HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2017
18. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zur Handhabung von Rechtsprechungsnachweisen im Schrifttum – ein Plädoyer

Von RiOLG Prof. Dr. Dennis Bock, Kiel

Einerlei, ob eine gerichtliche Entscheidung, ein anwaltlicher Schriftsatz oder eine wissenschaftliche Publikation zu verfassen ist – es versteht sich von selbst, dass die einschlägige Rechtsprechung im Rahmen des Möglichen, Erforderlichen und arbeitsökonomisch Zumutbaren recherchiert und rezipiert werden muss. Dieser Teil der rechtswissenschaftlichen lex artis beansprucht für sich bisweilen einen Anteil an der aufgewendeten Arbeitszeit, der denjenigen des Nachdenkens und gar des Niederschreiben des "Haupttextes" frustrierenderweise zu übersteigen droht, abhängig auch von der bibliothekarischen Ausstattung des jeweiligen Arbeitsplatzes sowie von den Personalmitteln für Hilfskräfte. Da die Anzahl der zu berücksichtigenden Entscheidungen – für Schrifttum aller Art gilt dies natürlich auch – täglich wächst, steigt der Berücksichtigungsaufwand entsprechend bzw. schwindet die Möglichkeit eines vollständigen Überblicks.

Nun gibt es bekanntermaßen eine Vielzahl von Quellen, denen man die Rechtsprechung zu entnehmen hat, welche sich in gedruckte und online abrufbare Publikationen unterscheiden lassen. Ersteres umfasst die amtliche Sammlung BGHSt, weitere Sammlungen (v.a. BGHR) und zahlreiche Zeitschriften verschiedener Verlage, deren Zahl auch jüngst weiter angestiegen ist, letzteres einerseits kostenpflichtige Datenbanken und andererseits diverse frei zugängliche Angebote.

Der Umgang mit diesen Rechtsprechungsfundstellen in Praxis und Wissenschaft ist, was Mehrfachveröffentlichungen angeht, ganz unterschiedlich, nämlich bald an durchaus heterogenen Verlagsrichtlinien ausgerichtet, bald an persönlichen Präferenzen, nicht selten walten auch Zufall und Beliebigkeit.

Wohl am ehesten anerkannt ist die Regel, dass vorrangig aus der amtlichen Sammlung zu zitieren ist, weniger konsentiert ist die Reihenfolge der Zeitschriften, nach denen man Entscheidungen zitieren solle. Hinzukommt die Handhabung im weit überwiegenden Schrifttum, anders als meist in der Rechtsprechung selbst, dass die Angabe der Fundstelle weitere Angaben (Aktenzeichen, Entscheidungsart, Datum) entbehrlich machen soll. Man beschränkt sich also auf die blanke Fundstelle. So kann es sein, dass dieselbe Entscheidung in verschiedenen Lehrbüchern, Kommentaren etc. mit ganz unterschiedlichen Fundstellen angegeben wird. All dies ist im rechtswissenschaftlichen Alltag lästig, ressourcenverschwendend und überdies fehlerträchtig, wie jeder, der schon einmal systematisch Fundstellen nachgeschaut hat, bestätigen wird.

Geprägt wird die juristische Routine durch die Arbeitsbedingungen des jeweiligen juristischen Autors: Welche Rechtsprechungssammlungen und Zeitschriften befinden sich im Büro, im gleichen Stockwerk, im Gebäude oder wenigstens in der Stadt? Universitäten bemühen sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten immerhin einigermaßen um Vollständigkeit, die Ausstattung einer Gerichtsbibliothek wird oft zurückstehen, ganz zu schweigen von den Möglichkeiten der unterschiedlich großen Rechtsanwaltskanzleien. Das Nachschauen einer Zeitschriftenfundstelle kann, jedenfalls solange die (kostenlose oder preisgünstige und daher für jeden Anwender nutzbare) Onlineverfügbarkeit eher fragmentarisch ist, rasch zu einem zeitraubenden Akt werden, erst recht, wenn es an weitere Angaben im obigen Sinne oder zu Parallelfundstellen fehlt. Selbst bei gut ausgestatteten juristischen Seminaren ist nicht immer gesichert, dass sich der erforderliche Zeitschriftenband benutzbar am Standort befindet – eine Erfahrung, die schon Studenten der Anfangssemester machen (und die hieraus teils den Schluss ziehen, ein Blindzitat sei das kleinere Übel).

Vorgeschlagen und im Folgenden etwas näher begründet sei daher, Rechtsprechung stets (bevorzugt: nur, hilfsweise jedenfalls kumulativ) nach Gericht, Entscheidungsart, Datum und Aktenzeichen zu zitieren; falls vorhanden, kommt noch die Angabe von Randnummern hinzu. Angesichts dessen, dass viele Gericht (kumulativ fast stets, bisweilen auch ausschließlich, und zwar sogar bzgl. in amtlichen Sammlungen veröffentlichten Entscheidungen, vgl. z.B. OLG Köln B. v. 02.09.2015 – 1 RVs 118/15) und Teile der Literatur (z.B. der Münchener Kommentar zum StGB und das Pendant zur StPO) so vorgehen, handelt es sich nicht um ein originelles oder gar revolutionäres Ansinnen, erstrebenswert ist schlicht, dass die übrige Literatur nachzieht.

Wenn man die bisherige Zitierweise lediglich derart erweitert, dass zusätzlich Aktenzeichen, Entscheidungsart und Datum angegeben werden, liegt die einzige als möglicherweise nachteilig zu empfindende Konsequenz darin, dass der Nachweis mehr Raum in Anspruch nimmt. Freilich ist dies zumindest online gleichgültig, da es dort keine Raumbegrenzung gibt. Inwieweit der Umfang des in Papierform Abzudruckenden wächst, bliebe

abzuwarten, dürfte aber wohl zu verkraften sein. Ggf. ließen sich auch das Datum und die Entscheidungsart weglassen, da mehrere Entscheidungen unter einem Aktenzeichen sehr selten sind, ferner wären Abkürzungen möglich (z.B. BGH 1 StR 612/87[U221287]für ein Urteil vom 22.12.1987). Vieles dürfte eine Frage der Gewöhnung sein, was etwa auch für die z.T. langen Aktenzeichen der Untergerichte gilt. Noch weniger störend dürfte die Umstellung dann sein, wenn das Werk auf eingerückte Nachweise im Text verzichtet und stattdessen Fußnoten verwendet, deren jeweilige Zeile bislang häufig ohnehin nicht ausgeschöpft wird.

Ambitionierter – dafür aber platzsparender, was gerade bei praxisrelevanten Kurzkommentaren nicht zu vernachlässigen ist – wäre es, wenn keine Zeitschriftenfundstelle mehr genannt würde.

Auf der Suche nach einer Zeitschriftenfundstelle wäre insofern eine Datenbank dazwischengeschaltet, die die Nachweise nach Eingabe des Aktenzeichens bei Bedarf mitteilt; die gängigsten Datenbanken (juris und beckonline) sind ohnehin in Praxis und Wissenschaft flächendeckend verbreitet.

Zuzugeben ist, dass Datenbanken Fehler enthalten und nicht immer vollständig sind, gerade bei älteren und untergerichtlichen Entscheidungen. Ferner kann die Datenbank, das Internet oder der Computer ausfallen. Allerdings ist es zum einen unter heutigen Bedingungen dann ohnehin kaum möglich, effizient zu arbeiten; zum anderen wäre auch denkbar, derartige Verzeichnisse (vom Aktenzeichen hin zu gedruckten Fundstellen) auch einmal – für den seltenen Notfall – in gedruckter Form herauszugeben. Verbreitung ist überdies der noch seltenen Praxis zu wünschen, in Monographien etc. zusätzlich zum Literaturverzeichnis ein Rechtsprechungsverzeichnis anzufertigen; dort könnten die Zeitschriftenfundstellen der jeweiligen Entscheidung aufgeführt werden.

Die Abhängigkeit zu den Unternehmen, die die Datenbanken betreiben, stiege zwar weiter, ggf. somit die finanzielle Belastung aufgrund schlechterer Verhandlungsposition bei Vertragsverlängerungen; freilich ist diese Abhängigkeit im juristischen Studien- und Arbeitsalltag bereits jetzt immens, auch gibt es durchaus vielfältige im Internet verfügbare kostenlose Quellen.

Wenn man nur noch nach Aktenzeichen, Entscheidungsart und Urteil zitiert, kann nicht mehr seitengenau zitiert werden. Dies wird aber dadurch aufgewogen, dass zahlreiche längere Entscheidungen – gerade in jüngerer Zeit – Randnummern oder Gliederungsebenen verwenden. Ohnehin ist die Mehrzahl der Entscheidungen nicht derart unübersichtlich, dass man eine nähere Teilzitation benötigt. Insgesamt dürfte die praktizierte seitengenaue Zitierweise bei Zeitschriften mehr Arbeit bereiten als sie erspart. Es entfällt auch die störend heterogene Praxis, ob – v.a. bei BGHSt – auch die Anfangsseite genannt wird oder nur diejenige, auf der sich die konkrete Passage befindet.

Ganz nebenbei wird das enervierende Problem rein partieller Abdrucke gelöst. Bisher wird so vorgegangen, dass das Aktenzeichen oder eine an sich subsidiäre Fundstelle genannt wird und sodann einen Hinweis auf die an sich vorrangige Zeitschriftenfundstelle unter Hinweis "insoweit nicht abgedruckt in" o.Ä. Gerade weil bestimmte Zeitschriften prozessual ausgerichtet sind, andere wiederum eher materiellrechtlich, muss man ggf. mit einander ergänzenden (Teil-)Veröffentlichungen derselben Entscheidungen arbeiten und diese nach Maßgabe des Druckumfangs zitieren, und zwar unter Beachtung der präferierten oder verlagsseitig geforderten Prioritätsregeln. Richtig ist zwar, dass eine redaktionelle Kürzung den eiligen Leser auf das Wesentlichste hinweisen mag. Gerade erfahrene Juristen werden aber rasch die Hauptpassage auch in einer vollständigen Entscheidung finden, zumal amtliche Leitsätze der Orientierung dienen.

Vermieden wird des Weiteren, dass dieselbe Entscheidung versehentlich mit verschiedenen Fundstellen bezeichnet wird, so dass der Leser in die Irre geführt wird. Mag dies innerhalb eines Werks eher eine Frage der Akribie und Sorgfalt des Autors obliegen, lässt es sich bei der Arbeit mit mehreren Werken zu einem bestimmten Thema eben nicht verhindern. Der Rezipient muss gewissermaßen eine Synopse im Kopf oder in einem Dokument verfügbar halten, welche Fundstellen einander inhaltlich entsprechen – eine Aufgabe, die dann besonders arbeitsintensiv gerät, wenn nicht alle zitierten Werke online oder griffbereit verfügbar sind. Gerade bei Zeitschriften aus der "zweiten Reihe", deren Fundstellen in Kommentaren etc. nur mangels gängigerer Alternativen angeführt werden, wird auch eine brauchbare Ausstattung an ihre Grenzen stoßen – jedenfalls hier muss das Gebot, Vorrang aus gedruckten Zeitschriften zu zitieren, enden. In der (Landes-)Justiz, aber auch bei anderen praktisch und wissenschaftlich Tätigen sind jedoch auch Standardzeitschriften nicht ohne Weiteres in hinreichender Stückzahl rasch und dauerhaft nutzbar. Bei aktuellen Entscheidungen kommt eine druck- und auslieferungsbedingte Verzögerung hinzu, zumal bei kollegialen Zeitschriftenumläufen etc.

Die vorgeschlagene Zitierweise hat ferner den Vorzug, deutlich mehr Informationen als eine Zeitschriftenfundstelle mitzuteilen: Während man ansonsten nur das Gericht und das Jahr der Veröffentlichung erfährt (bei Fundstellen, die nicht selten ausschließlich nach Band zitiert werden – neben BGHSt z.B. VRS, GA, ZStW -, erkennt überdies nur der erfahrene Benutzer das Jahr) werden nun auf einen Blick das Entscheidungsdatum (das vom Veröffentlichungsdatum stark abweichen kann), die Entscheidungsart, sowie aufgrund des Aktenzeichens der Spruchkörper (Senat, Kammer, Abteilung, Ermittlungsrichter) sichtbar. Transparent wird auch, ob es sich um eine Zivilrechtsentscheidung oder die Entscheidung einer anderen Gerichtsbarkeit handelt. Gerade bei Divergenzen zwischen verschiedenen Senaten des BGH wirkt das Aktenzeichen erhellend.

Ein letztes Ärgernis sei noch erwähnt, welches die vorgeschlagene Zitierweise behebt: Durchaus nicht selten, gerade wenn nur Leitsätze oder kurze Auszüge abgedruckt werden, finden sich auf einer Zeitschriftenseite mehrere Entscheidungen des gleichen Gerichts, aufgrund redaktioneller Ordnung oft auch inhaltlich verwandt, so dass bei einem nicht klarstellenden Zitat (eine Klarstellung ist nicht sehr verbreitet) Unklarheit besteht, welche

Entscheidung gemeint ist. Das Aktenzeichen sorgt für die gebotene Eindeutigkeit.

Nach alledem sollte die Zitierweise im Schrifttum an die heutigen technisierten Arbeitsgepflogenheiten angepasst werden, um die so eingesparte Zeit auf die eigentliche intellektuelle juristische Arbeit am Schreibtisch verwenden zu können. Es hat nichts mit Bequemlichkeit oder gar Computer- oder Internetfixiertheit zu tun, der steigenden Quantität und Komplexität der veröffentlichten Rechtsprechung mit einer Vereinfachung und Effizienzsteigerung zu begegnen. Wird eine solche Vorgehensweise zumindest als eine mögliche Art, einen wissenschaftlichen Apparat zu gestalten, anerkannt, könnten auch bibliothekarische Etats geschont werden, zumindest was Mehrfachexemplare und Handapparate betrifft. Indem man die Abhängigkeit von gedruckten Sammlungen verringert, befördert man übrigens zugleich die räumliche Flexibilität der Arbeitsleistung (z.B. auf Reisen oder in Erweiterung von Homeoffice-Spielräumen). Zugleich mag man dies erstens als Appell an die Verlage verstehen, zumindest die Rechtsprechungsteile ihrer Zeitschriften – inkl. älterer Ausgaben – seitengenau online in einer die klammen öffentlichen Haushalte nicht belastenden Weise zur Verfügung zu stellen, zweitens als Appell an die Datenbankbetreiber, ihr Angebot laufend zu verbessern, Fehler zu beheben und (auch in die Vergangenheit) zu erweitern, ohne die Bibliotheken finanziell zu erdrosseln. Vielleicht gelingt eines Tages auch ein verlagsübergreifendes Gesamtangebot, welches überdies die Aufsatzflut beherrschbarer machen könnte.

Es scheint sich um eine Petitesse zu handeln, die aber eben doch den Arbeitsalltag zahlreicher Juristen behelligt – und zwar selbst derjenigen, die privat lieber eine gedruckte Zeitschrift lesen. Selbst aus didaktischer Sicht wird man sich daran gewöhnen können, berühmte Entscheidungen statt mit BGHSt-Fundstelle mit dem Aktenzeichen zu referieren.