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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2017
18. Jahrgang
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Von Dr. Hilde Farthofer und Dr. Christian Rückert, FAU Erlangen-Nürnberg
Die Reichweite des Beweisverwertungsverbots des § 252 StPO und die Frage nach der Notwendigkeit einer "qualifizierten Belehrung" gehören zu den absoluten Klassikern des Strafprozessrechts. Der Streit über die Auslegung von § 252 StPO geht dabei rechtshistorisch zurück bis zu seiner Einführung 1877. Zwischenzeitlich schien der Widerstreit zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen und dem staatlichen Interesse der Wahrheitserforschung in den Fällen ermittlungsrichterlicher Vernehmung zugunsten letzterer entschieden. Der Ermittlungsrichter durfte als Zeuge vom Hörensagen vernommen werden, einer qualifizierten Belehrung des Zeugen bei der Aussage vor dem Ermittlungsrichter bedurfte es nicht. Das aktuelle Anfrageverfahren brachte neuen Wind in die Diskussion, führte jedoch nicht zu einer Änderung der gefestigten Rechtsprechung. Unter dem Blickwinkel einer grund- und menschenrechtskonformen Auslegung erscheint diese jedoch als zweifelhaft.
Die Vorschrift des § 252 StPO ist handwerklich misslungen. Entweder ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, sein Anliegen eines umfassenden und weitreichenden Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen ausreichend klar ins Gesetz zu formulieren, oder er hat bewusst nur für unzureichenden und leicht zu umgehenden Schutz gesorgt. Nach heute ganz allgemeiner Auffassung ist Ersteres der Fall. Dies lud die höchstrichterliche Rechtsprechung genauso wie die Rechtswissenschaft dazu ein, eine korrigierende Auslegung der Norm vorzunehmen. So entspricht es der heute ganz herrschenden Meinung, dass § 252 StPO über seinen Wortlaut hinaus ein umfassendes Verwertungsverbot bezüglich der vormals gemachten Aussage normiert, wenn sich der Zeuge in der Hauptverhandlung für die Inanspruchnahme seines Zeugnisverweigerungsrechts entscheidet.[1] Bereits seit seiner Einführung umstritten ist jedoch, ob hiervon eine Ausnahme für die Vernehmung einer richterlichen Verhörsperson als Zeuge vom Hörensagen über die Tatsache, dass und was der Zeuge bei seiner richterlichen Vernehmung ausgesagt hat, zuzulassen ist.[2] Bejahendenfalls war bzw. ist auch strittig, ob der Zeuge dann zumindest über das Bestehen dieser richterrechtlichen Ausnahme im Rahmen einer qualifizierten (das heißt über die Anforderungen des § 52 Abs. 3 StPO hinausgehenden) Belehrung aufgeklärt werden muss.[3] Beide Fragen schienen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und damit für die tat- und untersuchungsgerichtliche Praxis seit einigen Jahrzehnten geklärt: Die Vernehmung der richterlichen Verhörsperson war zulässig, einer qualifizierten Belehrung bedurfte es nicht.[4] In beide Fragen ist jedoch vor kurzem durch ein vom 2. Strafsenat initiiertes Anfrage- und Vorlageverfahren erhebliche Bewegung gekommen. Dies nimmt der vorliegende Beitrag zum Anlass, sich beiden Fragestellungen einmal mehr[5] umfassend zu widmen. Dabei soll nicht nur die historische Entwicklung von Rechtsprechung und wissenschaftlichem Diskurs beleuchtet, sondern auch die aktuelle Diskussion zwischen den Strafsenaten in einem umfassenden Überblick dargestellt werden. Der Beitrag konzentriert sich dabei auf Zeugen mit einem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO, da dieses in der Praxis im Rahmen von § 252 StPO die größte Rolle spielt und sich die Rechts-
fragen wegen der Belehrungspflicht des § 52 Abs. 3 StPO[6] in dringenderem Maße stellen.
§ 252 StPO, vormals § 251 StPO,[7] ist seit seiner Einführung im Jahre 1877[8] von verschiedenster Seite wiederholt kritisiert worden. Deutlich wird dies durch die völlig unterschiedlichen Standpunkte, die über die Jahre hinweg von Rechtsprechung und Lehre vertreten wurden. Selbst die Entscheidungspraxis der jeweiligen Höchstgerichte lassen eine einheitliche Linie vermissen, sowohl was die Sache selbst wie auch die rechtliche Begründung betrifft. An diesem Problem lässt sich sehr deutlich der Wandel der Gesellschaft und vor allem der gesellschaftlichen Grundhaltung erkennen.
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der historischen Entwicklung des § 252 StPO und den verschiedenen Argumentationslinien, die für oder gegen die Gestattung der Vernehmung von Verhörspersonen, bei Inanspruchnahme des Zeugnisverweigerungsrechts erst in der Hauptverhandlung, angeführt werden und wurden.[9] Interessanterweise wurde die Vernehmung von Verhörspersonen nicht im Hinblick auf andere Zeugenaussagen, so z.B. bei unberechtigter Verweigerung, diskutiert.[10]
Unumstritten wurde bereits im 19. Jahrhundert im Zuge der Diskussion über die Bedeutung des § 252 StPO deutlich, dass es sich bei den betroffenen Personen zum überwiegenden Teil um Angehörige des Angeklagten gem. § 52 StPO handelt.[11] Eine Vernehmung dieser Zeugen als solche war immer schon strittig;[12] die Mitglieder der Reichstagskommission trugen jedoch durch § 213a des StPO-Entwurfs (§ 252 StPO) dem Umstand Rechnung, dass ohne die Aussage von Angehörigen des Täters, dieser in vielen Fällen, gerade bei Taten innerhalb der Familie, aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen werden würde.[13] Die Aversion gegen solche Zeugenaussagen blieb trotz aller Notwendigkeit, wie die Erläuterung von Abg. Reichensperger deutlich macht, während der Sitzungen der Reichstagskommission bestehen. "Die Erfahrung beweise, daß die Aussagen derselben entweder von einem zu großen Wohlwollen oder von einer bitteren Feindseligkeit diktiert würden."[14] Der durch die Zeugenaussage gegen einen Angehörigen entstehende innere Konflikt für die aussagende Person kann nicht besser umrissen werden.[15] Das OLG München stellte das Schutzbedürfnis des Individuums durch den Gesetzgeber über jenen der Vermeidung eines bloßen Interessenskonflikts für gewisse Personengruppen. Das Vertrauensverhältnis, begründet auf das Näheverhältnis zweier oder mehrerer Personen, dürfe nicht durch den Staat beeinträchtigt werden.[16]
Zu diesem grundsätzlichen Problem tritt hinzu, dass der Zeuge durch das bestehende Näheverhältnis oftmals zumindest mittelbar durch die Tat betroffen ist. Es kann daher bezweifelt werden, dass die Konsequenzen eines Zeugnisverweigerungsrechtsverzichts vollends erfasst werden, auch bei einer Aussage vor dem Ermittlungsrichter, die zeitlich in einem engen Konnex zur eigentlichen Tatausführung stehen.
Meist offenbaren sich die tatsächlichen Folgen dem Zeugen erst in der Hauptverhandlung. Schwankungen in der Entscheidung des zwar anfänglich aussagebereiten, sich aber dann später verweigernden Zeugen sind nicht unüblich, sondern eher der Normalfall.[17] Die Zulassung der Vernehmung der Verhörsperson, ob Ermittlungsrichter oder Polizist, führt unweigerlich zu einer Aufgabe der Rechtsgarantie, die der verweigerungsberechtigten Person per Gesetz eingeräumt wurde.[18]
Ein klares Verwertungsverbot sah das Reichsgericht für Aussagen, die im Zuge der Vernehmung als Beschuldigter gemacht wurden, wenn dem Zeugen nach Feststellung seiner Unschuld wegen des verwandtschaftlichen Verhältnisses zum Angeklagten ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Die Möglichkeit der Verwertung einer Zeugenaussage durch die Vernehmung der Verhörspersonen wurde bei zeugenschaftlichen Vernehmungen von Mitbeschuldigten ebenso abgelehnt. Der Begründung der 1. Instanz, die Verlesung der Aussage des Zeugenverweigerungsberechtigten würde sich überwiegend belastend für den Mitangeklagten, zu dem keine verwandtschaftliche Beziehung bestünde, auswirken und wäre daher
zulässig, folgte das Reichsgericht zu Recht nicht. Da das Verfahren gegen beide Angeklagte gemeinsam geführt worden war, wirkte sich der festgestellte Verfahrensmangel auch auf beide Verurteilungen aus und führte zur Aufhebung der Urteile.[19]
Die Antwort auf diese Frage wandelte sich im Laufe der Zeit. So ging das Reichsgericht noch davon aus, dass Polizeibeamte immer,[20] Ermittlungsrichter hingegen nur, wenn der Zeuge ordnungsgemäß belehrt worden war, vernommen werden dürfen.[21] Die Begründung erscheint jedoch ein wenig zweifelhaft. Polizeibeamte würden nicht unter § 52 Abs. 2 StPO a.F. fallen und daher fehle für sie die gesetzliche Grundlage für eine Belehrungspflicht.[22] Diese Ansicht hat sich im Laufe der Jahre grundlegend geändert. So führt der BGH in Anlehnung an die Rechtsprechung des OGH der Britischen Zone[23] 1952 in seinem Urteil aus, dass nur vor einem Richter gemachte Aussagen,[24] d.h. nach ordnungsgemäßer Belehrung, im Wege der Vernehmung des Ermittlungsrichters, verwertet werden dürften.[25] Die OLGs hatten in dieser Frage fast unisono anders entschieden; sie nahmen durchwegs das Vorliegen eines absoluten Verwertungsverbots an.[26] Nach Auffassung des OLG Nürnberg konnte nur dann eine Ausnahme vom Verwertungsverbot gemacht werden, wenn der zur Aussageverweigerung berechtigte Zeuge vor Abgabe einer Erklärung, das Zeugnis zu verweigern, verstorben war.[27]
Die Belehrungspflicht an sich hatte bereits früher zu Kontroversen geführt. Teilweise wurde die Auffassung vertreten, dass das Fehlen der Belehrung nicht zu einem Verwertungsverbot führen dürfe.[28] Bedenklich erscheint hier vor allem, dass nach dieser Ansicht selbst ihre schuldhafte Unterlassung am Ergebnis nichts ändern würde.[29] Das Argument der Belehrungspflicht erscheint jedoch hinfällig geworden zu sein durch die Einführung des § 163a Abs. 5 StPO, der nun auch für Polizeibeamte eine Belehrungspflicht statuiert.[30]
Das Aufrechterhalten der Unterscheidung zwischen richterlicher und polizeilicher Vernehmung wird nun vom BGH mit dem "höheren Vertrauen" begründet, das einem Richter entgegen gebracht werden würde.[31] Objektiv betrachtet impliziert dieses Argument mittelbar, dass die anderen Ermittlungsbehörden wie Staatsanwaltschaft und Polizei weniger vertrauenswürdig seien – eine nicht ganz ungefährliche Betrachtung in Bezug auf die tatsächliche Lage: Unzweifelhaft gehören Vernehmungen für Ermittlungsbeamte zum "Tagesgeschäft", während dem Richter diese Praxis weitgehend fehlt.[32]
In der Reichstagskommission wurden unterschiedliche Meinungen bezüglich der Formulierung des Gesetzestextes vertreten. Die Minderheit der Mitglieder der Kommission und die Regierungsvertreter forderten einen Wortlaut im Gesetzestext, der explizit die Verwertung der Aussagen eines Zeugen, die dieser vor Inanspruchnahme seines Zeugnisverweigerungsrechts gemacht hatte, erlauben würde. Die Majorität hingegen wollte genau dies verhindern und wählte den heute sich noch in Geltung befindlichen Wortlaut mit dem Verweis darauf, dass ansonsten "das Recht zur Ablehnung der Aussage, welches der Zeuge noch in der Hauptverhandlung geltend machen kann, illusorisch sein würde"[33].
Für das Reichsgericht lag gerade im Wortlaut des § 252 StPO die gesetzliche Grundlage für die Rechtmäßigkeit der Vernehmung des Ermittlungsrichters über die Aussage des sich später verweigernden Zeugen. Aus der Entstehungsgeschichte des § 252 StPO könne nicht abgeleitet werden, dass diesem eine über den reinen Wortlaut hinausgehende Bedeutung zukommen würde. Es läge
somit zwar ein Verlesungs- nicht aber ein Verwertungsverbot vor.[34]
Die Rechtsprechung vertrat aber auch hierzu keine einheitliche Linie. So entschied der 2. Senat des Reichsgerichts 1884, dass § 252 StPO sinnentleert würde, würden Vernehmungspersonen wie z.B. der Untersuchungsrichter über den Inhalt einer vor Verweigerung des Zeugnisses gemachten Aussage befragt werden dürfen. § 249 StPO (heute: § 250 StPO) stelle ein generelles Verlesungsverbot als Regel auf, dessen Ausnahmen ausschließlich dem § 250 StPO (heute in abgeänderter Form: § 251 StPO) zu entnehmen seien. Der Zeuge, dem ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde, sei keiner der genannten Sonderfälle.[35]
Wenn nun die Vernehmung der Verhörsperson erlaubt ist, stellt sich die Frage, inwieweit das Protokoll der vorangegangenen Aussage des sich nun verweigernden Zeugen auf diesem Weg seinen Eingang in die Hauptverhandlung finden kann. Bis 1938 vertrat das Reichsgericht die Ansicht, dass eine Verlesung, wenn auch nur von Teilen des Protokolls, § 252 StPO verletzen würde.[36] Davon ging das Gericht mit der Begründung ab, dass jedem Zeugen Vorhaltungen aus Urkunden und Ähnlichem zur Erforschung der Wahrheit gemacht werden können, hiervon dürfen Verhörspersonen nicht ausgenommen werden.[37] § 252 StPO behandele den Urkundenbeweis und sei damit keine gesetzliche Grundlage zum Verbot der Vorhaltung, jedoch dürfe dies nicht über den Zweck der Auffrischung des Gedächtnisses des Zeugen hinausgehen.[38] Das OLG Bamberg äußerte sich zu dieser Entscheidung des Reichsgerichts ungewöhnlich klar, die Entscheidung offenbare den "Einfluss totalitären Staatsdenkens, das auch berechtigte Interessen des Individuums, wie die eines zur Aussageverweigerung berechtigten Zeugen, einem staatlichen Machtanspruch opfert".[39]
Der BGH schloss sich der Meinung des Reichsgerichts an. Er erachtet sowohl die Verlesung wie auch die Vorhaltung der Niederschrift als Gedächtnisstütze mit der Begründung als zulässig, dass mit der Vernehmung des Richters die Verwertung der Aussage des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen nicht mehr grundsätzlich verboten sei, da es sich dabei nicht um einen Urkundenbeweis, sondern einen Vernehmungsbehelf handele.[40]
In ihren Ausführungen nehmen sowohl Reichsgericht wie auch später der BGH Bezug auf die zwei wichtigsten mit dieser Rechtsfrage zusammenhängenden Grundsätze, dem der Mündlichkeit und dem der Verpflichtung zur Wahrheitserforschung durch das Gericht.
Das Prinzip der Mündlichkeit, das in § 249 StPO (heute: § 250 StPO) verankert wurde, sah bereits die Reichstagskommission bei einer Verlesung solcher Aussagen in schwere Bedrängnis geraten.[41] Ganz anderer Ansicht hingegen war das Reichsgericht. Es sah keine Verletzung des Prinzips, da die Verhörsperson[42] nicht über das eigentliche Beweisthema befragt werden würde, sondern vielmehr als Zeuge vom Hörensagen über den Inhalt einer Aussage, die ein nun berechtigterweise sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufender Zeuge, in einer vorangegangenen Befragung gemacht hatte.[43] Nach deutschem Recht stehe einer Vernehmung eines Zeugens vom Hörensagen kein gesetzlicher Hinderungsgrund entgegen. Über den etwaigen geringeren Beweiswert einer solchen Aussage urteile das entscheidende Gericht im Rahmen des eigenen Ermessens.[44] Der Aussage eines Untersuchungsrichters, oder gar eines Richters aus einem anderen Verfahren, wie z.B. einem zivilrechtlichen,[45] wird in der Praxis ein hoher Beweiswert aufgrund ihrer Stellung im Rechtssystem und dem damit zusammenhängenden höheren Vertrauen zugebilligt werden.[46] Die freie Beweiswürdigung sollte sich aber nur auf jene Beweise beziehen, die auch zulässig sind, denn sie "ist nicht die Freiheit von gesetzlichen Vorschriften."[47]
Die im 19. Jahrhundert vertretene Auffassung, dass zwischen der zufälligen Äußerung und der Aussage als Zeuge ein Unterschied gemacht werden müsse, wurde vom bayerischen Kassationshof unterstützt, indem er ent-
schied, dass der Untersuchungsrichter nicht über die eigentliche Zeugenvernehmung befragt werden dürfe, sondern nur über freiwillige, ohne Aufforderung gemachte Äußerungen des Zeugens.[48] Kritische Stimmen sahen darin eine ungerechtfertigte Beschränkung, insbesondere der allgemeingültigen Zeugenpflicht, die jeden zur Zeugenaussage verpflichtete, der etwas Beweiskräftiges zur Tat aussagen könne.
Diese Auffassung wurde schon damals von der Lehre scharf angegriffen. Dem Angeklagten werde eine Bestreitung des ihn belastenden Inhalts der ursprünglichen Aussage durch die somit nur mittelbare Konfrontation erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Dabei ist aber auch zu bedenken, dass im umgekehrten Fall der Angeklagte auf entlastende Beweise verzichten muss, wenn der betreffende Zeuge sich dazu entschließt nicht auszusagen, da diese Aussage regelmäßig nicht vor einem Ermittlungsrichter abgegeben worden sein wird.[49] Darin liegt durchaus die Möglichkeit der Verletzung des Prinzips des fairen Verfahrens.[50]
Konträr sah das Reichsgericht die Vernehmung von Verhörspersonen in einer anderen Entscheidung, die wie der BGH[51] feststellte sich als einzige "eingehend" mit der Entstehungsgeschichte des § 252 beschäftigt hatte. Aus den Überlegungen der Reichstagskommission folgerte der 2. Senat, dass die Vorschrift nicht die Beweiserhebung im Blick hatte, sondern sich vielmehr mit der generellen Verwertung des Inhalts als solchem beschäftigt habe. Als Konsequenz sei nicht nur die Verlesung solcher Protokolle ausgeschlossen, sondern auch die Vernehmung des Ermittlungsrichters über den Inhalt der Aussage; bei einer anderen Betrachtung würde § 252 StPO jeder Sinnhaftigkeit entbehren.[52]
Um diesem Dilemma zu entgehen, stellte der BGH fest, dass der Grundsatz der Mündlichkeit und die Vorschrift zur Verlesung nur äußerlich verbunden seien, da der § 252 StPO eigentlich zu § 52 StPO gehöre.[53] Er verweist deshalb darauf, dass ausschließlich der Ermittlungsrichter vernommen werden dürfe, da dann der Vernehmung eine ordnungsgemäße Belehrung vorausgegangen sei und somit der Zeuge, wenn er aussage, dies aus freiem Willensentschluss tue.[54] Nach dem Entschluss trotz allem auszusagen, solle dem Zeugen die Möglichkeit über das Verfahren zu bestimmen entzogen werden.
In seinen Entscheidungen stellte das Reichsgericht wie auch später der BGH wiederholt fest, dass es sich bei dem Recht auf Zeugnisverweigerung um kein Recht mit rückwirkender Kraft handelt.[55] Verzichtet also im Vorverfahren ein Zeuge auf das ihm zustehende Recht, so könne er zwar immer noch bis zur Hauptverhandlung davon Gebrauch machen, habe aber keinen Anspruch, dass frühere von ihm freiwillig gemachte Aussagen als Beweise nicht verwertet würden. Eine gesetzliche Grundlage für eine gegenteilige Auffassung sei nicht gegeben.[56]
Der Zeuge hat nach dieser Ansicht genügend Möglichkeiten sich der Verpflichtung zur Zeugenaussage zu entziehen und somit einem inneren Konflikt zu entgehen. Dieses Recht könne er sowohl während der Voruntersuchungen wie auch später in der Hauptverhandlung geltend machen. Darüber hinaus stehen ihm aber keine weiteren Rechte zu.[57] Der BGH begründete seine Entscheidung auch damit, dass der Zeuge, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht Gebrauch macht und somit unter Umständen die Strafverfolgung des Täters zu einem so späten Zeitpunkt verhindern würde, sich in der Lage befände das Verfahren zu bestimmen und somit zum "Herrn des Verfahrens" erhoben würde. Eine Position, die ihm nach geltender Rechtslage nicht zustünde.[58]
Das Reichsgericht vertrat daneben die Meinung, dass der Konflikt für den Zeugen auch nicht mehr bestehen wür-
de, sobald er von seinem Recht zur Zeugnisverweigerung Gebrauch mache. Die aussagende Person sei die Verhörsperson womit der Zeuge aus seiner problematischen Lage befreit sei.[59]
In der oben bereits erwähnten abweichenden Entscheidung des 2. Senats des Reichsgerichts äußerte sich dieser konträr. Er führte aus, dass die Konfliktlage des Zeugen trotz Zeugnisverweigerung, durch die Vernehmung der Verhörsperson über den Inhalt seiner im Vorfeld gemachten Aussage, weiterhin aufrecht erhalten bleibe.[60]
Der BGH stellte sich jedoch 1952 wieder auf den Standpunkt, dass wenn dem Gericht ein ordnungsgemäß erhobener Beweis durch Verwertungsverbot entzogen werden würde, man dem Zeugen ein Recht zubillige, dass ihm aufgrund seiner freien Entscheidung, auszusagen nicht zustehe.[61] Diese Annahme erscheint bedenklich, da das Zeugenverweigerungsrecht dem Schutze des Zeugen dienen soll und dies mit all den damit möglicherweise verbundenen Konsequenzen für ein Strafverfahren.
Das Reichsgericht tendierte dazu, der richterlichen Verpflichtung zur Erforschung der Wahrheit im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO (heute mit geändertem Wortlaut: § 244 Abs. 1 StPO), den Vorrang vor dem zwar wahrgenommenen aber nicht so hoch eingestuften Interesse des Zeugen, sich inneren Konflikten,[62] die unter Umständen auch einen Meineid zur Folge haben könnten,[63] nicht stellen zu müssen. Die inkonsistente Rechtsprechung wird auch im Urteil des Obersten Gerichtshofs der Britischen Zone deutlich, der feststellte, dass der Strafanspruch der Gemeinschaft bei berechtigtem und gesetzlich anerkanntem Interesse von Zeugen zurückzustehen habe.[64]
Als Rechtfertigung für die Vernehmung von Verhörspersonen brachte das Reichsgericht vor, dass durch die Aussage der Verhörsperson die ursprüngliche Zeugenaussage ohne äußerliche Beeinflussung dem Gericht zur Verfügung stehen würde und somit der Wahrheitsfindung am ehesten gedient sei. Ähnlich sah dies (leider) auch der BGH.[65] Die herrschende Lehre sah und sieht darin eine sachliche Umgehung des gesetzlich verankerten Verlesungsverbots.[66]
Daneben wurde als Begründung für die Verwertung der Aussage angeführt, dass es für einen Richter unmöglich sei, Teile der Akte, d.h. dort angebotene Beweismittel zu ignorieren und nicht in den Urteilstenor einfließen zu lassen. Eine zweifelhafte Aussage, wenn man bedenkt, dass Beweismittel auch aus anderen Gründen wegfallen und daher nicht verwendet werden können, wie z.B. durch Aussageverweigerung eines nicht dazu berechtigten Zeugen.[67]
Der BGH ging sogar noch einen Schritt weiter und verlangte vom erstinstanzlichen Gericht seiner Verpflichtung zur Ergründung der Wahrheit gerecht zu werden und den Ermittlungsrichter auch ohne besonderen Antrag zu vernehmen.[68]
Die Abwägung zwischen den beiden sich gegenüberstehenden Interessen, d.h. die Erforschung der Wahrheit zum Wohle der Allgemeinheit und das Individualinteresse des Einzelnen nicht zu einem Zeugnis verpflichtet zu sein, wenn eine persönliche Nähe zum Angeklagten vorliegt, stellt sich grundsätzlich als schwierig dar. Der BGH vertritt die Ansicht, dass der Grundsatz der Wahrheit nicht völlig hinter dem Interesse den Zeugen vor inneren Konflikten, die durch die Belastung eines Angehörigen hervorgerufen werden können, zurückzutreten hat und die Grenze dort ist, wo nach seiner Meinung das schutzwürdige Interesse des Zeugens endet.[69]
In der Rechtsprechung hat sich die Ausnahme vom Verwertungsverbot bei Vernehmung einer richterlichen Verhörsperson seit der grundlegenden Entscheidung im Jahr 1952[70] fest etabliert. In den Entscheidungen der amtlichen Sammlung wird entweder ohne Argumentation auf die gefestigte Rechtsprechung verwiesen,[71] oder es werden lediglich in einer Kurzwiedergabe die entscheidenden Argumente wiederholt.[72] Explizit gemacht wird hierbei gelegentlich, dass sich an dem grundlegenden Argument, nämlich der erhöhten prozessualen Bedeutung einer richterlichen Vernehmung, auch nach Einführung des § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO nichts geändert habe, weil diese weiterhin in § 251 Abs. 1, Abs. 2 StPO zum Ausdruck komme.[73]
Fast 30 Jahre nach der Grundsatzentscheidung zur richterlichen Verhörsperson findet eine neue Fragestellung ihren Weg in die höchstrichterliche Rechtsprechung: Muss der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge vom Ermittlungsrichter darüber belehrt werden, dass seine jetzt gemachte Aussage später auch dann verwertet werden kann, wenn der Zeuge sich in der Hauptverhandlung zur Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts entscheidet (sog. qualifizierte Belehrung)? Der BGH[74] verneinte dies. Eine solche Belehrung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Überdies müsse ein Zeuge nicht einmal darüber belehrt werden, dass er den Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht auch jederzeit während der laufenden Vernehmung widerrufen könne. Erst recht müsse der Zeuge nicht vorsorglich darüber belehrt werden, dass seine jetzige Aussage auch bei späterer Zeugnisverweigerung verwertbar bleibe.[75]
Neuerdings kommt in die lange Zeit als eingefahren erscheinende Diskussion wieder Bewegung. In einem Anfragebeschluss vom 4. Juni 2014 beabsichtigt der 2. Strafsenat, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Im Ausgangsverfahren war der Angeklagte wegen Mordes aus niederen Beweggründen an seiner Ehefrau angeklagt. Das Landgericht stützte hierbei seine Verurteilung maßgeblich auf die Angaben der Tochter des Angeklagten. Diese hatte im Ermittlungsverfahren vor dem Ermittlungsrichter nach ergangener "einfacher", nicht aber "qualifizierter" Belehrung ausgesagt. Die Tochter verweigerte in der Hauptverhandlung das Zeugnis und das Landgericht vernahm den Ermittlungsrichter als Zeugen vom Hörensagen.
Der 2. Strafsenat beabsichtigt nunmehr, eine "qualifizierte" Belehrung zur Voraussetzung für die Annahme der Ausnahme von § 252 StPO zu machen.[76]
Er argumentiert hierbei damit, dass der Belehrung eine für die Entscheidung des Zeugen überragende Funktion zukomme. Der Zeuge müsse umfassend über die Konsequenzen seiner Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden. Dazu gehöre insbesondere die Tatsache, dass seine jetzige Aussage auch bei späterer Zeugnisverweigerung weiter verwertbar bleibe. Dies gebiete der Schutzzweck des § 252 StPO, der gerade den Schutz des Zeugen vor der Zwangslage einer Aussage gegen einen Angehörigen erweitern wolle, indem er es dem Zeugen ermögliche, seine Aussage später ohne weitere Folgen für ihn wieder zu beseitigen. Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage schade nicht, weil auch in anderen Bereichen z.B. bei § 136a StPO gesetzlich nicht geregelte erweiterte Belehrungspflichten von der Rechtsprechung angenommen würden.
Auch dem üblichen Gegenargument, selbst bei der Belehrung in der Hauptverhandlung sei nach herrschender Meinung kein Hinweis darauf erforderlich, dass der Zeuge den Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht jederzeit, auch während der Vernehmung, widerrufen könne und damit erst recht keine vorsorgliche Belehrung für den Fall einer späteren Zeugnisverweigerung beim Ermittlungsrichter erforderlich sei, tritt der 2. Senat entgegen. Die Situation sei nicht vergleichbar, weil der Zeuge sich im Ermittlungsverfahren im Regelfall nicht der Endgültigkeit seiner Entscheidung bewusst sei und der lange Zeitablauf zwischen Vernehmung und Hauptverhandlung zu einer veränderten Entscheidungssituation führen könne.[77]
Die übrigen Strafsenate sehen entweder keine Kollision mit ihrer bisherigen Rechtsprechung[78] oder lehnen die Einführung einer Pflicht zur qualifizierten Belehrung ab.[79] Überwiegend greifen sie dabei (zum Teil vertiefend) auf die vom 2. Senat in seiner Grundsatzentscheidung[80] selbst entwickelten Argumente zurück. So fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für eine solche Belehrungspflicht.[81] Der Fall sei auch nicht mit den Fällen vergleichbar, in denen die Rechtsprechung eine gesetzlich nicht vorgesehene, qualifizierte Belehrung nach Richterrecht verlange. Dies beträfe bislang nur Fälle, in denen in einer vorangegangenen Vernehmung gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen worden sei und der Beschuldigte in einer erneuten Vernehmung darauf hingewiesen werden müsse, dass seine vorherige Vernehmung nicht verwertbar sei. In den Fällen von § 252 StPO sei der Zeuge aber vom Ermittlungsrichter nach § 52 Abs. 3 StPO belehrt worden.[82] Es fehle auch eine planwidrige Regelungslücke, da der Gesetzgeber die Belehrungspflichten für Polizeibeam-
te gegenüber Zeugen im Ermittlungsverfahren in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung neu geregelt habe, ohne eine weitergehende richterliche Belehrungspflicht mit aufzunehmen.[83] Auch der Erst-Recht-Schluss aus § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO wird lediglich wiederholt.[84]
Vertieft wird dagegen die Argumentationslinie der besonderen Bedeutung einer richterlichen Vernehmung. So gebe es im Hinblick auf die besondere Bedeutung nach § 251 Abs. 2 StPO bei dieser Vernehmung gem. § 168c Abs. 2 StPO Anwesenheits- und Fragerechte für Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Beschuldigten. Ferner sei der Ermittlungsrichter zur Vereidigung berechtigt und eine Falschaussage ihm gegenüber gem. §§ 153 f. StGB strafbewehrt. Für den Zeugen sei die besondere Stellung deshalb ersichtlich und auch, dass eine Aussage trotz späterer Zeugnisverweigerung verwertbar bleibe.[85]
Darüber hinaus liefern die antwortenden Strafsenate auch einige neue Argumentationstopoi. So befürchtet der 5. Senat eine erhebliche Beeinträchtigung der Effektivität der Strafverfolgung für laufende Verfahren, in denen der Ermittlungsrichter – der bisherigen Rechtsprechungslage entsprechend – keine qualifizierte Belehrung erteilt hat.[86] Der 4. Strafsenat bereichert die Diskussion um eine verfassungs- und völkerrechtliche Komponente. So fehle es an einer Rechtfertigung für die aus der qualifizierten Belehrung folgenden, weitergehenden Beschränkung der Wahrheitsermittlung und damit des Schuldprinzips. § 252 StPO schütze nicht den Angeklagten, sondern den zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen. Auch eine Rechtfertigung aus Gründen der Verfahrensfairness müsse ausscheiden, weil (wie der EGMR bereits entschieden habe)[87] ein solcher Verstoß nicht vorliege, wenn das Konfrontationsrecht des Angeklagten bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung gewahrt gewesen sei. Auch eine Verobjektivierung des Zeugen sei deshalb nicht anzunehmen, weil sich dieser bei einer richterlichen Vernehmung regelmäßig darüber im Klaren sei, dass seine jetzige Aussage auch bei späterer Zeugnisverweigerung verwertbar bleibe.[88] Schließlich weist der 1. Senat noch auf einige praktische Aspekte hin: So würde die Verpflichtung zur qualifizierten Belehrung jede richterliche Belehrung (z.B. auch diejenige in der Hauptverhandlung) und nicht nur die ermittlungsrichterliche Vernehmung betreffen.[89] Es sei auch nicht einsichtig, warum die qualifizierte Belehrung nicht auch andere Umstände – wie beispielsweise die Beweislage gegen den Beschuldigten – umfassen solle.[90]
In einem obiter dictum seines Antwortbeschlusses zweifelt der 1. Senat die Zulässigkeit der Vernehmung der richterlichen Verhörsperson als solche an. § 252 StPO wolle das Recht des Zeugen schützen, jederzeit von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen zu können. Deshalb sei eine Verlesung des Vernehmungsprotokolls (auch des richterlichen) unzulässig. Das Gesetz ließe demnach dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen Vorrang vor dem Aufklärungsinteresse zukommen – genau wie wenn der Zeuge von Anfang an schweige. Für die vom Zeugen angeblich erkannte erhöhte Bedeutsamkeit fehle jede empirische Absicherung. Anschließend taucht der 1. Senat tief in die Gesetzgebungsgeschichte der Norm ein. So sei in der Justizkommission explizit auf die Umgehung des Verlesungsverbots von § 252 StPO eingegangen worden. Dabei habe der Berichterstatter die Umgehung durch die Vernehmung der Verhörsperson (auch explizit des Untersuchungsrichters) als derart mit dem gesetzgeberischen Ziel für unvereinbar gehalten, dass auf die explizite Regelung eines Umgehungsverbots offensichtlich verzichtet worden sei.[91] Der 1. Senat führt schließlich ein gesetzessystematisches Argument an: So sei nicht einsichtig, warum § 255a Abs. 1 StPO iVm § 252 StPO zwar das Vorspielen einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung für unzulässig erkläre, die Vernehmung des Ermittlungsrichters aber zulässig sein solle. Denn die Bild-Ton-Aufzeichnung sei das qualitativ deutlich höherwertigere Beweismittel, da dort der Zeuge selbst und sein Aussageverhalten beobachtbar seien.[92]
Bereits das Vorlageverfahren selbst liefert reichlich Stoff für eine wissenschaftliche Betrachtung. So gelangte das Verfahren wegen der Rücknahme des ersten Vorlagebeschlusses und erneuter Vorlage mit veränderter Begründung zweimal zum Großen Senat. Die (höchst interessanten) revisionsrechtlichen Fragestellungen bleiben im hiesigen Beitrag aus Platzgründen allerdings ausgeklammert.
In materieller Hinsicht geht der 2. Senat in seiner Vorlage vertieft auf die Gegenargumente der übrigen Strafsenate und das obiter dictum des 1. Senats ein, dem er sich – hinsichtlich der Zweifel an der grundsätzlichen Zulässigkeit der Vernehmung richterlicher Verhörspersonen – anschließt.
Eine gesetzliche Grundlage für die qualifizierte Belehrung sei nicht erforderlich, weil eine solche auch für die richterrechtliche Ausnahme von § 252 StPO fehle.
Überdies sei das Anliegen, dass Zeugen nur wegen der fehlenden Belehrung von einem ihnen zustehenden Recht keinen Gebrauch machen, nicht schützenswert. Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR, der aus Gründen der Verfahrensfairness eine qualifizierte Belehrung nicht für erforderlich hält, sei nicht erkennbar, weil die Notwendigkeit nach deutschem Recht auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Zeugen gestützt werde.
Schließlich bestehe aus Sicht des 2. Senats keine Gefahr, dass die Wahrheitsfindung in zahlreichen Altfällen behindert werden könnte. Erstens würden seit dem Bekanntwerden des Anfragebeschlusses in vielen Gerichtsbezirken bereits qualifizierte Belehrungen erteilt. Zweitens würde diese Befürchtung der vom 5. Senat selbst aufgestellten Behauptung, dass sich die meisten Zeugen über die spätere Verwertungsmöglichkeit im Klaren seien, widersprechen. Denn ein Beweisverwertungsverbot wegen unterlassener qualifizierter Belehrung komme nur in Betracht, wenn der Zeuge tatsächlich nicht mit einer späteren Verwertungsmöglichkeit rechnen würde.[93]
Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen erging schließlich am 15. Juli 2016, wurde jedoch erst am 4. November 2016 veröffentlicht. Dabei beschränkte der Große Senat zunächst die Vorlagefrage: Da in den Fällen der §§ 53, 54, 54a, für die § 252 StPO ebenfalls gelte, eine Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht gesetzlich nicht vorgeschrieben sei, stelle sich die Frage nach einer qualifizierten Belehrung für diese Fälle nicht in gleicher Weise wie für § 52 StPO. Die Vorlagefrage sei daher auf die Fälle mit Zeugen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO geltend machen können, zu beschränken.
Der Große Senat bestätigt die Zulässigkeit der Vernehmung der richterlichen Verhörsperson als Ausnahme vom Verwertungsverbot des § 252 StPO.
Zunächst widerspreche der eindeutige Wortlaut ("nicht verlesen werden") nicht einer Vernehmung der richterlichen Verhörsperson. Dieses Ergebnis stünde auch in Einklang mit dem sonstigen Verständnis des Wortes "verlesen" in der StPO.
Auch die Systematik des Gesetzes führe zu keinem anderen Ergebnis. Zunächst weise der Regelungsstandort von § 252 StPO innerhalb der §§ 249 ff. StPO darauf hin, dass die Norm nur die Verlesung von Schriftstücken betreffe. § 252 StPO weise auch bei Verständnis als reines Verlesungsverbot einen eigenen Anwendungsbereich auf. So könne eine nach 251 StPO zulässige Verlesung durch § 252 StPO unzulässig werden, was sich nicht allein aus § 250 S. 2 StPO ergebe. Schließlich spreche für die Zulässigkeit der Vernehmung der richterlichen Verhörsperson, dass das Gesetz an verschiedenen Stellen (z.B. §§ 251, 168c, 161a Abs. 1 Satz 3 StPO, §§ 153 f. StGB) der richterlichen Vernehmung erhöhte Bedeutsamkeit beimesse.
Auch der Wille des Gesetzgebers stehe einer solchen Auslegung nicht entgegen. Dabei widerspricht der Große Senat der Interpretation der Äußerungen in den Beratungen zur Reichsstrafprozessordnung des 1. Senats. So habe der Berichterstatter ausdrücklich nur die Einführung einer solchen Aussage über die Schlussvorträge oder durch Aktenstudium im Richterzimmer als offensichtliche Manipulationen bezeichnet. Die Vernehmung der Verhörsperson (die vorher durch einen anderen Abgeordneten als mögliche Umgehung genannt wurde) habe er nicht "im Einzelnen" aufgegriffen. Es sei somit unklar, ob sich der Berichterstatter dabei auch auf die Vernehmung der Verhörsperson beziehen wollte.
Weiterhin habe der Gesetzgeber trotz Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg nicht reagiert. Selbst bei der Einführung des § 255a StPO nicht, der durch seinen Verweis auf § 252 StPO die Verwertung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenaussage bei späterer Zeugnisverweigerung ausschließe. Auch ein Hinweis der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den dadurch entstehenden Wertungswiderspruch zur (zulässigen) Vernehmung der richterlichen Verhörsperson habe den Gesetzgeber zu keiner Änderung des § 252 StPO veranlasst. Selbst im aktuellen Reformentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sei keine Änderung vorgesehen. Dem sei zumindest zu entnehmen, dass die bisherige Rechtsprechungspraxis nicht beanstandet werde.
Schließlich könne auch nicht von einem absoluten Überwiegen der Interessen des Zeugen über das Aufklärungsinteresse ausgegangen werden. Durch die Abwägung sei auch den verfassungsrechtlichen Belangen ausreichend Rechnung getragen.
Auch eine "qualifizierte" Belehrung hält der Große Senat nicht für erforderlich. Zunächst verlange der Wortlaut von § 52 Abs. 3 StPO keine solche Belehrung. Das gesetzgeberische Konzept – wie es in § 55 Abs. 2 StPO deutlich werde – gehe nicht dahin, dass ein Zeuge grundsätzlich darüber belehrt werde, was passiert, wenn er jetzt aussagt und später das Zeugnis verweigert.
Insgesamt seien Belehrungen über die Verwertungsmöglichkeiten von Angaben eines Verfahrensbeteiligten dem deutschen Strafprozessrecht fremd. Dies zeige z.B. § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO, welcher es dem Zeugen ermögliche, den Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht auch während einer Vernehmung zu widerrufen. Bis dahin gemachte Angaben könnten jedoch verwertet werden, eine Belehrung hierüber sei nicht vorgesehen.
Gleiches zeige sich bei einem Vergleich mit der Situation des Beschuldigten. Dieser müsse gem. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO nur über sein Schweigerecht und nicht darüber belehrt werden, dass eine Vernehmung der Verhörsperson (auch Staatsanwalt oder Polizist) möglich sei, wenn er später von seinem Schweigerecht Gebrauch mache. Wenn dem Zeugen "mehr" Belehrungsrechte zustünden als dem Beschuldigten, führe dies zu einem Wertungswiderspruch.
Ferner seien die Fälle, in denen von der Rechtsprechung über den Gesetzeswortlaut hinaus qualifizierte (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO bei der zweiten Vernehmung, wenn bei der ersten Vernehmung ein Belehrungsfehler vorlag) oder (nicht vorgesehene) einfache (z.B. Befragung einer Aussageperson durch einen Sachverständigen) Belehrungspflichten angenommen werden, nicht mit den Fällen von § 252 StPO vergleichbar.
Letztlich weist der Große Senat noch auf Widersprüche im Normgefüge, insbesondere zwischen § 252 StPO und § 255a StPO hin. Da es sich bei den Fällen des § 252 StPO regelmäßig um solche Fälle handele, welche die Interessen der Verfahrensbeteiligten häufig in besonderer Weise berühren, sei der Gesetzgeber aufgerufen, ein in sich stimmiges Gesamtnormgefüge zu entwickeln.[94]
Nach bislang herrschender Meinung soll durch § 252 StPO der von den § 52 StPO gewährte Schutz der besonderen Beziehung zwischen Angeklagtem und Zeuge "verlängert" bzw. erweitert werden. Der Zeuge soll eine vormals getätigte Aussage ohne weitere Folgen beseitigen können, um sein Zeugnisverweigerungsrecht auch in der späteren Hauptverhandlung noch "unbelastet"[95] wahrnehmen zu können. Hierdurch soll die fortbestehende Zwangslage des Zeugen (unwahre Aussage oder Belastung des Angehörigen[96]) aufgehoben werden.
Soweit es die "Verlängerung" des Rechts aus § 52 StPO betrifft, hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass sowohl § 52 StPO als auch § 252 StPO dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des angehörigen Zeugen dienen.[97] Das Wahrheitsfindungsinteresse des Staates und ggf. das Entlastungsinteresse des Angeklagten (im Falle einer ursprünglich günstigen Aussage) müssten dahinter zurücktreten.[98]
Ferner ist erwägenswert in § 252 StPO auch eine Ausprägung des Konfrontationsrechts aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zu erblicken. Dies wird besonders deutlich, wenn man – mit der ganz herrschenden Meinung – ein umfassendes Verwertungs- und nicht nur ein Verlesungsverbot annimmt. Denn dann kann die Aussage des zeugnisverweigernden Zeugen auch nicht durch die Vernehmung einer (nichtrichterlichen) Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Deshalb kann es auch nicht zur Verwertung einer Aussage kommen, bei der der Beschuldigte bzw. dessen Verteidiger keine Gelegenheit hatte, dem Zeugen selbst Fragen zu stellen und seine Aussage in Zweifel zu ziehen. Auch die von der Rechtsprechung befürwortete Ausnahme der ermittlungsrichterlichen Verhörsperson steht unter dem Vorbehalt, dass bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung die Vorgaben von § 168c Abs. 2, Abs. 5 StPO eingehalten wurden und der Beschuldigte bzw. dessen Verteidiger Gelegenheit hatten, Fragen an den Zeugen zu richten.[99] Der EGMR hält die Verwertung von Aussagen aus dem Ermittlungsverfahren als für mit Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK grundsätzlich vereinbar. Voraussetzung sei allerdings, dass der Angeklagte ausreichende Gelegenheit hatte, die Aussage im Aussagezeitpunkt oder später anzugreifen und in Zweifel zu ziehen.[100] Allerdings sind nach dieser Rechtsprechung auch Aussagen, bei denen keine Konfrontationsmöglichkeit bestand, grundsätzlich verwertbar. Dann darf die Verurteilung aber nicht "allein oder entscheidend" auf den nicht konfrontierten Aussagen beruhen.[101] Tut sie es doch, kann ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK jedoch ausscheiden, wenn das nationale Recht Maßnahmen bereithält, die eine faire und angemessene Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage ermöglichen.[102] Für die hiesige Frage besonders interessant ist eine Entscheidung des EGMR in einem Fall, in dem weder der Angeklagte noch ein Verteidiger (der zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht bestellt war) von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung zweier angehöriger Zeugen benachrichtigt worden war. Da die Zeugen später das Zeugnis verweigerten, wurde die Aussage durch Vernehmung des Ermittlungsrichters in die Hauptverhandlung eingeführt. Der EGMR entschied, dass weder die Möglichkeit der Beobachtung des Aussageverhaltens des Ermittlungsrichters in der Hauptverhandlung noch dessen eigene Einschätzung von der Glaubwürdigkeit der von ihm im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen ein angemessener Ausgleich für die fehlende Konfrontationsmöglichkeit sei.[103] Hieraus lässt sich zum einen der Schluss ziehen, dass Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK bei der Auslegung von § 252 StPO berücksichtigt werden muss.[104] Zum anderen steht fest, dass das Konfrontationsrecht verlangt, dass der Angeklagte – wie § 168c Abs. 2, Abs. 5 StPO es vorschreibt – bei der ursprünglichen Vernehmung des unmittelbaren Zeugen die Möglichkeit gehabt
haben muss, die Aussage anzugreifen und in Zweifel zu ziehen. War diese Möglichkeit nicht gegeben, darf das Urteil keinesfalls "allein oder entscheidend" auf der Aussage beruhen.[105] Darüberhinausgehend enthält das Konfrontationsrecht nach der Rechtsprechung des EGMR jedoch kein allgemeines Verbot der Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen, auch wenn dabei das Tatgericht nicht selbst die Möglichkeit hat, der Inzweifelziehung der Aussage durch den Angeklagten beizuwohnen und sich daher auch kein eigenes Bild von dessen Glaubwürdigkeit machen kann.[106]
Der Entscheidung des Großen Senats ist insofern beizutreten, als nach den üblichen Auslegungskriterien nicht zwingend ein Verbot der Vernehmung des Ermittlungsrichters als Zeuge vom Hörensagen aus § 252 StPO herauszulesen ist. Angesichts des eindeutigen Wortlauts "darf nicht verlesen werden" und der systematischen Stellung in den §§ 249 ff. StPO ist bereits zweifelhaft, ob § 252 StPO überhaupt das Verbot der Vernehmung irgendeiner Verhörsperson ausschließt. Auch das bislang vorgebrachte Argument, dass bereits § 250 S. 2 StPO eine Verlesung des Vernehmungsprotokolls ausschließe und § 252 StPO bei Nichtannahme eines umfassenden Verwertungsverbots kaum einen eigenen Anwendungsbereich aufweise,[107] vermag nicht vollständig zu überzeugen. Denn § 252 StPO würde bei einer Auslegung als reines Verlesungsverbot immerhin dazu führen, dass in den Fällen des § 251 StPO, in denen als Ausnahme zu § 250 S. 2 StPO eine Verlesung ausnahmsweise zulässig ist (z.B. bei Zustimmung aller Beteiligten, § 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StPO), die Zulässigkeit bei Vorliegen seiner Voraussetzungen wieder entfiele. Eine solche Lesart würde auch der systematischen Stellung des § 252 StPO entsprechen. Denn dann ergäbe sich folgendes Bild: Grundsätzliche Verlesungsmöglichkeit von Schriftstücken in § 249 StPO; ausnahmsweise Verbot bei Vernehmungsniederschriften in § 250 S. 2 StPO; ausnahmsweise Erlaubnis für Vernehmungsniederschriften in § 251 StPO und schließlich eine Rückausnahme zum Schutz zeugnisverweigerungsberechtiger Zeugen (von deren Zustimmung eine Verlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StPO im Übrigen auch nicht abhängig wäre) in § 252 StPO.[108]
Der gesetzgeberische Wille stellt sich bestenfalls als indifferent dar. Die Äußerungen zweier Abgeordneter (einer immerhin der Berichterstatter) in der Justizkommission darf sicherlich für die Auslegung über 100 Jahr später in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden.[109] Gleiches gilt aber auch für eine Nichtregulierung durch den Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BGH (wie auch immer die Kenntnis der Abgeordneten über die Zeitdauer tatsächlich ausgesehen haben mag). Dass sich der Gesetzgeber jedenfalls keine tiefgehenden systematisierenden Gedanken zur hier relevanten Frage gemacht hat, zeigt der Verweis in § 255a StPO auf § 252 StPO, der – insofern ist dem Großen Senat ebenfalls beizutreten – zur kuriosen Lage führt, dass dasjenige Beweismittel, bei dem sich das Gericht der Hauptverhandlung einen eigenen Eindruck vom Aussageverhalten des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen machen kann und das die Aussage Wort für Wort[110] wiedergibt, nicht zulässig ist, während das deutlich unzuverlässigere Beweismittel (Vernehmung des Ermittlungsrichters), bei dem das Gericht keinen eigenen Eindruck zur Glaubwürdigkeitsprüfung erhält, zulässig ist.[111] Dies lässt zwei Schlüsse zu: Entweder hat sich der Gesetzgeber keine Gedanken zur Rechtsprechung des BGH zu § 252 StPO gemacht, als er § 255a StPO geschaffen hat, oder er tendiert eher dazu, die Umgehung von § 252 StPO durch andere Beweismittel als die Verlesung der Niederschrift verhindern zu wollen.
Schließlich lässt sich die von der Rechtsprechung vorgenommene Differenzierung zwischen richterlichen und anderen Verhörspersonen durch eine einfach-gesetzliche Auslegung nicht ableiten. Die erhöhte Bedeutsamkeit in anderen Vorschriften (§§ 251, 168c, 161a Abs. 1 Satz 3 StPO, §§ 153 f. StGB) genügt dafür jedenfalls nicht.[112] Gerade die ausdrückliche Regelung in diesen Normen – und insbesondere in der "Nachbarvorschrift" des § 252 StPO – spricht eher dafür, dass eine solche Differenzierung für § 252 StPO nicht vorgesehen ist.
Im Ergebnis ergibt sich die Auslegung des § 252 StPO als umfassendes Verwertungsverbot[113] aus einer verfassungs- und
menschenrechtskonformen Bestimmung des Zwecks der Vorschrift. Denn der von § 252 StPO gewollte und notwendige Schutz von Zeuge und Angeklagtem wäre offensichtlich unzureichend, würde er sich nur auf den Ausschluss der Verlesung beschränken.[114] Die Zwangslage des Zeugen – erneut gegen seinen Angehörigen oder vor Gericht falsch aussagen zu müssen – wird nur dann effektiv verhindert, wenn der Zeuge die früher gemachte Aussage folgenlos und vollständig beseitigen könnte.[115] Dies wäre jedoch nicht möglich, wenn § 252 StPO lediglich die Verlesung der Niederschrift, nicht aber die Vernehmung der richterlichen (oder sonstigen) Vernehmungspersonen ausschließt. Beachtet werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass auch der Angeklagte ein schützenswertes – aus seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitetes – Interesse an der Vertrauensbeziehung zu seinen Angehörigen hat.[116] Auf die Vertraulichkeit von mit Angehörigen geteilten Informationen darf sich Jedermann grundsätzlich verlassen.[117] Dies zeigt nicht zuletzt die Existenz der §§ 52, 97 StPO, die den (zwangsweisen) Zugriff des Staates auf entsprechende Informationen ausschließen. Schließlich sind auch das Konfrontationsrecht des Angeklagten und der Unmittelbarkeitsgrundsatz zu berücksichtigen.[118] Denn selbst wenn dieser die Möglichkeit hatte, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung in Zweifel zu ziehen, kann sich das Tatgericht keinen eigenen, unmittelbaren Eindruck vom Aussageverhalten und den Reaktionen des Zeugen auf die Konfrontationen des Angeklagten bzw. dessen Verteidigers verschaffen. Genau dies soll jedoch das in § 250 S. 2 StPO verankerte Unmittelbarkeitsprinzip sicherstellen.[119] Das dagegen abzuwägende staatliche Interesse an der Ermittlung der materiellen Wahrheit ist für sich genommen nicht geeignet, die Individualinteressen von Zeuge und Angeklagtem zu überwiegen.[120] Dies zeigt sich u.a. an der Regelung des § 255a StPO: Der Verweis in Abs. 1 auf § 252 StPO führt auch nach Ansicht des BGH zur Unzulässigkeit der Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung.[121] Nur unter den erweiterten Voraussetzungen des Abs. 2, die dem Schutz von minderjährigen Zeugen und damit einem zusätzlichen, von der reinen Wahrheitsfindung unterschiedlichen Individualinteresse dienen, kann nach der (ebenfalls nicht unstrittigen[122] und auch nicht tragenden[123]) Auffassung des BGH die Aufzeichnung einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung gezeigt werden, auch wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht.[124] Die Nichtverwertbarkeit der Aussagen von nach § 52 StPO geschützten Zeugen ist – auch wenn diese aufgezeichnet oder protokolliert sind – der "Normalfall". Die Einführung solcher Aussagen in die Hauptverhandlung durch Ersatz-Beweismittel ist die begründungsbedürftige Ausnahme. Als Begründung taugt das Wahrheitsfindungsinteresse des Staates alleine nicht.[125] Andenfalls könnte dieses auch bereits den Schutz nach § 52 StPO überwinden.
Wenn man – anders als hier – die Vernehmung der richterlichen Verhörsperson für zulässig erachtet, so muss zumindest eine qualifizierte Belehrung verlangt werden,[126] um ein verfassungsrechtlich gebotenes Mindestmaß an Schutz für den zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen zu gewährleisten.[127] Gleichzeitig wird auch der bei der Vernehmung anwesende Angeklagte darüber informiert, dass bei der jetzt gemachten Aussage möglicherweise letztmalig die Gelegenheit besteht, den Zeugen zu konfrontieren und die Aussage in Zweifel zu ziehen. Ein wirksamer Verzicht auf verfassungs- und menschenrechtlich abgesicherte Rechte setzt in der StPO grundsätzlich – und richtigerweise – voraus, dass der Verzichtende über die Möglichkeit der Rechtsausübung und die Folgen seines Verzichts belehrt wird (vgl. z.B. § 52 Abs. 3, 136 Abs. 1 S. 2 StPO).[128] Das (denknotwendige) Fehlen[129] einer Belehrungsnorm im Rahmen einer richterrechtlichen Ausnahme nötigt in solchen Fällen die Rechtsprechung, eine entsprechende Belehrungspflicht selbst festzuschreiben. Die "erhöhte Bedeutsamkeit" richterlicher Vernehmungen kann daran nichts ändern. Ein Vergleich mit anderen Normen der StPO (und des StGB), aus denen eine solche hervorgeht, sind wegen der unterschiedlichen Schutzzwecke der Vorschriften nicht zielführend. Es kann hieraus auch eher der Umkehrschluss gezogen werden, dass eine solche erhöhte Bedeutsamkeit für § 252 StPO vom Gesetzgeber gerade nicht vorgesehen wurde. Ohne empirische Absicherung ist auch die von einigen Senaten behauptete regelmäßige Kenntnis des Zeugen von der erhöhten Bedeutsamkeit
unerheblich.[130] In Fällen, in denen eine solche Kenntnis nachweisbar gegeben ist, führt sie – nach allgemeinen Grundsätzen – zur ausnahmsweisen Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots aus § 252 StPO.[131]
Wie aufgezeigt, ist die Lage der mittelbaren Verwertbarkeit von Zeugenaussagen zeugnisverweigerungsberechtigter Zeugen kompliziert und nicht frei von systematischen Widersprüchen. Für die Praxis der Ermittlungsrichter und Tatgerichte sind die relevantesten Rechtsfragen durch die Entscheidung des Großen Senats zunächst geklärt. Der Gesetzgeber wird dennoch nicht umhinkommen, den Appell des Großen Senats mit einer grundlegenden Überarbeitung des § 252 StPO und der auf ihn bezugnehmenden Normen zu beantworten.[132] Denn es handelt sich bei den hier behandelten Fragestellungen um solche, die Grundrechtsfragen wesentlich berühren.[133]
[1] BGHSt 2, 99; 7, 194, 195; BGH NJW 2000, 1277 (1278); MüKoStPO/Ellbogen, 1. Aufl. 2016, § 252 Rn 42; Löwe/Rosenberg/Sander/Cirener, 26. Aufl. 2009 § 252 Rn 7; SSW/Kudlich/Schuhr, 2. Aufl. 2016 § 252 Rn 16; Beulke, Strafprozessrecht, 13. Aufl. 2016, Rn 419; Degener StV 2006, 509, 512; Geppert Jura 1988, 305, 307; KK/Diemer, 7. Aufl. 2013 § 252 Rn 1; Kraatz Jura 2011, 170, 171; Kudlich/Roy JA 2003, 565, 572; Henckel HRRS 2014, 482; a.A. Rogall, FS Otto (2007), 973, 987 f.
[2] BGHSt 2, 99, 106; BGH NJW 2000, 1274, 1275; Bosch Jura 2012, 33, 35; KK/ Diemer (Fn. 1), § 252 Rn 22; Krey, GS Meyer, 1990, 239, 243; Meyer-Goßner/ Schmitt, 59. Aufl. 2016, § 252 Rn 14; Mosbacher JuS 2008, 688; MüKoStPO/Ellbogen (Fn. 1), § 252 Rn 47; Löwe/Rosenberg/Sander/Cirener (Fn. 1), § 252 Rn 10; Henckel HRRS 2014, 482.
[3] Ablehnend: BGHSt 32, 25; BGH NStZ 1985, 36; befürwortend: MüKoStPO/Ellbogen (Fn. 1), § 252 Rn 54; BGH NStZ 2014, 596, 598; kritisch: SSW/Kudlich/Schuhr (Fn. 1), § 252 Rn 22.
[4] BGHSt 2, 99; 7, 194, 195; 32, 25; BGH NStZ 1985, 36; BGH NJW 2000, 1277, 1278.
[5] Vgl. aus neuerer Zeit: El-Ghazi/Merold StV 2012, 250; Meyer StV 2015, 319; Braun JuS 2016, 406; zu nichtrichterlichen Vernehmungen: Rostek StraFo 2016, 371.
[6] Allg. M., vgl. statt aller: MüKoStPO/Percic (Fn. 1), § 52 Rn 49 m.w.N.
[7] Im Folgenden wird § 252 StPO synonym für die ursprünglich beinahe gleichlautende Fassung des § 251 StPO, verwendet. 1924 wurde § 251 zu § 252 StPO.
[8] RGBl 8, 1877, 253-346.
[9] Vgl. auch die rechtshistorische Aufarbeitung bei: Meyer StV 2015, 319.
[10] Von Schwarze GS 1881, Bd. 33, 295, der Autor sah dies noch als logische Konsequenz, wenn die Vernehmung von Verhörspersonen zugelassen werden würde.
[11] Hierzu siehe Gösch MecklZ 1881, 145, diese Auffassung vertrat auch der BGH, BGHSt 2, 99, 104.
[12] Gösch MecklZ 1881, 142 ff., "…es sich für die Frage stehenden Fälle ja nur um Zeugnisse von nahen Angehörigen des Angeklagten handeln werde, und daß diese ihrer Natur nach ein so trügerisches und untaugliches Beweismittel seien, daß es für die Zwecke der Strafrechtspflege wenig ausmache, wenn ein solches Beweismittel einmal versage."
[13] U.a. Gösch MecklZ 1881, 144.
[14] Abg. Reichensperger in Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozeßordnung (1881), Bd. 3/2, S. 1366, dem gleichen Tenor folgend die Begründung zu § 42 des Entwurfes (§ 51 StPO) Hahn, a.a.O., Bd. 3/1, S. 107.
[15] Das OLG Bamberg bezeichnete jede Verwertung einer solchen Zeugenaussage als Eingriff in den persönlichen Bereich zwischen Angeklagtem und zur Verweigerung der Zeugenaussage berechtigtem Zeugen, ein Bereich, der sowohl vom Gesetzgeber wie auch der Rechtsprechung zu respektieren sei; OLG Bamberg SJZ 3, 473.
[16] OLG München HESt 2, 98, 101.
[17] Wurde bereits festgestellt von Gösch MecklZ 1881, 145; ebenso Geerds JuS 1991, 199, 200, der anders als Gösch die Ansicht vertritt, dass gerade dadurch ein absolutes Verwertungsverbot auch von früheren Aussagen in § 252 StPO verankert ist.
[18] So auch OLG München HESt 2, 98, 101.
[19] RG JW 1932, 419, Nr. 23, 420.
[20] Gösch erklärt dies damit, dass im normalen Gang einer Ermittlung die Befragung durch untergeordnete Organe der Polizei durchgeführt würden und daher diese die erste Beweisaufnahme durchführen würden; Gösch MecklZ 1881, 146 f.
[21] Gösch MecklZ 1881, 149; der Autor sieht dies als einen für die ermittelnden Beamten unzumutbaren und impraktikablen Vorschlag, da die Vernehmung von Zeugen immer in ihrer Hand läge.
[22] RGSt 70, 6, 7; Dörr führt in seinen Anmerkungen zu einem ähnlich gelagerten Urteil des RGs, RG JW 1932, 419, Nr. 23 an, dass die Unterscheidung zwischen Ermittlungsbeamten und Ermittlungsrichtern willkürlich erscheine und hierfür jegliche belastbare rechtliche Begründung fehle.
[23] OGHSt 2, 299, 302.
[24] Sachverständige dürfen nicht als Zeugen über den Inhalt einer Aussage eines entschlagungsberechtigten Zeugen über das Tatgeschehen vernommen werden, BGH JZ 1990, 874.
[25] Ebenso BGH NJW 1984, 621, 622.
[26] U.a. OLG Nürnberg SJZ 5, 463 f.; OLG Bremen SJZ 5, 464; OLG Düsseldorf HESt 1, 174; und OLG München HESt 2, 99.
[27] OLG Nürnberg SJZ 5, 463 f.
[28] Andere Ansicht RGSt 8, 122, 123 ff.; durch das Fehlen der Belehrung ist die Aussage des Zeugen ein gesetzlich unzulässiges Beweismittel und nicht verwertbar, auch nicht über die Vernehmung der Verhörsperson.
[29] Gösch MecklZ 1881, 170 ff.; andere Ansicht von Schwarze GS 1881, Bd. 33, 271, er sieht es als unstrittig, dass jede Aussage eines Zeugnisverweigerungsberechtigten ohne vorangegangene Belehrung ohne Beweiskraft ist und daher generell keinen Eingang ins Verfahren finden darf.
[30] So auch Henckel HRRS 2014, 482, 483; Andere Ansicht BGH JR 1967, 467, kritisch dazu in seinen Anmerkungen zum Urteil, Peters JR 1967, 467 f. Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone lehnte eine Belehrungspflicht für die Polizei ab, da dadurch die erste Beweisermittlung unnötig erschwert würde und das nachteilige Folgen für die Ermittlung haben würde, OGHSt 1, 299, 302.
[31] U.a. BGHSt 21, 218 f. und BGH JR 1967, 467; Henckel HRRS 2014, 482, 483; kritisch dazu Eisenberg NStZ 1988, 488 f., der keine gesetzliche Grundlage für das "höhere Vertrauen" in den Ermittlungsrichter zu finden vermag.
[32] Eisenberg NStZ 1988, 488 f., weist darauf hin, dass der Vernehmungsstil des Untersuchungsrichters unter Umständen durch seinen autoritären Stil und die Verwendung von juristischen Fachtermini die freie Willensbetätigung einschränken kann.
[33] Hahn , (Fn. 14), S. 1562.
[34] RGSt 5, 142, 143; in diese Richtung entschied auch der BGH, der zwar die Vorführung einer Videoaufzeichnung der Vernehmung als der Verlesung entsprechend und somit als Verletzung des § 252 StPO ablehnte, jedoch feststellte, dass gegen die Vernehmung des Untersuchungsrichters keine gesetzlichen Bedenken entgegenstünden, BGH JuS 2004, 546, 547 f.
[36] RGSt 8, 122, 123; von Schwarze GS 1881, Bd. 33, 294, weist darauf hin, dass die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen sei, dass die vernommene Verhörsperson den Inhalt der Zeugenaussage nur lückenhaft wiedergibt und das ein dadurch verfälschtes Beweismittel zur Grundlage des Urteils wird.
[37] Geppert weist darauf hin, dass eine Vernehmung einer Verhörsperson ohne Zuhilfenahme des Protokolls "wenig sinnvoll" erscheint und damit der Ansatz der Rechtsprechung nachvollziehbar sei, er geht sogar so weit, dass er vorschlägt, die Vernehmungsniederschrift als Ganzes zu verlesen, um damit den Qualitätsunterschied zwischen der Aussage des ursprünglichen Zeugens und der des Verhörbeamten zu nivellieren; Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren (1979), S. 278, 282.
[38] RGSt 72, 221, 222 f., dazu kritisch Hippel, Der deutsche Strafprozeß (1941), 391 f., Fn. 4, "an die Stelle der gesetzlich verbotenen Vermittlungsmethode wird damit eine unzuverlässigere gesetzt, die das Verbot umgeht."
[39] OLG Bamberg SJZ 3, 471.
[40] BGH NJW 1958, 919.
[41] Hahn , (Fn. 14), S. 1562.
[42] Eine genaue Auseinandersetzung mit dem Begriff "Verhörsperson" findet sich in Geppert, (Fn. 37), S. 263 ff.
[43] Gösch geht so weit, dass er die Problematik verneint mit der Begründung, es handele sich nicht um einen Zeugen vom Hörensagen, denn der Zeuge würde über den Inhalt einer vor ihm persönlich gemachten Aussage befragt werden und nicht direkt über das eigentliche Beweisthema. Gösch MecklZ 1881, 146 f.; andere Ansicht von Schwarze GS (1881), Bd. 33, 284 f., der Autor sieht gerade dadurch das Prinzip der Mündlichkeit verletzt, da Rückfrage um Missverständnisse auszuräumen durch die Verhörsperson nicht beantwortet werden können. Der Untersuchungsrichter wäre somit kein Zeuge sondern "Referent im alten Stile".
[44] RGSt 5, 142, 144.
[45] BGHSt 17, 324, kritisch dazu Fezer JZ 1990, 875, 876 und Geerds JuS 1991, 199, 201 f.
[46] Ebenso Eisenberg NStZ 1988, 488.
[47] Von Schwarze GS 1881, Bd. 33, 289 f.
[48] Entscheidung des bayerischen Kassationshofs zitiert in Gösch MecklZ 1881, 149; ebenso OGHSt 1, 299, 300 f., Aussagen, die außerhalb des Verfahrens gegenüber Dritten gemacht würden, seien als Beweismittel durch die Vernehmung des Dritten verwertbar; und OLG Kiel HESt 1, 177, hier sieht das Gericht die Verlesung der Aussagen der Ehefrau aus einem anderen Strafverfahren als zulässig. Andere Ansicht BGH JZ 1990, 874 f.
[49] BGH, Urteil v. 29.5.1996, 3 StR 157/96, das Recht des § 252 StPO steht nicht für die Verfahrensbeteiligten zur Disposition. Die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls stellt auch dann eine Verletzung des § 252 StPO dar, wenn dafür das Einverständnis aller Beteiligten vorliegt.
[50] Geppert sieht hier kein Problem, da die Verhörsperson beiden, d.h. der Anklage und der Verteidigung gleichermaßen zur Verfügung stünden, Geppert, (Fn. 37), S. 283; eine wenig nachvollziehbare These, da der Verhörbeamte ohne Zweifel der Anklage näher steht und darüber hinaus auch anders als der ursprüngliche Zeuge Ungenauigkeiten oder Missverständnisse, die regelmäßig bei Vernehmungen vorkommen können, nicht ausräumen kann.
[51] BGHSt 2, 99, 103.
[52] RGSt 10, 374; ebenso Geppert, (Fn. 37), S. 259 ff.
[53] Ebenso Hahn, (Fn. 14), S. 1621; so auch OGHSt 1, 299, 300.
[54] BGHSt 2, 99, 107; kritisch dazu Geerds JuS 1997, 199, der darin eine Umgehung des § 252 StPO sieht; Grünwald JZ 1996, 489, 497, der den BGH offen mit den Worten kritisiert: "Zugleich ist freilich noch deutlicher geworden, dass die Rechtsprechung nicht den Befehl des Gesetzes befolgt, sondern die Rolle des Gesetzgebers übernommen hat, indem sie autonom Rechtssätze nach ihren eigenen Wertvorstellungen schafft".
[55] Gösch argumentiert, dass dem Zeugen einzig das Recht auf Zeugnisverweigerung zustünde, das Gesetz ihm aber durch § 252 StPO kein darüber hinaus gehendes neues Recht zubilligen will, unter keinen Umständen könne jedenfalls rückwirkend die Eliminierung der getätigten Aussage angenommen werden; Gösch MecklZ 1881, 165 f.
[56] RGSt 5, 142, 145 und BGHSt 2, 99, 107.
[57] Andere Ansicht Gösch MecklZ 1881, 154, 157, der den § 252 StPO mit den §§ 251 und 253 StPO, vormals §§ 250 und 252 StPO, verbunden wissen will und diese These damit begründete, dass dem Zeugen dem ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde keine erweiterten Rechte zugestehen, sondern damit nur eine Ausnahme des Prinzips der Mündlichkeit statuiert werden sollte. Eine weitere wenig einleuchtende Begründung, die der Autor anführt ist, dass die Regierung und der Bundesrat, die beide mehrfach die Einführung des § 252 StPO verhindern wollten, einer derartigen Interpretation wie sie die herrschende Meinung proklamiert, nicht zugestimmt hätten.
[58] BGHSt 2, 99, 108; siehe auch Henckel HRRS 2014, 482, 483.
[59] Von Schwarze weist hingegen darauf hin, dass der Zeuge sich durch jede Form der Verwertung seiner Aussage in einem Dilemma befände, da er sich durchaus bewusst ist, dass die Verurteilung auf seine Zeugenaussage gestützt wurde, von Schwarze GS 1881, Bd. 33, 288.
[60] Ebenso OGHSt 1, 299, 302.
[61] BGHSt 2, 99, 107 ff.
[62] So etwa RGSt 70, 6, 7; es dürfen "Vorschriften, die den Schutz von Einzelpersonen betreffen, nicht ausdehnend ausgelegt werden, wenn dadurch die Erforschung der Wahrheit beeinträchtigt werden würde."
[63] Hahn , (Fn. 14), S. 1366 und 1882; von Schwarze GS 1869, Bd. 21, 60 ff., setzt sich mit dem grundlegenden Problem von Zeugenaussagen von Personen mit verwandtschaftlichen Beziehungen zum Angeklagten auseinander.
[64] OGHSt 1, 299, 300.
[65] BGHSt 2 99, 109.
[66] So u.a. Dörr JW 1932, 419.
[67] Ebenso von Schwarze GS 1881, Bd. 33, 293.
[68] BGHSt 2, 99, 100.
[69] BGHSt 2, 99, 108.
[71] BGHSt 11, 338, 339; 17, 324, 326; 26, 281; 27, 231, 232; 32, 25, 29; 46, 189, 195; 57, 254, 256.
[72] BGHSt 13, 394, 395; 21, 218 f.; 36, 384, 385; 45, 342.
[73] BGHSt 21, 218 f.; 36, 384, 385; 45, 342.
[74] BGHSt 32, 25, 29; BGH StV 1984, 326; BGH NStZ 1985, 36.
[75] Zum Ganzen: BGHSt 32, 25, 31 f.
[76] Zum Anfragebeschluss siehe bereits: Henckel HRRS 2014, 482, 483 ff.
[77] Zum Ganzen: BGH NStZ 2014, 596 = HRRS 2014 Nr. 879.
[78] BGH, Beschl. v. 08.01.2015 – 3 ARs 20/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 207.
[79] BGH, Beschl. v. 16.12.2014 – 4 ARs 21/14 = NStZ-RR 2015, 48 = HRRS 2015 Nr. 114; BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235; BGH, Beschl. v. 27.01.2015 – 5 Ars 64/14 = NStZ-RR 2015, 118 = HRRS 2015 Nr. 225.
[81] BGH, Beschl. v. 16.12.2014 – 4 ARs 21/14 = NStZ-RR 2015, 48 = HRRS 2015 Nr. 114; BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235.
[82] BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235; vgl. auch BGH, Beschl. v. 16.12.2014 – 4 ARs 21/14 = NStZ-RR 2015, 48 = HRRS 2015 Nr. 114, wo der 4. Senat noch die Fälle der Exploration durch einen Sachverständigen als Beispiel für eine ungeschriebene Belehrungspflicht nennt.
[83] BGH, Beschl. v. 16.12.2014 – 4 ARs 21/14 = NStZ-RR 2015, 48 = HRRS 2015 Nr. 114.
[84] BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235.
[85] BGH, Beschl. v. 27.01.2015 – 5 Ars 64/14 = NStZ-RR 2015, 118 = HRRS 2015 Nr. 225; ähnlich wenn auch nicht so tiefgehend (Zeuge ist sich regelmäßig bewusst, dass seine Aussage vor einem Richter verwertbar bleibt): BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235 und BGH, Beschl. v. 16.12.2014 – 4 ARs 21/14 = NStZ-RR 2015, 48 = HRRS 2015 Nr. 114.
[86] BGH, Beschl. v. 27.01.2015 – 5 Ars 64/14 = NStZ-RR 2015, 118 = HRRS 2015 Nr. 225.
[87] Vgl. EGMR NJW 2013, 3225 = HRRS 2014 Nr. 716.
[88] BGH, Beschl. v. 16.12.2014 – 4 ARs 21/14 = NStZ-RR 2015, 48, 49 = HRRS 2015 Nr. 114.
[89] BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235.
[90] Vgl. BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235.
[91] BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235.
[92] BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 ARs 21/14 = NJW-Spezial 2015, 153 = HRRS 2015 Nr. 235.
[93] Vgl. zum Ganzen: BGH, Beschl. v. 24.02.2016 – 2 StR 656/13 = BeckRS 2016, 06840 = HRRS 2016 Nr. 450.
[94] Zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 15.07.2016 – Aktenzeichen GSSt 1/16 = BeckRS 2016, 18942 = HRRS 2016 Nr. 1167.
[95] BGHSt 1, 373, 375 spricht von "seelischer Belastung" des Zeugen, die vermieden werden soll.
[96] Vgl. hierzu: BVerfG NStZ-RR 2004, 18, 19.
[97] BVerfG NStZ-RR 2004, 18, 19.
[98] BVerfG NStZ-RR 2004, 18, 19.
[99] Vgl. BGH StV 2011, 336, 337 = HRRS 2011 Nr. 550; Meyer-Goßner/Schmitt (Fn. 2) § 252 Rn 14; deshalb ist es auch nicht unmittelbar einsichtig, warum die h.M. dennoch die Vernehmung von Richtern aus anderen Verfahrensarten zulässt, bei denen entsprechende Anwesenheits- und Fragerechte des Beschuldigten bzw. von dessen Verteidiger nicht vorgesehen sind, vgl. hierzu BGHSt 17, 324; zu Recht kritisch Eser NJW 1963, 234.
[100] EGMR HRRS 2006 Nr. 62, § 40; EGMR, NJW 2013, 3225, 3226 = HRRS 2014 Nr. 716 jeweils m.w.N.
[101] Vgl. EGMR NJW 1987, 3068 (Zur Verlesung einer im Ermittlungsverfahren vor Polizeibeamten gemachten Aussage); EGMR HRRS 2012 Nr. 1 § 119, Rn 131; EGMR NJW 2013, 3225, 3226 = HRRS 2014 Nr. 716.
[102] EGMR HRRS 2012 Nr. 1 § 147, Rn 168; EGMR NJW 2013, 3225, 3227 = HRRS 2014 Nr. 716.
[103] EGMR NJW 2013, 3225, 3228 = HRRS 2014 Nr. 716; vgl. auch BGH StV 2011, 336, 337 = HRRS 2011 Nr. 550.
[104] Hierfür auch: Schmitt NStZ 2013, 213, 214 f.; Widmaier in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung (2006), § 9 Rn 272.
[105] Siehe hierzu auch Henckel HRRS 2014, 482, 485 f.
[106] Vgl. EGMR NJW 2006, 2753, 2755 ff. = HRRS 2006 Nr. 63; zu Recht kritisch zu dieser "Beweiswürdigungslösung": Wattenberg/Violet StV 1997, 620; Renzikowski JZ 1999, 605; Safferling NStZ 2006, 75, 81; Fezer JZ 2007, 723, 725; siehe auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 46 Rn 34; Schmitt NStZ 2013, 213, 214 f.
[107] Vgl. z.B. Kraatz JA 2014, 773, 774.
[108] Kritisch hinsichtlich der mangelnden Übersichtlichkeit: Jahn StV 2015, 778, 780; siehe auch SSW/Kudlich/Schuhr (Fn. 1), § 252 Rn 2.
[109] Anders Degener StV 2006, 509, 512; El-Ghazi JR 2015, 343, 345; Meyer StV 2015, 319, 322.
[110] Vgl. zur besseren Qualität des Vernehmungsprotokolls wegen der wörtlichen Wiedergabe: Meyer StV 2015, 319, 323.
[111] So bereits: El-Ghazi/Merold StV 2012, 250, 253 f.; ebenfalls kritisch: Jahn StV 2015, 778, 781.
[112] Ähnlich: Meyer StV 2015, 319, 322 f.; allgemein kritisch zur normativ ableitbaren erhöhten Vertrauenswürdigkeit richterlicher Vernehmungen: SSW/Kudlich/Schuhr (Fn. 1), § 252 Rn 20.
[113] Für ein umfassendes Verwertungsverbot ohne Ausnahmen: El-Ghazi JR 2015, 343; Roxin/Schünemann (Fn 104), § 46 Rn 29 ff.; Eb. Schmidt JR 1959, 369, 373; Hanack JZ 1972, 236, 238; Grünwald JZ 1966, 489, 497 f.; Peters JR 1967, 467 f.; Eisenberg NStZ 1988, 488, 489; Fezer JZ 1990, 875, 876; Kraatz Jura 2011, 170, 176; El-Ghazi/Merold StV 2012, 250, 253 f.; Löwe/Rosenberg/Sander/Cirener (Fn. 1), § 252 Rn 10; SKStPO/Velten, 5. Aufl. 2016, § 252 Rn 4; Eisenberg Beweisrecht, 9. Aufl. 2015, Rn 1288; gewichtige Bedenken hinsichtlich der Ausdehnung des Verwertungsverbots auf von Zeugen übergebene Beweisgegenstände bei: Böse GA 2014, 266; offen lassend: SSW/Kudlich/Schuhr (Fn. 1), § 252 Rn 20.
[114] So auch Degener StV 2006, 509, 512; Meyer StV 2015, 319, 322.
[115] Vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2004, 18, 19 zur nichtrichterlichen Verhörsperson; zur Übertragung der Argumente auf die richterliche Verhörsperson: Meyer StV 2015, 319, 324 Fn 46.
[116] A.A.: BVerfG NStZ-RR 2004, 18; SSW/Kudlich/Schuhr, (Fn. 1), § 252 Rn 1.
[117] BVerfGE 90, 255, 260 zum beleidigungsfreien Raum bei § 185 StGB.
[118] So auch in anderem Kontext: Schmitt NStZ 2013, 213, 214; zur Stärkung des Konfrontationsrechts über den Mindeststandard des EGMR hinaus: Jahn StV 2015, 778, 781.
[119] BGHSt 51, 325, 328: tragender Grundsatz des Strafprozesses; vgl. auch MüKoStPO/Kreiker (Fn. 1), § 250 Rn 1 f. m.w.N.; kritisch: Jahn StV 2015, 778, 779 f.
[120] So auch Löwe/Rosenberg/Sander/Cirener (Fn. 1), § 252 Rn 10; für eine absolute "Abwägungsfestigkeit der Rechte aus §§ 52, 252 StPO: Henckel HRRS 2014, 482, 484.
[122] Kritisch: Mitsch JuS 2005, 102, 104 f.; Degener StV 2006, 509, 514; Maaß Schutz besonders sensibler Zeugen durch den Einsatz von Videotechnik, S. 133 ff.; KK/Diemer (Fn. 1), § 255a Rn 9a; Radtke/Hohmann/Pauly, 2011, § 255a Rn 28; MüKoStPO/Krüger (Fn. 1), § 255a Rn 25.
[123] MüKoStPO/Krüger (Fn. 1), § 255a Rn 25.
[124] BGHSt 49, 72; siehe hierzu bereits: El-Ghazi/Merold StV 2012, 250, 253 f.
[125] A.A.: KK/Diemer (Fn. 1), § 252 Rn 22.
[126] So auch die Forderung der Verfasser des Alternativentwurfs Beweisaufnahme, vgl. Eser et. al GA 2014, 1, 24.
[127] Siehe auch MüKoStPO/Ellbogen (Fn. 1), § 252 Rn 49, 54; kritisch: SSW/Kudlich/Schuhr (Fn. 1), § 252 Rn 22.
[128] Aus Transparenz- und Nachvollziehbarkeitsgründen ebenso: Braun JuS 2016, 406, 409.
[129] Hierzu auch kritisch: Meyer StV 2015, 319, 324.
[130] Ähnlich: Braun JuS 2016, 406, 409; El-Ghazi JR 2015, 343 f. ("spekulativ"); Henckel HRRS 2014, 482, 485; anders: MüKoStPO/Ellbogen (Fn. 1), § 252 Rn 49.
[131] So richtig: BGH, Beschluss vom 24.02.2016 – 2 StR 656/13 = BeckRS 2016, 06840 = HRRS 2016 Nr. 450.
[132] So auch El-Ghazi JR 2015, 343, 344 ff.; siehe auch den entsprechenden Vorschlag von Eser et. al GA 2014, 1, 7, 11 f., 24 f.
[133] Vgl. zum Wesentlichkeitsvorbehalt: BVerfGE 49, 89, 126 f.; 57, 295, 327; 83, 130, 142; 98, 218, 251 ff.; 101, 1, 34; 105, 252, 268 f.; 105, 279, 301 ff.