebrechen des Beschlussverwerfungsverfahrens" nicht in dieser seltsamem Praxis, die dazu führt, dass nur zwei von fünf Revisionsrichtern das angefochtene Urteil selbst gelesen haben, über dessen Rechtsfehlerfreiheit sie zu befinden haben, sondern in dem "Umstand, dass die Verwerfung begründungslos erfolgt" (aaO Rn. 13). Vor diesem rechtsgeschichtlich unterfütterten (aaO Rn. 11 ff.) Verständnis
des § 349 Abs. 2 und 3 StPO wendet sich Wohlers deren Auslegung zu.
a) Er erteilt der vereinzelten Praxis des bestellten Verwerfungsantrages eine deutliche Absage (aaO Rn. 17) und hält deshalb auch revisionsgerichtliche Anregungen, einen Aufhebungs- oder Terminsantrag zurückzunehmen und stattdessen einen Verwerfungsantrag zu stellen, für unzulässig.
b) "Offensichtlich unbegründet" ist für Wohlers eine Revision nur dann nicht, wenn "von der Durchführung einer Revisionshauptverhandlung ein ‚Erkenntnisgewinn‘ zu erwarten ist, wobei diese Einschätzung notwendigerweise dem Revisionsgericht überlassen bleiben muss und sich einer gesetzgeberischen Konkretisierung entzieht" (aaO Rn. 21). Den Stimmen in der Literatur, die unter verschiedenem Blickwinkel das Hohe Lied der Revisionshauptverhandlung singen,[21] hält er zutreffend entgegen, dass das "Verfahren nach Absatz 3 ein funktionales Äquivalent für die Hauptverhandlung darstellt", so dass es einer "Hauptverhandlung nur in den Fällen (bedarf), in denen das Verfahren nach Absatz 3 seine Funktion nicht angemessen erfüllen kann" (aaO Rn. 23). Die entsprechenden Fallgruppen – etwa mit Blick auf die erweiterte Revision – werden skizziert (aaO Rn. 24 f.).
c) Der Verwerfungsantrag ist denjenigen Verteidigern zuzustellen, die sich am Revisionsverfahren beteiligt haben (aaO Rn. 29). Wohlers weist darauf hin, dass die Frist zur Erwiderung auf den Verwerfungsantrag nicht verlängerbar ist, so dass zwar eine nach Fristablauf eingehende Erwiderung des Beschwerdeführers auf den Verwerfungsantrag vom Revisionsgericht zu berücksichtigten ist, es aber nicht zuwarten muss, bis eine angekündigte (verspätete) Stellungnahme tatsächlich bei ihm eingetroffen ist (aaO Rn. 31 ff.). Dem Grunde nach billigt Wohlers (aaO Rn. 33) die ärgerliche Unsitte mancher Revisionsgerichte, vorfristig zu entscheiden, wenn sie – auf welcher Erkenntnisgrundlage auch immer – meinen, weiterer Sachvortrag sei nicht zu erwarten.[22] Das ist – schon mit Blick auf die dem Beschwerdeführer eröffnete Möglichkeit einer weiteren Verteidigermandatierung oder die Chance, aktuelle Rechtsprechungsentwicklungen zu berücksichtigen – kaum hinzunehmen, zumal schon mit Blick auf die ohnehin knapp bemessene gesetzliche Frist (aaO Rn. 31) ein praktisches Bedürfnis nicht erkennbar ist, als Revisionsgericht in dieser Weise kurzen Prozess machen zu können.
d) Erneut[23] plädiert Wohlers mit guten Gründen dafür, in einer Begründung der revisionsgerichtlichen Entscheidung gem. § 349 Abs. 2 StPO "eine aus rechtsstaatlichen Gründen zwingende Notwendigkeit" (aaO Rn. 36 f.) zu sehen. Will das Revisionsgericht von den tragenden Erwägungen des Verwerfungsantrages abweichen, hat es unabhängig von der Begründungspflicht dem Angeklagten wirksam rechtliches Gehör zu gewähren (aaO Rn. 39); zu Einzelheiten dieser einfachgesetzlich nicht vorgesehenen Verfahrensweise schweigt sich Wohlers leider aus. Kombinierte Verfahrensweisen gem. § 349 Abs. 2 und 4 bzw. § 349 Abs, 2 und 5 StPO hält er (aaO Rn. 57 f.) – entgegen weit verbreiteter, aber nicht überzeugender Kritik – dem Grunde nach mit Recht für unbedenklich.
8. Dezidiert vertritt er (§ 350, Rn. 16 ff.) die auch konventionsrechtlich fundierte Auffassung, die Mitwirkung eines Verteidigers sei in der Revisionshauptverhandlung stets als notwendig anzusehen (aaO Rn. 20). Dass dies nicht bei allen Revisionsgerichten selbstverständlich ist, erscheint in der Tat mehr als befremdlich, auch wenn es Fälle geben mag (z.B. eine ersichtlich begründete staatsanwaltschaftliche Revision, der revisionsrechtlich lege artis nichts entgegenzuhalten ist), in denen auch aus Sicht des Angeklagten die Präsenz des Verteidigers kaum geeignet ist, seine Verteidigungsposition irgendwie zu verbessern.
9. Der restriktiven Auffassung der Rechtsprechung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung bzw. Nachbesserung von Verfahrensrügen zu gewähren, vermag Wohlers mit bedenkenswerten Gründen (§ 352, Rn. 12 ff.) nicht zu folgen.
10. Aus eher unerfindlichen, wohl prozessökonomisch inspirierten (§ 353, Rn. 17) Gründen gehen Revisionsgerichte bei einer Urteilsaufhebung recht oft davon aus, den Beteiligten des neuerlichen Rechtsganges werde das Prozedieren erleichtert, wenn von § 353 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht wird. Welche Probleme damit verbunden sind, lässt sich anhand der Kommentierung dieser Vorschrift (aaO Rn. 16 ff., 24 ff.) ohne weiteres erahnen. Ausführlich handelt Wohlers die Entscheidungsmöglichkeiten gem. § 354 StPO ab. Dabei verdient die Kommentierung des Vorgehens gem. Abs. 1a besondere Hervorhebung, dessen Untiefen er auslotet (§ 354, Rn.. 54 ff.) und ihn zu der in der Praxis[24] nicht immer beachteten Forderung führen, dass "das Revisionsgericht den Verfahrensbeteiligten stets rechtliches Gehör zu gewähren hat" und deshalb dem Angeklagten und der Verteidigung konkret mitzuteilen hat, "dass und aus welchen Gründen das Revisionsgericht der Auffassung ist, nach Absatz 1a verfahren zu können"
(aaO Rn. 57). Mit Recht tritt Wohlers einer Rechtsprechungstendenz entgegen, die es unter dem Blickwinkel des § 24 Abs. 2 StPO für eher unbedenklich hält, einem Angeklagten zuzumuten, im zweiten Rechtsgang mit einem Richter konfrontiert zu werden, "der ihn bereits einmal verurteilt hat und dessen Entscheidung dann als rechtsfehlerhaft aufgehoben werden musste" (aaO Rn. 83).
11. Angesichts des Stellenwertes, der dem Grundrecht des Art.103 Abs. 1 GG aus Sicht von Wohlers bei der Gestaltung des Revisionsverfahrens zukommt, verwundert es nicht, dass er § 356a StPO einer detaillierten Kommentierung zugeführt hat. Entsprechend dem von ihm entwickelten Verständnis des Beschlussverwerfungsverfahrens hält er (§ 354a, Rn. 7) den Weg über die Anhörungsrüge auch dann für eröffnet, wenn das Revisionsgericht der von ihm gegen die herrschende Auffassung entwickelten Begründungspflicht nicht nachkommt. Instruktiv ist weiter die "die Vorgaben der EMRK berücksichtigende konventionskonforme Neuinterpretation" des § 357 StPO (§ 357, Rn. 7), die dazu führt, dass eine Erstreckung der Entscheidung des Revisionsgerichts auf einen Nichtrevidenten, die zu einem zweiten Rechtsgang vor dem Tatrichter führt, nur mit dessen vorab einzuholender Zustimmung möglich ist (aaO Rn. 11), um so dessen "Status (…) als Rechtssubjekt" (aaO Rn. 8) zu wahren.
12. Blickt man auf die eingangs aufgelisteten Fragestellungen zurück, wird deutlich, dass sich der mit derartigen Themen konfrontierte Rechtsanwender bei der Suche nach einer kunstgerechten Lösung bedenkenlos der Kommentierung von Frisch und Wohlers anvertrauen kann und dies auch tun sollte. Dass z.B. bezogen auf den ersten (die §§ 265 Abs. 1, 337 Abs. 1 StPO betreffenden) Fall gleichwohl Fragen offen bleiben, liegt nicht an Defiziten der Kommentierung, sondern an dem in ihr wiederholt in Erinnerung gebrachten Umstand, dass auch und gerade bei der Anwendung der revisionsverfahrensrechtlichen Kernnormen – wie z.B. § 337 Abs. 1 StPO – revisionsdogmatisch wie -praktisch weiter Fragen ungeklärt sind. Dass der Kommentar diesen Zustand nicht verkleistert und zudem dann, wenn er durchaus innovative Ansätze vertritt, gleichwohl zu einer realistischen Sichtweise auf die Gegebenheiten des Revisionsverfahrens anhält, macht auch seinen Wert aus.
Rechtsanwalt Klaus-Ulrich Ventzke, Hamburg
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[1] Zur "Benutzerfreundlichkeit" des Buches gelten die Ausführungen aus der Rezension des Bandes VI entsprechend (Ventzke HRRS 2017, 319 ff.). Die Kommentierung befindet sich auf dem Stand von Mai 2017 (S. VII).
[2] Z.B. zur Aktenwidrigkeit BGH 5 StR 75/17 – Beschl. v. 09.08.2017, S. 2 f., oder für das Beweisantragsrecht: BGH 4 StR 488/16 v. 12.10.2017, S. 2.
[3] Bejaht von BGH 3 StR 310/17 – Beschl. v. 19.10.2017, Rn. 8.
[4] So in einem Einzelfall BGH 1 StR 436/17 – Beschl. v. 19.09.2017, Rn. 14 f.
[5] Bejaht vom 4. Strafsenat des BGH in zwei Beschlüssen vom 27.09.2017 (4 StR 142/17, Rn. 5 bzw. Rn. 3 ff.).
[6] Vgl. (kasuistisch verneinend) BGH 1 StR 596/16 HRRS 2017 Nr. 905, Rn. 15.
[7] Bejaht von BGH 3 StR 148/17 HRRS 2017 Nr. 957, Rn. 8 ff.
[8] Vgl. BGH 3 StR 498/16 HRRS 2017 Nr. 728, Rn. 7 ff.
[9] Beiläufig billigend BGH 5 StR 615/16 HRRS 2017 Nr. 325, Rn. 2.
[10] Dass ich mich mit den revisionsrechtlichen Kommentierungen beschäftige, beruht weder auf einer Geringschätzung der Bedeutung des Wiederaufnahmerechts noch dessen instruktiver Kommentierung von Frister, sondern ist allein einer (zugegebenermaßen am eigenen professionellen Interesse orientierten) Schwerpunktsetzung geschuldet.
[11] Vgl. dazu Gercke/Jahn/Pollähne https://www.lto.de/recht/ hintergruende/h/kritik-reformvorschlaege-stpo-2-strafkammertag-jumiko (Abruf: 11.12.2017).
[12] Diese die Seiten 63 – 238 umfassende Kommentierung wird – wie die des § 338 StPO – durch ein die detaillierte Gliederung flankierendes Stichwortverzeichnis erschlossen.
[13] Hierzu verweist er wiederholt auf die von ihm betreute Dissertation Bartels (Das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung, 2014), die die bisher gedankenreichste Untersuchung zu diesem Thema vorgelegt hat.
[14] Vgl. für ein praktisches Beispiel instruktiv Bartel, FS Frisch, 2013, S. 1255 ff.
[15] Diese Arbeit (Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung, 1971) ist offenbar antiquarisch nicht mehr verfügbar und bedarf deshalb dringend eines Nachdrucks.
[16] Vgl. bereits Frisch, FS Rudolphi, 2004, S. 609 ff.
[17] Vgl auch den Beitrag von Frisch, GS Weßlau, 2016, S. 127 ff.
[18] Vgl. aber zu aktuellen Entwicklungen Ventzke NStZ 2017, 721 (m.w.N.).
[19] Vgl. dazu Ventzke NStZ 2017, 595 f.
[20] Er greift dabei wiederholt auf die vorzügliche Monographie von Keck (Das Beschlussverfahren in der strafprozessualen Revision, 2016) zurück.
[21] So z.B. wohl Pohlreich, Das rechtliche Gehör im Strafverfahren, 2016, S. 221 ff.
[22] Bei Fertigung dieser Rezension erreicht mich z.B. aus Leipzig ein Verwerfungsbeschluss vom 27.11.2017, dem Tag des Ablaufs der Erwiderungsfrist gem. § 349 Abs. 3 S. 2 StPO.
[23] Vgl. z.B. bereits Wohlers HRRS 2015, 271 ff.
[24] Z.B. BGH 4 StR 144/14 HRRS 2014 Nr. 662, Rn. 2: Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen. Dies ist vorliegend auch möglich, weil alle für eine Strafzumessung erforderlichen Feststellungen vom Landgericht getroffen worden sind und es daher keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf. Eines Hinweises auf die Vorgehensweise gemäß § 354 Abs. 1a StPO bedurfte es nicht, da wegen des mit Gründen versehenen Antrags des Generalbundesanwalts vom 7. April 2014, auf den der Senat seine Entscheidung auch insofern stützt, angenommen werden kann, dass der Angeklagte Kenntnis von einer im Raum stehenden Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts erlangt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 – 2 BvR 1447/07, Rn. 96, BVerfGE 118, 212, 236)."