HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2016
17. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

712. BGH 3 BGs 197/16 1 BJs 201/80-2 Beschluss vom 8. Juni 2016

BGHR; Zuständigkeit des Ermittlungsrichters am BGH für Festsetzung der Pauschgebühr des Rechtsanwalts (Zuständigkeit des Oberlandesgerichts; Zuständigkeitskonzentration; Strafsache; Bestellung durch Ermittlungsrichter; Bestellung durch Ermittlungsrichter).

§ 51 Abs. 2 RVG

1. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ist für Entscheidungen über Anträge eines von ihm im Ermitt-

lungsverfahren bestellten Rechtsanwalts auf Festsetzung einer Pauschgebühr nicht zuständig. (BGHR)

2. Aus § 51 Abs. 2 Satz 1 RVG ergibt sich, dass für die Entscheidung über die Bewilligung einer Pauschvergütung grundsätzlich das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das Gericht des ersten Rechtszugs gehört, zuständig ist. Entscheidend für die Bestimmung der Zuständigkeit ist nicht eine sich aus der Bestellung bzw. Beiordnung oder Entgegennahme der Tätigkeit des Anwalts ergebende Sachkunde betreffend den Umfang und die Schwierigkeit dessen Tätigkeit, sondern die Sicherstellung eines möglichst einheitlichen Maßstabes auf der Grundlage der mit der Zuständigkeitskonzentration verbundenen Breite an Erfahrung. (Bearbeiter)

3. § 51 Abs. 2 Satz 2 RVG sieht zwar als Ausnahme von diesem Grundsatz vor, dass der Bundesgerichtshof für die Entscheidung zuständig ist, soweit er den Rechtsanwalt bestellt hat. Diese Ausnahme erfasst jedoch nicht die Fälle, in denen der Bundesgerichtshof während des Ermittlungsverfahrens mit einer Strafsache befasst war, selbst dann nicht, wenn der anwaltliche Vertreter von dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs bestellt worden ist. Der Bundesgerichtshof ist vielmehr nach § 51 Abs. 2 Satz 2 RVG nur für die Bewilligung der Pauschgebühr für die Beteiligung an der Revisionshauptverhandlung und deren Vorbereitung zuständig. Im Übrigen verbleibt es bei der Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes gemäß § 51 Abs. 2 Satz 1 RVG. (Bearbeiter)


Entscheidung

660. BGH 2 StR 394/15 – Beschluss vom 21. April 2016 (LG Frankfurt a. M.)

Durchsuchung beim Verdächtigen (Richtervorbehalt: Beweisverwertungsverbot bei Umgehung auch bei hypothetisch rechtmäßigem Ermittlungsverlauf, Vorliegen von Gefahr im Verzug); gefährliche Körperverletzung (Begehung mit einem anderen Beteiligten gemeinsam: gefahrsteigernde Wirkung der Anwesenheit des Beteiligten).

§ 102 StPO; § 105 Abs. 1 StPO; § 223 Abs. 1 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB

1. Dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kann bei Verkennung des Richtervorbehalts für eine Durchsuchung keine Bedeutung zukommen (vgl. BGHSt 51, 285, 295 f). Die Einhaltung der durch § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (vgl. BGHSt 51, 285, 296).

2. Eine gemeinschaftliche Begehung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. ist regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters – physisch oder psychisch (vgl. BGH NStZ 2006, 572, 573) – bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Dies wird in der Regel vor allem durch eine Schwächung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf der Verletzerseite insbesondere auch wegen des erwarteten Eingreifens des oder der anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten.


Entscheidung

694. BGH 4 StR 569/15 – Urteil vom 12. Mai 2016 (LG Münster)

Aufklärungsrüge (Anforderungen an die Revisionsbegründung: Darstellungsanforderungen, Angabe von Negativtatsachen); Darstellung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten im Urteil (Erforderlichkeit bei freisprechenden Urteilen); bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Begriff des Mitsichführens); Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (erforderlicher Vorsatz in Bezug auf die Haupttat).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO; § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 27 Abs. 1 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB

1. Eine erfolgreiche Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der Beweis nicht erhoben wurde. Wird mit einer Aufklärungsrüge beanstandet, dass eine Urkunde nicht verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist es – zumindest in Fällen, in denen dies in Betracht kommt – daher erforderlich, dass die Revision mitteilt, dass die Urkunde oder deren Inhalt nicht auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt wurde (vgl. zur Verpflichtung zum Vortrag sogenannter Negativtatsachen auch BVerfGE 112, 185).

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es einen auf die Sachrüge zu beachtenden Darstellungsmangel darstellen, wenn die Urteilsgründe keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten enthalten. Solche sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts nachvollziehen zu können. Bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen aber zumindest dann zu Feststellungen zur Person des Angeklagten verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (st. Rspr.). Insoweit verbietet sich indes eine schematische Betrachtung; die Entscheidung, ob ein Verstoß gegen § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO vorliegt, ist aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu treffen.


Entscheidung

693. BGH 4 StR 487/15 – Urteil vom 12. Mai 2016 (LG Detmold)

Aufklärungsrüge (Darstellungsanforderungen: Unterschiede zwischen einem vorbereitenden und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten: Anforderungen an die Revisionsbegründung) Konkurrenzen bei gleichzeitiger Verletzung mehrerer Tatobjekte (mehrfache Tatbegehung nur bei höchstpersönlichen Rechtsgütern: Brandstiftung; Verhältnis von vollendeter und versuchter Verletzung); Strafzumessung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit); Entscheidung über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 244 Abs. 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 52 StGB; § 306 Abs. 1 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 46 StGB; § 56 StGB

1. Die Entscheidung über Verfahrensrügen, die auf Unterschiede zwischen einem vorbereitenden und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten gestützt sind, erfordert regelmäßig einen inhaltlichen Vergleich zwischen den beiden Gutachten. Nur so ist zuverlässig feststellbar, ob beide Gutachten auf identischer tatsächlicher Grundlage erstattet sind oder ob sich die Differenzen aus unterschiedlichen tatsächlichen Grundlagen ohne weiteres von selbst erklären. Während sich jedoch die Grundlagen des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens regelmäßig aus den Urteilsgründen ergeben, ist dies hinsichtlich einer durch den weiteren Verfahrensablauf überholten Grundlage eines früheren Gutachtens nicht notwendig der Fall. Der Revisionsführer hat daher regelmäßig jedenfalls den wesentlichen Kern des ursprünglichen Gutachtens vorzutragen (vgl. BGH NStZ 2013, 98, 99 mwN) und kann sich nicht darauf beschränken, die abweichende Passage zu zitieren.

2. Ob eine mehrere taugliche Tatobjekte beeinträchtigende Handlung zu einer mehrmaligen oder lediglich zu einer in ihrem Gewicht gesteigerten einmaligen Gesetzesverletzung geführt hat, hängt von dem in Rede stehenden Tatbestand ab. Stellt dieser auf die Verletzung von Gesamtheiten ab und werden keine höchstpersönlichen Rechtsgüter geschützt, so führt eine handlungseinheitliche Beeinträchtigung mehrerer Tatobjekte selbst dann nicht zu einer mehrfachen Verwirklichung des Tatbestands, wenn verschiedene Rechtsgutsträger geschädigt worden sind (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 278, 279).

3. So verhält es sich auch bei der Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 StGB, die als „qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt“, dem auch ein Element der Gemeingefährlichkeit anhaftet (vgl. BGH NStZ 2001, 196, 197) keine höchstpersönlichen Rechtsgüter schützt.

4. Wird ein zum Schutzgut gehörendes Tatobjekt beschädigt und die Schädigung weiterer Objekte nur versucht, ist der Tatbestand ebenfalls nur einmal verwirklicht (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 278, 279).


Entscheidung

651. BGH 2 StR 121/15 – Urteil vom 23. März 2016 (LG Erfurt)

Mitteilung über Verständigungsgespräche außerhalb der Hauptverhandlung (Vorliegen eines Verständigungsgesprächs).

§ 243 Abs. 4 StPO; § 257c StPO

Ein nach § 243 Abs. 4 StPO mitzuteilendes Verständigungsgespräch außerhalb der Hauptverhandlung kann auch dann vorliegen, wenn zwischen den Verfahrensbeteiligten über eine umstrittene Rechtsfrage Einigkeit hergestellt werden soll, ohne dass es dazu eines konkreten Verständigungsvorschlags bedarf.


Entscheidung

668. BGH 2 StR 487/15 – Beschluss vom 15. März 2016 (LG Aachen)

Gesamtstrafenbildung (Verschlechterungsverbot bei neuerlicher Gesamtstrafenbildung: Vorrang gegenüber dem Asperationsprinzip).

§ 53 Abs. 1 StGB; § 54 Abs. 1 StGB; § 358 Abs. 2 StPO

Wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 StPO) darf eine neuerliche Gesamtstrafenbildung eine zuvor rechtsfehlerhaft verhängte Gesamtfreiheitsstrafe nicht überschreiten. Die Regelung des § 54 StGB, wonach die Gesamtstrafe in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Einzelstrafe, der Einsatzstrafe, zu bestehen hat, hat b zurückzutreten hinter dem Grundsatz, dass die Rechtsstellung eines Angeklagten, der durch einen nur von ihm angefochtenen Strafausspruch einen über das in §§ 53 bis 55 StGB vorgesehene Maß hinausgehenden Vorteil erlangt hat, durch eine neuerliche Gesamtstrafenbildung nicht mehr beeinträchtigt werden darf. Das Verbot der reformatio in peius geht insoweit dem sachlichen Recht vor (vgl. BGHSt 8, 203, 205).


Entscheidung

654. BGH 2 StR 80/16 – Beschluss vom 27. April 2016 (LG Stralsund)

Schuldunfähigkeit (tatrichterlicher Beweiswürdigung: Auseinandersetzung mit einem Sachverständigengutachten, paranoide Schizophrenie als Schuldausschlussgrund).

§ 20 StGB; § 261 StPO

Wenn sich der Tatrichter darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.). Dies gilt auch in Fällen paranoider Schizophrenie. Allein die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 239). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH NStZ- RR 2012, 306, 307).


Entscheidung

728. BGH StB 9 und 10/16 – Beschluss vom 12. Mai 2016

Keine Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen des erstinstanzlich tätigen OLG (Durchsu-

chung der Verteidiger und Durchsicht mitgeführter Behältnisse).

§ 304 StPO; § 176 GVG

1. Der Senat kann offenlassen, ob sitzungspolizeiliche Maßnahmen (hier: Durchsuchung der Verteidiger und Durchsicht mitgeführter Behältnisse) im Sinne des § 176 GVG überhaupt der Anfechtung unterliegen oder der Beschwerde entzogen sind (näher BGH HRRS 2015 Nr. 1133). Jedenfalls ist ein Rechtsmittel gegen Verfügungen und Beschlüsse der Oberlandesgerichte in Fällen, in denen diese erstinstanzlich tätig werden, nur in den in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO ausdrücklich aufgeführten Fällen statthaft.

2. § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 bezieht sich mit dem Begriff der Durchsuchung auf die „klassische Durchsuchung“ nach Beweismitteln im Sinne der §§ 102 ff. StPO. Auch mit Blick auf möglicherweise tangierte Grundrechtspositionen aus Art. 12 Abs. 1 GG ist es nicht gerechtfertigt, entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers ein Beschwerderecht einzuräumen.


Entscheidung

730. BGH StB 9 und 10/16 – Beschluss vom 12. Mai 2016

Keine Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen des erstinstanzlich tätigen OLG (Durchsuchung der Verteidiger und Durchsicht mitgeführter Behältnisse).

§ 304 StPO; § 176 GVG

1. Der Senat kann offenlassen, ob sitzungspolizeiliche Maßnahmen (hier: Durchsuchung der Verteidiger und Durchsicht mitgeführter Behältnisse) im Sinne des § 176 GVG überhaupt der Anfechtung unterliegen oder der Beschwerde entzogen sind (näher BGH HRRS 2015 Nr. 1133). Jedenfalls ist ein Rechtsmittel gegen Verfügungen und Beschlüsse der Oberlandesgerichte in Fällen, in denen diese erstinstanzlich tätig werden, nur in den in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO ausdrücklich aufgeführten Fällen statthaft.

2. § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 bezieht sich mit dem Begriff der Durchsuchung auf die „klassische Durchsuchung“ nach Beweismitteln im Sinne der §§ 102 ff. StPO. Auch mit Blick auf möglicherweise tangierte Grundrechtspositionen aus Art. 12 Abs. 1 GG ist es nicht gerechtfertigt, entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers ein Beschwerderecht einzuräumen.


Entscheidung

729. BGH StB 11/16 – Beschluss vom 18. Mai 2016

Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung („Gruppe Freital“; Einschüchterung politisch Andersdenkender; Begehung von Tötungsdelikten); dringender Tatverdacht; Schwerkriminalität; Fluchtgefahr trotz Erfüllung von Meldeauflagen; Anordnung des Vollzugs des ausgesetzten Haftbefehls (neu hervorgetretene Umstände; Erschütterung der Gründe des Haftverschonungsbeschlusses).

§ 129a StGB; § 212 StGB; § 211 StGB; § 112 StPO; § 116 StPO

Gemäß § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO ist der Vollzug des ausgesetzten Haftbefehls anzuordnen, wenn neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen. Diese Einschränkung gilt auch, wenn der außer Vollzug gesetzte Haftbefehl aufgehoben und durch einen neuen ersetzt wird. „Neu“ im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO sind nachträglich eingetretene oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordene Umstände, wenn sie die Gründe des Haftverschonungsbeschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern, dass keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. Eine bloß nachträgliche andere Beurteilung bei gleichbleibender Sachlage rechtfertigt den Widerruf nicht


Entscheidung

723. BGH 5 StR 525/15 – Beschluss vom 5. April 2016 (LG Potsdam)

Auslagenerstattung im Sicherungsverfahren gegenüber dem verstorbenen Beschuldigten.

§ 206a StPO; § 414 Abs. 1 StPO; § 467 StPO

§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO gilt im Sicherungsverfahren nicht gem. § 414 Abs. 1 StPO entsprechend bei einem Beschuldigten, der aufgrund eines überdauernden psychopathologischen Zustands schuldunfähig ist. Die Vorschrift soll abweichend von der Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO von einer Belastung der Staatskasse mit den notwendigen Auslagen des Beschuldigten absehen zu können, wenn eine solche Auslagenüberbürdung grob unbillig bzw. ungerecht erscheint. Grundlage der Bewertung einer Auslagenerstattung als grob unbillig oder ungerecht kann allerdings nur ein dem Beschuldigten vorwerfbares Verhalten sein.